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Skiagraphie oder Schattenkunde aus Schattenmunde

07.04.2014

Kleine deutsche Stilübungen VII

Die Größe des Schattens ist eine Projektion der Summe der Größe des Schatten werfenden Gegenstands und des Einfallswinkels der Lichtquelle. Die wahre Größe des Gegenstands lässt sich daher nicht unmittelbar aus seinem Schatten bemessen.

Morgens und abends, bevor noch eine Hand zu Werke ging und nachdem eine jede erschöpft von ihm abfiel, sind die Schatten am längsten.

Die seltsame Stille des Mittags, von der die Alten wähnten sie sei des Pans, dann, wenn die Sonne im Zenit steht, ist schattenlos.

Sollten wir uns als Schatten, körperlos, sprachlos, wesenlos, im Hades wiederbegegnen, vermöchte ich dich wohl an deiner Haltung, deiner Art, zu gehen und zu stehen, dich vornüberzubeugen und aufzurichten, deiner Art, leicht überstürzt über Pfützen und niederes Buschwerk hinwegzutändeln, wiederzuerkennen.

Wir können einander uns die Schatten nicht abnehmen.

Ein Schattenmund vermag erst wieder zu reden, wenn er ein paar Tropfen warmen Bluts gekostet hat.

Werfen nicht auch Worte Schatten?

Wenn wir uns ganz und unerbittlich ausleuchten, bis jeder Schatten unter dem kalten Licht der Analyse dahingeschmolzen ist, entschwinden wir im Konturlosen, werden wir unsichtbar.

Seine letzten Sätze, der hohle Ton seiner letzten Sätze, warfen einen Schatten auf alles, was er zuvor gesagt hatte.

Erst als sie aus seinem Schatten trat, gewahrte sie die starre Maske seiner Züge.

Während sie das Schweigen in fremde Kontinente verschlug, die unentwegt voneinander wegdrifteten, während sie das Schweigen auf ferne Inseln verbannte, auf denen der Zuruf des anderen nicht mehr zu hören war, vermählten sich ihre Schatten unter dem sinkenden Licht.

Bilden nicht in großer Musik manche Phrasen der Klavierbegleitung den Schatten zur wandernden Sonne des Gesangs?

Wie andere kostbare Vasen oder Faksimiles sammelte er Schatten.

Nachdem er erfahren hatte, dass er das Leben eines anderen geführt hatte, schien er nur noch der Schatten seiner selbst zu sein.

„Geh mir aus dem Schatten!“, rief jener, der wusste, dass das Licht seines Werks ewig leuchten wird.

In großer Dichtung flüstern, wandern, schweben schwerelose Schatten zwischen den Versen – Seelen, unfassbar, Nuancen, unwägbar.

Manche reden ein Leben lang einzig mit ihrem Schatten.

Satan ist der ewige Schatten Gottes.

Im Schatten Gottes sprießen die Blumen des Bösen, deren betörende Düfte wie Opium zunächst Gaukelbilder eines dämonischen Eros, sodann Albträume des ausgemergelten Willens und zuletzt die einfältigen Schattenspiele eines kindisch gewordenen Geistes hervorrufen.

Alles, was uns heilig, gut, lebenswert erscheint, gedeiht unter der wärmenden Sonne der schöpferischen Liebe, wird von lichtvollen Gedanken befruchtet, von den funkelnden Tränen stiller Ergebenheit genährt – doch am Ende wollen wir, erschöpft, gedankenleer und einsam, unter dem Schattenlaub eines alten Gartens wandeln, in dem die Zweige ahnungsvoll säuseln und seufzen, um dort zu sinnen über was auch immer, um dort zu schlafen, von kühlem Schattenmund geküsst zu sterben.

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