Skip to content

Preislieder auf das gewöhnliche Leben V

18.04.2014

Gepriesen sei der Kamm,
aus edlem Holz geschnitzt, aus Elfenbein,
aus Silber gefertigt, mit Perlmutt belegt,
wie Finger ausgestreckt
oder zart gekrümmt wie eine Hand.

Gepriesen sei der Kamm,
den du ins das geflochtene Haar gesteckt,
schillernd, eines Meerestieres Schale
aus dünnem Porzellan.

Gepriesen sei der Kamm,
mit dem du, Sklave eines dunklen Dufts,
surfst auf den Wogen blauer Nacht,
süßen Schrecks hinunterbrechend
in die Stille schwerer Flechten,
emporgehoben
von den heißen Fluten der Erinnerung.

Gepriesen sei der Kamm,
des Dichters reines Metronom,
die Rhythmen sinnendunklen Reims
zu zählen, glatt zu strählen.

Gepriesen sei der Kamm,
mit dem du deiner Mutter weißes Haar
zur Totenbahre
hast geglättet und verschönt.

Gepriesen sei der Kamm,
der schmale, aus honiggelbem Horn,
auf dem der Vater dir,
gespitzt-gewitzter Zunge,
das Wiegenlied gesummt, gebrummt.

Gepriesen sei der Kamm,
aus blankem Blech gezähnt,
mit dem die Schizophrene
im geschlossenen Trakt der Psychiatrie
das heilige Empfinden,
sie selbst in eigner Welt zu sein,
sich ekstatisch-automnetisch wiegend,
aus dem unendlich tiefen Wasserfall
ihres Mädchenhaares
hat geschöpft.

Gepriesen sei der Kamm,
der Schönheit adelt,
Dichtung stiftet,
Liebe kündet,
Wahnsinn heiligt.

Kommentar hinterlassen

Note: XHTML is allowed. Your email address will never be published.

Subscribe to this comment feed via RSS

Top