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Über die Lust am Widerwärtigen und am Unsinn

03.07.2016

Georg-Büchner-Preis 2016

Wie wir dem hiesigen Intelligenzblättchen entnehmen, stammen folgende Zeilen aus einem Gedichtband eines Autors, der sich der Ehre rühmen darf, den diesjährigen Büchner-Preis verliehen bekommen zu haben:

Wespe, komm in meinen Mund,
mach mir Sprache, innen.

Wir wollen diese sogenannten Verse als ein Zeugnis nehmen, um daran den verrohten, verdunkelten und entarteten Geschmack und Geisteszustand der herrschenden Elite ad oculos zu demonstrieren. Wir bekennen zuvor frei und ohne Scheu, von dem mit dem höchsten Literaturpreis Deutschlands ausgezeichneten Autor sonst keine Silbe gelesen zu haben, ja versichern freimütig, aufgrund des Genusses dieser Zeilen jeder weiteren Vertiefung in dessen Werk auf immer abgeschworen zu haben.

Wir exponieren an dieser Stelle zwei Kennzeichen, die sich gegenseitig bedingen, ja qua inzestuöser Vermischung ästhetisch sterile und geistig debile Monstren hecken: einen degenerierten ästhetischen Geschmack und einen sich an Unsinn und Widersinn weidenden bedauernswerten Geisteszustand unserer Eliten.

Der Wunsch, eine Wespe möge einem in den Mund fliegen, und die Vorstellung, ein mit einem giftigen Stachel versehenes Insekt sei einem in den Mund geflogen, können nur der Wunsch und die Phantasie eines den tiefen Lebensinstinkten entfremdeten Menschen oder sagen wir es in psychiatrischen Termini: eines Masochisten entspringen. Wir wissen, daß uns das Leben mit den unmittelbaren Abwehrreflexen gegen alle Phänomene ausgestattet hat, die als Gefahr der Ansteckung und Vergiftung aus Abfall und Kot, verwestem und faulendem Fleisch uns in die Nähe, in die Quere, ins Gehege kommen. Der Wunsch des Kranken, diese natürliche Schranke zu überspringen, kennt die Psychiatrie in der Symptomatik der Koprophilie, Nekrophilie und anderer Formen des Masochismus. Nennen wir das, was uns aus dem Gedichtfetzen unseres Autors in solcher Weise anmutet, die Lust am Widerwärtigen.

Die poetisch ausgestellte Lust am Widerwärtigen, halten wir fest, offenbart die Leugnung und Verdrängung elementarer Lebens- und Daseinsbedrohungen durch den betroffenen Einzelnen und wenn er sie geschickt, artifiziell und grell dem Zeitdekor gemäß in poetischen und anderen Artikulationen kundtut, auch durch die Gruppe, die sich davon einnehmen oder berauschen oder doch geistig-seelisch repräsentieren läßt. Der Hinweis auf die Tatsache, daß die Folgen von Wespenstichen im Mund einen tödlichen Ausgang aufgrund von Vergiftung und Erstickung nehmen können, möge genügen.

Nun müssen wir nicht darüber belehrt werden, daß in der neueren Dichtung seit Baudelaire, Rimbaud und Trakl Bilder, Metaphern, Vergleiche, die eben diesem Lebensbereich von Schmutz, Verwesung und Ekel entstammen, vielfach und in vielfacher Verwendung aufzuspüren sind: Indes haben sie in diesen Dichtungen den Sinn der Verweisung auf menschliche Lebensbezüge, die innerlich und äußerlich gebrochen und zerbrochen, angefault und beschädigt sind, nicht aber, wie in unserem pathologischen Falle, den Sinn der Verweisung auf Gehalt, Funktion und Relevanz der Grundlage der geistigen Existenz des Menschen: der Sprache, und wie wir an der zitierten Stelle interpretatorisch sinngemäß ergänzen dürfen: der dichterischen Sprache.

Der perverse Wunsch, eine Wespe möge dem Autor in den Mund fliegen, findet also eine poetologische Weiterung und Transfiguration: die Geburt der Sprache und der Dichtung aus dem traumatischen Widerfahrnis, Sprache und Poesie aus dem Ursprung von Trauma und Verwundung – eine typisch deutsche Nachkriegssuggestion, mit der die wirkliche oder vorgebliche Schuld der Väter und Großväter rituell abgebüßt werden soll – bis zur gänzlichen Abschürfung der eigenen seelischen Substanz. Dieses Niederknien in den Schuld-Unrat und stinkenden Abhub der Selbstanklage und Diskreditierung der eigenen Herkunft läßt bei genügend schamloser Zurschaustellung und devoten Knicksen vor den Bonzen und Kuratoren der Schuld-Schund-Industrie und den Preisrichtern für das ekstatischste Wühlen im Sündenmorast bald die Kasse klingeln und die Titelseiten und Formate der kotfressenden Überschreitung vom Portrait des in die Pose des melancholisch geneigten Dulders prangen.

Hier konstatieren wir zunächst ein interessantes sprachliches Phänomen, das die alte Rhetorik Katachrese nannte: die Vermengung unverträglicher sprachlicher Bilder, Wendungen und Metaphern – der achtlosen Vermengung und Vermischung von Sprachen, Rassen, Kulturen und künstlerischen Stilen ohne paradigmatische Auswahl und ordnende Auslese nicht unähnlich, deren hybride Hervorbringungen häßlich oder steril oder stupid oder all dies zusammen zu sein pflegen: wenn das Deutsche von den ätzenden Zungen hergelaufener Kanacken um seine subtilen Ausdrucksvarianten und grammatischen Nuancen kastriert und diese Verunstaltung als multikulturelle Sensation goutiert und gefeiert wird, wenn die Chöre der Antigone von Nutten, Transvestiten und Zuhältern gegrölt und ihre Metren durch sexuelle Triller von Zigeunerinnen zerfetzt werden, wenn sie in die Silberschale der Ode den Urin der Satire schütten, wenn die Kultgewandung des jüdischen Hohepriesters oder des katholischen Bischofs von Penisschaft oder Indianerbemalung konterkariert wird und sie solche und andere Greuel auf ihren Kirchentagen als neue Offenbarung des Heiligen Geistes beklatschen, wenn das Taufbecken mit den Emblemen der Evangelisten von den schmutzigen Füßen der Mohammedaner geschändet wird, wenn die blonde Negerin, Pfeife rauchend, in Lederhosen und Janker über den Laufsteg von Dior watschelt oder der Mund des Dichters vom Stich invasiver Insekten lallend schwillt.

Irgendwie schwebte dem Autor an der zitierten Stelle die etwas ausgelaugte und blutleere Wendung „wider den Stachel löcken“ vor, die in Zeiten neuen Wind bekommt, in denen Hinz und Kunz ihre vorgeblich radikale Haltung darin bekunden, ständig gegen den Strom zu schwimmen. Vermengt ist mit dieser Wendung das ihr widerstrebende Sprachbild vom Stachel, der als schlechtes Gewissen oder als rebellisch-böse Unlust, an Werk und Unwerk der Restwelt teilzuhaben, im Fleische sitzt.

Kann aber, fragen wir ins Eigentliche, am Ursprung schöpferischen Wollens und Tuns wie des sprachlichen und dichterischen, eine sehnsüchtig oder jubilatorisch begrüßte giftig-lebensgefährliche Infektion der elementaren Lebensvollzüge stehen? Wir sehen hier abermals die Umkehrung der großen Traditionen der Antike und der Klassik, der Bejahung, Steigerung, Verlockung des Lebens in die olympische Höhe oder die orphische Tiefe, der produktiven poetischen Lust, den Lebensphänomenen umfänglich und umgänglich universalen Ausdruck zu geben. Müßte sich das Sinnen und Trachten des Dichters darin demütigen, beständig die eigenen oder widerlicher noch die Wunden der anderen zu lecken und im Verwesten zu wühlen, wäre Schweigen Pflicht und Wohltat für die Mitwelt.

Wenn sie des höheren Wunsches nach Sublimierung und Verschönung ermangeln, sollte man ausrufen, laßt tote Dichter tote Worte begraben – oder nekrophil schänden, aber im Verborgenen ihrer Sprachverliese.

Wir sprachen von zwei geistigen und ästhetischen Elementen, die den pervertierten Zeitgeschmack kitzeln und befriedigen: die Lust am Widerwärtigen und die Lust an Unsinn und Widersinn. Nun, es ist ein Zeichen großer Dummheit oder semantischer Verwirrung, zu wünschen und zu postulieren, Sprache solle „innen“ entstehen, wachsen, sein: Sprache entbehrt einer Dimension des Innen – folglich auch einer Dimension des Außen.

Wir können einen Satz an einem bestimmten Ort äußern, in einem Gedichtband auffinden, den Gedichtband in das Innere einer Schublade stecken – aber die Sprache können wir an keinem Ort auffinden und in keine Schublade stecken, in keinen Raum sperren. Wir können mittels Sprache unsere räumlichen und zeitlichen Abmessungen und Dimensionierungen ausdrücken, dokumentieren, archivieren – aber Sprache sensu strictu hat kein Hier und Jetzt, kein Oben und Unten, kein Gestern und Morgen. Darin gleicht sie dem Bewußtsein, und nicht kontingenterweise: Wir sind uns hier und jetzt oder waren uns dort und gestern dieses Gefühls des Ekels oder dieses Gedankens an die Existenz der Sonne bewußt – aber Bewußtsein strictu sensu finden wir nicht hier an dieser Stelle der Raumzeit und nicht dort im Garten, wo wir uns gestern der Existenz der Sonne bewußt wurden.

Es ist ein Elend mit den Dichtern, die mit ihren Gedichten philosophieren wollen und der logisch-semantischen Grundlagen des Denkens entbehren, ähnlich dem Elend der Philosophen, die mit ihren Philosophemen dichten wollen und eine ungenießbare sprachliche Katachrese verstümmelter Gedanken und hinkender Metaphern zum besten geben.

Ein schaler, von Würmern und Maden wimmelnder Salat aus Widerwärtigem und Unsinnigem scheint die bevorzugte Kost des Zeitgeistes zu sein, eine Kost, die nicht nährt und von den empfindsamen Geistern gleich wieder erbrochen wird.

Eine geistige Elite, die solch perversen Neigungen und Gelüsten huldigt, im Lebenswidrigen wühlt, in Abfall und Sprachmüll, zeigt durch dieses Gebaren, daß sie ihren Untergang will, mit ihrem Auftrag, ihre Sprache, Kultur, Tradition zu bewahren, zu erneuern und ins Kommende zu stellen, am Ende ist. Wiederum: Lassen wir die Toten ihre Toten begraben – der große Regenbogen des Lebens biegt sich ins Anfängliche zurück, in die wachstümliche Stille, dorthin, wo nach der Katharsis des Untergangs wieder fromme Dichter mit festlichem Rühmen und anmutigem Spiel die lebendigen Keime aus den Quellen der Schönheit und des Sinnes wässern.

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