Wie es war – wie es sein wird
Sie schleppen sich dahin, jeder mit seinem Bündel, seinem Ranzen, seinem Rucksack. Die Männer ziehen wie Vieh Karren und Wagen, vollbeladen mit Säcken, Kisten, Koffern. Hausrat. Lappen, Besen, Bettzeug. Hin und wieder ist auf der Spitze der Ladung ein dürres, altes Männlein, ein hageres, altes Weiblein festgebunden.
Asche im Haar, verrußtes Gesicht. Aufgeplatzte Lippe. Beulen, Pickel, Wunden.
Asche im Haar, fahles Gesicht, gelblich. Die Augen trüb-wässrig, glasig-starr. Träge an sich schleppend, an der Last. Der Last. Einer torkelt, einer fällt. Man geht vorbei, man stolpert darüber hinweg.
Alle mager, dürr, zittrig. Kinder mit Hungerbäuchen. Die Wälder, Forsten, Felder – alles von giftigen Gasen verderbt, unfruchtbar. Die Tiere im Wald, das Vieh in den Ställen tot. Aas. Müll, der qualmt. Die Bäume Krüppel.
Die Frauen mit ausgebleichtem Kopftuch, mit losem, wehenden Mantel, grau, blassgrün, schwarz. Die jungen Mädchen haben sich mit Ruß und Asche beschmiert, entstellt. Die wenigen Säuglinge hütet man wie Augäpfel, trägt sie in auswattierten Taschen, weichen Gehängen. Die kleinen Kinder sind mit Kordeln am Mantelgürtel der Mutter angebunden, manche lassen sich quengelnd oder todmüde ziehen.
Die Männer, nur wenige sind jung, tragen zerschlissene Joppen, geflickte Hosen. Manche schäbig gewordene, rissige Anzüge aus feinem Stoff. Mützen, Kappen, Hüte, auch Kopftuch wie die Frauen. Man sieht verbeulte Zylinder wie aus märchenhaften Tagen versunkener Festlichkeiten.
Alle Männer haben Messer oder Totschläger im Gürtel stecken. Etliche tragen Pistolen, Karabiner, Maschinengewehre. Das sind die frischen, wohlgenährten Befehlshaber. Sie haben Zigaretten, sie haben Dosen mit Fleisch gehortet, Flaschen mit Wein und Wodka. Es sind die Freien, die Geber und Nehmer von Leben und Tod.
Der Treck zieht weiter. Ein Karren bricht unter der Last. Das Weib schreit. Der Mann flucht. Die anderen ziehen gleichmütig-stumm vorbei.
Zwei Kerle machen sich mit Messern an einem Pferdekadaver zu schaffen. Der liegt aufgedunsen am Wegrand, fliegenumschwirrt.
Weit auf dem Stoppelfeld hört man ein Mädchen schreien und um Hilfe rufen. Zwei junge Kerle befriedigen ihre Lust. Keiner rührt sich, alles zieht weiter. Das Mädchen schreit, schreit. Ein Bewaffneter strebt entschlossen dem Ort des Geschehens zu. Zwei gezielte Kopfschüsse. Stille. Das Mädchen trottet dem Soldaten hinterher zur Straße. Es entdeckt seine beiden Brüder und läuft freudig auf sie zu. Sie spucken vor ihm aus.
Abends lagern die Fahrenden auf offenem Feld. Die Karren werden in einem weiten Umkreis aufgestellt. Eine breite Zufahrt bleibt zunächst offen. Man befestigt Planen an den Karren zum Schutz vor Regen und Wind. In der Mitte des Kreises werden Holzscheite aufgeschichtet. Jetzt züngeln Flammen, steigen auf. Beißender Rauch. Dann schlägt die Glut durch. Leichname von Mitziehenden, die tags den Strapazen zum Opfer gefallen waren, werden vor dem Feuer kunstgerecht zersägt und entbeint.
Nach dem Mahl wird durch den Einlass zur Wagenburg von kräftigen Burschen ein hoher Planwagen bis vor das Feuer gezogen. Man schiebt die Planen zur Seite. In der Mitte des Wagens wird die Gestalt eines jungen, fettglänzenden Weibes sichtbar, üppig-blühend, süßlich-schwellend. Aus der kleinen Höhle ihres lippenstiftverschmierten Munds lodert panisch die obszöne Zunge. Ihr monströser Leib ist in geschmeidige Linnen von blauer und grüner Seide geschlungen. Auf der Stirn, die von Schweißtropfen perlt, funkelt ein goldenes Diadem. Während eine Gruppe im Hintergrund rührselige Weisen anstimmt – immer wieder jäh unterbrochen von gellenden Jodlern –, defilieren die Fahrenden vor der Thronenden: Ein jeder beugt sich tief vor ihr hinab und küsst einen prunkvollen Ring an ihrem Zeigefinger. Nach dem Ritual drängen sich alle in Reih und Glied vor der Herrscherin. Etliche Männer und Frauen suchen sich und stellen sich ganz in die Nähe der Vergötzten. Sie halten krampfhaft ihre Hände umschlungen. Das fette Weib erhebt sich plötzlich unter dem Stöhnen der Menge. Sie zeigt mit dem beringten Finger in die Runde und bestimmt die Paare, die diese Nacht Nachkommen zeugen sollen. – Die Augäpfel der Matriarchin glänzen unter dem letzten Lodern des Feuers auf: Sie sind milchig und tot.