Geisterhaft
Wenn die Formen dir verschwimmen,
fühle nach dem sanften Glimmen,
wie’s aus Veilchen drang.
Fahlen geisterhaft Gestalten,
beug dich über den uralten
quellendunklen Sang.
Stimmen, Schwestern, sie verklingen,
Herz, kannst höher du nicht springen,
taumle vor dich hin.
Träne, Tochter, heimatlose,
glänzender als Tau der Rose,
blasse und verrinn.
Purpurknospe will sich schließen,
wenn die Abendnebel fließen,
Schmerz, auch du schläfst ein.
Nur die Asphodelen leuchten,
wenn die Augen sich dir feuchten
an dem süßen Schein.
Gnädig machen Sternenbilder
auch die harten Wasser milder,
wo dein Schatten geht.
Nach Elysium magst kommen,
wo das hohe Lied der Frommen
sanft im Efeu weht.
Die Rückkehr der Knuffeltiere
Für kleine und für große Kinder
Sie wohnen jetzt im Gartenhäuschen,
die Knuffeltiere, wo ein Mäuschen
nachts tränenselig flötet.
Die Tür umranken wilde Reben,
wie still und träumerisch sie leben,
wenn sich das Blattwerk rötet.
Carlinchen gibt der Suppe Würze,
das Kühlein in der Blumenschürze,
schon hört man Löffel klirren.
Durch Fensterchen, die offen stehen,
Klein Wilmas Lammfellflusen wehen,
die flinkem Kamm entschwirren.
Gern kreuzt die Pfoten auf der Schwelle
der Hütehund im Fleckerl-Felle,
auf dessen Schutz sie bauen.
Sein Brüderchen ist Wuff, der zarte,
die Fensterbank nahm er zur Warte,
wie’s Täubchen pickt, zu schauen.
Schnuff heißt ein helles Flockenhäschen,
und immer schnieft sein holdes Näschen
von scheuer Seele Beben.
Im Garten treibt auf grünem Weiher
ein rotgetupfter Blütenschleier,
wie ihn sich Nixen weben.
Doch wütet hinterm Zaun ein Grunzen,
streut Schalen man und scharfe Blunzen,
die Stachelschweine schlingen.
Es weitet sich das Aug den Rehen,
wenn die Veganer Körner sehen,
die sie in Körbchen bringen.
Wenn weiche Nebel es umkränzen,
verlockt im Laube süßes Glänzen
von Beeren, Kirschen, Pflaumen.
Da machen Mus sie und bedecken
mit rotem Samt die guten Wecken
und lutschen an den Daumen.
Ertönt die Nacht von Lichtkristallen,
vermeiden sie des Frostes Krallen,
geschmiegt an Wärmeflaschen.
Sie lauschen nach den lichten Tönen,
die mit der Dunkelheit versöhnen,
dem Seufzen weißer Aschen.
Doch hauchen gern sie an die Scheiben,
bis wunderliche Blüten treiben
und seltsam irisieren.
Da wandern sie durch Zauberauen,
bis Eises Halme Strahlen tauen,
und fürchten nicht zu frieren.
Willkommen sind die Nachbarskinder,
die Ausgewachsenen nicht minder,
soweit sie Kind geblieben,
wenn sie das Weihnachtsbäumchen schmücken,
mit Engeln, Sternen, Tand beglücken,
die Knuffeltiere lieben.
Sie sind zurückgekehrt, die Guten,
die sanft sich stupsen ihre Schnuten,
statt müde sich zu schwätzen.
Doch manchmal sitzen sie im Kreise
und singen eine süße Weise,
bis sich die Augen netzen.
Hellas ewig unsre Liebe
Dem Andenken an Stefan George
Als hätte dunkle Krusten es durchbrochen,
gedrängt von süßem Selbstgefühl ans Licht,
glomm Sapphos keusche Knospe, das Gedicht,
das halb im Schlaf sie vor sich hin gesprochen.
Dann blühten rings in Hellas offnen Auen,
wo goldner Wein auf die Altäre floß,
die Rosenoden des Dionysos,
des Eros Sänge, die wie Veilchen blauen.
Magst du im Staub des Hinterhofs, in Ritzen
nur Dolden finden, die gleich Monden bleichen,
sieh, wie auch deiner Nächte Sterne blitzen.
Es rauscht dir, Dichter, Efeu noch an Mauern,
und in den Blättern der uralten Eichen
fühlst manchmal du ein orphisches Erschauern.
Die neue Prüderie der Schamlosen
Philosophische Sentenzen und Aphorismen
Erst sahst du ihn mit dem Fahrrad, dann zu Fuß mit der Tüte von REWE, schließlich sich an die Hauswände drückend nach Hause schleichen. Jetzt siehst du ihn nicht mehr.
Es ist ein Unterschied ums Ganze, sich unterwegs zu fragen: „Gehe ich noch kurz in den Park und danach einkaufen?“ oder auf der Schwelle zaudernd: „Soll ich nach draußen gehen oder noch eine Weile die Sicherheit der Behausung vorziehen?“
Der Tor weiß das Ziel nicht zu finden; der Verlorene hat keins.
Der Tor weiß nicht zu erlangen, was er will; der Verlorene weiß nicht, was er will.
Die Grazie hob sich tänzerisch von der Plumpheit ab; in den Ausdünstungen der Vulgarität ward sie allmählich unsichtbar. Oder sie liegt an ihnen erstickt zu Füßen der Zechenden.
Die reinsten Begriffe beginnen im Mund der Journaille zu faulen und zu stinken.
Wenn der Teufel von Engeln spricht, und das tut er gern, schnalzt er mit der Zunge.
Scheinpropheten wie Nietzsche hüllen ihre mageren Visionen in das knisternd-halbseidene Kleid eines atemlos zusammengenähten dichterisch-religiösen Idioms. Im Gegensatz zu echten gründen sie keine Riten, Sakramente, Liturgien, die dauerhafte Traditionen ausbilden. Wir singen noch die Hymnen des Ambrosius, jene des angemaßten Zarathustra sind verstummt.
Die dialektisch verknoteten Begriffsgirlanden eines Hegel wehten noch als grelle Fetzen ihrer revolutionären Umkehrungen über den Gräben und Barrikaden der Bürgerkriege; nun wickelt der saturierte Philosophieprofessor mit den ganz verblaßten Resten nostalgisch die Schatulle ein, worin er neben den Urkunden seiner Berufungen die alten Geheimbundsiegel, die Mao- oder Sowjetsterne, all die Sektendiplome und Parteiabzeichen heimlich verwahrt. Auch der kleine Revolver liegt zuunterst, wenn auch ungeladen. Es ist eben jener, von dem Breton forderte, man muß ihn laden und damit in den Straßen wahllos auf Passanten schießen, dies sei die herausragende surrealistische Tat.
In Blut getränkte Parolen wie die der Französischen Revolution haben ihr Faszinosum bewahrt; sie kitzeln noch immer die dumpfen Neuronen des Politikers und des Zeitungssklaven.
Der Lorbeerkranz hellster geistiger Entrückung und das blutverschmierte Messer dunkelster sittlicher Entartung liegen beide im Wandschrank des Mannes.
Der Machthaber, der das Gemetzel an den Ohnmächtigen zu verantworten hat, erscheint in der Trauerkleidung verbrämter Hypokrisie am Grab und überreicht den Hinterbliebenen weiße Rosen, die sie mit Tränen in den Augen gerührt entgegennehmen.
Die Moralwächter des Sprachgebrauchs reden selbst ein verkommenes Kauderwelsch.
Die neue Prüderie der Schamlosen.
Eine Frau, die geboren hat, wird nicht mehr Mutter, sondern Person mit Uterus und Eierstöcken genannt. – Biologistische Brutalismen, die der Entstellung und Herabwürdigung der Mutterschaft dienen.
Eine Mutter, die sich hingebungsvoll der Aufzucht ihrer Nachkommen widmet, wird hinter dem Wandschirm des Tabus verborgen, ein Mann, der vorgibt, eine Frau zu sein, ins Rampenlicht der Lüge gestellt.
Die neue Prüderie der Schamlosen läßt der Sprache gleichsam ein Geschlechtsteil implantieren und anschwellen, als ein Kriterium, womit sie die abtrünnigen Puristen von den obszönen Gesinnungsgenossen zu diskriminieren willens und in der Lage ist. Die Diskriminierten werden über kurz oder lang aus der als herrschaftsfrei gelobhudelten Diskursgemeinschaft ausgeschlossen.
Die metaphorische Verhüllung der alten Prüderie wird durch den semantischen Dildo der neuen ersetzt.
Der Gebrauch obszöner Begriffe gilt als Ausweis des avantgardistischen Rangs eines Schriftstellers; die Verwendung von Blumennamen und metaphorischen Ranken aus den Auen und Gärten stillen Wachstums als Symptom von Rückständigkeit und neurotischer Hemmung.
Liebe, die sich opfert, Hingabe, die verzichtet, gilt der Prüderie der Schamlosen als Vergehen an der ungehemmten Selbstverwirklichung dumpfen Lebens.
Das erigierte Wort verdunkelt das stille Licht der Gnade.
Gesang die Woge, Stille das Land.
Der aufgeblähte Sinn zerplatzt am Dorn der Wahrheit.
Mit dem Namen des Vaters wird auch der von ihm erhöhte Sohn verworfen (Philipperhymnus).
Theseus hat Ariadne erniedrigt, Dionysos wird sie erhöhen.
Der Cosima schrieb „Ich bin dein Labyrinth“, hat sie wohl in Ariadne verwandelt, doch den Faden ihr abgeschnitten.
Erektionen des Worts im Geschrei der Mänaden, der mythischen, die Tiere zerrissen, der zeitgenössischen, die Embryonen zerstückeln.
δόξα θεού, Hoheit, vor der sich die rachitischen Knie des Zeitgeistes nicht mehr beugen.
Hölderlin kehrt, als das Rattern und Surren der Ego-Maschinen von fern schon vernehmbar war, zur hochherzigen Demut hymnischen Singens zurück.
Imago Dei – wird sie unterm dämonischen Grinsen ein Engel des Gerichts freilegen?
Volk, dem man die Zunge des heimatlichen Idioms abgeschnitten hat.
Ideologische Wirrköpfe feiern den rationalen Diskurs, Besessene die Herrschaft der Vernunft.
Der Reim ist verpönt, weil er den Eros der Sprache offenbart.
Aus mancher Sackgasse, wie der atonalen Musik, kann man nur gelangen, indem man den Rückwärtsgang einlegt.
Die Messer, die hier blitzen und schlitzen, tragen das Gütesiegel „Made in Germany“.
Das Licht des dichterischen Samens keimt nur in der Dunkelheit.
Am offenen Fenster der Sommernacht gelehnt vernahm er im dunklen Flüstern des Blattwerks das Seufzen einer unerlösten Seele.
Die Augen, dunkel glänzend vom Wasser der Schwermut, die Seele: nulla lux.
Die Alten nannten symbolisch das Zusammenfügen zerbrochener Ringe; wir legten die Ringe auf den Amboß der Selbstauslöschung.
Getünchte Gräber, die noch lange vor sich hin siechen, wenn die Seele längst erloschen ist.
Glück des Lieds, als Welle einer unendlichen Melodie in den Schilfen Thules zu verebben.
Phallus des Sonnengesangs, verlöschend im Schoß der Nacht.
Der freie Geist flieht nicht vor dem Gott, der sich aus den Fragmenten seiner Selbstzerreißung neu zusammensetzt.
Die Zeilen der Handschrift – aufgefädelte Perlen kostbarer Chiffren, die Züge des Gesichts – Ruinen und verschüttete Gräben einer eschatologischen Schlacht.
Wittgenstein: Je präziser die Begriffe, umso rätselhafter der Sinn.
Stufen des Verstehens, ähnlich den klimatischen Zonen – in den unteren zittert das heimatliche Veilchen, auf den verschneiten Gipfellagen blaut der wunderliche Fremdling Enzian.
Für den Platoniker sind die mythischen Götter fliehende Wolken vor der unendlichen Bläue.
Die Vorlieben dichterischer Landschaftsbilder konvergieren mit den Altersstufen – die tropischen Wucherungen der Jugend, die beschnittenen Reben der Reifezeit, die Wolken spiegelnden Wattlandschaften des Alters.
„Zieh deine Schuhe aus!“ – Jüdisch ist die Furcht vor der Nähe der unsichtbaren Gottheit, die sich im brennenden Dornbusch offenbart. – Aber bei Hölderlin finden wir sie wieder, transponiert in mythisch-elegisches Moll.
Hölderlin rettet sich aus der pietistischen Selbstzerknirschung, indem er mit Diotima durch die Dämmerung der Rosenhaine wandelt, mit Empedokles sich in die Flammen der Wiedergeburt stürzt.
In Blei, in Kalk, in Asche verwandelt sich jeder Gegenstand, den die taube Hand des Gottverlassenen antastet.
Ich bin mir auf dem schmalen Pfad begegnet, der aus dem Buchenwald hinaufführt zu den Rebenhügeln; wir haben uns schweigend zugelächelt; ich ging dort auf die Höhe, um den heimatlichen Strom einmal noch unter mir glänzen zu sehen; du gingst den Weg zurück in die Dämmerung des leise rauschenden Blattwerks.
Wenn wir uns Abfall dünken
Wenn wir uns Abfall dünken und verschleimt
nur Trübes künden flackernde Pupillen,
wenn Stimmen, fremde, unsre überschrillen,
und Unrat in den Labyrinthen keimt,
die in uns gräbt und wühlt ein Zwitter-Gott,
ein Name, den wir liebten, würgt die Kehle,
wenn sie verkrustet juckt, die Haut der Seele,
und wir dumpf kratzen, hoher Schöpfung Spott,
führ, Dichter, uns zum Wasser hin, dem reinen,
das unentweihter Erde Schoß entfließt,
laß süßen Melodien nach uns weinen,
die Seelen baden im Gewog von Psalmen,
bis ihre Wunden Liebeskühlung schließt.
Dann schenkt uns Schlummer Duft von sanften Halmen.
Emily Dickinson, I’m nobody
I’m nobody! Who are you?
Are you nobody too?
Then there’s a pair of us — don’t tell!
They’d banish us; you know!
How dreary to be somebody!
How public like a frog
To tell one’s name the livelong day
To an admiring bog!
Ich bin niemand. Wer bist du?
Niemand auch du?
Dann sind wir schon zu zweit – doch still!
Wir würden sonst verbannt, du weißt!
Wie öde, jemand zu sein!
Gleich einem Frosch im Chor
seinen Namen rufen immerzu
in das bewundernde Moor!
Herabgetaumelte Knospen
Zwei Knospen, die an hohen Stielen glommen,
sind schon getaumelt auf das weiße Tuch.
Der Wind durchblättert müd ein Liederbuch.
Schaum dämmert, der in Schalen hell geschwommen.
Die Becher liegen leergetrunken. Tiegel
und holder Schatten Flackern an der Wand
sind wie in süßem Schlaf herabgebrannt.
Blind steht vom Hauch erglühten Monds der Spiegel.
Die sich zum Abschiedsfest hier eingefunden,
sie haben taubeglänzter Verse Ranken
um ihrer dunklen Sehnsucht Herz gewunden.
Ist nun erloschen auch, was sie bewogen,
der Muse stillem Abendlicht zu danken,
fern schimmert noch des Gottes Silberbogen.
Too happy Time dissolves
And leaves no remnant by-
‘Tis Anguish not a Feather hath
or to much weight to fly-
Das Glück fliegt gleich davon,
läßt keinen Flaum im Nest.
Qual, schwer und flügellahm,
krallt bang sich an uns fest.
Die freie Sicht
Die elegant und flink auf Stelzen gehen,
betören jene, die an Krücken schleichen.
Ihr starres Lächeln deuten sie als Zeichen,
sie könnten in die ferne Heimat sehen.
Bewundrung heimsen ein bucklichte Zwerge,
die feixend aufgestiegen und groß künden,
daß alle Ströme in die Meere münden,
doch ihre Gipfel sind nur Abfallberge.
Die Stufen, die empor im Turm sich winden,
der, Dichter, dir den weiten Blick verspricht,
sie wachsen um die Nacht wie Schmerzensrinden,
du kannst sie nicht aus losem Tone bauen.
Es gönnt die Muse Duldern freie Sicht,
die harren, bis die dunklen Tiefen blauen.
If I can stop one Heart from breaking,
I shall not live in vain
If I can ease one Life the Aching,
Or cool one Pain,
Or help one fainting Robin
Unto his Nest again,
I shall not live in vain.
Könnt ich ein Herz nur am Zerbrechen hindern,
mein Dasein wär nicht schal.
Könnt einem Leben ich die Schmerzen lindern,
nur kühlen eine Qual,
bloß helfen einem matten Kehlchen,
heim in sein Nest zu schweben,
wär nicht umsonst mein Leben.
Wenn Pulse resonieren
Was du geträumt, erwacht, ein lichter Leib,
gleich neben dir, und schon geht ihr spazieren.
Die Pulse ferner Herzen resonieren,
und willst du sterben, seufzt es zärtlich: „Bleib!“
Wenn eine Glocke läßt im Turmgestühl
der Kuß des süßen Frühlichts bang ertönen,
hebt schon die große Schwester an zu dröhnen,
als taumle sie vor dunklem Mitgefühl.
Die Wirbel ächzen, da die schlaffen Saiten
dir, Dichter, wieder spannt der hohe Mut.
Laß traumverloren deine Hände gleiten,
und was du fühlst, tauch in Gesanges Wellen
wie heißes Sehnen ein in kühle Flut,
daß Schaumes Seufzer uns die Nacht erhellen.
Das Geschwätz im Rücken
Wer schweigend vor dem offnen Fenster steht
und sieht, wie Zweige immer dunkler schwanken,
den tragen sternumsäumte Nachtgedanken
zum Wald der Frühe, worin Farn geweht.
Wer sich vor hoher Woge Gischt entblößt,
vor blauen Abgrunds aufgepeitschtem Gleißen,
fühlt, wie die Schalen dürrer Worte reißen,
wie sich die Haut des Ungesagten löst.
Steh, Dichter, das Geschwätz des Tags im Rücken,
auf blanker Schwelle, wenn sie Nacht betaut,
zeig uns, wie Ranken losen Sinns entzücken,
das Spiel der Schatten, zarter Chiffren Zittern,
die süßem Abendlicht du anvertraut,
daß wir der Worte müde nicht verbittern.
Sagen, was ist
Nicht eine Wolke hättest du erfunden,
geahnt nie, wie sie Glitzerfäden spinnt.
Kein Grashalm, wie ihn dunkler Grund ersinnt,
hat je sich deinem fahlen Traum entwunden.
Wie kleine Käfer in der Dämmerung funkeln,
auf schwarzen Wassern schwebt der Blüten Licht,
siehst du in trüber Seele Spiegel nicht,
konnt der Sibylle herber Mund nicht munkeln.
An dieses Weltgedicht bist du verwiesen,
pflück, Dichter, Verse nur wie reife Beeren,
raff Blüten auf, die von den Zweigen bliesen
die Frühlingslüfte aus azurnen Höhen.
Erkühne dich, den Lebensgeist zu ehren,
das Wort, von ihm behaucht, es kann bestehen.
Die Fremde mit dem Hündlein
Ein Niemand wohnte er im Niemandsland,
der Name an der Klingel war verblichen,
die Namen im Adressbuch durchgestrichen.
Nur eine Fremde war es, die ihn fand.
Da stand sie in der Tür, ein Hündlein weich
auf ihrem Arm, das sich verletzt die Pfote.
Er nahm sie auf, als wäre sie ein Bote,
der Duft gebracht vom fernen Inselreich.
Wie sprang das Hündchen freudig um die beiden,
wenn Hand in Hand sie durch die Schilfe glitten,
den Uferpfad entlang bis zu den Weiden.
Er war erwacht, Schnee ließ die Nacht erblassen,
und sah im Hof die Spur von scheuen Schritten.
Das Hündlein aber hat sie dagelassen.
Dana Gioia, Entrance
after Rilke)
Whoever you are: step out of doors tonight,
Out of the room that lets you feel secure.
Infinity is open to your sight.
Whoever you are.
With eyes that have forgotten how to see
From viewing things already too well-known,
Lift up into the dark a huge, black tree
And put it in the heavens: tall, alone.
And you have made the world and all you see.
It ripens like the words still in your mouth.
And when at last you comprehend its truth,
Then close your eyes and gently set it free.
Eingang
Wer immer du auch bist: Diese Nacht tritt vor das Tor,
geh aus dem Zimmer, wo du scheinbar nichts vermißt.
Unendlichkeit steht dir bevor.
Wer immer du auch bist
Mit Augen, die zu sehen schon vergessen hatten,
weil sie an Dingen nur erblickt, was allgemein,
heb einen hohen, schwarzen Baum aus Schatten
und pflanz ihn in den Himmel: groß, allein.
Du hast die Welt und alles, was du siehst, gemacht.
Sie reift still wie das Wort in deinem Mund.
Begreifst du endlich: Sie ist wahr und rund,
so schließ die Augen und laß los sie sacht.
Rainer Maria Rilke, Eingang
(aus: Buch der Bilder)
Wer du auch seist: am Abend tritt hinaus
aus deiner Stube, drin du alles weißt;
als letztes vor der Ferne liegt dein Haus:
wer du auch seist.
Mit deinen Augen, welche müde kaum
von der verbrauchten Schwelle sich befrein,
hebst du ganz langsam einen schwarzen Baum
und stellst ihn vor den Himmel: schlank, allein.
Und hast die Welt gemacht. Und sie ist groß
und wie ein Wort, das noch im Schweigen reift.
Und wie dein Wille ihren Sinn begreift,
lassen sie deine Augen zärtlich los.
Der dunkle Gott
„Du hast genug gehört hier und gesehen,
wie Geifer speiend sich die Zungen bogen,
wie triste Augen, leere, Fülle logen.
Laß uns in Dichters Land, das stille, gehen.
Dort glimmen Blüten auf schilfgrünen Teichen,
die aus dem Schoß der Nacht herabgesunken,
dort macht der süße Glanz der Schwermut trunken,
der niedertropft wie Tau an blinden Zeichen.“
„Dies Land ist auf der Welt, die ausgemessen,
zu finden nur in einem tiefen Schlaf,
wenn wir den Mohn, den dunklen Gott, gegessen.
Kein Mund ist, der nicht schief von Mißklang wäre,
kein Herz, das nicht der Blitz des Abgrunds traf,
kein Sang, zu schwingen uns in jene Sphäre.“
Wendungen
Die Wege scheinen in die Nacht zu münden,
und der sie ging, ward fremd sich selbst zuletzt.
Wie eine Note um ein Kreuz versetzt,
mag blasses Wort von Farbenpracht noch künden.
Wir fühlen, wie die Grenzen sich verschieben,
den Ufern gleich, woran die Welle nagt.
Der Strunk des Worts, der aus dem Dickicht ragt,
in Blitzes Funken wird er bald zerstieben.
Träufst Reime du auf Brachlands trockne Schollen,
scheint es dir, Dichter, sie versickern blind,
als wären sie umsonst hervorgequollen.
Doch mögen übers Jahr hier Gräser wehen
und Veilchen zittern scheu im Sommerwind,
kannst du es, ferngerückt, auch nicht mehr sehen.
Entblößten Herzens
Der Urangst Hüllen schwanden nach und nach.
Die erste, mütterliche, hängt noch lose,
sahst duftbetört ihn nicht, am Dorn der Rose,
stumm ward das Blatt, das dir von Sanftmut sprach.
Die zweite, väterliche, hat der Strahl verzehrt,
als durch der Liebe Wüsten du gegangen,
der Mund ein trockner Brunnen, Salz die Wangen,
da du den hohen Schatten hast entbehrt.
Dir bleibt nur eine Hülle noch, die letzte,
der weiche Hauch, des Wortes Dämmerlaub.
Wenn diese auch der Wintersturm zerfetzte,
leg in den Schnee dich, Dichter, und erfühle,
entblößten Herzens, Himmels lichten Staub,
wie er das töricht glühende dir kühle.
Kiesel und Blatt
Der Kiesel hat es längst dir offenbart,
befeuchtet schimmern Adern aus der Tiefe,
im Staub der Ödnis ist es dir, als schliefe
die Schönheit, die gesprochen innig-zart.
Du dachtest, daß Frau Venus mit dir geht,
doch hüllen dich nun Mondes kühle Linnen.
Du sahst den Glanz von Blütenblättern rinnen,
was dir gesagt ihr Duft, es ist verweht.
Den Kiesel mußt mit Augentau du feuchten,
den Staub des Schlafs wasch ab vom Wort, dem alten,
daß die geheimen Adern wieder leuchten.
Als Blüten sind dir Reime nur geblieben,
streu, Dichter, sie in dunkler Verse Falten,
es sind noch Herzen einsam, die sie lieben.
Schneisen im Dickicht
Dem Andenken an Rudolf Otto, den Deuter des Heiligen
Des Satyrs plumper Huf, er scheint nicht mehr
als zügelloser Trieb, der Horn geworden.
Der schreienden Mänaden heiße Horden
nichts als der Tierheit grause Wiederkehr.
Und doch sind sie um einen Gott geschart,
der nicht nur Trunkenheit gebracht mit Reben,
erleuchtet hat er auch das dunkle Leben
und wilde Schwermut sanftem Strahl gepaart.
Die Engel aber, wie sie der Prophet
geflügelt sah den ewig Hohen preisen,
sind mehr, als was in uns um Fülle fleht.
Sie rissen in das Dickicht unsrer Bilder,
daß schwarzes Rauschen in sie strömte, Schneisen.
O rauschet, Flügel, wenn wir sterben, milder.
Das Wort des Heils
Dem Andenken an Reinhold Schneider
Zwischen Schründen weich emporgeschäumt,
tränkst du, Wasser, stilles Leben.
Wort, du hast dich hingegeben,
daß ein heller Kranz das Dunkel säumt.
Efeu hat geschauert in der Nacht,
als vom Himmel wehend Wellen
trugen Blüten auf die Schwellen,
und aus bangem Traum wir sind erwacht.
Was der Liebe Aug uns anvertraut,
floß dahin ins Grenzenlose,
auch der Dorn der weichen Rose,
o er schmolz, vom Wort des Heils betaut.
Wird das leise Wort uns überschrillt
roh vom Wahngeschrei der Heiden,
pilgern wir zum Berg der Leiden,
wo es licht aus dunklen Tiefen quillt.
Das Gestaltenlose
Es kommt mir manchmal vor, als philosophierte ich bereits mit einem zahnlosen Mund und als schiene mir das Sprechen mit einem zahnlosen Mund als das eigentliche, wertvollere … Statt daß ich es als Verfall erkennte.
Ludwig Wittgenstein
Die Sonne sagt uns nicht mehr, ich bin oben.
Der Geist irrt durch die Sternenlabyrinthe.
Als wär geschmolzen ihre Marmorplinthe,
sind hoher Säulen Ordnungen verschoben.
Ein Rauschen überschwemmt, was wir gerufen.
Vom Wind gerupft fällt Blatt für Blatt der Rose,
ein matter Schein, heim ins Gestaltenlose.
Ein schwarzes Wasser schluchzt um letzte Stufen.
Wie Stapfen eines banges Tiers im Schnee,
die neuer Schnee wird über Nacht bedecken,
sind, Dichter, deine flüchtig-zarten Spuren.
Das Bild der Schwäne auf dem grünen See
verdunkelt Wildwuchs schon von Dornenhecken.
Ein Rinnsal murmelt durch Euterpes Fluren.
Robert Frost, A Minor Bird
I have wished a bird would fly away,
And not sing by my house all day;
Have clapped my hands at him from the door
When it seemed as if I could bear no more.
The fault must partly have been in me.
The bird was not to blame for his key.
And of course there must be something wrong
In wanting to silence any song.
Ein kleiner Vogel
Ich wünschte mir, der Vogel vor dem Hause
flög endlich weg und säng nicht ohne Pause.
Hab auf der Schwelle Hand auf Hand geschlagen,
mir war, ich könnt es länger nicht ertragen.
Ein Teil der Schuld ist wohl bei mir zu suchen,
wenn Vögel singen, sollte man nicht fluchen.
Ein Makel ist gewiß dem Wunsch zueigen,
daß ein Gesang doch endlich solle schweigen.
Alle Tage wie ein Tag
Was früh geblüht, versinkt im Schattenhag.
Die Sonne küßte Tau von weichen Wangen,
nun haben frischen sie vom Mond empfangen.
Und alle Tage waren wie ein Tag.
Was Himmels Hieroglyphenschrift vermacht,
von dunklen Mächten sternenhell geschrieben,
ist deinem Herzen rätselhaft geblieben.
Und alle Nächte waren eine Nacht.
Auch deine Verse drehen sich im Kreise
um eine Mitte, die sie scheu umrunden
wie eines Somnambulen vager Gang.
Du hast, wie Trauernde es lieben, leise
des Wortes Blüten in den Kranz gewunden.
Und alle Sänge waren ein Gesang.
Robert Frost, Blue-Butterfly Day
It is a blue-butterfly day here in spring,
And with these sky-flakes down in flurry on flurry
There is more unmixed color on the wing
Than flowers will show for days unless they hurry.
But these are flowers that fly and all but sing:
And now from having ridden out desire
They lie closed over in the wind and cling
Where wheels have freshly sliced the April mire.
Tag der blauen Schmetterlinge
Heut ist der Frühlingstag der blauen Schmetterlinge,
bei dieser Himmels-Flocken wirbelnd-losem Chor
liegt mehr an unvermischter Farbe auf der Schwinge
als Blumen lange zeigen, schießen sie nicht rasch empor.
Doch dies sind Blumen, die in Sängen beinah schweben:
Und haben ihre Wollust sie durchlitten,
so liegen ganz verschlossen sie im Wind und kleben
im April-Matsch, der von Rädern frisch zerschnitten.
Beim Lesen antiker Fluchtafeln
Auch du riefst, Bruder, nach den Hetzdämonen
der Unterwelt, die untreu ward zu binden,
daß ihr der Schmelz des Munds, die Sinne schwinden,
bei deinen Rosen keine Fremden wohnen.
Auch du hast, Schwester, Hekate gerufen,
sie solle tückisch ihm am Dreiweg lauern,
den du beschenkt, den Schönen, hast mit Schauern,
zu stoßen ihn hinab die dunklen Stufen.
Die eins im anderen verkrallten Seelen,
sie bluten, hat die Schneide sie zerschnitten,
die Nemesis gehämmert und gewetzt.
Gib, Dichter, denen Gott gewürgt die Kehlen,
den Atem, kundzutun, was sie gelitten,
mit Efeu hüll den Dolch, der sie zerfetzt.
Dunkle Hoffnung Kalifat
Geschwänzte Nymphen führen nun den Pinsel
und klecksen aufs Papier ihr Blutgekröse.
Aus roten Rosenknospen grinst die Möse,
an kalten Lippen glüht ein Lustgerinnsel.
Das Unwort tropft von erigierten Zungen,
das Chaos schäumt, ein metrenloses Zischen.
Wenn Fäulnislüfte Sinn und Form verwischen,
wie blähen sich die abgastrunknen Lungen.
„Wer wird den Pinsel ihnen barsch zerbrechen,
wer unzart die obszönen Zungen kürzen,
weißt, Dichter, du Verstörten einen Rat?“
„Sie sind schon da, das Ungemach zu rächen,
die Perversion ins Surenmeer zu stürzen.
O Heimat, dunkle Hoffnung Kalifat.“
Die Flucht der Muse
Gesang hat sie verlockt, hinabzusteigen
von ihres Vaters goldumwölbten Hallen,
Gesang war’s, süß, von Nachtigallen,
ins Dickicht dunkler Erde sich zu neigen.
Betört schloß ihre Augen Melpomene,
sie träumte noch, als kalter Mond sie weckte
und ihr den öden Asphalthof entdeckte,
im Staubgestrüpp erstarb die Kantilene.
Sie rief den Sängern: „Laßt uns, Schwestern, fliehen
zum heiligen Hain, den Wahn und Wut nicht finden,
wo über eure Nester Sterne ziehen.
Das Herz der Musen wird noch höher schlagen,
wollt in den Kranz des Lieds ihr lieblich winden
Adonis’ Seufzen, Philomelas Klagen.“
Der Besuch der Charis
Strophe: Sapphicus minor
‚Daß den Fuß wir bleiern nicht schleppen, müde
bald schon wieder lehnen an stummen Mauern,
laden Charis ein wir, zur Musenfeier
uns zu geleiten.
Ist sie jung auch, flattern die goldnen Locken,
ihre Brüste hüpfen wie Meeresbojen,
übersieht sie gütig doch, wie so kahl uns
glänzen die Schläfen.
Wie an Fäden Marionetten zappelnd
zucken auf wir, treffen sich unsre Blicke.
Weht uns aber an ihres Wortes Duft, schon
sinken wir nieder.
Und die Tür, gesprengt wie vom Faustschlag Amors,
tut sich auf, zum Schöneren geht die Schöne.
Kniend auf den Fliesen der Nacht, wie starren
wir in die Leere.
Namen, Dornen, Lilien
Die Namen, die wie Strudel sind in Fluten,
Jerusalem, Messias, Schädelstätte,
kein Engel kommt herab, daß er sie glätte,
die Namen, die wie Dornenkronen bluten.
Die Namen, die wie weiße Lilien scheinen,
Maria, Benedicta, Stern der Meere,
sie nehmen uns mit süßem Duft die Schwere,
sie machen Brunnen in der Wüste weinen.
Streif, Dichter, durch den Garten, der verwildert.
Hat auch der Dorn die Schläfe dir geritzt,
dem Zwitschern lausch, das deine Schmerzen mildert.
Geh einsam durch das Schilf der dunklen Zeiten.
Sieh, wie es auf den Wassern schäumt und blitzt,
laß deiner Verse Blatt auf ihnen gleiten.
Tiefer sinkend
Wo aus dem Abgrund lichter Schaum entquillt,
bist eine Muschel du, die wunders leuchtet,
an einem Felsen klebend, traumumfeuchtet,
ein dunkler Mund, von hellem Schmelz umhüllt.
Die Nacht hat dich geformt aus Trunkenheit,
den Perlmuttglanz umwindend in Spiralen,
daß du ihr tönest Meeres blaue Qualen,
dein Herz, ersterbend, pulse Ewigkeit.
Und hat der Sturm dich jäh vom Riff gespült,
sinkst du im Schlaf zu wogenden Korallen,
und tiefer zu der Kore Marmorschein,
die ihre Brüste in den Sand gewühlt,
als sie vom Bug der Argo einst gefallen –
bleib haften still an ihrem weißen Bein.
Dana Gioia, Psalm Of The Heights
I.
You don’t fall in love with Los Angeles
Until you’ve seen it from a distance after dark.
Up in the heights of the Hollywood Hills
You can mute the sounds and find perspective.
The pulsing anger of the traffic dissipates,
And our swank unmanageable metropolis
Dissolves with all its signage and its sewage—
Until only the radiance remains.
That’s when the City of Angels appears,
Silent and weightless as a dancer’s dream.
The boulevards unfold in brilliant lines.
The freeways flow like shining rivers.
The moving lights stretch into vast
And secret shapes, invisible at street level.
At the horizon, the city rises into sky,
Our demi-galaxy brighter than the zodiac.
II.
Surely our destinies are written in this zodiac,
Whose courses and conjunctions govern us.
Look down and name our starry constellations—
Wilshire, Olympic, Santa Monica.
In speeding Comets or sleek Thunderbirds,
We traveled the twelve Houses of the Heavens
Ascending Crenshaw, Sunset, or Imperial,
Locked in our private worlds of lust or laughter.
Who will cast the charts of our radiant sorrow,
Or trace the secret transits of our joy?
The traffic shimmers in its fixed trajectories,
Dense and indifferent as nebulae.
Though you resist the gaudy spectacle,
You can’t escape the city’s sortilege.
III.
Move away, if you wish, to the white Sierras,
Or huddle in the smoky canyons of Manhattan.
You’ll miss the juvenescent rapture of LA
Where ecstasy cohabits with despair,
Lascivious and fitful as a pair of lovers.
Let someone else play grown-up.
Here the soul sings like a car radio, and no one
Asks your age because we’re all immortal.
Inhale the spices of the midnight air
Drifting from Thai Town and Little Armenia.
Here on the hilltop, the city whispers to you,
“Come down and play in the traffic.
Merge into the moving lights, our myriad,
The luminous multitudes that surround you.
Join their fiery orbit. Shine with us tonight.
Where else can you become a star?”
Psalm von den Höhen
I.
Du verliebst dich nicht in Los Angeles,
bis du es von fern in der Nacht gesehen.
Dort auf den Höhen der Hollywood Hills
kannst du das Rauschen dämpfen und Ausblicke finden.
Die pochende Wut des Verkehrs läßt nach,
und unsere protzig-unbeherrschbare Metropole
zerfließt mit all ihrer Schminke, all ihrem Schmutz –
einzig der Strahlenkranz bleibt.
Das ist der Augenblick, da die Stadt der Engel erscheint,
still und schwerelos wie der Traum eines Tänzers.
Die Boulevards entfalten ihre glänzenden Zeilen.
Die Autobahnen fließen wie leuchtende Flüsse.
Die flackernden Lichter dehnen sich zu riesigen
und geheimnisvollen Figuren, unsichtbar von unten.
Am Horizont reckt sich die Stadt in den Himmel,
unsre irdische Milchstraße, heller als der Tierkreis.
II.
Gewiß, unsere Schicksale sind in diesem Tierkreis eingeschrieben,
seine Drehungen und Konjunktionen beherrschen uns ganz.
Blick hinab und zähl sie auf, unsre Sternkonstellationen –
Wilshire, Olympic, Santa Monica.
Mit rasenden Kometen und wendigen Donnervögeln
reisten wir durch die zwölf Häuser der Himmel,
den Aszendenten Crenshaw, Sunset oder Imperial,
eingeschlossen in unsere eignen Welten von Lust oder Gelächter.
Wer will die Karten unseres strahlenden Kummers entwerfen,
wer die heimlichen Übergänge unserer Freude verzeichnen?
Der Verkehr schimmert in seinen festen Bahnen,
dicht und gleichgültig wie Nebelflecke.
Auch wenn du dem grellen Schauspiel widerstehst,
dem Zauberbann der Stadt kannst du nicht entrinnen.
III.
Geh nur, wenn du magst, zu den weißen Sierras,
oder dräng dich in die qualmenden Canyons von Manhattan.
Du wirst den jugendlichen Taumel von LA vermissen,
wo die Ekstase mit der Verzweiflung zusammenwohnt,
lasziv und launenhaft wie ein Liebespaar.
Laß einen anderen den Erwachsenen mimen.
Hier tönt die Seele wie ein Autoradio, und kein Mensch
fragt, wie alt du bist, denn hier sind wir alle unsterblich.
Atme sie ein, die Gewürze der Mitternacht,
die herüberwehen von Thai Town und Little Armenia.
Hier auf dem Hügel flüstert die Stadt dir zu:
„Komm herab und spiel im Straßenverkehr.
Tauch ein in die flackernden Lichter, unsere Unzahl,
die leuchtenden Mengen, die dich umfangen.
Dreh dich mit ihrem glühenden Orbit. Strahle mit uns heut Nacht.
Wo sonst könntest du werden zum Stern?“
Rezitation durch den Autor:
https://www.youtube.com/watch?v=-xPiy6ozeSE
Die hohe Mauer
Wir lehnen mit dem Rücken an der Mauer.
Wir fühlen sie zum Blau des Himmels ragen.
Es kühlt ihr Schatten uns an Sonnentagen,
in hellen Nächten wehn von droben Schauer.
Wir gingen an ihr lang, ein halbes Leben,
doch haben keine Pforte je gefunden.
Nur was der Erdenschwere sich entwunden,
den Engeln gleich, kann in das Innre schweben.
Wenn voll der Mond auf hohem Grate rollt,
ist uns, wir hören Plätschern sanfter Wasser,
ein Singsang auch, dem eignen Dasein hold.
Gesanges Wogen scheinen sich zu glätten,
neigt sich des Mondes Knospe und wird blasser.
O Flügel, aus dem Abgrund uns zu retten!
This is the hall of broken limbs
Where splintered marble athletes lie
Beside the arms of cherubim.
Nothing is ever thrown away.
These butterflies are set in rows.
So small and gray inside their case
They look alike now. I suppose
Death makes most creatures commonplace.
These portraits here of the unknown
Are hung three high, frame piled on frame.
Each potent soul who craved renown,
Immortalized without a name.
Here are the shelves of unread books,
Millions of pages turning brown.
Visitors wander through the stacks,
But no one ever takes one down.
I wish I were a better guide.
There’s so much more that you should see.
Rows of bottles with nothing inside.
Displays of locks which have no key.
You’d like to go? I wish you could.
This room has such a peaceful view.
Look at that case of antique wood
Without a label. It’s for you.
Führer zur anderen Galerie
Dies ist der Saal mit den gebrochenen Gliedern,
wo der zersplitterte Marmor von Athleten
neben den Armen der Cherubim liegt.
Hier wird nie etwas weggeworfen.
Diese Schmetterlinge, gesetzt in Reihen,
wurden in den Kästen so klein und matt,
daß sie sich alle nun gleichen. Ich meine,
der Tod schabt jedem ab die Farbenpracht.
Diese Portraits von Unbekannten
wurden ganz hochgehängt, Rahmen an Rahmen.
Die Mächtigen, die auf Nachruhm gespannten,
sind wohl verewigt, doch ohne Namen.
Dies sind die Regale der ungelesenen Bücher,
Millionen Seiten, die vergilben.
Besucher wandern zwischen den Stapeln,
doch keiner greift sich eins von ihnen.
Ich wünschte, ein besserer Führer zu sein,
hier gäb es vieles noch zu erkunden.
Reihen von Flaschen, indes ohne Wein.
Türschlösser, zu denen kein Schlüssel gefunden.
Sie möchten gern gehen? Ich wünsche viel Glück.
Wie ist von Frieden erfüllt doch diese Galerie.
Sehen Sie die Kiste hier, ein gedrechseltes Meisterstück,
sie hat keine Aufschrift. Die ist für Sie.
Aus Leiden lernen
πάθει μάθος, Aischylos
Der Wahn, der gaukelnd den Verstand behext,
ließ sie, verlockt von einem trunknen Gleißen,
die Dämme vor der Strömung niederreißen,
als trüge, was ins Uferlose wächst.
Die widerstand und nüchtern blieb, die Schar
der ausgestoßnen Mahner ist entkommen,
sie hat den Hügel, Pilgern gleich, erklommen,
wo in die Nacht geragt der Kreuzaltar.
Der dort nach Hause hinkt, ging einst zu schnell.
Der fast erblindet bang an Wänden tastet,
hat in ein Licht geblickt einst, kalt und grell.
Doch jener mag dem frommen Grautier gleichen,
er trägt die Scheite, die ihm aufgelastet,
bis er im Frost den Liebsten sie kann reichen.
Dana Gioia, The Road
He sometimes felt that he had missed his life
By being far too busy looking for it.
Searching the distance, he often turned to find
That he had passed some milestone unaware,
And someone else was walking next to him,
First friends, then lovers, now children and a wife.
They were good company-generous, kind,
But equally bewildered to be there.
He noticed then that no one else chose the way-
All seemed to drift by some collective will.
The path grew easier with each passing day,
Since it was worn and mostly sloped downhill.
The road ahead seemed hazy in the gloom.
Where was it he had meant to go, and with whom?
Der Weg
Er dachte bisweilen, er habe sein Leben verpaßt,
indem er allzu eifrig ihm ist nachgehetzt.
In die Ferne blickend war ihm oft, er hätt
wohl übersehen manch einen Meilenstein.
Und jemand anders ging an seiner Seite,
Freunde erst, Geliebte dann, Frau und Kinder jetzt.
Eine gute Begleitung, großzügig, nett,
doch ebenso verwirrt, dabei zu sein.
Da merkte er, daß keiner sonst gewählt den Weg für sich –
es schien, alles treibe hin, in kollektivem Zwang gebannt.
Der Pfad ward leichter, als Tag um Tag verstrich,
seitdem der abgetretne Lauf sich meistens talwärts wand.
Der Rest des Wegs schien in der Dunkelheit ein trister Lehm.
Wohin hat er gemeint zu gehen und mit wem?
Rezitation durch den Autor:
https://www.youtube.com/watch?v=7drrb2Ephrk
Der Adel
Als Kind hab ich, was Adel ist, gesehen
in einem Bilderbuch zur Völkerkunde.
Da sprach der Häuptling mir aus stummem Munde,
er wolle nicht mit feigen Laffen gehen.
In heißer Gegenwart gereckt die Speere,
im hohen Sprung die Anmut des Massai.
Von Todesglanz das Aug des Samurai.
Des Zen-Mönchs Lächeln vor der großen Leere.
Die herrscherliche Würde des Brahmanen
ließ mich, beschämt von teigig-schlaffen Mienen,
was wir verloren haben, schmerzlich ahnen.
Ein hohes Leuchten ward den Troubadouren,
mit edlen Blumen edlem Geist zu dienen,
den Lilien, noch erblüht auf Goethes Fluren.
Dana Gioia, Majority
Now you’d be three,
I said to myself,
seeing a child born
the same summer as you.
Now you’d be six,
or seven, or ten.
I watched you grow
in foreign bodies.
Leaping into a pool, all laughter,
or frowning over a keyboard,
but mostly just standing,
taller each time.
How splendid your most
mundane action seemed
in these joyful proxies.
I often held back tears.
Now you are twenty-one.
Finally, it makes sense
that you have moved away
into your own afterlife.
Volljährigkeit
Jetzt wärst du drei,
sagte ich zu mir selbst,
als ich ein Kind sah,
im selben Sommer wie du geboren.
Jetzt wärst du sechs
oder sieben oder zehn.
Ich sah dich heranwachsen
in fremden Körpern.
In einen Pool springen, ringsum Gelächter,
über einem Keyboard die Stirn runzeln,
doch meist, wie du einfach dastandst,
jedes Mal ein Stück größer.
Wie du zu glänzen schienst
im ganz alltäglichen Tun
deiner frohen Stellvertreter.
Oft hielt ich die Tränen zurück.
Nun bist du einundzwanzig.
Am Ende leuchtet es mir ein,
daß du weggegangen bist
in dein eignes Leben nach dem Tod.
Rezitation durch den Autor:
https://www.youtube.com/watch?v=psd4xRXQbtQ
Saudade
Als wäre alles schon gesehen, schon gesagt,
winkt dir am Fenster müde zu die Liebe.
Als hätte, daß zu fühlen nichts mehr bliebe,
die Schwermut ihr das Herz der Nacht zernagt.
Das Kap der Hoffnung war umrundet. Weich
hat Indiens Seide weiße Haut umknistert.
Bald hob sich, wo der Tejo Dunkles flüstert,
Pessoas Traumgesicht, Mond o so bleich.
Kein Seeheld Vasco wird ihn wieder sichten,
Odysseus Helm im blauen Wogenbad,
kein Camões mehr Lusiaden dichten.
Was der Erinnerung Rinnsal mag noch künden,
sprich leis es vor dich hin: Saudade, Saudade.
In dürren Karstes Schweigen wird es münden.
Beware of things in duplicate:
a set of knives, the cufflinks in a drawer,
the dice, the pair of Queens, the eyes
of someone sitting next to you.
Attend that empty minute in the evening
when looking at the clock, you see
its hands are fixed on the same hour
you noticed at your morning coffee.
These are the moments to beware
when there is nothing so familiar
or so close that it cannot betray you:
a twin, an extra key, an echo,
your own reflection in the glass.
Nimm dich in Acht vor Zwillingsdingen
Nimm dich in Acht vor Zwillingsdingen:
dem Messerset, Manschettenknöpfen,
dem Würfel, dem Blatt der Königin, den Augen
eines, der dir zur Seite sitzt.
Sorg dich um die leere Minute des Abends,
siehst du die Zeiger auf der Uhr
sich auf derselben Ziffer überlappen,
die du beim Frühstuck schon bemerkt.
Vor solchen Momenten mußt du dich hüten,
wenn nichts mehr so vertraut, so nahe ist,
daß es dich nicht betrügen könnte:
ein Doppelzimmer, ein Zweitschlüssel, ein Echo,
dein Bild, gespiegelt in der Scheibe.
Im Eignen fremd
Ein Sänger, den fatale List gezwungen,
zu atzen eine fremde Kuckucksbrut,
hat wohl sein süßes Lied auch ihr gesungen,
doch sie singt nicht, wie sänge eignes Blut.
Die unter warmer Haut verwachsen, Splitter,
sie bleiben fremd. Und immer schmeckt der Kuß
der fremden Wirklichkeit ein wenig bitter.
Fremd bleibt des eignen Denkens dunkler Fluß.
Der Schnee auf deiner Verse Feld ist fahl,
fahl, Dichter, ist, was ihn nicht schmilzt, das Licht.
Ob unten Keime schlafen, die einmal
ein Sommer weckt zu Lilien oder Schlehen,
magst hoffen du, doch wissen kannst du’s nicht.
Und wenn’s geschieht, wirst du es nicht mehr sehen.
Dana Gioia, The End
Last night I dreamed the end had come.
Silent, impotent, invisible as air,
I stood by in a hundred places:
a stranger’s house, a city street, an office and a garden–
and like a sleeper shaken from a dream
I witnessed what I could not understand.
A woman washing dishes at a sink
looked out her window calmly as she heard
something unexpected in the air.
Men on the sidewalk, drivers in the street
observed the weather in a cloudless sky
and kept going.
In an office clerks and secretaries glanced up
at the clock without remembering the time.
I saw the same cold profile everywhere at once–
a pale face looking up against the light,
then bending down again indifferently,
only this dull reflex of acceptance,
then nothing else, nothing ever again.
Das Ende
Letzte Nacht träumte ich, das Ende sei gekommen.
stumm, ohnmächtig, unsichtbar wie die Luft
hielt ich mich an hundert Orten bereit:
eines Fremden Haus, die Straße einer Stadt, ein Büro, ein Garten –
und wie ein Schläfer, aus dem Traum gerissen,
war ich Zeuge dessen, was ich nicht verstand.
Eine Frau, die Geschirr abwusch in der Spüle,
schaute ruhig aus dem Fenster, als sie etwas
Unerwartetes in der Luft vernahm.
Leute auf dem Bürgersteig, Fahrer auf der Straße
hielten Ausschau nach dem Wetter im wolkenlosen Himmel
und setzten ihren Weg dann fort.
In einem Büro blickten Angestellte und Chefs auf
zur Uhr, ohne an die Zeit zu denken.
Ich sah dasselbe kalte Profil sogleich an jedem Ort –
ein blasses Gesicht, das zum Licht aufschaute,
dann sich wieder gleichgültig abwärts beugte,
nur diesen dumpfen Reflex der Hinnahme,
sonst weiter nichts, etwas anderes nie.
Woher das schmerzliche Sehnen
Seele, sie ist wie von Öl eine Schliere,
schimmernd blind in der Pfütze der Nacht,
brüderlich wird vom Mond sie bewacht.
Daß sie sich nicht im Glutdunst verliere.
In den Hain von Kolonos gefallen,
Seele, sie ward vom Sturmwind zerpflückt.
Ödipus sei zu den Sternen entrückt,
tönen des Sophokles Nachtigallen.
Seele, woher dir das schmerzliche Sehnen,
ist es das Schwanken der Blüten im See,
ist es das Gurren der Tauben im Schnee,
daß du willst in das Dunkel dich lehnen?
Meine Seele, sie ist wie das Beben
dünner Halme im herbstlichen Wind,
doch sie fühlt, daß noch Schwestern ihr sind,
Rosen, die sie mit Tauglanz beleben.
Dana Gioia, Equations of the Light
Turning the corner, we discovered it
just as the old wrought-iron lamps went on—
a quiet, tree-lined street, only one block long
resting between the noisy avenues.
The streetlamps splashed the shadows of the leaves
across the whitewashed brick, and each tall window
glowing through the ivy-decked facade
promised lives as perfect as the light.
Walking beneath the trees, we counted all
the high black doors of houses bolted shut.
And yet we could have opened any door,
entered any room the evening offered.
Or were we deluded by the strange
equations of the light, the vagrant wind
searching the trees, that we believed this brie
conjunction of our separate lives was real?
It seemed that moment lingered like a ghost,
a flicker in the air, smaller than a moth,
a curl of smoke flaring from a match,
haunting a world it could not touch or hear.
There should have been a greeting or a sign,
the smile of a stranger, something beyond
the soft refusals of the summer air
and children trading secrets on the steps.
Traffic bellowed from the avenue.
Our shadows moved across the street’s long wall,
and at the end what else could I have done
but turn the corner back into my life?
Gleichungen des Lichts
Kaum bogen wir um die Ecke, entdeckten wir sie,
gerade gingen die schmiedeeisernen Lampen an –
eine stille, baumbestandene Straße, nur einen Häuserblock lang,
ruhig zwischen dem Lärm der Chausseen.
Die Lampen sprühten die Schatten der Blätter
über die weißgetünchten Ziegel, und jedes schmale Fenster,
das aus der efeubedachten Fassade glomm,
war die Verheißung eines Lebens, vollkommen wie das Licht.
Unter den Bäumen wandelnd, zählten wir all
die hohen dunklen Haustüren, die verschlossen waren.
Und doch hätten wir jede Tür öffnen können,
jeden Raum betreten, den uns der Abend gewährte.
Oder wurden wir getäuscht von den seltsamen
Gleichungen des Lichts, dem irrenden Wind
in den Bäumen, daß wir glaubten, unsre getrennten Leben
wären wie Käsefondue ineinander geschmolzen?
Es schien, dieser Augenblick weilte wie ein Geist,
ein Flimmern in der Luft, kleiner als eine Motte,
ein Rauchkringel, der von einem Zündholz wölkte,
eine Welt heimsuchend, die er nicht berühren, nicht hören konnte.
Ein Grüßen hätte dort geschehen sollen, ein Zeichen,
das Lächeln eines Fremden, etwas jenseits
der sanften Ablehnungen der Sommerluft,
Kinder, die ihre Geheimnisse auf den Treppenstufen tauschten.
Der Verkehr toste von der Chaussee.
Die Schatten glitten über die lange Mauer der Straße.
Was hätte ich am Ende anderes tun können,
als die Ecke in mein Leben zurückzubiegen?
Laß fahren dahin
Die Tage, die Wolken, die Jahre,
Meergischt wie wirbelnder Schnee,
der Geysir im dunkelnden Maare,
rufen: Laß fahren dahin, Mensch, und geh.
Das Untere kehrt sich nach oben,
Inschrift überwuchert von Moos.
Die Gräber sind ausgehoben,
kahl die Erde, unfruchtbarer Schoß.
Die Jahre, die Meere, Äonen,
Wellen, sie nagen am Land.
Auch die in Elysium wohnen,
sind in den Orkus verbannt.
Dana Gioia, Summer Storm
We stood on the rented patio
While the party went on inside.
You knew the groom from college.
I was a friend of the bride.
We hugged the brownstone wall behind us
To keep our dress clothes dry
And watched the sudden summer storm
Floodlit against the sky.
The rain was like a waterfall
Of brilliant beaded light,
Cool and silent as the stars
The storm hid from the night.
To my surprise, you took my arm–
A gesture you didn’t explain–
And we spoke in whispers, as if we two
Might imitate the rain.
Then suddenly the storm receded
As swiftly as it came.
The doors behind us opened up.
The hostess called your name.
I watched you merge into the group,
Aloof and yet polite.
We didn’t speak another word
Except to say goodnight.
Why does that evening’s memory
Return with this night’s storm–
A party twenty years ago,
Its disappointments warm?
There are so many might have beens,
What ifs that won’t stay buried,
Other cities, other jobs,
Strangers we might have married.
And memory insists on pining
For places it never went,
As if life would be happier
Just by being different.
Sommersturm
Wir standen im Hof der gemieteten Villa,
drinnen ging’s hoch her noch und laut.
Du kanntest den Bräutigam vom College,
ich war ein Freund der Braut.
Wir drückten uns gegen die Sandsteinmauer,
um unseren feinen Dress trocken zu halten,
und blickten auf den jähen Sommersturm,
lichte Fluten, die über uns wallten.
Ein Wasserfall war dieser Regen,
von Perlen durchfunkelte Pracht,
kalt und stumm wie die Sterne
verbarg sich der Sturm vor der Nacht.
Ich staunte, wie du mich am Arm hast gefaßt –
eine Geste, unklar weswegen –
und wir begannen zu flüstern, wir zwei,
als täten wir nach es dem Regen.
Dann flauten die Fluten jäh ab,
rasch, ganz so wie sie kamen.
Die Türen gingen hinter uns auf.
Die Gastgeberin rief dich beim Namen.
Ich sah, wie du ein in die Gruppe getaucht,
höflich, auf Abstand bedacht.
Wir sagten einander kein anderes Wort
nur das eine: gut Nacht.
Warum kehrt die Erinnerung an diesen Abend
zurück mit dieser Windsbraut im Arm –
eine Feier, zwanzig Jahre vorüber,
doch von Enttäuschung noch warm?
Es gibt so viel an Hätt-können-sein,
Was-wär-gewesen, das aus Gräbern erscheint.
An andern Orten, mit andern Berufen,
einander fremd, hätte vielleicht uns die Ehe vereint.
Erinnerung läßt das Schmachten nicht
nach Orten, wohin sie nie gekommen,
als wäre das Leben glücklicher,
wenn es den anderen Pfad genommen.
Rezitation durch den Autor:
https://www.youtube.com/watch?v=RqyOoQChuYI
Das Buchenblatt
Ein neuer Divan wird nicht mehr geschrieben,
auf Goethes sank ein gelbes Buchenblatt.
Und keine Liebe streicht die Falten glatt,
die auf der Stirn des Wissenden geblieben.
Die uns den Schmerz gedämpft mit Wohlgerüchen,
des Mundes Blume starb mit Hölderlin.
Der Duft des Lotus im Pariser Spleen
ging unter im Gestank der Armenküchen.
Die zitternd sich umranken, zarte Schatten,
wie Schleier wehend unter alten Weiden,
da es uns bannt, des Kuckucks fernes Rufen:
Chimären, die umsonst einander gatten,
gekreuzter Verse Kuß vertieft das Leiden.
O kehr das Blatt stumm von den hohen Stufen.
Dana Gioia, The Song
After Rilke
How shall I hold my soul that it
does not touch yours? How shall I lift
it over you to other things?
If it would only sink below
into the dark like some lost thing
or slumber in some quiet place
which did not echo your soft heart’s beat.
But all that ever touched us–you and me–
touched us together
like a bow
that from two strings could draw one voice.
On what instrument were we strung?
And to what player did we sing
our interrupted song?
Das Lied
Nach Rilke
Wie soll ich meine Seele halten,
daß sie deine nicht berührt? Wie sie heben
über dich hin zu anderen Dingen?
Würde sie doch nur versinken
ins Dunkel ganz wie ein verloren Ding
oder schlummern an einem ruhigen Ort,
wo deines sanften Herzens Schlag kein Echo hat.
Doch alles, was uns je berührte, dich und mich,
berührte uns
wie ein Bogen,
der aus zwei Saiten eine Stimme ziehen konnte.
Auf welches Instrument sind wir gespannt?
Und welchem Spieler ließen wir ertönen
unser abgebrochenes Lied?
Rainer Maria Rilke, Liebes-Lied
Wie soll ich meine Seele halten, dass
sie nicht an deine rührt? Wie soll ich sie
hinheben über dich zu andern Dingen?
Ach gerne möcht ich sie bei irgendwas
Verlorenem im Dunkel unterbringen
an einer fremden stillen Stelle, die
nicht weiter schwingt, wenn deine Tiefen schwingen.
Doch alles, was uns anrührt, dich und mich,
nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich,
der aus zwei Saiten eine Stimme zieht.
Auf welches Instrument sind wir gespannt?
Und welcher Geiger hat uns in der Hand?
O süßes Lied.
Mehrheit ist Wahn
Gedenk, wie sie Pilatus zugerufen,
aus wilden Kehlen voller Hohn und Haß:
„Gib uns den Mörder frei, den Barrabas!“
Und Er stand fremd auf des Palastes Stufen.
Gedenk der Heiligen, der Karmeliten,
die unters Fallbeil schleppte gnadenlos,
gekrochen aus der Freiheit feilem Schoß,
Verrat an Gott und Maß und Vätersitten.
Es wandelt wüstenwärts des Wahren Schatten,
ein Pilger, den man stieß aus Babels Bau.
Daß er nicht einsam muß vor Durst ermatten,
geh, Dichter, ihm mit deinem Krug entgegen,
gefüllt mit süßer Verse klarem Tau.
Der Bruderkuß gereiche euch zum Segen.
Dana Gioia, The End oft the World
“We’re going,” they said, “to the end of the world.”
So they stopped the car where the river curled,
And we scrambled down beneath the bridge
On the gravel track of a narrow ridge.
We tramped for miles on a wooded walk
Where dog-hobble grew on its twisted stalk.
Then we stopped to rest on the pine-needle floor
While two ospreys watched from an oak by the shore.
We came to a bend, where the river grew wide
And green mountains rose on the opposite side.
My guides moved back. I stood alone,
As the current streaked over smooth flat stone.
Shelf by stone shelf the river fell.
The white water goosetailed with eddying swell.
Faster and louder the current dropped
Till it reached a cliff, and the trail stopped.
I stood at the edge where the mist ascended,
My journey done where the world ended.
I looked downstream. There was nothing but sky,
The sound of the water, and the water’s reply.
Das Ende der Welt
„Wir gehen“, sagten sie, „bis ans Ende der Welt.“
Sie parkten, wo sich kräuselnd der Strom gewellt.
Wir kletterten unter der Brücke entlang
bis zum Kiesweg auf einem steilen Hang.
Wir liefen Meilen auf Waldwegen ohne Ziel,
wo Traubenkraut wuchs auf verdrehtem Stiel.
Dann ruhten aus wir auf nadelbedecktem Sand,
zwei Fischadler äugten vom Eichbaum nahe beim Strand.
Wir kamen zu einer Biegung, der Fluß wurde breit,
die Berge gegenüber zeigten ihr grünliches Kleid.
Meine Begleiter zogen von dannen, nun war ich allein,
der Strom floß über glattes, flaches Gestein.
Die Strömung glitt hin zwischen schroffen Hügeln.
Weiß wogte Schaum wie unterm Flattern von Gänseflügeln.
Schneller und lauter ist der Flußlauf gesaust,
dann traf er auf ein Kliff, und hatte ausgebraust.
Ich stand am Rand, wo Nebel aufwärts klommen.
Bis zum Ende der Welt war ich nun gekommen.
Stromabwärts ging mein Blick. Nur Himmel überall,
der Klang des Wassers und des Wassers Widerhall.
Neueste Einträge
Kategorien
- Auswahl älterer Gedichte
- Gedichte
- Gedichte in Prosa
- Gedichte und poetische Texte über Frankfurt am Main
- Gedichte und poetische Texte über Koblenz, Koblenz-Metternich, die Eifel und den Rhein
- Gedichte zur Zeit
- Komische und groteske Gedichte
- Liebesgedichte
- Lyrisch-philosophisches Spiel
- Lyrische Gedichte
- Philosophische Essays
- Philosophische Gedichte
- Philosophische Sentenzen und Aphorismen
- Poetologische Gedichte
- Prosa
- Radiofeature und TV-Dokumentation
- Religiöse Gedichte
- Sonette
- Übersetzungen und Nachdichtungen
- Wittgenstein-Sonette