In den Wind gesprochen
Philosophische Sentenzen und Aphorismen
Wer den Mißton hört, weiß um den richtigen.
Der Deutsche ist stets in Gefahr, der eigenen Wahrnehmung, der natürlichen Intuition und dem gesunden Menschenverstand zu mißtrauen und sich von selbsternannten Experten und gefeierten Ideologen eines Besseren belehren zu lassen.
Der Deutsche klammert sich an den Felsbrocken der Angst, der Pfad der Gelassenheit ist ihm zu schlüpfrig, die Gartenlandschaft der Heiterkeit zu langweilig.
Die auf dünnem Eis panisch schlottern, brechen als erste ein.
Der Unglückliche ist keinen vernünftigen Argumenten zugänglich.
Welche Tiefe der Verzweiflung an der menschlichen Natur, welche maßlose Hoffnung auf die sie heilende Gnade spricht aus der christlichen Botschaft.
Der reife ästhetische Geschmack ist wie die Haut der Finger, die kleinste Unebenheiten, Rauhigkeiten und Risse, aber auch die feinen Valeurs von Stoffen wie Seide, Taft und Samt gleichsam reflexionslos erfühlt.
Der Zeitgeist verdirbt das Sensorium für den guten Geschmack mittels medialer Injektion von betäubendem Gerede.
Das Tier tappt in die Falle, der Mensch verstrickt sich in Rätsel.
Die Fähigkeit, Fehler zu machen, sie einzusehen und sie bisweilen sogar zu korrigieren, zeichnet die menschliche Spezies aus.
Die Sprachkunde belehrt uns über den korrekten und wohlgeformten Bau der Sätze, die philosophische Grammatik über die sinnvolle Struktur menschlicher Lebensformen.
Der alte Fado-Sänger kennt die Griffe, auch wenn er keine Noten lesen kann.
Die Trense der Grammatik hält den ungebärdigen Ausdruck davor zurück, sich wild aufzubäumen und durchzugehen. – Wie sie unterm anarchischen Unmut knirscht.
Das Kind hat die allgemeine Semantik der Metapher erfaßt, wenn es die Sonne mit einem strahlenden Lächeln versieht oder die Zweige des Baums als Arme malt, deren Hände sich zur Sonne recken.
Der ironische Rokokofächer Verlaines verkörpert eine andere Metaphorik als der symbolistische eines Mallarmé.
In der schwarzen Kohle vermutet man nicht die Möglichkeit der Brillanz des Diamanten.
Was Gischt bei Beethoven, ist bei Schubert sanfte Welle.
Das Äquivalent gedanklicher Knoten in metaphysischen Fragen sind die seelischen Knoten der Neurose.
Die Egalitären leugnen die Krankheit, indem sie die Gesundheit pathologisieren.
Wie die Anosognosie des Geisteskranken ist die fehlende Einsicht des Zeitgeists in seine Erkrankung eines ihrer wesentlichen Symptome.
Wo der unfruchtbare Geist eine Wüste, sieht der fruchtbare einen Garten Eden.
Radikale Skepsis hinsichtlich moralischer und ästhetischer Urteile ist so töricht wie der hyperrationalistische Aberglaube an die Existenz universeller ethisch-ästhetischer Normen und Werte.
Die Affen Nietzches, die immer noch die Grenzen einreißen und die Regeln überschreiten wollen, gehören in die schützenden Käfige eines Zoos, wo sie der brave Bürger gegen ein geringes Entgelt sich lausen und Grimassen schneiden sehen kann.
Das Épater le bourgeois ist längst zu einer faden Konvention des etablierten Kunstbetriebs verkommen.
Sprachen sind das Lebenselement von Kulturen, die sich nicht isomorph aufeinander abbilden lassen, sondern nur asymmetrisch verzerrt.
Die ungeheure Menge an Übersetzungen des Buchs der Bücher zeugt von seiner Unübersetzbarkeit.
Goethe erobert im Divan der deutschen Dichtung den Orient, doch hütet sich davor, seine Dichtung orientalischen Versformen zu unterwerfen.
Mit nur einer Wortart lassen sich keine Sätze bilden, mit nur einer Gepflogenheit, Konvention oder Institution keine Kulturen.
Die semantisch-logische Mannigfaltigkeit grammatischer Formen ist die Bedingung gelungenen sprachlichen Ausdrucks.
Der hemmungslose Subjektivismus ist nicht weniger töricht als der disziplinierte Realismus. Man kann nicht alles Wahrgenommene als Schein abtun, ohne sich selbst hinters Licht zu führen. Und alles für bare Münze und evident anzusehen, ist der kurze Weg in die vollständige Bedeutungslosigkeit.
Wer alles zugleich in Frage stellt, bleibt im Sinnleeren hängen.
Der Farbenblinde sieht keinen ästhetischen Wertunterschied zwischen einem Kitschbild und einem van Gogh.
Wir akzeptieren Kriterien des Richtigen und Falschen, wenn wir uns die Korrektur eines sinnwidrigen sprachlichen Ausdrucks gefallen lassen, auch wenn wir den Fehler nur intuitiv erfassen und nicht in klaren Definitionen explizieren können.
Wie Kant zu behaupten, das hinter dem Phänomen verborgene Ding an sich sei uns auf immer unzugänglich, ist ein logisch-grammatischer Unsinn.
Wir haben die Grenzen des Phänomens gleichsam von innen immer schon ausgemessen; ähnlich dem scharfen Beobachter, der das Schiff am Horizont des Ozeans allmählich verschwinden sieht und daher auf die Kugelgestalt der Erde schließt.
Das dichterische Wort ist die Variation eines seelisch-geistigen Themas, das nur indirekt erscheint, sich fühlbar macht erst, wenn der letzte Reim verklang.
Die Teichrose erblaßt nicht angesichts der Tiefe, über der sie still dahinschwebt.
Das dichterische Wort evoziert symbolische Echos, wie der angeschlagene Ton der Taste Obertöne erzeugt.
Die Metren sind rhythmische Muster auf der Tastatur des seelischen Ausdrucks.
Man kann nur ein gewisses Quantum an Tönen und Gehalten in das Gefäß einer metrischen Einheit gießen; tut man zuviel des Guten, läuft sie voll und über den Rand wie ein Glas Wasser.
In mancher Lyrik, wie der eines Pindar, treten Moira und Charis, Schicksal und Gnade, Schwere und Anmut in ein Zwiegespräch. Spricht die eine, schweigt die Schwester; am Ende sehen wir ineinander verschlungene Bänder, Linien, Ranken, die den Eindruck eines glänzenden Rätselwerks hinterlassen.
Der Star geistiger Augentrübung und der Schleier der Melancholie lassen uns die goldenen Blüten Pindars nur mehr wie rhetorisch blasse Bilder sehen.
Zuviel Würze oder die Sucht nach Originalität überdeckt den Wohlgeschmack der schlichten Worte, mit denen alte Dichtung uns die Welt erschließt.
Die Gier nach Zweideutigkeit ist oft nur das Symptom einer seelischen Krankheit, die den Befallenen zu fahrigen Gesten verdammt.
Der sehschwache Philologe kann trotz der dicken Brille seiner akademischen Bildung den Weg durch Pindars Mythen- und Gnomendickicht nicht finden und deklariert seine Dichtungsart für hermetisch und dunkel.
Hölderlins Hymnendichtung – die Wasserscheide für den hohen Ton in deutscher Poesie.
Das Volk der Dichter und Denker hat – zurecht, wie einen der Blick in eine beliebige Talkshow belehren kann – den Glauben an seine Auserwähltheit aufgegeben, das Volk der Propheten, dem es beinahe den Garaus gemacht hat, kämpft weiter um seine historische Existenz.
Die Elamiter, Ammoniter, Kanaaniter, zu schweigen von den Assyrern, Babyloniern und Hethitern, all diese Völker (und tausend andere) sind untergegangen, die Juden haben, trotz der Gefangenschaft und der Zerstreuung, trotz der Pogrome überlebt. Wer spricht noch altägyptisch, assyrisch, hethitisch? Das alte Hebräisch ist in einer seiner Varianten noch lebendig.
Die Welt der baltischen Sagen lebt nur noch im beschwörenden Dunkel der Dichtung Johannes Bobrowskis.
Assimilation ist der bequeme Weg in den Untergang. So faulte die Wurzel der Frömmigkeit, als man die Sprache der alten lateinischen Liturgie per Dekret durch die jeweiligen Volkssprachen ersetzte.
Verhülltes Wort
Spricht vor sich hin,
Mund,
sanft überstrichen
vom bleichen Finger
der Abendluft,
eine Spieluhr,
aufgezogen
von einem verwöhnten Kind,
das längst sie achtlos liegen ließ.
Wer trat im Dunkel stolpernd
wohl dagegen,
daß die Feder sich gelöst?
Will zum Willkomm,
will zum Abschied
winken,
müde Hand,
doch flattert lose bloß,
einem Weißling gleich,
wehrlos im Wind,
kann die Flügel
auf dem Schoß,
der weichen Mulde des Verzichts,
nicht still hinbreiten.
Auge, bist du wach?
Ach, es wimpert blind
im Teich verschwommener Bilder,
schnappt manchmal
nach den Silberschnuppen,
die aus dem stummen Weltall
niederstürzen.
Daß es gierig sich nicht überhebt
und ans Ufer flutscht,
wild zuckend
nach den Wassern
grünen Schlafs.
O frage nach dem Herzen nicht!
Selbstvergessen sagt es
Tag und Nacht
Litaneien auf,
Psalmen aus dem Buch
der Wanderungen
mit der Rätselschrift,
dem Beter gleich,
der wie in Trance
schwankt und wippt
vor der hohen Mauer,
wo in Grabesnischen
die verwaisten Namen schlafen,
vorm grauen Überrest
des Tempels,
wo das verhüllte Wort gewohnt.
Herz,
stammelt’s,
wenn sich das Blut verdickt,
weil kein Odem,
in die Dunkelheit
gesungenes Licht,
den verklumpten Rhythmus löst?
Steh auf
Durch das Dämmervlies,
vor der Schwermut
Fenster ausgespannt,
sirrt ein silberner Pfeil,
geschnellt vom Bogen
des Orion.
Steh auf,
lausch in der Linde Laub,
ob eine Seele
nach Tau,
nach Liebe
eine Tote rief.
Den Wind frag,
ob der Eiche Blattwerk
ihm das Lob des Lichts
gesäuselt.
In der gotischen Gaube,
wo die Krähenvögel hocken,
die Schwestern der Nornen,
hörst du Krächzen jäh,
und ihr schwarzes Flattern
verdunkelt den Traum.
Steh auf,
und schau nach Knospen,
hellen,
ob sie auf weichen Wassern treiben,
stilleren Ufern zu.
Die Ströme frag,
ob im Fruchtland
sie mäandern,
ob fern von milder Feuchte
glänzend
in Kolonos Hain der Olivenbaum
auf geduldigen Zweigen
sanft singend wie in Träumen
Nachtigallen
wiegt.
Dante Gabriel Rossetti, Sudden Light
I have been here before,
But when or how I cannot tell:
I know the grass beyond the door,
The sweet keen smell,
The sighing sound, the lights around the shore.
You have been mine before,—
How long ago I may not know:
But just when at that swallow’s soar
Your neck turn’d so,
Some veil did fall,—I knew it all of yore.
Has this been thus before?
And shall not thus time’s eddying flight
Still with our lives our love restore
In death’s despite,
And day and night yield one delight once more?
Jäher Strahl
Ja, ich war hier schon einmal,
wann und wie, das weiß ich nicht:
Ich kenn sie wieder, Gräser schmal,
Duft, der in die Nase sticht,
Säuseln, Meeresschimmer ohne Zahl.
Die Meine warst du schon einmal –
zu sagen wann, würd mir schwer:
Doch als die Schwalbe flog ins Tal,
du schautest hinterher,
da fiel der Flor – wie einst sah ich den Strahl.
War so es schon einmal?
Trägt wohl der Wirbelflug der Zeit
uns immer neu verleibt zum Liebesmahl,
vorm Tod gefeit,
wird uns bei Tag und Nacht die Lust nicht schal?
Die Wehen
Menschenkopf,
als erste muß ins Licht ihn pressen
die Gebärerin,
Mutter wird sie nur durch Wehen,
und beseligt darf sie weinen,
wenn sich ihm der Schrei entringt.
Gedenk der alten Völker,
die inspiriert noch hat Instinkt,
da sie in Höhlen Opfer brachten,
war das Kultbild auch verhüllt:
„Eileithyia hat geholfen.“
Was ist der Mensch?
Der zu früh zur Welt Gekommene,
nackt und waffenlos und stumm,
auf daß er unterm transparenten Schleier
mütterlicher Blicke,
anders als das rasch ermannte Tier,
langsam reife
in Griffen, Schritten, Gesten, Worten.
Immer haftet er am Schoß,
dem bereitet er die Wehen,
das düstre Pfand,
mit dem er auf den Weltumgängen,
fern der heimatlichen Erde,
stets noch wuchert.
Auch du mußt, Dichter, sie erleiden,
wenn mit dem Kopf zuerst,
zu groß für deinen Muttermund,
ins Offene du es preßt,
was in dir wuchs,
vom Dämon oder Gott gezeugt,
das vollkommen-unvollkommene
Gedicht.
Wo aber reift es nach?
Unter deines Lesers
liebevoll-bedachter Obhut.
Dem aber Niedertracht, nicht Not
mit taubem Messer
zum Sprung ins Leben half,
folgt der gekränkten Göttin
Schatten.
Totenanger der Erinnerung
Die Bank ist morsch,
wo wir einst saßen,
vor uns das stille Wölken
des Wiesenschaumkrauts.
Dunkles Brausen uns im Rücken,
die unstillbare Angst der Welt.
Die Eiche krümmt sich noch darüber,
in deren schütterem Septemberlaub
verlassene Nester schwanken.
Droben, auf dem Kimmelberg,
der Hoheitsbrocken,
Heroenquader
aus Vulkangestein und Knochenmark,
beschmiert von dumpfer Jugend
des preußischen Adlers
schlaffer Fittich,
dem Eulenspiegel ausgerupft hat
neulich einen Friedensflaum.
Wir streichen durch den staubigen Pfad,
ein trockenes Rinnsal,
das vergebens sich gesehnt,
ins Delta hoher Zeit zu münden.
Wo gehäufter Unrat
in den Dunst der Langeweile starrt,
flattert jäh empor Krähengeschrei.
Dort geht abschüssig das Gefühl,
wenn das graue Band erzittert im Tal,
die von Ausonius besungene
lieblich besonnte Mosella.
Überm Rath gehen wir nicht,
die alte Sippe der Fischer lebt nicht mehr,
ihre Netze zerriß ein schartiger Zahn,
und wo sie gewimmelt,
Zander, Barsch, Rotauge, Schleie und Aal,
die basaltenen Bottiche
zerschlug pfeifend ein Zwerg,
aus der Höhle Nibelheims gekrochen,
mit dem Vorschlaghammer,
der gedröhnt wie eine Palinodie
auf Hegels Weltgericht.
Kehren wir heim,
jeder zum Totenanger
seiner Erinnerung.
Da hängen schief,
wie Geschlechtertürme en miniature,
von Mäusen unterwühlt,
die Male mit den Namen,
zu Rätselrunen verwittert.
Laß ab, den Schatten aus Moos,
den Grind des Schuldgefühls
den Ahnen vom Antlitz zu waschen.
Die verblaßten Veilchen
magst, die fleckigen Primeln
beträufeln du mit grüner Wehmutfeuchte,
daß sie ins Licht einmal noch sich recken.
Die Augen aber,
die vom Biß der Zwiebel einst getränt,
im Schein des gußeisernen Herdes dunkel glänzten,
den bangen Schlummer dir bewachten,
sie öffnen ihre Lider dir nicht mehr,
schließt du zu träumen auch die deinen.
Die ihr Blut in deines mischten,
wurden bleiche Masken,
augenlose,
die auf dem schwarzen Wasser treiben,
an dessen Ufern fahl
des Mondes Schwester,
die Asphodele blüht.
Erläuterungen zum Wortverständnis:
„Kimmelberg“: erste Erhebung der Eifel über dem Ort Koblenz-Metternich mit Sicht über das Neuwieder Becken, das von den Römern kultivierte Fruchtland („Delta hoher Zeit“)
„Hoheitsbrocken“, „Heroenquader“: preußisches Kriegerdenkmal mit dem geduckten preußischen Adler auf dem Kimmelberg für die Gefallenen der Kriege von 1864, 1866 und 1870/71, eingeweiht 1913 im Gedenken an die Völkerschlacht von Leipzig 1813
„Eulenspiegel“: Die Alt-Metternicher nannten sich in humoristischer „Fehldeutung“ des preußischen Adlers „Eulen“, um ihr antipreußisches Ressentiment gegenüber dem Herrschervogel Ausdruck zu verleihen, der seit der Besetzung der Rheinlande durch Berlin über ihren Häuptern schwebte. Eulenspiegelei ist die zeitgeistige Umwidmung des imperialen Kriegerdenkmals zum Mahnmal für Frieden und Völkerverständigung, nachdem ein gewisser „Eulenspiegel“ im Gefieder des Adlers einen kauzigen „Friedensflaum“ entdeckt haben soll; auch eine Form der „Umwertung aller Werte“ (Nietzsche).
„Mosella“: rühmendes Versepos des am Kaiserhof zu Trier tätigen römischen Dichters Ausonius über die Mosel
„Überm Rath“: alter Pfad vom Kimmelberg über die Weinberge zum Moselort Güls, einem alten Fischerdorf; siehe auch: http://www.luxautumnalis.de/ueberm-rath/
Wie Abendgraun den Geist verdummt
Du fühlst den feinen Riß, wenn seltsam klingt,
was fern die Glocke der Erinnerung schwingt.
Den Bruch magst du am Zaudern schon erahnen,
wenn, die du liebst, mit schlichten Worten ringt,
die sonst geflattert sind wie Siegesfahnen.
Wenn immer uns ein Gott entzieht die Huld,
wühlt unser Schmerz im Dunkeln nach der Schuld.
Jäh hören klappern wir der Parze Schere,
schon höhlt den Augenblick uns Ungeduld.
Die späte Knospe sinkt von eigner Schwere.
Wie Abendgraun den hellsten Geist verdummt,
der wie im Glas die irre Fliege summt:
Warum kein Lügner je sich selbst belogen,
Apollo vor Dianas Glanz verstummt,
vor Bitterkeit sich süßer Mund verzogen.
Der linkische Liebhaber
Muscheln fand er noch auf Hügeln,
und sie rauschten ihm vom Grund,
wo sich Sterne nicht mehr spiegeln,
Schlamm nur würgt der schwarze Schlund.
Die er dumpf durchklommen, Schluchten,
hallten wider, wenn er sang,
wie umbraust vom Gischt der Buchten,
ward ihm vor sich selber bang.
Und vor ihrer Brüste Sonnen
sank er tiefer nur in Nacht,
Feuchte, trägem Schoß entronnen,
hat ihm dürre Glut entfacht.
Grub sein Aug er in die Locken,
auszuruhn von wirrem Schein,
blieb sein Atem jählings stocken,
Herz, es schlug ins leere Sein.
So zog einsam er durch Auen,
wo er’s fand, das Zauberkraut,
Trank für Träume sich zu brauen,
träumt er auch, wovor ihm graut.
Paul Valéry, Poésie
Aus dem Gedichtzyklus „Charmes“ von 1920
Par la surprise saissie,
Une bouche qui buvait
Au sein de la Poésie
En sépare son duvet :
— O ma mère Intelligence,
De qui la douceur coulait,
Quelle est cette négligence
Qui laisse tarir son lait !
A peine sur ta poitrine,
Accablé de blancs liens,
Me berçait l’onde marine
De ton cœur chargé de biens ;
A peine, dans ton ciel sombre,
Abattu sur ta beauté,
Je sentais, à boire l’ombre,
M’envahir une clarté !
Dieu perdu dans son essence,
Et délicieusement
Docile à la connaissance
Du suprême apaisement,
Je touchais à la nuit pure,
Je ne savais plus mourir,
Car un fleuve sans coupure
Me semblait me parcourir…
Dis, par quelle crainte vaine,
Par quelle ombre de dépit,
Cette merveilleuse veine
À mes lèvres se rompit ?
Ô rigueur, tu m’es un signe
Qu’à mon âme je déplus !
Le silence au vol de cygne
Entre nous ne règne plus !
Immortelle, ta paupière
Me refuse mes trésors,
Et la chair s’est faite pierre
Qui fut tendre sous mon corps !
Des cieux même tu me sèvres,
Par quel injuste retour ?
Que seras-tu sans mes lèvres ?
Que serai-je sans amour ?
Mais la Source suspendue
Lui répond sans dureté :
— Si fort vous m’avez mordue
Que mon cœur s’est arrêté !
Dichtung
Baß ergriffen vor Staunen,
Mund, der gerade noch sog,
als jählings hinter die Daunen
Dichtung die Brust ihm entzog:
„O Mutter mir, Sinnverstehen,
das mich mit Süße gelockt,
woher nur rührt das Versehen,
daß sein Milchstrom nun stockt!
Wogen der südlichen Meere,
Wiege warst du mir kaum,
mir zu erleuchten die Leere,
weiß überschrieben von Schaum.
Kaum ließ mich Schönheit ermatten
in deinem Himmel so fahl,
trank ich aus seinem Schatten
den mich durchflutenden Strahl!
Gott, in sein Innen Entrückter,
ward ich auf köstliche Art
ein vom Wissen Beglückter,
sanft sei das Höchste und zart,
Nacht umtastend, die helle,
konnte ich sterben nicht mehr,
denn mich durchquerte die Welle,
die nicht zurückstaut am Wehr …
Sag, durch welch nichtiges Bangen,
welch einen düstern Verdruß
der Zauber ist hingegangen,
mir sprang von den Lippen der Fluß?
O Strenge, du willst es mir zeigen,
daß meiner Seele ich gram!
Die ein uns tauchten ins Schweigen,
Schwingen der Schwäne, wie lahm!
Todlose, von Lidern ein Schrein,
er birgt nun all meinen Segen,
Fleisch, es ist worden wie Stein,
und hat sanft auf dem meinen gelegen!
Welch Unrecht zu begleichen,
schließt deine Himmel du ein?
Was bist du, wenn Lippen dir weichen?
Was kann ohne Liebe ich sein?“
Die Quelle indes, die versiegte,
hat zarten Sinns ihm bekannt:
„So bissest du, da ich dich wiegte,
daß mein Herz jäh stille stand!“
Auf nächtlicher Schwelle
Aug, vom Tau der Nächte ward es fahl,
und das Hirn, zerkocht von Gottes Strahl,
hält an losen Nervenfäden kaum,
was geblüht an früher Pfade Saum,
fern geglänzt im heimatlichen Tal.
Herz, das mit dem Quell im Moosgrund sprang,
übersprüht von funkelndem Gesang,
starrt, ein graues Loch, mit Müll verstopft.
Keiner ahnt, wie freudig es geklopft,
als im Moosgrund einst die Quelle sprang.
Wort, das du geformt als edlen Krug,
feuchter Erde Ton war dir genug,
fließt nicht über mehr von dunklem Glanz.
Keine trockne Seele fühlt sich ganz,
brach entzwei des Wortes edler Krug.
Know’st thou not at the fall of the leaf
How the heart feels a languid grief
Laid on it for a covering,
And how sleep seems a goodly thing
In Autumn at the fall of the leaf?
And how the swift beat of the brain
Falters because it is in vain,
In Autumn at the fall of the leaf
Knowest thou not? and how the chief
Of joys seems—not to suffer pain?
Know’st thou not at the fall of the leaf
How the soul feels like a dried sheaf
Bound up at length for harvesting,
And how death seems a comely thing
In Autumn at the fall of the leaf?
Herbstliches Lied
Weißt du nicht, fällt herab das Blatt,
wie das Herz ist von Trauer matt,
wenn das welkende auf ihm ruht,
und wie Schlummer so wohl ihm tut,
fällt im Herbste herab das Blatt?
Wie im Hirn schon der Puls schläft ein,
denn er weckt nur noch fahlen Schein,
fällt im Herbste herab das Blatt,
weißt du’s nicht? Wie wir erst sind satt,
fern von Lust und von Schmerz allein?
Weißt du nicht, fällt herab das Blatt,
was geschnürt liegt gleich Garben glatt
Seelen ohne Ähren wohl droht,
und wie lieblich uns scheint der Tod,
fällt im Herbste herab das Blatt?
Melos, weiches Wasser
Die starre Linie beugt sich sanftem Beben,
und eine Welle, die ins Offne quillt,
scheint leise rauschend schon vom Geist erfüllt,
statt stummer Nacht dem Sonnensang zu leben.
So hob ein Lächeln, Glanz, aus matten Steinen,
Gestirne, Lichtgedanken, aus dem Dunst,
der frühen Ahnen, Hellas hohe Kunst,
muß unterm hellen Schaum auch Thetis weinen.
Mag noch dem herben Mund das Wort sich runden,
verzückter Rundung eines Kelches gleich,
daß Tropfen Lichtes Auserwählten munden.
Dein Melos, Dichter, strömt wie Wasser weich,
und röten es auch unvernarbte Wunden,
aufseufzend trinken, die von Schwermut bleich.
Das Boot aus Versen
Der in der Sommernacht am Fenster steht,
als hätte aufgeweckt ihn fernes Rauschen,
und will dem süßen Quell der Herkunft lauschen,
vernimmt nur, wie das Namenlose weht.
Der aus dem Haus der Muttersprache flieht,
ward überflutet es von fremden Stimmen,
in trüben Wassern muß er einsam schwimmen,
bis Ohnmacht ihn zum stummen Abgrund zieht.
Füg, Dichter, dir ein Boot aus Versen dicht,
aus blitzgetroffener Esche kahlen Resten,
mit Sud von Tränentau und Harz verpicht.
Wie Sänger, schaukelnd in den Traumgeästen,
mag tragen dich das schwankende Gedicht
zu Inseln, der Phäaken Muschelvesten.
Dichter, Idiot unter Aufgeklärten
Vorm Schlag der Endzeituhr schloß er das Ohr,
vor dem Gemaule aus den Weltkanälen.
Wie Engel leise ihre Locken strähnen,
vernahm er, und des Orkus Schattenchor.
Ein Schatten selbst, geht er im Abendgrauen
durch abgeblühter Worte fahle Auen.
Er wandte ab den Blick vom grellen Tand,
von tätowierter Phrase welken Häuten.
Er sah im Traum, wie Wappen sich erneuten
beim stillen Pilgerzug im Wüstensand.
Ein Pilger selbst, geht er den Quell zu finden,
der einst gerauscht in Hellas Hain dem Blinden.
Den Heimatlosen
Im Halbschlaf hörst du noch das wehe Schrillen
der letzten Tram-Bahn in den Vorortgleisen.
Ach, nein, du willst in andre Fernen reisen,
wo Mandelblüten lichte Tropfen füllen.
Du stehst am dunklen Fenster, draußen schweben,
gleich Boten, die von reinen Sphären künden,
Kristalle, Nachtglanz dir noch zu entzünden,
doch rasch erlöschen, die am Glas der Scheibe kleben.
Laß, Dichter, müde Worte Funken trinken,
die dir ein Blitz der Schöpfernacht gesandt,
damit sie nicht wie Flocken duftlos sinken
und schmelzen hin, ein unfruchtbarer Tand.
Bekränzte mögen sie uns lächelnd winken
in Hellas Hain, als wär’s das Heimatland.
In die Dämmerung geflüstert
Aus grauen Augen kann noch Güte strahlen,
sagt auch die Stirn, geborstener Inschrift gleich,
daß sie schon sinkt ins stumme Unterreich.
Mag auch des Mundes Purpurblume fahlen,
umsonst um Tropfen flehend, dorrt sie bleich,
aus grauen Augen kann noch Güte strahlen.
Des Abschieds Tränen können noch erhellen,
was in die Dämmerung uns flüstern läßt.
Die sanfte Feuchte hält den Schimmer fest
von Blüten, hingestreut auf dunklen Schwellen.
Was an Verschwiegnem scheue Herzen preßt,
der Liebe Tränen können es erhellen.
Schneelicht der Birke
Sie überrieselt unser schwaches Fühlen.
Der Blick irrt auf und ab im Flimmerlaube
und findet keinen Halt wie rasch die Taube,
die gurrt, als würden grüne Seufzer kühlen.
Auch sie ist ein Entwurf der dunklen Tiefe.
Im Blattgeäder gibt sie uns zu lesen,
wie Atem schöpfen nachtentbundne Wesen.
So schreibt der Erdgeist holden Töchtern Briefe.
Lehn, Dichter, deinen Vers an ihre Rinde,
laß tropfen dunkle Harze auf den Reim,
bis sich das Melos um die Lende winde,
als fände es bei Nacht im Schneelicht heim.
Daß dir der Anmut süßes Leuchten künde,
aus sternbesamtem Abgrund sproß der Keim.
Trost für Schwermutkranke
Sie flackern schwach noch in der Dunkelheit,
die Lichter, die wir vor dem Kreuz entzündet.
Wir wissen nicht, wo unser Rinnsal mündet,
im dürren Karst, im Delta Ewigkeit.
Und hat die Kerzen längst gelöscht der Wind,
ist doch ein blasser Schimmer uns geblieben,
den Schwermutkranken, die das Dunkel lieben,
wenn Tau der Nacht von blauen Trauben rinnt.
Weißt, Dichter, du um Brunnen nicht, geheime,
uns klares Wasser aus dem Grund zu heben,
daß dumpfer Schlaf erwacht am Schaum der Reime
und Auren feuchter Funken um uns schweben?
Das Wort erblüh aus keusch behauchtem Keime,
daß wir in seinem Duft der Hoffnung leben.
Fallhöhen
Die einen können schwindeln machen,
die andern reizen nur zum Lachen.
Du wandelst hin im Park und suchst das Deine.
Schon sind im Abendmond die Rosen fahl.
Da schimmert auf im Blattwerk ein Opal,
der grauen Graien Auge ist’s, das eine.
Du grüßt sie noch vorm Haus, die alte Dame.
Die Einkaufstasche, vollgepackt, wiegt schwer.
Den Schlüssel steckst du, doch er paßt nicht mehr,
und auf dem Türschild steht ein fremder Name.
Was du geflochten, Dichter, Reim in Reim,
es scheint erkoren dir zum Ehrenkranze,
als kehrtest du in hohen Rhythmen heim.
Da wedelt das Sonett mit rüdem Schwanze,
an Dämons Lefzen trieft ein bittrer Schleim,
schon reißt er hin dich zum makabren Tanze.
Die wahren Remigranten
Als klebte ihr noch unterm Stöckelschuh
ein wenig Dung. Und durch die Chanel-Wolke
steigt zart ein Dunst von lebenswarmer Molke.
Die sie einst molk, Helene hieß die Kuh.
Im Hörsaal, ein Genie, doch unentdeckt,
der Seidenschal drapiert zur Künstlerbinde.
Da weht durchs offne Fenster Duft der Linde,
von Rilke tönt er und spricht Dialekt.
Sie sind zurückgekehrt aufs flache Land.
Die Liebe streifte ihnen ab den Flitter,
den Eitelkeit um scheue Seelen wand.
Er wippt die Wiege vor dem Weinlaubgitter.
Sie lächelt, da den Vers sie wiederfand:
„Uns macht den frühen Tau der Tag nicht bitter.“
Die Endzeitschlange
Οὕτως καὶ ἡ γλῶσσα μικρὸν μέλος ἐστίν, καὶ μεγαλαυχεῖ. Ἰδού, ὀλίγον πῦρ ἡλίκην ὕλην ἀνάπτει.
Καὶ ἡ γλῶσσα πῦρ, ὁ κόσμος τῆς ἀδικίας οὕτως ἡ γλῶσσα καθίσταται ἐν τοῖς μέλεσιν ἡμῶν, ἡ σπιλοῦσα ὅλον τὸ σῶμα, καὶ φλογίζουσα τὸν τροχὸν τῆς γενέσεως, καὶ φλογιζομένη ὑπὸ τῆς γεέννης.
Welch ein kleines Glied ist doch die Zunge und wie brüstet sie sich. Siehe, ein kleines Feuer zündet einen großen Wald an. Solch ein Feuer ist auch die Zunge, die Welt der Ungerechtigkeit steht so die Zunge auf in unseren Gliedern und befleckt den ganzen Leib, sie steckt den Lauf des Lebens in Brand, ist sie selbst doch angezündet von der Hölle.
Brief des Jakobus, 3, 5–6
In dunkler Höhle thront die Endzeitschlange,
Wir füttern sie mit Phrasen, glatt geschwänzt
wie Ratten, und die Talmi-Krone glänzt.
Ist keiner, dem vor dem Gezisch wird bange?
Es riecht nicht gut, wenn ihre Säuren triefen,
die jeden Wortes zartes Mark zersetzen.
Wie selbst der Unschuld Lippen sie benetzen,
die nach dem Salböl des Propheten riefen.
Die Zunge ist des Dämons heiße Hure,
das Salz des Lichts löst sie in faden Schleim.
Aus Sonnentrauben saugend das Obskure,
umspeichelt sie den Sinn mit faulem Feim.
Es bändige das Schweigen die Lemure.
Im Geist der Stille sprosse, edler Keim.
Geschmolzene Flocke
Erwählten glänzt der Hymnenschnee der Höhen,
wenn Klagen aus dem Abgrund Aschen wehen.
Die blau und gelb und rosa schimmern, Tupfen,
auf einen weichen Seidenschal gemalt,
sie scheinen Blüten, sanft vom Mond bestrahlt,
kein Finger, sie zu zählen, wird dran rupfen.
Wie blaß sind, die verschwimmen, Traumgestalten,
Schnee, stäubend unter banger Sehnsucht Hauch,
so blassen hin die zarten Blumen auch,
die wir um ferner Liebe Namen malten.
Gesanges Flocken sind wie Blütenpollen,
wohin der Wind sie, Dichter, tragen mag,
ob bald sie schon im Karst der Nacht verschollen,
ob sie noch keimen auf im Sonnenhag,
von schwesterlichen Wassern weich umquollen –
die Flocke schmolz, die auf der Stirn dir lag.
Philemon und Baucis
Der Bäume Rauschen ward ins Lied geleitet,
wie jener, deren Kronen sich verflochten,
weil Herzen voller Demut es vermochten
und Hohen scheu das schlichte Mahl bereitet.
Zum Sinnbild wird die Linde und die Eiche,
wenn sie mit holdem Laub sich überminnen,
wo still noch goldene Tropfen niederrinnen,
daß Liebe nicht, nicht Treue von uns weiche.
Doch die sie mit der Wahnaxt Faustens schlagen,
die Ebne teeren für den Fuß aus Eisen,
den grünen Gott der Stille zu verjagen,
sie werden atemlos im Leeren kreisen.
Und Babels Turm wird in den Himmel ragen,
wo einst das Blau gelockt in lichten Schneisen.
Im Schatten schon von jenen Schilfen
Die Greisin hat das Haupt geneigt,
die welken Wimpern trinken salzige Lake.
Ihr Runzelkinn wird weich umschlungen
von einem blaß geblümten Seidenschal.
Schläft sie?
Hört sie rings des wirren Lebens Schritte,
den metallenen Klang der Werktagsfron,
Kehlen, die einander kitzelnd rufen,
Zischen, Klingeln, Taubengurren?
Träumt sie?
Wie die Hortensien blauten, einst,
im Beet des heimatlichen Hinterhofs,
wie in hellen Sommermorgendünsten
überm grünen Schlummer der Lagune
der Sonne goldnes Siegel aufgeflammt?
Und vor der Hingesunkenen,
im Schatten schon von jenen Schilfen,
die von Jenseitsufern ihr entgegenseufzen,
sieht man straffe Häute glänzen,
die Aphrodite summend selbst gesalbt
jungen Frauen, die in Hotpants
ihre grell geschminkte Anmut schaukeln.
Die Pflegerin, die im Hintergrund
auf- und abstolzierte,
das Smartphone wiegend in der Hand
wie eine heilige Oblate,
ist zurückgekehrt.
„Ist doch gut, so ein Mittagsschlaf im Freien!“,
sagt sie mit polnischem Akzent
und schiebt den Rollstuhl mit der Alten
geradewegs an mir vorbei,
der auf der Bank den tauben Toren mimt.
Sie hat mühsam den Kopf emporgehoben,
und über dem Geblüm des Schals
scheint sie mir zuzulächeln.
Doch weiß ich nicht, galt mir ihr Blick,
der wie ein Schaum auf grauem Schiefer glomm,
oder einem Nachbild ihrer Träume.
Philosophische Krümel
Er schoß das Tor mit seinem linken Bein,
doch hat das Tor geschossen
das linke Bein nicht ganz allein.
So hat der Philosoph geschlossen,
von wem wir immer sagen,
er tue dies, er lasse das,
es muß ein Jemand sein.
Und jemand ist kein anonymes Was,
muß einen Eigennamen tragen.
*
Was aber jemand tut,
ist, was wir Handlung nennen.
Daß er nur bleibe auf der Hut,
muß er die Regeln kennen
des Spieles, das er spielt.
Spielt wer mit Karten oder Worten,
ihm öffnen sich die Pforten,
wenn er ins Schwarze zielt.
Doch sind gezinkt die Karten,
muß er im Finstern warten,
bis wieder er darf kommen
ins warme Licht der Frommen.
*
Die Regeln sind erfunden,
wenn wir Figuren setzen,
wir sind daran gebunden,
sie grob nicht zu verletzen.
Doch wie wir Sätze formen,
erlauschen wir mit Ohren,
die uns sind angeboren,
Wir fügen uns den Normen,
die keiner uns erklärte.
Verläßt wer diese Fährte,
bleibt er nicht ungeschoren.
*
Es hat gefunkt im wirren Zwirn
wohl hinter seiner krausen Stirn,
als Peter Petra küßte.
Doch war’s kein angespannter Nervenstrang,
der klagevoll elegisch klang,
als Peter aufgeschluchzt, der sie vermißte.
*
Die Welt ist nicht die Welt von Dingen,
der Denker hat’s herausgefunden.
Wir reden metonymisch nur von Kehlen,
daß wir die Pointe nicht verfehlen.
Stimmbänder sind es nicht, die singen
im Abendmond der Dämmerstunden,
Organe nur, die zur Gestalt sich ballen,
es sind die Rätselwesen, Nachtigallen.
*
Die in den Sinn uns kommen,
Gedanken über dies und das,
sind Flecken nicht auf der Empfindung zartem Glas,
behaucht von etwas, was wir wahrgenommen.
Sonst irrten wir wie Traumes Schatten,
die bald auf kaltem Erdgestein ermatten
und nie berühren, was sie überfliegen.
Doch dürfen wir auf Auskunft hoffen,
des Sinnes Fenster stehen offen,
wenn wir das Stumme in die Satzform schmiegen,
zu prüfen, ob wir klar gesehen,
wenn nur die Form uns nicht zerbricht,
als Wahrheitsträger kann bestehen,
färbt sich an ihr wie am Kristall das Licht.
*
Wohl können wir das Ganze nicht erfassen,
die großen Sätze, die es nennen wollen,
sind alle vor dem innern Riff verschollen,
wie jener von der Klasse aller Klassen.
Doch sehen wir, wie sich im Kleinen spiegelt
das All, wenn einsam nur ein Vogel singt –
weiß er auch nicht, was in ihm schwingt,
ob Klage oder Lust, es bleibt versiegelt.
*
Wenn Blitze in der Nacht ihn uns zerreißen,
den Schleier, der vor unsrer Seele weht,
empfinden wir, was in den Schriften steht,
die uns den Untergang der Welt verheißen.
Wir sehen uns wie Tropfen niederrinnen
an Gräsern, die ein fremder Geist erschuf,
wie Falter folgen süßer Düfte Ruf
und sich verfangen im Geweb der Spinnen.
Wir können wie der Knabe einst am Meer
nicht mit der zarten Muschel der Gedanken
die ungeheure Tiefe schöpfen leer.
Die wir wie Pascals Schilfrohr unstet schwanken,
ersehnen blind des Feuers Wiederkehr,
auf daß es uns verzehrt, die Schwermutkranken.
Die Chrysantheme
Wie am Revers der Dichter sie getragen,
die Chrysantheme, hellen Daseins Schaum,
mag leuchten, was empfunden wir noch kaum,
kann es ein taubeglänzter Vers uns sagen.
Der Schwermut schwarzer Brand will uns verzehren,
und in der Asche glimmt das Abschiedswort.
Die Asche sprühe hehre Flamme fort,
daß sich uns wölben kristalline Sphären.
Doch jener nimmt die Blüte vom Revers,
sie auf die traute Schwelle ihr zu legen,
das Lebewohl, ein Hauch, er wog zu schwer.
Ward müde er auf blumenlosen Wegen,
sein graues Herz träumt von der Wiederkehr,
pocht nachts ans Fenster sanfter Frühlingsregen.
Verhornten Fühlens Schwielen
Wie Knospen, die im Abendwinde schwanken
und scheu verhüllen, was geglüht am Tag,
erglimmt dein Vers von Schwermut müd nur vag,
wenn Schatten des Verschwiegnen ihn umranken.
Wie Wasser weicher zarten Halmen lallen
und dunkel tönen auf bemoosten Steinen,
scheint dich Gesang in heller Nacht zu meinen,
im trunknen Laub Geschluchz von Nachtigallen.
Wenn sie im Dunkel ächzen, morsche Dielen,
siehst du im Halbschlaf, wie du einst gewesen,
ein Kind allein mit seinem Hündchen spielen.
Den herben Vers gab dir der Traum zu lesen:
Was Liebe ließ, verhornten Fühlens Schwielen,
kein süßes Lied macht dich davon genesen.
Die imaginäre Rose
Philosophische Sentenzen und Aphorismen
Leben heiße nicht, ein Leben lang ums Leben bangen.
Der Edle freilich bangt auch um das Leben seiner Lieben.
Der dichterische Blick, der zuerst im Kelch der Blüte die Schönheit königlichen Daseins erblickte und zugleich das um sie schwebende Verhängnis im Glanz des Taus, der an ihr herabrinnt.
In Rätseln sprechen, als werde man von Feinden belauscht.
Es durch die Blume oder in erlesenen Bildern sagen, die nur die Erlesenen zu verstehen gewürdigt sind.
Dummheit denkt abstrakt.
Benetzt man den grauen unscheinbaren Kiesel, zeigt er wunderliche Adern und dunkel schimmernde Venen, die von einem imaginären Leben zu zeugen scheinen. Geht das auch mit jenen abgenutzten, vom Staub des Alltags grau gewordenen Worten?
Behaucht man die erstarrte, eingeschrumpfte, scheinbar tote Mücke, beginnen ihre Beine zu zittern. Geht das auch mit jenen leblos wirkenden Wort-Käfern, die uns der Wind des Ungefähr aus dem wirren Rankenwerk des Sinns geschüttelt hat?
Entwurzelte sind wie Bildhauer, die in Stein oder Holz gearbeitet haben, sich aber plötzlich der Natürlichkeit ihres Materials schämen und zu synthetischen Stoffen wie Plastik und Styropor greifen.
Was ihnen die Scham eingeflößt hat? Der scheele Blick des arroganten Intellektuellen, das eitle Geraune des avantgardistischen Kunstkritikers.
Das Gesicht aus Plastik hat nicht einmal den lebendigen Ausdruck des von einem Kind naiv-grobschlächtig geformten Tonklumpens.
Der Dichter, der sich der Natürlichkeit seines sprachlichen Materials, der Muttersprache, schämt und in ein synthetisches Kauderwelsch verfällt. Wer ihm die Scham eingeflößt hat? Der hochtönende Phrasenschinder und moralisierende Wortfuchser des Zeitgeist-Feuilletons.
Arroganz, die auf dem Kothurn hochtrabender Metaphern einherstolziert, zu abgehoben, der Kleinlebewesen zu achten, die unter den forschen theatralischen Posen und Schritten zerquetscht werden.
Hochmut – ein Symptom seelischer Anämie, geistiger Unterernährung.
Im Esperanto und dem Jargon, der alle nationalen Kulturen und Sprachen ins Unkenntliche einer gespenstischen Weltkultur zu vermischen ausersehen scheint, in diesem Karneval der Kulturen fände der Samen, der in Blüten wie Goethes „West-östlichem Divan“ oder Hölderlins „Brot und Wein“ aufgeht, keinen Nährboden.
Die individuelle und daher unnachahmliche Aura ist das Siegel künstlerischer Originalität.
Zwitter sind zeugungsunfähig.
Nach Platon ist das Schöne ein Erzeuger des Schönen.
Die Rose gebiert die Rose, die imaginäre Rose betaut die Nacht der Seele mit einem ephemer zitternden Glanz.
Pferd mit Pferd, Esel mit Esel, aber sie johlen vor dem Mann mit dem verzauberten Eselskopf, vor dem Kentaur mit dem Pferdeleib.
Zeus freilich, der sich für Leda in einen Schwan verwandelte, und sie gebar Helena, für Danae in einen goldenen Regen, und sie gebar Perseus … Doch: Quod licet Iovi, non licet bovi.
Wen wundert es, daß jene, die hochnäsig die Natürlichkeit des Geschlechts verleugnen, nur sterile Kunst oder Diskurse ohne Unterleib hervorbringen?
Was der Schoß für das Wachstum der Frucht, ist die Heimaterde mit ihrer eigentümlichen Flora und Fauna für die Sprache der Dichtung.
Freilich, das Wort „Rose“ duftet nicht, und die Rose des Gedichts ragt aus Gräsern, Büscheln von Versen, die gilben, wenn wir sie mit dem Tau der Augen nicht mehr benetzen.
Die Rose des Gedichts kann das Paradies eines Himmels bedeuten, in das wir nur als Schatten auf den Seiten der Divina Commedia gelangen.
Der Lindenbaum vor der Kirche des Heimatdorfs hatte an einem bestimmten Sommertag abzählbar viele Blätter. Doch wie viele Blätter hat der Lindenbaum im Liede Schuberts?
Schwarze Rosen sind Erzeugnisse einer extremen genetischen Auslese. Die schwarze Rose des Gedichts ist das Erzeugnis eines extrem dem Paradoxen zugewandten Geistes.
Die Rose im Garten mag uns an die Schönheit und ihre unausbleibliche Vergänglichkeit erinnern. Von der mystischen Rose aber kündet Angelus Silesius: „Sie blühet, weil sie blühet. Sie achtet nicht ihrer selbst, fragt nicht, ob man sie siehet.“
Den Gesang des Orpheus können wir nicht hören, es sei denn, wir erahnen ihn in den wellensanft schaukelnden Rhythmen und dem knisternden Reimschaum der Sonette Rilkes.
Wer nie eine Rose wahrgenommen hätte, könnte er mit der Art und dem Typ dieses Lebewesens anhand der Stilleben eines Chardin oder Monet bekannt werden?
Die Rose des botanischen Lehrbuchs wartet mit spezifischen Eigenschaften auf, die von der ersten bis zur jüngsten Edition nur unwesentlich variieren. Dagegen mutet uns die Rose des Walterschen Liebeslieds gänzlich anders an als die Rose des Marienlieds.
Du gehst nach der stürmischen Herbstnacht am Garten vorbei und siehst die Rosenblüten hingestreut. Die Rose im Grabspruch Rilkes „Rose, oh reiner Widerspruch, Lust, Niemandes Schlaf zu sein unter soviel Lidern“ bleibt ihrem Sommer treu und fürchtet keinen Herbst.
Grabspruch, den eine Rose zum Widerspruch werden läßt.
Rilke, von dem der Grabspruch stammt, liegt unter ihm begraben, sein Sinn aber verwest nicht.
Je abstrakter der Sinn, je unsinnlicher der Gedanke, je kärglicher der Ausdruck der Empfindung, umso leichter läßt sich der Text beispielsweise mittels KI von einer in andere Sprachen übersetzen. Das paradoxe Ideal des im Konkreten, Individuellen und Eigentümlichen verwurzelten Gedichts ist seine Unübersetzbarkeit.
Die Herstellung des Rosengedichts ist eine poetische Form von Ikebana.
Die mystische Rose, ein Phantasma poetischer Alchemie.
Die imaginäre Rose des Gedichts, die nicht duftet, könnte eine Klage über die leidige Tatsache anstimmen, daß sie nicht dufte.
Selbst der Entwurzelte, dem die Erinnerung an die eigene Herkunft nur ein hochmütiges Naserümpfen entlockt, schenkt seiner Geliebten keine Plastikrosen und stellt keine auf das Grab seiner Mutter.
Das Phantasma der klagenden Rose ist undenkbar ohne unsere Bekanntschaft mit wirklichen Rosen und echten Klagen.
Die imaginäre Rose ist eine Existenz zweiter Ordnung, der Scheinexistenz eines intentionalen Objekts nicht unähnlich.
Die imaginäre Rose glüht geisterhaft im Dunst einer Dämmerung, die daher rührt, daß die Vorhänge am Fenster des hellen Tagessinns von der Schwermut des Dichters zugezogen worden sind.
Die Rose lockt die Biene und den Falter mit einem heimatlichen Duft, aus der lebendigen Blütenschale zu trinken und dabei unbewußt die Bestäubung zu bewirken. Diese geheimnisvolle Symbiose zwischen Blume und Tier gleicht jener zwischen Phantasie und menschlicher Seele; diese trinkt den Tau des Sinns und jene vermehrt sich in geheimen Wünschen und Träumen.
Die am Morgen auf dem weißen Tischtuch liegen, die Blütenblätter, als hätte des Nachts die Rose ein Hauch deiner Träume gekränkt, du zählst sie nicht, du sammelst sie nicht auf.
Horaz zieht die schlichte Myrte der üppigen Rose vor, um die herabgeminderte Glut seines Verlangens und die kühle Aura des sanft ergriffenen Augenblicks zum Ausdruck zu bringen:
Persicos odi, puer, apparatus,
displicent nexae philyra coronae,
mitte sectari, rosa quo locorum
sera moretur.
Simplici myrto nihil adlabores
sedulus, curo: neque te ministrum
dedecet myrtus neque me sub arta
vite bibentem.
Mich stößt ab Perserprotz und zuwider, Knabe,
sind die Kränze mir, die mit Bast verzwirnten.
Such nicht mehr, wo unter Schatten späte
Rosen verglühen.
Lass die Myrte schlicht, das Gekünstel trübt den
Eindruck. So du dann mir die Schale spendest
und ich leere sie unter Weinlaubs Dämmer,
schmückt uns die Myrte.
Horaz, Oden, Buch I, 38
Im Besuchersaal des Altenheims
Bisweilen fällt der dumpfe Kopf dem Greise
vornüber auf die Brust, doch schläft er nicht,
er murmelt, ist verdeckt auch sein Gesicht,
wie unterm Schilf das Rinnsal, dunkel, leise.
Nach langen Fahrten kam er, hier zu sitzen.
Was er am Saum des Weges einst gepflückt,
scheint unter Aschen der Erinnerung erstickt,
das Gold des Sommers, weiße Blütenspitzen.
Heb ihm den Kopf doch, Dichter, sanft empor,
laß Verse kühnen Atems Gluten schüren,
ihn fühlen, daß sein Herz noch nicht erfror.
Laß ihn an weicher Reime Glanz erspüren,
wie sanft Adieu gehaucht am Gartentor
sie, deren Bild wir immer mit uns führen.
Dreh am Zauberringe
Bewehrt sind Wächter, die vorm Eingang schweben,
mit Stacheln, sie zu hüten, Honigwaben,
daß sich daran nicht fremde Mäuler laben.
Im Dunkel glüht das königliche Leben.
Und selbst die Anmut schreckt mit Dornen, spitzen,
die herben Zungen, daß sie ab sich wenden,
die Knospen Duft nur Auserwählten senden,
von Liebestau nur sanfte Fühler blitzen.
Vergittre, Dichter, deine Wandelgänge,
damit kein Tor zum Quell der Mitte dringe,
mit Rätseln, rankend übers Reimgestänge.
Daß kühn die Rose Wort im Freien schwinge!
Droht ihr der Geifer der gemeinen Menge,
lös sie in Luft auf, dreh am Zauberringe.
Aus dem Abgrund Flammen
Den Abgrund zwischen Gipfeln, grün und samten,
hat ruhig Gottes Adler überstrichen.
Wir aber, wie sind wir zurückgewichen,
als hoher Kunde Zeichen aus ihm flammten.
Da waren Feuerzungen der Propheten,
die schon entzündet uns den Saum der Sätze,
Gesang verstrickte uns in Rätselnetze,
wenn aus dem Spalt des Traumes Gifte wehten.
Ward, Dichter, dir ein Engel nicht gesandt,
dich über den Tumult, den Wirrwarr zu erheben,
da uns der Dämon Ungeduld verbannt?
Läßt dich sein Fittich nicht zu Gärten schweben,
wo Quellen singen, was kein Mund genannt,
wo lichte Fäden webt das dunkle Leben?
Das Fenster Vers
Wie Irrlicht im Gezweig, ein Fenster, fern,
da du gehetzt durch Wälder, dumpf, benommen,
als wolltest abhanden du der Menschheit kommen,
wie schien es jählings dir ein guter Stern.
So freut den Kranken, der im Dunkeln döst,
die durch den Türspalt kriecht, die grelle Schlange.
Er atmet auf, dem vor Chimären bange,
wenn Morgenrot den Krampf der Träume löst.
Mag, Dichter, auch dein Vers ein Fenster sein,
im Unterholz der Angst die Schneise bahnen,
als winke den Verirrten heim ein Schein,
das Trübe filtern in den Reim-Membranen,
als ströme Licht in matte Herzen ein,
der Schwermut streuen Blüten von Zyanen.
Am Ausgang der Fahrten
Wie Tau der Nacht ein feuchtes Schimmern breitet,
wenn sich die Blüten in das Frühlicht recken,
streut dunkler Sinn die goldnen Sonnenflecken
ins Lied, das auf dem Strom des Atems gleitet.
Der Tau verdunstet in den Mittagsstrahlen,
die Reime müssen unterm Monde fahlen.
Die Arme, die wir um die Flammen schwangen,
sie waren bronzen noch vom Wind der Fahrten.
Milch tropfte von den Lenden jener Zarten,
die sich geschmiegt an uns wie holde Schlangen.
Die Glut erlosch, sie ließ nur welke Häute,
zu schwach der Hauch, daß sie sich uns erneute.
Schwachen Atems Epigramme
Du kamst, den Strom zu sehen.
Und schaukelt dich kein Boot,
fühl dich mit ihm verwehen,
Gewölk im Abendrot.
*
Was auf den Stein geschrieben,
verdunkelt war’s vom Moos.
Hast es wohl abgerieben,
riebst auch die Lettern los.
*
Die im Dunkel noch geglommen,
Aster, ihr gesteckt ins Haar,
fiel, von eignem Duft benommen,
wie ein Stern der Nacht ins Maar.
*
In hymnisch angefachter Flamme
erhofftest du ein Allgefühl.
Nur schwachen Atems Epigramme
ließ dir das nichtige Gewühl.
*
Magst wohl an den Baum dich lehnen,
fühlen in der Sommernacht
dich mit Zweigen sternwärts dehnen.
Was die Stirn dir kühlt so sacht,
haucht der Mund nicht der Dryade.
Und was blitzend nach dir zielt,
Maskenblick ist’s der Scharade,
wenn es Fêtes galantes spielt,
dein gequältes Herz, das alte.
Gleich der Knospe ohne Glut
träumt ihm, daß es auf sich falte,
fiele bloß ein Tropfen Blut,
heißes, in den Schlaf der Venen.
Grell ist grauer Herzen Sehnen.
Die Hexe
Aus edlem Blut hat Nacht sie destilliert,
schon schimmert es im Mondlicht auf den Schwellen,
wenn aus dem Bade ihre Flüche gellen,
wo sie im Wahn den Spiegel blank poliert.
Und ist ihr Schrei erstickt, umflattert wild
die rote Glut, ihr Herz, ein Schwarm von Motten.
Sie knistern, um im Abgrund zu verrotten,
doch kommen neue, es brennt ungestillt.
Die Krähe, die auf jenem Seile lauert,
das zwischen Tag und Nacht der Dämon spannt,
stürzt hin, wo stumm sie vor dem Fötus kauert.
Der kalte Schnabel reißt den wüsten Brand
ihr aus dem Leib. Und ist kein Mensch, der trauert,
vermischt die Asche man mit Kalk und Sand.
Robert Frost, Now Close the Windows
Now close the windows and hush all the fields:
If the trees must, let them silently toss;
No bird is singing now, and if there is,
Be it my loss.
It will be long ere the marshes resume,
I will be long ere the earliest bird:
So close the windows and not hear the wind,
But see all wind-stirred.
Die Fenster schließ nun zu
Die Fenster schließ nun zu, laß schweigen die Gefilde:
Müssen es die Bäume, laß schütteln sie sich stumm.
Nun singt kein Vogel mehr, und tut es einer,
ich traure nicht darum.
Es ist noch lang, eh wieder Tau im Ried erglänzt,
Es ist noch lang, eh auf der erste Vogel fliegt:
So schließ die Fenster, hör nicht auf den Wind,
doch schau, wie alles sich im Winde biegt.
Verkarsteter Garten
Karst ward der Garten, kahl und ausgeglüht.
Der Erde Kruste ist wie Kalk zersprungen.
Hier hat schon lang kein Vogel mehr gesungen,
kein taugefüllter Tulpenkelch geblüht.
Die Blütenanmut aus der Nacht geweckt,
die sanften Strahlen wurden Dolche, scharfe.
Was süß gelächelt, starrt als stumpfe Larve,
wie bitter nun die Milch des Mondes schmeckt.
Gebettet in Erinnerns schlichter Schale,
schenkt Duft uns, Dichter, noch die Knospe Wort,
tut auf sie sich wie einst beim heitern Mahle,
womit du uns erquickt im grünen Hort?
Daß ungewässert dir das Wort nicht fahle,
das ohne Tau der Augen bald verdorrt.
Das Netz aus Worten
Der Sonnentag, dich läßt sein Glutblick kalt,
was groß er kündet, willst du nicht mehr wissen.
Du wühlst dich in den Traum, in dumpfe Kissen –
fiel doch die Dämmerung herab nur bald.
Und kommt das Zwielicht, wölbt sich schon das Netz,
worin du zappelst, eine graue Mücke,
daß sie die alte Spinne noch beglücke:
ihr Blut zu saugen, Abgrunds Ur-Gesetz.
Wob auch das Netz ein banger Atem nur,
ein Truggespinst von Versen, die erbeben,
tritt auf die Fäden sacht die Kreatur,
an deren schwarzen Fühlern Tropfen kleben,
gereimten Wehlauts rote Signatur:
Das Netz scheint dichter als das stumme Leben.
Das Rosen-Epigraph
Schmeckst du schon das Salz der Ozeane,
hörst du schon die graue Gischt im Schlaf,
lies des Dichters Rosen-Epigraph,
geh durchs Feld zum Leuchten der Zyane.
Mochte deines Opfers Rauch nicht steigen,
ward dir auf die Stirn das Mal gebrannt,
näh aus Schatten dir ein Bußgewand,
pilgre hin in kühlen Mondes Schweigen.
Siehst die Anmut du an Krücken hinken,
ihres Auges Stern erloschen schon,
pflücke ihr den schwarzen Glanz vom Mohn,
daß von ferne ihr die Schwestern winken.
Schmeckst du schon das Salz der Ozeane,
hörst du schon die graue Gischt im Schlaf,
lies des Dichters Rosen-Epigraph,
geh durchs Feld zum Leuchten der Zyane.
Das einsame Sonett
Der Abendwind, der ihm die Reime kühlt,
bringt dem Sonett nicht mehr aus trauten Zonen
von Hyazinthen Duft, von Anemonen,
so daß es einsam, heimatlos sich fühlt.
Wie eine Silberbrosche am Revers
der abgetragenen Jacke hat es Flecken.
Den alten Glanz kann keiner ihm erwecken:
Behaucht, poliert, das Trübe weicht nicht mehr.
Wie dumpf erloschener Blätter brauner Saum
an eines Schuppens kalkverätzter Mauer,
gedenkt es grünverzweigten Rauschens kaum.
Es hofft vergebens auf den süßen Schauer,
da Morsches schimmert jäh von Himmelsschaum.
Vor Sehnsucht wird es grau nur, immer grauer.
Robert Frost, Plowmen
A plow, they say, to plow the snow.
They cannot mean to plant it, no–
Unless in bitterness to mock
At having cultivated rock.
Pflüger
Ein Pflug, sagt man, den Schnee zu pflügen.
Doch den zu säen wär sich selbst betrügen.
Es sei denn, es soll bitteres Höhnen sein,
hat man den Pflug geschrammt im Totgestein.
Die Schwester der Plejaden
Was du noch halb im Schlafe hast vernommen,
Geschluchz war es, war Melusines Lied.
Wie es vorm Zischen düstrer Flammen flieht,
als wär’s zu Sterngeschwistern nur gekommen.
Und hat das blasse Lid dir aufgeschlossen
der Eos Fingerkuppe, blumenweich,
ist doch der Tau, der von ihr troff, sogleich
im Sonnenaug des grellen Tags zerflossen.
Leg nachts die Knospe Wort in eine Schale,
gefüllt mit reinentsprungener grüner Feuchte,
daß, Dichter, sie nicht vor Osiris fahle
und mit den Schwestern, die gerettet, leuchte.
Und täte sie sich auf zum letzten Male:
Die Nacht verhält, was tags den Duft verscheuchte.
Herbstliches Zwiegespräch
„Von der Knospe weiß ich nur,
Hagel haben sie zerdrückt.
Ich vergaß den Wohlgeruch,
der mich nachts dem Schmerz entrückt.“
„Ist der Duft auch hingeweht,
Erde trank der Blüte Licht,
und was ihren Durst gestillt,
kostbar macht es den Verzicht.“
„Eines weiß ich nur, dein Wort,
wie ein Blatt aufs Herz gelegt,
war von Herbstgefühl erglüht,
kalter Hauch hat’s weggefegt.“
„Wort, es findet Unterschlupf
unterm Moos, im Schnee, der wärmt,
gleich der Bienenkönigin,
die jäh auf zum Äther schwärmt.“
Robert Frost, A Prayer in Spring
Oh, give us pleasure in the flowers to-day;
And give us not to think so far away
As the uncertain harvest; keep us here
All simply in the springing of the year.
Oh, give us pleasure in the orchard white,
Like nothing else by day, like ghosts by night;
And make us happy in the happy bees,
The swarm dilating round the perfect trees.
And make us happy in the darting bird
That suddenly above the bees is heard,
The meteor that thrusts in with needle bill,
And off a blossom in mid air stands still.
For this is love and nothing else is love,
The which it is reserved for God above
To sanctify to what far ends He will,
But which it only needs that we fulfil.
Ein Gebet im Frühling
O, gib uns Freude an den Blumen hier.
Mach, daß unser Sinn sich nicht verlier
an Ernten, die noch ungemäht. Verwahr
uns schlicht im aufgeblühten Jahr.
O, gib uns Freude an der Blütenpracht,
so hell bei Tag, gespenstisch in der Nacht.
Laß uns im Glück der Bienen glücklich sein,
Schwarm, um Bäume schweifend, ursprungsrein.
Gib uns vom Glück des Vogels, der da schwirrt,
und plötzlich überm Bienenvolke sirrt,
der Meteor, die Nadel Schnabel treibt er ein,
und vor der Blüte schwebt er, schwereloser Stein.
Denn dies ist Liebe, und Liebe ist nur dies,
was Gott allein gebührt im Paradies,
sie heiligt, was zum guten End Er will,
doch unser Herz sei Quelle, die ihm quill.
Smart Poems
Smart Poems auf sterilen Plastikscheiben,
die kaum behaucht von grellen Phrasen flirren.
Metapherntrockne Mückenflügel sirren,
wenn sie in Pixelnetzen hängenbleiben.
KI-genährt sind sie wie Embryonen,
doch ohne ein Geschlecht, rein von Gedärmen,
die aus der Zahlenwolke erdwärts schwärmen,
im Schoß der Nacht als Zwitter-Ich zu wohnen.
Kein Dichter muß mehr Blut für die Chimären
vergießen, daß die Schatten Leben mimen,
kein Geistessperma, daß sie sich vermehren.
Im Meer der Algorithmen saugen Kiemen
verfaulte Reime, dumpfen Sinn zu nähren.
Doch er ritzt nie, der Stachel des Sublimen.
Robert Frost, In Hartwood Groves
The same leaves over and over again!
They fall from giving shade above
To make one texture of faded brown
And fit the earth like a leather glove.
Before the leaves can mount again
To fill the trees with another shade,
They must go down past things coming up.
They must go down into the dark decayed.
They must be pierced by flowers and put
Beneath the feet of dancing flowers.
However it is in some other world
I know that this is way in ours.
In Laubwäldern
Überall die gleichen Blätter ohne Zahl!
Sie sinken, die hohen Schattenspender,
ein Tuch zu weben nur, bräunlich-fahl,
und hüllen die Erde wie ein Handschuh aus Leder.
Bevor die Blätter wieder aufsteigen können,
und haben den Bäumen neuen Schatten gebracht,
müssen hinab sie vorbei an keimenden Dingen.
Müssen hinab sie in die Fäulnis der Nacht.
Müssen durchstoßen werden von Blumen,
geduckt unter tanzender Blumen Schuh.
Wie immer es sein mag in anderer Welt,
ich weiß, in der unsern geht es so zu.
Verse, Mücken
Stimmen, Wasser, wildes Kräuseln
hat sich unterm Mond geglättet.
Seufzer, fast im Schmerz ertrunken,
die ans Ufer sich gerettet.
Worte, Knospen, die verschlossen
bang sich vor dem Weltengrauen,
tuen auf die trunknen Lider,
in das Morgenrot zu schauen.
Verse, Mücken, die am Abend
durch den blauen Äther schwimmen,
scharen sich im Dämmerlaube,
und ihr Herz fängt an zu glimmen.
Das entstellte Dichterwort
Die Pickel, die sein Angesicht entstellen,
sie füllen wieder sich mit weißem Schleime.
Da hilft kein Puder aufgeschminkter Reime,
sie nähren sich aus subkutanen Quellen.
Die Lider sind verklebt, sie aufzureißen
schmerzt, aber mehr noch jenen Brand zu sehen,
aus dem die Funken des Gerichtes wehen,
wie trockne Blitze, die im Auge beißen.
Schon ringelt sich empor der Wurm, die Phrase,
verstopft den Mund mit seinem Schlauch, dem blinden,
den After reckt er vor die blasse Nase:
Erquickung soll das Dichterwort noch finden.
Dann schmatzt er in bacchantischer Ekstase
durchs Mark, sich um das Herz des Sinns zu winden.
Albrecht Dürer, Bildnis seiner Mutter
Kühl sind der Aphrodite Marmorlenden,
die Knospe Mund, betaut vom Abendlicht,
Duft dir zu strömen öffnet sie sich nicht.
Trieft Meerschaum noch aus fahler Anmut Händen?
Die Greisin, Augen, die ins Leere stieren,
Fleisch, ausgemergelt, Lippen, stummer Strich,
sterile Furchen, und sie fragen dich:
Wird sich vorm Tod die Seele schon verlieren?
Der Muschel dumpfes Brausen ist verklungen,
was ihr entstieg, zerstob im Gischt der Nacht.
Gestaltung, Abschiedsschmerz still abgerungen,
hat was verweslich wesentlich gemacht.
Es grüne, um ein graues Herz geschlungen,
die Ranke Vers, der Schwermut schlichte Pracht.
Siehe:
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Datei:Albrecht_Duerer,_Bildnis_seiner_Mutter.jpg
Die Haut der Worte
Verrunzelt, übersät mit Altersflecken,
die Haut der Worte. Kehlsack, abgeschlafft.
Kein Wunderbalsam, der sie wieder strafft,
Getast, ertaubt, kein Stich wird es erwecken.
Und die vom Phrasenstaub verstopften Poren,
durch die einmal der Hymnen Odem drang,
schließt weder Seufzen auf noch Klagesang.
Was Stickluft atmet, ist dem Geist verloren.
Den Staub wird dir nur feuchtes Glänzen lösen,
das aus dem Aug der hellen Einfalt rinnt,
Empfindung fädeln sich durch enge Ösen,
wenn ihr das Dichterwort entgegensinnt,
ins Offne lockt mit Gesten, graziösen,
wo Haut und Hirn erquicken Licht und Wind.
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