Skip to content

Schlafen, versickern

05.10.2022

Dort wo hinabsinkt der Tag
in die Schattengrüfte der Erde,
brennt es am Himmel,
oder es streuen unsichtbare Hände
Rosenglut auf sein Grab.

Ich aber möchte, sagt das Gedicht,
das unterm Flechtenbart eines Felsens
der vom Mond geweißten Alpenwand
staunend entsprang
und im Frühlicht des Enzians
gläubiger rieselt,
erschauernd unter eines Gamsbocks
schlürfender Zunge,
vom Mittagsdust bitterer Kräuter benommen,
hört es die Ziege sie rupfen,
ins Tal, wo der Nebel die Abendglocke verschluckt,
sich schlängelnd hinab,
im dämmernden Hain von Astern
und Dahlien, die im Halbschlaf sich wiegen,
seufzend ins Moosdunkel sickern.

Dort wo die Nacht sich verhaucht,
flimmert ein wolkiger Flaum,
einer fliehenden Schönen Locke,
gewickelt um den rosigen Finger
der wunderlichen Göttin,
die Homer als Eos besingt.

Ich aber möchte, sagt das Gedicht,
ein aus Eichenholz gezimmerter Bottich
unter dem Rohr der Gartenhütte,
die klingenden Tropfen des Sommerregens sammeln,
und tunkt im Morgengrauen die Lieblingin
der Blumen die blecherne Kanne,
erquickende Feuchte zu gießen
über die dürstenden Schwestern
sapphischen Sangs,
Rosen, Rhododendron und euch,
schwermütige Veilchen,
leergeschöpft
unterm Gezwitscher der Zweige
in den Tag hinein schlafen,
schlafen, bis wieder Tröpfeln mich weckt,
die weiche Sonate des Regens.

 

Comments are closed.

Top