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Klarheit und Einfachheit

01.02.2016

Klar und einfach werden heißt sich abwenden von der Zeit und der faden Lymphe, die sie nährt: der Phrase.

Die Zeitgeistigen oder die Sklaven der Gegenwart benutzen die Phrase, einmal, um sich mit ihr zu falscher Größe aufzublähen, einmal, um ihre wahre Kleinheit und Leere dahinter zu verstecken.

Nimm Phrasen und Großmaulworte wie Menschheit, Solidarität und Mitgefühl: Sie treten dir dummdreist auf die Füße bei ihrem Sturmlauf auf die Plätze oder an die Mikrophone, wo sie die Heilslehre der Menschheitsverbrüderung ausposaunen, sie rennen dich einfach um, damit sie rechtzeitig bei der Preisverleihung und der Verleihung des Ordens für das selbstloseste Opfer anlangen, sie verkaufen ihre Großmutter, um die Menschheit zu retten, sie erbarmen sich der tränenselig aufgemotzten Negerkindlein von südlich der Sahara, während ihre Mutter einsam im Sterben liegt.

Sie haben nichts außer dem Pöbelgeschmack, den sie Demokratie nennen, und gerieren sich als moralische Auslese.

Sie fliehen vor sich selber und haben einen Flüchtling beherbergt.

Die Sprache Goethes und Hölderlins sollte nicht jedem dahergelaufenen Tunichtgut ausgeliefert werden, es sind der deutschen Michel und deutschen Deutschlehrer schon zu viele, die ihrer nicht würdig sind.

Sie haben keine wahre Not und nähren sich parasitär vom Elend der anderen.

Sie prostituieren die Kunst im Dienste ihrer reinen Moral.

Sie haben nichts Eigenes mehr, darum ihr Kult des Fremden.

Ihr moralischer Eskapismus geht einher mit der Trübung der Vernunft, in deren Folge sie sich und anderen einfachste Fragen verbieten.

Der Bettler, der Arme, der Flüchtling, die neuen Ikonen eines moralisch sterilisierten und sozialistisch kastrierten Christentums.

Zumeist sind Leute arm, weil sie entweder zu faul oder zu wenig begabt oder beides sind, um es zu etwas zu bringen.

Die Sehnsucht der Zukurzgekommenen: die reichen Prasser und dekadenten Finanzjongleure am Galgen baumeln zu sehen. Es sind die verkommenen Priester und die hysterischen Sozialpädagogen, die diese Sehnsucht schüren und sie zu stillen als Heroismus und neuen liturgischen Dienst feiern.

Die Kunst und die Dichtung stehen in niemandes Dienst, sind keines Moralisten Büttel und werden unfruchtbar unter dem stinkenden Atem der Gutwilligen.

Wie die Logik sorgt die freie Rede der Dichtung für sich selbst, spielt mit sich selbst, wie der Jongleur, der seine Bälle wirft und fängt. Den Ball zu werfen und wieder zu fangen und nicht auf den Boden gleiten zu lassen ist die Kunst.

Wenn du dich bezaubern läßt von der Kunst des Ballspielers, genießt du die Freiheit, du selbst zu sein, siehst du klar, inmitten der Dunkelheit des Lebens, werden alle Wege offen und licht, im Labyrinth des Lebens.

Wer Kopfweh hat, beweist damit noch nicht, daß er sich mit großen Fragen abplagt.

Manch einer hat Kopfweh, weil er sich für etwas hält, was er nicht ist.

Wider die, die Kopfweh haben, weil sie schwer am Leben tragen, zeugt das Leben.

Dichtung, die Kopfweh verursacht, fließt aus verschmutzter oder vergifteter Quelle.

Sie haben so viel gelesen, daß sie die Orientierung verloren haben.

Weil sie die Orientierung verloren haben, wollen sie alle anderen vom Weg abbringen.

Weil sie kein Licht sehen, verdunkeln sie die schlichten Dinge des Lebens.

Weil sie die Orientierung verloren haben, hassen sie die Ordnung.

Sie können keine Unterschiede des Ranges zulassen, denn sonst müßten sie bescheiden werden.

Weil sie keine Unterschiede des Ranges zulassen können, fördern sie den Unrat, das Häßliche, das Gemeine.

Die betäubende Wiederholung der Phrase ist wie das Pfeifen des Kindes im Wald: Es verdeckt die Angst vor der Gefahr. Doch vergebens, denn die Phrase selbst birgt die Gefahr, die Klarheit und Einfachheit des Lebensvorgangs zu verlieren.

Wenn du unter Panik leidest, weil der Weg zur Arbeit, zum Amt, zur Geliebten wie mit scharfen Scherben bestreut scheint, erkennst du, wenn die Arbeit getan, das Formular ausgefüllt, die Geliebte geküßt ist, daß der ungeheure Seelenaufwand der Panik nichtig war gegenüber der Klarheit und Einfachheit des Lebensvollzugs.

Die Klarheit und Einfachheit des Lebensvollzugs ersehen wir am Beischlaf und am Sterbeprozess.

Zu viel zu wollen ist das Hemmnis der Klarheit und Einfachheit, es richtet die Mauer der Zweifel und überflüssiger Fragen auf, hinter welcher der Garten der Lüste sich verschließt.

Zu viel sagen zu wollen ist das Grundproblem des Dichtens. Reife zeigt sich in der männlichen Tugend, das Überflüssige zu beschneiden und zu verschweigen.

Wenn du die Ausstrahlung des Eros dichterisch anhand des alten Bildes vom Duft, der in der Nacht sich im Wald verbreitet, zu erfassen gedenkst, mußt du nicht botanisch fuchsen und dich lang und breit über die Namen und die Morphologie der gemeinten Blumen verbreiten.

Der starke Eindruck wird durch langatmige Erklärungen abgeschwächt. Manchmal genügt ein Gedankenstrich, manchmal der Schatten eines Seufzers.

Die Grundbefindlichkeiten unseres Daseins können wir aus den Interjektionen „Ach!“ und „Oh“ entwickeln, aber nur so lange, wie die ursprünglichen Impulse nachhallen.

Es ist wie mit den didaktischen Lehrbuchsätzen, die an den grammatischen und semantischen Gelenkstellen Leerstellen aufweisen: Das Nichtgesagte fordert und gibt am meisten.

Wenn du deine Zuneigung der Geliebten offenbaren willst, genügt eine kleine Geste, das Entzünden einer Kerze, ein Lächeln, selbst ein Schweigen. Zu viele Orchideen im geschlossenen Zimmer benehmen den Atem.

Klarheit und Einfachheit des Tuns und Sagens erlangen wir durch das helle Bewußtsein und die unabgelenkte Konzentration auf den Augenblick des Lebensvollzugs.

Kein Aufhebens von dem zu machen, was als unbeabsichtigte Aufwallung oder Trübung des Lebensstromes geschieht, und es muß ja geschehen, gehört zur Kunst ebenso wie die zärtliche Verkleinerung der allzu großen Gefühle, die zärtliche Einbettung der großen Worte in die weichen Daunen der Ironie.

Dichtung ist keine Droge, mit der sich die Wachheit und Wahrheit des Lebensvollzugs betrügen ließe.

Die Bedeutung der Worte, und ebenso der dichterischen, ist nicht die Wirkung des Gesagten. Wenn ich dir versehentlich auf den Fuß trete und um Verzeihung bitte, ist die Tatsache, daß du mir verzeihst, nicht die Wirkung meiner Entschuldigung, sondern deine freie Antwort auf das von mir Gemeinte.

„Wirkungsästhetik“ – die Torheit steckt schon im Begriff.

So ist die Dichtung die freie Antwort des Dichters auf das von ihm Gesehene und Gehörte. Und das Verstehen des dichterischen Worts die freie Antwort auf das Gelesene.

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