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Logische Schneisen XI

31.01.2014

Die Dimensionen des logischen Raums, Sprache, Intentionalität, Bewusstsein und Rationalität, sind systematisch verknüpft, das heißt sie implizieren sich wechselseitig. Auf diese Weise bilden sie einen begrifflichen und axiomatischen Zirkel, der die Grenze zwischen den Gegensätzen absichtsvoll/unwillkürlich, intentional/kausal, sinnvoll/sinnlos sowie rational/irrational definiert.

Wenn du die Behauptung äußerst „Ich glaube, dass der Mond der Erdtrabant ist“, äußerst du einen Satz über deinen intentionalen Zustand des Glaubens, der nicht eintreten kann, ohne dass du dir seiner bewusst bist; und weil du nicht nur glaubst, dass der Mond der Erdtrabant ist, sondern auch, dass ein Erdtrabant ein Planet ist, der die Erde umkreist, gibst du anhand der Kohärenz dieser Überzeugungen eine wenn auch geringfügige Probe deiner Fähigkeit zu rationalem Denken.

Dein behauptendes Sprechen impliziert das Bewusstsein des intentionalen Zustands des Glaubens oder Meinens oder Überzeugtseins sowie die Vereinbarkeit der geäußerten Überzeugung mit möglichst vielen und bestenfalls all deinen restlichen Überzeugungen. Wir halten fest: Behauptungen setzen die Kohärenz der in der Behauptung geäußerten Überzeugung mit möglichst vielen (bestenfalls allen) empirischen und logischen Annahmen des Sprechers voraus, die sich in einem Netz von Überzeugungen und Annahmen wechselseitig implizieren oder auseinander ableitbar sind oder wechselseitig ausgrenzen und negieren.

Sollte sich bereits an der logischen Form des geäußerten Satzes zeigen, dass er nicht sinnvoll ist, wie bei dem Satz „Ich glaube, der Mond ist der Erdtrabant, und ich glaube nicht, dass ein Planet die Erde umkreist“, können wir aus der sinnwidrigen Behauptung auf eine Inkonsistenz im Netzwerk der Überzeugungen des Sprechers schließen. Ob das Gewebe des Netzwerks nur an dieser Stelle gleichsam einen Riss hat oder ob sich der Riss über die gesamte Fläche des Netzes ausbreitet, können wir erst mittels weiterer Stichproben anhand weiterer Behauptungen der Person ausfindig machen. Sollte sich bei genügend Proben erweisen, dass die Person nicht willens und in der Lage ist, aktiv und umfassend Inkonsistenzen aus dem rationalen Gewebe ihrer Überzeugungen auszuschließen, beginnen wir leise Zweifel am rationalen Status der Person zu hegen.

Wir bemerken, dass wir gleichsam anhand des Schattens des Logischen die Schatten werfenden logischen Strukturen erfassen und aufbauen können. So wie wir anhand der fatalen Nah- und Fernwirkungen von Inkonsistenz im Glaubensnetz einer Person die Forderung nach Konsistenz als erste Forderung der Vernunft und des logischen Raums erfassen können.

Dabei unterscheiden wir streng Inkonsistenz als sinnwidrige Behauptung von Irrtum als Behauptung eines falschen Satzes. Wir können von sehr vielen Dingen das Falsche und Unwahre annahmen, ohne im Geringsten Gefahr zu laufen, Zweifel an der Berechtigung unseres Status einer rationalen Person zu erregen. Wenn ich glaubte, die Erde sei eine Scheibe, die Sterne würden von Engeln bewegt und hinter den Sieben Bergen hausten Pegasus und Einhorn, wäre ich nicht unvernünftig, sondern nur ein bisschen hinterm Mond.

Irrtümer und verkehrte Überzeugungen dieser Art hindern mich nicht daran, beim Bäcker und im Supermarkt einzukaufen, mit dir nett zu plaudern (außer über Einhörner und Verwandte) und meinen Alltag zu organisieren, kurz mittels der mehr oder weniger korrekten Verwendung spezifischer Sprechakte des Behauptens, Aufforderns und Versprechens und den sie begleitenden intentionalen Zuständen im Leben klar zu kommen.

Wer aber den Widerspruch in sein Glaubenssystem gastlich aufnimmt und dort sein Zerstörungswerk ungehindert durchführen lässt, überschreitet früher oder später die Grenzen des logischen Raums von Sprache und Bewusstsein. Er scheint noch zu sprechen, aber da er zugleich das Gegenteil dessen, was er sagt, annimmt, teilt er uns nichts mehr mit, oder er teilt uns mit, dass er die Fähigkeit zur Übermittlung von Informationen eingebüßt hat. Er gibt uns zu verstehen und zu bedeuten, dass er die Fähigkeit des Bedeutungsverstehens verloren hat – er ist bedeutungsblind geworden.

Der Bedeutungsblinde versteht die Funktion der Zeichen nicht, nämlich einen Gegenstand zu bezeichnen und damit zugleich all das, was dieser Gegenstand nicht ist, auszuschließen oder abzugrenzen. Das Prädikat „rot“ versieht den Gegenstand mit einem Farbbegriff und schließt ihn zugleich von der Anwendung aller anderen Farbbegriffen aus. Hier bemerken wir, dass Bedeutungsverstehen auf der formalen Fähigkeit der Zuschreibung von Prädikaten derselben Kategorie und der Negation aller anderen Prädikate derselben Kategorie beruht.

Wenn wir sehen, wie jemand auf die Tafel schreibt „Ich bin über 30 Jahre alt, ich bin unter 30 Jahre alt, mein Vater lebt in Frankfurt, mein Vater liegt schon fünf Jahre auf dem Waldfriedhof“, könnte er sich als rationale Person ohne jeden Anflug inkonsistenten Denkens erweisen, wenn er auf unsere Nachfrage, was er denn da treibe, erklärt, er bereite grammatische Übungssätze für den Deutschunterricht vor.

Von dem Bedeutungsblinden aber können wir vergleichsweise sagen: Er öffnet das Fenster und schließt es gleich wieder. Er ruft jemanden an und legt sofort auf, wenn der Angerufene den Hörer abhebt. Er befeuchtet das Handtuch, mit dem er sich abtrocknen will. Er schreibt einen Satz nieder und streicht ihn wieder durch. Er multipliziert jede Zahl mit null. Er tritt gleichzeitig auf die Bremse und gibt Gas.

Der Bedeutungsblinde ist unfähig, in der pragmatischen Kommunikation des Alltags seine intentionalen Zustände und Absichten deutlich und verständlich kundzutun. Er verspricht etwas, ohne den festen Willen und die Absicht haben zu können, das Versprochene laut Verabredung einzuhalten und zu verwirklichen – er zeigt damit nicht seine Untreue und seine notorische Unzuverlässigkeit oder Vergesslichkeit, sondern sein Unverständnis dafür, um welchen Sprechakt es sich beim Versprechen eigentlich handelt. Jemanden, der seine Versprechen und Zusagen hartnäckig bricht, zeihen wir rechtens der charakterlichen Unzuverlässigkeit und tadeln ihn in der wenn auch wenig aussichtsreichen Hoffnung auf Besserung – den Bedeutungsblinden aber können wir nicht einmal tadeln, da es ihm nicht möglich ist, für die moralischen Folgen des Sprechakts des Versprechens geradezustehen und Verantwortung zu übernehmen. Wir reden hier nicht von Charakterschwäche, sondern von Geisteskrankheit.

Sprechen heißt, Grenzen ziehen, die Grenze der Anwendbarkeit von Prädikaten bestätigen oder zu verschieben suchen. In der Schwarz-Weiß-Welt impliziert die Behauptung „Dieser Fleck ist nicht schwarz“ die Behauptung „Dieser Fleck ist weiß“. In der Drei-Farben-Welt impliziert die Behauptung „Dieser Fleck ist rot“ die Behauptung „Dieser Fleck ist grün oder blau.“ Wir sagen etwas umständlich zur Verdeutlichung: Dieser Gegenstand gehört zur Menge aller Gegenstände, die in der Drei-Farben-Welt die Eigenschaft haben, rot zu sein, und er gehört nicht zur Menge aller Gegenstände, die die Eigenschaften haben, grün oder blau zu sein. Wenn ich die Zugehörigkeit eines Gegenstands zu einer Menge M1 festgelegt habe, habe ich gleichzeitig die Nicht-Zugehörigkeit des Gegenstands zu jenen Mengen M2, M3 … Mn festgelegt, die mit M1 denselben logischen Raum – hier den Farbraum – teilen.

Die Äußerung eines Sprechers in der Schwarz-Weiß-Welt „Dieser Gegenstand ist weder schwarz noch weiß“ manifestiert keine Sehschwäche, sondern Bedeutungsblindheit bei der sinnvollen Verwendung der Farbausdrücke. Der Satz „pi ist rot“ ist nicht falsch, sondern unsinnig, weil der Sprecher den kategorialen Unterschied von Zahlbegriffen und Begriffen von Gegenständen in der Raum-Zeit verkennt, dem gemäß Zahlen aus dem Farbraum gleichsam ausgesperrt sind. Über pi kann man nur sagen, was zu sagen im logischen Zahlenraum sinnvoll zu sagen ist, zum Beispiel dass es eine transzendente Zahl ist, dass es nicht die Lösung einer Gleichung darstellt und dergleichen mehr.

Wenn wir in der Schwarz-Weiß-Welt Schattierungen und Nuancen zulassen und jemand äußert: „Dieser Gegenstand ist weder schwarz noch weiß“, schließen wir daraus nicht auf Bedeutungsblindheit bei der sinnvollen Anwendung von Farbausdrücken. In diesem Fall ist die Konjunktion der Sätze „Dieser Gegenstand ist nicht schwarz“ und „Dieser Gegenstand ist nicht weiß“ kein Widerspruch, und der Sprecher ist nicht in die Falle des Selbstwiderspruchs und der Inkonsistenz getappt, wenn der Gegenstand grau ist.

Der formale Ausdruck der Inkonsistenz ist die Behauptung von p und nicht-p in einer relevanten Situation, die demselben Sprecher Behauptungen über denselben Gegenstand zuordnet. Wir stellen fest: Inkonsistenz ist gleichsam der Schatten von Behauptungen, nicht von Sätzen. Sätze wie „Der Kanzler von Deutschland ist ein Mann“ und „Der Kanzler von Deutschland ist eine Frau“ sind geäußert zur Zeit der Kanzlerschaft von Frau Merkel und Herrn Schröder falsch, geäußert zur Zeit der Kanzlerschaft von Herrn Schröder und Frau Merkel richtig. Die beiden Sätze werden inkonsistent, wenn sie als Konjunktion von derselben Person zur Zeit der Kanzlerschaft Schröders oder Merkels geäußert werden.

Dagegen bilden die beiden Sätze „Der Mond ist der Erdtrabant“ und „Der Mond ist aus grünem Käse“ keine Inkonsistenz, auch wenn der zweite Satz falsch ist und auch wenn sie von derselben Person angesichts des gerade prachtvoll aufgehenden Vollmonds geäußert werden.

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