Philosophieren XXIV
Was wir sind und wer wir sind, wie wir uns hier und heute befinden und wie es hierzulande und hienieden um uns bestellt ist, erkunden wir über die Analyse und Betrachtung der Verwendung der Adverbien und adverbiellen Bestimmungen, mit denen wir die generischen Ausdrücke für unsere sensomotorischen Aktivitäten, also Verben wie sehen und reden, hantieren und gehen, spezifizieren. Dabei werden wir einer Verknüpfung oder synthetischen Leistung inne, die unser Tun und Lassen, unser Handeln und Wandeln stetig begleitet: Jeder Bewegungsausdruck ist eine Ausdrucksbewegung.
Die Ausdrücke für sensomotorische Bewegungen und Aktivitäten umfassen die Ausdrücke für den Gesichtssinn, den Hörsinn, den Tastsinn, den Geruchssinn, den Geschmackssinn, den Schwere- und Gleichgewichtssinn und die Empfindungen für Wärme und Kälte. Verständigen wir uns darauf, den Redesinn, das Sprech- und Sprachvermögen, in die ehrwürdige Reihe unserer Sinne aufzunehmen – wenn auch als höherstufigen Sinn, da ja zumindest der Hörsinn und der Gesichtssinn ihm in gewisser Weise hierarchisch untergeordnet sind: Du hörst, was der andere sagt, und du hörst, was du selbst sagst. Du siehst, wie der andere auf deine Äußerung mimisch-gestisch reagiert. Diese acht Sinne sind einerseits biologisch geprägt, andererseits dienen sie perfekt unserem gemeinsamen Tun und Handeln im sozialen Raum. Die acht Elementarausdrücke zur Bezeichnung der sieben Elementarsinne heißen: sehen, hören, tasten (fühlen), riechen, schmecken, stehen (gehen), sich warm (gut) fühlen oder überhitzt sein beziehungsweise frieren, reden.
Adverbien und adverbielle Bestimmungen heben hervor, wie du tust, was du tust. Sie sind mehr als verbaler Dekor, den wir um die eigentlich wichtigen Verbalstämme der Ausdrücke für primäre Bewegungen und Aktivitäten winden würden: Es gibt die Verwendung dieser Ausdrücke nicht ohne irgendeinen Bezug auf die Situation, in denen sie verwendet werden. Du siehst nicht einfach in die Welt hinein, sondern erblickst etwas, siehst nach vorn, rückwärts, geradeaus, vor dich hin, du tastest die Fläche mit Blicken ab. Du weichst deinem Nachbarn mit Blicken aus. Deinem wachsamen Auge entgeht der plötzliche Aufflug des Vogels. Der Schüler glotzt gelangweilt oder blöde vor sich hin. Angesichts der indezenten Geste runzelst du die Stirn und rollst unwillig die Augen. Der unter starke Sedativa gesetzte Patient stiert brütend vor sich hin. Bei dem unerwarteten Wiedersehen hast du verdutzt dreingeschaut. Als dich die Erinnerung überkam, hat sich dein Blick verschattet.
Dass elementare Bewegungsarten und -muster wie Suchen, Aufspüren, Verfolgen, Ergreifen und Aufraffen oder Verlieren, Fallen- und Liegenlassen, Verstecken und Tarnen leicht identifizierbar und wiedererkennbar sind, sollte dich nicht wundern, gehören sie doch zur festen Ausstattung des Überlebensrucksacks von sozialen Lebewesen, wie wir es nun einmal sind. Die Elementarsinne werden mittels selbststeuernder sensorisch-nervöser Regelkreise miteinander verknüpft: Du schaust auf deine Hand, während du mit dem Stift die Zeilen schreibend entlangfährst oder mit deinen Fingern auf die Tasten der Tastatur des PCs schlägst, und zugleich betrachtest du abwechselnd das Ergebnis deines Handelns auf den auf dem Blatt oder dem Screen sich darstellenden Schriftzügen. Dadurch registriert dein wachsames Auge die Fehler, die du gemacht hast, und du gehst zu der betreffenden Stelle zurück, um sie auszubügeln und zu korrigieren.
Auch unser Redesinn ist wie alle Sinne in einen komplizierten sensorisch-motorischen und nervösen Regelkreislauf von Input und Output, Aktion und Reaktion, Kontrolle und Fehlerkorrektur eingebaut, der dir erlaubt, absichtsvoll und zweckgerichtet zu reden, sich des Gesagten bewusst zu machen und auf Fehler oder Unklarheiten hin zu kontrollieren und eventuelle Versehen richtigzustellen. Der selbststeuernde Regelkreis bezieht natürlich auch deinen Gesprächspartner mit ein: Du beobachtest an seinem Gesichtsausdruck, wie er deine Äußerung, dir beim Umzug behilflich zu sein, aufgenommen hat. Du entnimmst seiner ausweichenden Antwort, addiert mit der Wahrheit seiner Mimik, dass er eigentlich nicht willens ist, dir zu helfen. Du korrigierst deine Redeabsicht, deinen Bekannten um Hilfe zu bitten, mit der Einsicht in ihre Vergeblichkeit und insistierst nicht weiter. Umgekehrt hat dein Bekannter an deinen dringlich bittenden Blicken, mit denen du dein Hilfeersuchen an ihn komplettiert hast, die Intensität deines Wunsches oder das Gewicht der Bitte an ihn erkannt, aber auch, was mit seinem Entgegenkommen impliziert wäre: eine Annäherung, die aus eurer Bekanntschaft am Ende eine Freundschaft machen könnte. Nicht aus Bequemlichkeit, sondern weil ihm an einer noch stärkeren Annäherung und Intensivierung der Beziehung mit dir nicht gelegen ist, hat dein Bekannter dich abschlägig beschieden. So hat er dir höflich lächelnd geantwortet, wobei er wie teilnahmslos in die Ferne schaute.
Du hörst nicht einfach, was da an Schallwellen aus dem sinnfreien Kosmos dein Ohr trifft. Du hörst genau hin, was dein Freund dir rät. Die Fragen, die dir der Prüfer in der mündlichen Prüfung stellt, saugst du förmlich in dich ein. Das leise Knabbern in deinem eichenen Schlafzimmerschrank gibt dir zu denken. Du lauschest erwartungsvoll auf die Geräusche des erwachenden Morgens. Du überhörst geflissentlich die unschönen Bemerkungen des Kollegen über einen anderen Kollegen. Du neigst dein Ohr den schmeichelhaften Einflüsterungen des fliegenden Händlers. Du bist ganz Ohr, wenn in den Nachrichten ein großer Anschlag vermeldet wird. Du spitzt die Ohren, wenn du auf das akustische Signal wartest, das dir das Eintreffen einer wichtigen E-Mail ankündigt.
Du bückst dich nach vorn und überblickst aufmerksam den Fußboden in der nächsten Umgebung des Fahrscheinautomaten, der dir soeben eine Euromünze ausgespuckt hat, die dir in einem Augenblick der Unaufmerksamkeit aus der Hand glitt. Sogleich beginnst du aufgeregt und mit verdoppelter Aufmerksamkeit nach dem Geldstück zu suchen. Nach scharfer Bemusterung des Bodens entdeckst du die silbrig schimmernde Münze und raffst sie hastig auf. Der Bogen der bewussten und zielgerichteten sensomotorischen Aktivität beginnt mit den tastend-wachsamen Suchbewegungen der Augen und schließt sich mit dem Auffinden des gesuchten Objekts und seiner Bergung.
Unser generischer Ausdruck für die sensomotorische Aktivität des Sehens, also „sehen“, wird mittels adverbieller Bestimmungen präzisiert und spezifiziert: Du siehst nicht einfach ins Allgemeine hinein oder auf die Welt, ohne dass dein Sehen in der singulären Situation mit spezifischen Merkmalen verbunden wäre. Andernfalls käme nichts Besseres als ein dummes Gaffen und dämliches Glotzen zustande. Du siehst auch nicht ziellos um dich – als ließest du unmotiviert und müde die Blicke schweifen. Du siehst auch nicht schlicht auf den Boden – als stiertest du vor dich hin. Vielmehr tastest du den Boden gezielt mit Blicken ab. Der Bewegungsausdruck, der beschreibt, wie du tastend und wachsam mit Blicken einen Gegenstand suchst und eine Fläche oder einen Rauminhalt abtastest, wird spontan mit der Ausdrucksbewegung verknüpft und synthetisiert, gemäß welcher du auf mich einen nervös-erregten und unruhig-suchenden Eindruck machst.
Ich bin nicht genötigt zu sagen: „Deine hastigen, nervösen Bewegungen in der Nähe des Fahrkartenautomaten sehe oder interpretiere oder deute ich als dein Suchen nach einem verlorenen Geldstück.“ Ich bin nicht genötigt zu sagen: „Aus deinen hastigen, nervösen Bewegungen in der Nähe des Fahrkartenautomaten schließe ich auf deinen inneren, mir direkt nicht zugänglichen Bewusstseinszustand, den ich als deine Absicht erschließe, ein verlorenes Geldstück zu suchen.“ Weil jeder Bewegungsausdruck eine Ausdrucksbewegung mit sich führt, sehe und verstehe ich sofort und unmittelbar, was du da treibst. Jedenfalls sehe und verstehe ich, dass du aufgeregt bist und etwas suchst. Und weil du um den Fahrkartenautomaten herum suchst, gehe ich natürlich davon aus, dass du ein verlorenes Geldstück suchst. Solltest du indes eine aus dem Auge gefallene Kontaktlinse suchen, läge ich zwar unrecht mit der Annahme, du suchtest nach einer Münze, aber recht in der Annahmen, dass du überhaupt nach etwas suchst.
Wenn du einer älteren Dame vor dem Fahrkartenautomaten ansichtig wirst, die irritiert und verwirrt ob der ihr unverständlichen Bedienungsanweisungen den Kopf schüttelt und hilfesuchend um sich schauend einen freundlichen Menschen, wie du es bist, erblickt, was wirst du wohl tun? Gewiss doch der Dame deine Hilfe anerbieten, wenn sie dich mit bittenden Blicken darum ersucht. Wir versehen zurecht den generischen Ausdruck für das Sehen, hier „blicken“, mittels der adverbiellen Bestimmung „bittend“ mit einer spezifischen Information, die uns die Augen für die nunmehr konstituierte soziale Situation öffnet.
Wir können mittels der adverbiellen Bestimmungen der generischen Ausdrücke für das Sehen und Reden alle bedeutsamen sozialen Situationen erschließen. Aber auch der angeblich dem unmittelbaren Verstehen verschlossenen Erlebnis- und Bewusstseinszustände unserer Gesprächspartner und Lebensgenossen können wir mittels adverbieller Bestimmungen der Ausdrücke für ihr Sehen, Reden oder Fühlen ohne weiteres inne werden. Auch die verborgenen und verhehlten Absichten, die heimlichen Wünsche und verhüllten Scham- und Schuldgefühle zeigen sich und werden uns als modifizierende adverbielle Spezifikationen unserer generischen Ausdrücke greifbar. Denn in demselben Maß, in dem du dich unbefangen, verständig und offen gebärdest, dein Tun und Reden freisinnig und freundlich sind, zeigen sich im umgekehrten Falle dein Tun und Reden hinterhältig und misstrauisch, gebärdest du dich befangen, verlegen und schamhaft. Dies zu sehen und zu verstehen und mittels korrekter Verwendung unserer adverbiellen Bestimmungen für die generischen Ausdrücke des Tuns und Handelns zu spezifizieren, bedürfen wir keiner speziellen sogenannten Hermeneutik oder Interpretations- und Seelenzergliederungskunst. Jeder Gassenjunge versteht es ja.
Du blickst deinem Gegenüber ruhig und entschlossen in die Augen. Du blickst verlegen und beklommen, beschämt oder schuldbewusst weg, in eine andere Richtung oder zu Boden. Du schaust dich bang und ängstlich um, als ob einer dir folge oder dir nachblicke. Sie blickt spöttisch oder höhnisch auf den entlarvten Scharlatan herab. Als unvermutet ihr Name bei Tisch fiel, wurdest du puterrot, verhaspeltest dich und redetest nur dummes Zeug daher. Selbstbewusst, keck oder siegessicher blickt der Prüfling in Richtung Prüfungskommission. Unterwürfig und kriecherisch-schmeichelnd schlägt der ertappte Dieb die Augen nieder. Dreist, hoffärtig und hochmütig blickt der Erpresser, der Heiratsschwindler oder Erbschleicher auf sein Opfer. Verzückt und beseligt schaut der Verliebte seiner Angebeteten nach. Der Dichter geht frei und einsam seines Wegs und hält inne vor einem verlorenen Kinderhandschuh, einem unleserlich gewordenen Papierschnipsel, einer zerknüllten Zigarettenschachtel einer alten Marke – er schaut träumerisch, vielsagend, geheimnisvoll vor sich hin.
Du hast stockend, leiernd oder hastig geredet. Deine Rede ging dir flott und flüssig von den Lippen, du hast dich nicht verhaspelt oder gestottert und gelispelt. Er trug seine Thesen vollmundig, großsprecherisch und triumphierend vor. Sie brachte leise, bedächtig und umständlich künstliche Einwände vor. Als er auf seine Urlaubserlebnisse angesprochen wurde, sprudelte es nur so aus ihm hervor. Er sprach manieriert, ausufernd, ohne Punkt und Komma. Er hat seine Fehler offen und freimütig einbekannt. Bei trivialen Sachen wurde er langatmig, bei hintergründigen lapidar. Auf sein Vergehen angesprochen, wurde er einsilbig und wortkarg. Auf der Karriereleiter frisch aufgestiegen, redet er nunmehr von oben herab mit dir und befleißigt sich eines schneidenden und klirrenden Tones. Weil er etwas zu verbergen hatte, bediente er sich eines gleisnerischen und mysteriösen Tonfalls. Er rutschte verlegen auf seinem Hosenboden hin und her, und was aus seinem Munde kam, war das Gegenteil von zungenfertig: Es war verdruckst und voll rätselhaft-verquälter Anspielungen.
Du erblickst die alte, etwas gebrechlich wirkende Dame, wie sie vor dem Fahrkartenautomaten aufgeregt die Bedienungsanweisung liest, ihre Geldbörse öffnet, kein passendes Münzgeld findet und zu einem 10-Euro-Schein greift, den in den saugenden Schlitz einzuführen ihr auch tatsächlich gelingt. Im Hintergrund ertönt schon die Ansagestimme mit dem Hinweis auf den einfahrenden Zug. Hastig entnimmt die alte Dame die Fahrkarte aus dem Automaten und eilt in Richtung Bahngleis, ohne Gedanken an das jetzt herabklimpernde Wechselgeld. Nun, du bist ein anständiger Mensch und alten, etwas gebrechlichen Damen zugetan. Also schüttest du rasch die herabgekollerten Münzen in die Hand und rennst der Alten hinterher, holst sie ein und überreichst der freudestrahlenden und vor Dankbarkeit dahinschmelzenden das vergessene Geld. Nachdem du die Frau noch höflich bis zur Tür der S-Bahn geleitet hast, schreitest du zufrieden lächelnd und hochgemut blickend von dannen.
Wäre ein anderer weniger netter, ein bösartiger Kerl an deiner Stelle gewesen und hätte die Situation mit der alten Dame aus gebührender Entfernung mit verstohlenen Blicken argwöhnisch beobachtet, hätte er das vergessene Wechselgeld betrügerisch an sich gerissen und damit einen gemeinen Diebstahl begangen. Von der bestohlenen Dame wären ihm keine Dankesworte und kein liebreizendes Lächeln zugeflogen und zuteil geworden. Der gemeine Kerl schliche sich, hinterhältig um sich schauend und feige vor sich hinblickend in die dunklen Winkel seines verkommenen Lebens zurück.
Wir beziehen uns demnach mit den adverbiellen Bestimmungen der generischen Ausdrücke für unser sinnfälliges Tun und Handeln nicht nur auf Erlebnisinhalte des Bewusstseins wie aufgeregt, leidenschaftlich oder fad und lau. Wir erschließen uns mit dieser erprobten sprachlichen Technik auch Merkmale sozialer Eigenschaften wie hochmütig, beschämt und dankbar. Auch die Zuweisung moralischer Eigenschaften wie anständig und moralisch verwerflich können wir mittels der Verwendung der Adverbien und adverbiellen Bestimmungen für moralische Qualitäten wie offenherzig, höflich, hilfreich oder feige, hinterhältig und durchtrieben mit Rücksicht auf die Bedürfnisse unseres Alltagslebens ausgezeichnet regeln und ordnen.