Im Dickicht der Sprache
Fern gehen die Ströme, zu münden im Grenzenlosen,
und die uns Keime geweckt aus dunkelnden Krumen,
daß wir Altäre schmückten mit flammenden Rosen,
die Strahlen verglommen in nächtlichen Geisterblumen.
Die Pfade, die wir tags durchs Dickicht der Sprache
uns bahnten, überwucherte Nacht jäh mit Farnen,
die Lichtung blühender Verse ward staubige Brache,
Gras starrte, umwickelt von tauumzitterten Garnen.
So sind wir schweigend zum Uferschilfe geschritten
und streuten, was uns geblieben, der Lilie Leuchten
aufs Wasser, als hätte Liebe umsonst nicht gelitten,
wenn Scheideblicke die bleichen Wangen ihr feuchten.
Laß, Dichter, den Vers auf Wassern, nachtgrünen, hinschweben,
die scheue Blüte von Mondes Küssen erbeben.
Träum ich hinaus
Träum ich hinaus in früher Gärten Fülle
und wirble auf den goldenen Pollenstaub,
winkst du mir lächelnd aus der Blütenhülle,
verbirgst du schelmisch dich im Schattenlaub.
Tast ich hinan bemooster Sehnsucht Stufen,
beglückt, wie Dämmer Morgenschimmern wich,
hör ich dein Jauchzen in den Vogelrufen
und seh in feuchten Veilchen weinen dich.
Umklammert meine Schläfen Dämons Zange,
und wühl in Kissen ich nach Dunkelheit,
kühlt mich die Blume deiner weichen Wange,
versinkt mein Schmerz, von Zärten überschneit.
Schenk, Dichter, dem Verlornen sanfte Bilder,
mit Moosen mach den rauhen Pfad ihm milder.
Die Wolke Schweigen
Wie Silberdunst löst sich die Wolke Schweigen
im Abendlichte auf, müd seufzt der Wind
dem Zittergras und huldvoll sich zu neigen
den Knospen, die voll Tau und Schlummer sind.
Die Wasser wogten durch das Gras zu Tale
und fanden keinen Halt dem wilden Schaum
als in des Teiches moosig-grüner Schale,
wie Unbehauste Ruh an Edens Saum.
So quoll dem Sommer Licht aus dunklen Bronnen,
ins Blaue stiegen Funken, Lerchensang,
nun fahlt im Schnee die Majestät der Sonnen,
der volle Mond schwebt matt im Traubenhang.
Mag, Dichter, sich dein Vers wie Efeu ranken,
sein Glanz dem Tag, der Nacht sein Rauschen danken.
Die Muse am Pfahl
Der Dunkle hat dich an den Pfahl gebunden,
hat ritsch, die Kleider, ratsch, dir abgerissen,
sein Terrier grinsend vor dir hingeschissen.
Dein Lid schloß sich, o Fittich über Wunden.
Mit einer Scherbe kratzte er dir Zeichen,
ruchlose Runen, in den Schnee der Lenden,
die solltest du in süße Laute wenden,
ob sie den Stein in seiner Brust erweichen.
Doch troff aus schiefem Munde nur ein Lallen,
und als die Wolke vor den Mond geglitten,
hat er das Herz dir aus dem Leib geschnitten,
ließ vor dem fletschenden, dem Hund es fallen.
Flieh, Dichter, aus dem Lande der Barbaren,
im Schrein des Herzens birg der Sprache Laren.
Grüner Nacht Opale
Der Mond geht auf, duftlose Lotosblüte,
die auf dem blauen Teich der Herbstnacht schwimmt,
von jener Schönen, deren Rouge verglühte,
blieb ihr die Milch nur, die wie Schneelicht glimmt.
Vergossen ist der Schmelz der Nachtigallen,
das edle Wild hat sich im Schilf versteckt,
ein goldenes Horn hört dunkel es verhallen,
ist süß der Klang, es ward zu Tod erschreckt.
Nun rollen Augen geisterhaft im Laube,
die Waldmaus huscht ins rettende Verlies,
schon lockt im Morgenrot die junge Taube,
ist tödlich auch die Frucht im Paradies.
Scheu, Dichter, häuf auf Liedes zarte Schale
der Trauben Gold und grüner Nacht Opale.
Heller Waldnacht Schauer
Die Rose Schönheit schwimmt mit wilden Schwänen,
ihr Schmerz trinkt Nacht, wenn sie die Häupter tunken,
doch unser Schmerz ist toten Lichtes trunken,
nicht waschen ab den Gram noch Liebestränen.
Im Wald Verwestes sinkt in stille Tiefen,
ein Fest dem Wurm, den Wurzeln laue Lymphe,
Erhellung quillt dem trüben Aug der Sümpfe,
der Gott weckt Sonnen, die in Gräbern schliefen.
Doch in die Fenster ziehen Fäulnisschwaden,
der Dunst der Trübsal und der Langeweile
gilbt in Gardinen, faul riecht jede Zeile
der Siechen, die im Pfuhl der Phrase baden.
Flieh, Dichter, den Verfall in grauen Mauern,
erquick den Vers in heller Waldnacht Schauern.
Die geringe Geste
Gering ist deine Geste, wenn auch schön:
die Knolle in die Krume und sie gießen.
Doch kommt ein Strahl aus unerreichten Höhn,
die Blume kann im Dunkel ja nicht sprießen.
Erheitert sich dein Blick am Knospenrund,
das Auge ward, das helle, dir gegeben.
Uns trägt ein unergründlich dunkler Grund,
in Liedes Rhythmen fühlen wir ihn beben.
Die Sprache lockt uns, Waldes lichte Nacht,
in dem wie Kinder wir uns gern verirren
und staunen ob der düstern Wipfel Pracht,
in denen Stimmen hin und wider wirren.
Streu, Dichter, Samen aus, die namenlosen,
fern gehn sie auf, Phlox, Mohn und prunkend Rosen.
Die Abendsonne
Gleich Tropfen Bluts, auf schwarzem Samt vergossen,
sind Purpurknospen, weich gewiegt von Wellen.
Die Abendsonne ist hinabgeflossen,
blaß schimmern noch im Dunkel Immortellen.
Und grüne Schilfe sind voll Schlaf wie Schatten
von Seelen, die um Lethes Lippen drängen.
Die Lüfte, flüsternd fahlem Laub, ermatten,
kein Zweig ist mehr, zu schwingen von Gesängen.
In kalten Mauern flackern zarte Scheiben,
hoch über ihnen Mondes Lotosblüte,
die einsam und geschwisterlos müßt bleiben,
wenn ihr das Herz der Schwermut nicht erglühte.
Sä, Dichter, Tropfen Bluts auf kahle Krumen,
siehst du sie auch nicht mehr, die Flammenblumen.
Schwanengesang
Wie reife Früchte sich ins Wasser neigen,
ihr Bild verglüht im Wolkendämmerlaub,
sinkt auch das Lied, das herbstliche, ins Schweigen,
und Lethe wäscht vom Blatt den Silberstaub.
Nicht hat umsonst die Ranken aufgewunden
der Winzer und gekeltert süßen Most.
Ein Honig tropft aus Waben dunkler Stunden,
in Seufzen schmelzen Geistes Gram und Frost.
Es eilen Kinder heiß, vom Zweig zu pflücken
Purpur der Beeren und der Birnen Gold.
Zu blauen Buchten will der Strom entrücken,
der durchs Geäder sanfter Küsse rollt.
Flockt, Dichter, auch der Schnee auf müde Schwingen,
laß Schwäne noch von letzter Süße singen.
Der Gang über das Eis
Wir gehen stumm auf transparentem Eise,
und unter uns weht Nacht mit lichten Fächern,
Milch fließt um Nymphen aus kristallnen Bechern,
wir gehen stumm, die Schritte knirschen leise.
Aus blauem Dunkel taumeln weiche Flocken,
ein Leichentuch verhüllt die Stromgewalten,
die in der Tiefe sich zu Monden ballten
und Früchten, die in Zaubergärten locken.
Du hältst mich bei der Hand, den bangen Knaben,
du weißt das Ufer, siehst die hellen Scheiben,
wo, Schwester, wir bei guten Seelen bleiben,
wo Waisen eine neue Heimat haben.
Laß, Dichter, in der Nacht uns Lichter sehen,
wie Kerzen, die an fernen Fenstern stehen.
Lebens wilde Anmut
Wir stiegen im ersten Strahle hügelan,
noch troff die Nacht vom schwarzen Glanz der Beeren.
Des Lebens wilde Anmut uns zu lehren,
hat sich die Herbstzeitlose aufgetan.
Dem Rosen prangten wie auf grünem Fluß,
der Seidenschal ward dir am Dorn zerrissen.
Nichts soll dein hoher Lebenstag vermissen,
hat dir mein sanfter Blick gesagt, mein Kuß.
Als müde ich die Stirn ans Kreuz gedrückt,
das einsam auf der kahlen Höhe ragte,
war es dein Weinen, das mir schimmernd sagte,
das tote Holz grünt neu, vom Tau entzückt.
Laß, Dichter, Liebende die Fülle finden,
den Vers im Delta blauen Schweigens münden.
Im frühen Park und Garten
Jetzt müßten in dem Garten, jenem frühen,
Walnüsse auf dem kleinen Weiher schwimmen,
Tautropfen in den Himbeerbüschen glimmen,
im Garten, den es nicht mehr gibt, dem frühen.
Wo wir auf Pfaden gingen, kieselweißen,
im Park der Amoretten und der Schwäne,
zerging das Wort im Schäumen der Fontäne,
auf Pfaden, die in Träumen nur mehr gleißen.
Wie lose Blüte auf moosgrünen Wellen
hat Mondes Milch dein Antlitz übergossen,
zu fernen Ufern ist es hingeflossen,
wie lose Blüte auf moosgrünen Wellen.
Mag, Dichter, sich dein Vers ins Dunkel recken,
nie wird sein Kuß die bleichen Lider wecken.
Tau des Abends
Limonen, grüner Schale warmes Schimmern,
und goldenes Fleisch zerteilter Apfelsinen,
in Tropfen Bernstein eingeschlummert schienen
die Abendröten in herbststillen Zimmern.
Am Fenster gaukelten im Lufthauch Ranken,
von denen kühlen Glanzes Perlen fielen,
ein Seufzen war in zarten Schattenspielen,
wie in verlassener Liebe Traumgedanken.
Die bleiche Hand, besät von Altersflecken,
hielt noch den Kamm, die Flut der grauen Locken
war schon in Nacht geebbt, die Glocken
des Angelus zu fern, um noch zu wecken.
Zeig, Dichter, uns den Tod, den sanften, stillen,
laß Verses Knospe Tau des Abends füllen.
Beim Wort genommen
Philosophische Sentenzen und Aphorismen
Talmiglanz – den wurmstichigen Apfel mit Goldflitter umwickeln. – Manche mit der gehörigen Chuzpe machen damit gute Geschäfte, sowohl auf finanziellem wie ideologischem Gebiet.
Aureole um eine dämonische Fratze.
Das Charisma kann in Fäulnis übergehen, wie am gegenwärtigen Zustand der Kirche ablesbar.
Fatal ist, das Leuchten der Aureole mit dem schwitzigen Glimmen um die heißen Schläfen von Weltuntergangspriestern zu verwechseln.
Die Aureole bringt den Erwählten ans Marterholz, das Fäulnisglimmen seiner Phrasen den falschen Propheten zu Ruhm und klingelnder Münze.
Als funkelte der Edelstein des Wahren im Scheinwerferlicht der Propaganda.
Faszination, die vom schimmernden Grünspan der Phrase ausgeht.
Existenz ist kein Prädikat – und am wenigsten eine Metapher.
Die logische Strenge des Denkens beruht auf der Einsicht in den nichtmetaphorischen Sinn der Ausdrücke „wahr“ und „falsch“.
Es gibt bildliche Ausdrücke und Figuren, es gibt Metaphern, aber keine metaphorische Art zu existieren. – Der metaphorische Ausdruck „Heilige Nacht“ setzt allerdings die Realität der Nacht voraus, in welcher der Erlöser geboren wurde.
Man kann nicht alle Rede auf metaphorischen Sprachgebrauch, und sei er ins Vorbewußte verblaßt, zurückführen, wie Herder und Nietzsche wohl angenommen haben.
Von Horaz zu sagen, daß er ein Dichter des augusteischen Zeitalters war, heißt zu behaupten, jemand habe zur Zeit des Augustus die uns überlieferten vier Odenbücher verfaßt, und dieser Mann habe Horaz geheißen. Existenz ist an die Identität dessen gebunden, dem wir sie mittels Formen der Identifikation zusprechen.
Von Achill zu sagen, daß er im trojanischen Krieg Hektor getötet hat, heißt nicht zu behaupten, es habe einen trojanischen Krieg gegeben und in diesem habe ein Mann Hektor getötet und dieser Mann habe Achill geheißen. Denn für eine solche Identifikation können wir uns auf kein historisches Zeugnis stützen, sondern nur eine mythische Erzählung nacherzählen.
Der physische Durst wird durch Wasser gestillt; der metaphysische durch das Blut Christi. Weder unsere Alltagssprache noch die heilige Sprache hat Metaphern zur Basis. Denn gemäß der Lehre von den Sakramenten und dem Dogma der Transsubstantiation ist auch die Rede vom Blut Christi wörtlich zu nehmen.
Der Unterschied zwischen Mythos und christlichem Glauben läßt sich am Unterschied des metaphorischen und wörtlichen Sprachgebrauchs verdeutlichen: Die antiken Heroen wie Herakles und die Dioskuren werden ins Licht des Olympos oder zu den Sternen erhoben; doch verlieren Personen ihre Identität, wenn sich ihr Körper in andere Medien auflöst oder transformiert. Der Apostel Thomas berührt die Wunde Christi und bezeugt damit den wörtlichen Sinn der leiblichen Auferstehung.
Die Metzgereiverkäuferin reicht dem Kunden die gewünschte Ware; dieser physische Akt ist überlagert von einem rechtlich-sozialen derart, daß die ausgehändigte Ware gewissen vertraglich bindenden Qualitätskriterien zu entsprechen und der Käufer sie durch eine vertraglich festgelegte Gegenleistung, die bestimmte Summe Geldes, zu quittieren hat. Reklamiert der Käufer die Ware aufgrund der Tatsache, daß er statt Würstchen zu Hause Buletten aus der Tüte kramt, kann die Verkäuferin nicht wie Kinder, die ihre Rollenspiele in einem fiktiven Kaufladen treiben, auf eine metaphorische Ebene ausweichen und beispielsweise behaupten, sie spiele heute zum ersten Mal die Rolle der Verkäuferin und sei darin noch nicht geübt.
Nichtmetaphorisch drücken wir aus, was und wer wir sind oder sein sollen; die Mutter, die ihre Kinder sträflich vernachlässigte, hat nicht die Rolle der Mutter schlecht gespielt, sondern als Mutter versagt.
Der Bräutigam hat sein Jawort vor Zeugen gegeben; damit sind der Sprechakt des Eheversprechens und der Rechtsakt des Ehevertrags gültig. Er kann ihn am nächsten Tag nicht etwa mit der Behauptung zurücknehmen, er habe zwar ja gesagt, aber nein gemeint; mündliche vertragliche Vereinbarungen sind solche, bei denen wir die Kontrahenten beim Wort nehmen.
Wenn Augustus in seinem Tatenbericht, wie das Monumentum Ancyranum dokumentiert, von sich behauptet, er habe diese und jene Tat veranlaßt, etwa den Apollontempel auf dem Palatin errichten oder die Flügel des Janusbogens schließen lassen, können wir die Behauptungen beispielsweise aufgrund archäologischer Funde überprüfen. – Dichterische Aussagen, wie die Äußerungen des lyrischen Ich, haben einen anderen ontologischen Stellenwert und Rang; sie lassen sich nicht extern anhand von neutralen Zeugnissen in ihrem Sinngehalt verifizieren, sondern nur hinsichtlich der Stimmigkeit und Kohärenz mit der näheren und ferneren internen Textumgebung einordnen; sind diese Stimmigkeit und Kohärenz absichtsvoll unterbrochen, kann die Aussage eine gewisse Steigerung ins Hyberbolische oder Groteske erzeugen.
Wenn das Ich in der Ode des Horaz (Carmina 3, 4) von sich behauptet, es habe sich als Kind aus der Hut der Amme in die nahen Auwälder davongeschlichen, sei dort in bukolischer Umgebung eingeschlummert und von Tauben mit Lorbeerzweigen bedeckt worden, handelt es sich um den metaphorischen Sprachgebrauch eines imaginären Subjekts zum Ausdruck seiner imaginären Dichterweihe durch die Musen, auch wenn seine Suggestion so stark ist, daß wir der Versuchung, dieses Subjekt mit dem historischen Horaz unmittelbar zu identifizieren, kaum widerstehen können.
Die Bedeutung eines Namens ist nichts, was sich der Sprecher dabei denkt; sonst wäre die Äußerung „Horaz war ein Dichter des augusteischen Zeitalters“ falsch, wenn der Sprecher glaubt, Augustus habe im 1. Jahrhundert nach Christus residiert. – Vielmehr bleibt der Satz richtig, auch wenn er vom automatischen Schreibprogramm einer KI erzeugt und verlautbart wird, die sich weder bei seiner Erzeugung noch seiner Kundgabe etwas denkt.
Könnte eine KI den Unterschied zwischen metaphorischem und wörtlichen Sprachgebrauch systematisch erfassen und von Fall zu Fall sinnvoll zur Anwendung bringen?
Gemalte Rosen duften nicht; wir können sie nicht verschenken, nur das Gemälde, das sie darstellt.
Die Blumen des Gedichts können eine arkadische Landschaft evozieren, in der sich der Klang der Flöte des Hirtengottes mit dem Plätschern des Wildbaches mischt, eine mythische Landschaft, in der niemand je war und die dennoch die dichterische Phantasie des Abendlandes mit dem imaginären Duft ihrer Kräuter und dem ebenso imaginären Schein imaginärer Sonnenuntergänge genährt hat.
„Et in Arcadia ego“ ist die Aussage eines imaginären Ich über einen imaginären Ort und eine imaginäre Zeit.
„Ich ging im Walde so für mich hin“ ist auch eine Aussage über den imaginären Wald der dichterischen Sprache, durch den wir nicht wie im echten auf vorgezeichneten und durch Wegmarken gekennzeichneten Pfaden zu einem vorbedachten Ziel gehen, denn wie Goethe weiter sagt: „Und nichts zu suchen, das war mein Sinn.“
„Ach ja, ich vergaß, jetzt ist es bei euch schon Nacht“, sagt jemand, der von Berlin aus mit New York telefoniert. – „Bei dieser Arbeit müssen Sie Nachtschichten in Kauf nehmen.“ – „Der Nachtbus war verspätet.“ – „Die Polizei verfolgte den flüchtigen Täter mit Hilfe eines Nachtsichtgeräts.“ Wir gehen von der wörtlichen Bedeutung als Grundlage alltäglicher Verständigung aus. Dabei wird uns nicht abverlangt, für die verwendeten Begriffe Definitionen zur Hand zu haben; beispielsweise für Nacht: „die Zeit zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang“ oder „die Zeit vom Erscheinen des Abendsterns bis zum Erscheinen des Morgensterns“. Wir gebrauchen den Wortsinn der meisten Ausdrücke intuitiv.
In der Theogonie des Hesiod ist die Nacht eine Gottheit und wie ihre Geschwister Gaia, Tartaros, Eros und Erebos eine spontane Ausgeburt des Chaos. In Homers Ilias ist die Nacht die Mutter des Schlafs und des Todes. Bei Aischylos ist die Nacht die Mutter der Eumeniden, der Moiren und Erinnyen. – Wir finden demnach in mythisch-poetischen Texten den nichtwörtlichen Gebrauch des Ausdrucks Nacht, wenn sie als göttliches Wesen gedacht ist.
Die Personifikation natürlicher Mächte und basaler emotionaler und mentaler Phänomene sowie sittlicher Institutionen wie Erde und Himmel, Tag und Nacht, Fluß und Berg, Meer und Wind, Geburt und Tod, Schlaf und Traum, Freude und Angst, Lust und Scham, Ehe und Freundschaft, Sippe und Stamm, Nation und Staat ist die allegorische Grundlage der antiken Poesie. Dazu müssen wir die Sprache elementarer natürlicher Phänomene einschließlich derjenigen unserer Leiblichkeit ernst und statt sich in unverbindlicher Metaphorik verflüchtigen zu lassen, beim Wort nehmen.
Der gestische und mimische Ausdruck hält dafür Beispiele bereit; die Deixis des Fingers und der Hand will nicht auf den Finger und die Hand aufmerksam machen, sondern auf das Ding oder Geschehen, worauf sie weisen; der verächtliche Gesichtsausdruck weist das zudringliche Ansinnen des Gegenübers ab und ist somit semantisch gehaltvoll, etwa im Sinne der Äußerung: „Dazu bin ich mir zu schade!“
Wir können die „poetische Religion“ und damit Dichtung und Kunst der Antike nur begreifen, wenn wir die Idee der göttlichen Offenbarung weiter fassen, als im biblischen Rahmen vorgeschrieben. Einen Fingerzeig gibt uns die seltsame semantische Tatsache, daß gewisse heilsame oder schadenbringende Mächte von der mythischen Sprache als Kollektiva aufgefaßt werden: die Eumeniden und die Erinnyen, die Moiren und die Keren, die Parzen und die Nornen, die Manen und die Laren.
Wir verspüren ein Unbehagen, wenn wir die Rede vom Lebensfaden, seiner Zuteilung und seines Abschneidens durch die Parzen, nur als metaphorischen Ausdruck für Beginn, Verlauf und Ende der menschlichen Existenz auffassen.
Die Nacht (und all die anderen personifizierten Naturerscheinungen) als Wesen, ja als göttlich-dämonische Wesen zu sehen, aufzufassen, zu empfinden – dies gehört zur Propädeutik der Lehre von der antiken Dichtung und Kunst.
Wir finden in der abendländischen Dichtung zwei bedeutsame Stränge des metaphorischen und symbolischen Gebrauchs des Begriffes Nacht: der dem Mythos entstammende Bildbereich, der Phänomene feindlicher und bedrohlicher Natur wie Unheil, Tod und Verhängnis umfaßt, und den christlichen Sinnhorizont, der mit dem Ausdruck „Heilige Nacht“ für die Zeit der Geburt des Erlösers beschworen wird. Diese Formen der Nachtmetaphorik durchdringen die poetischen Lieder und Anrufe im Verlauf der Heiligen Meßfeier wie der Weihnachts- und der Osternacht und sodann über Luthers großes Übersetzungswerk die weltliche Dichtung bis zu Goethe und Mörike, verdichten sich in der Romantik wie bei Hölderlin, Eichendorff und Novalis („Hymnen an die Nacht“) und erlangen einen letzten Grad der Übersteigerung und Sublimierung im Symbolismus wie bei Mallarmé, George und Trakl.
„Du dunkle Nacht, du dunkles Herz.“ „Du bist in tiefer Mitternacht.“– Gewiß speist sich Trakls „Gesang zur Nacht“ aus der basalen Erfahrung, welche die Menschheit seit Urzeiten mit dem kosmischen Phänomen der Nacht, ihren Gefahren, unheimlichen Gewalten und Abgründen gemacht hat; wie vom Laub der Schatten im verwilderten Garten gespenstische Tropfen des Mondlichts rinnen; wie das Gesträuch im Wind dunkle Omina flüstert; wie auf schwarzen Wellen des Meeres geisterhafte Schäume aufblühen und jäh verschlungen werden; Blitze, die das Grabtuch des Himmels zerreißen; oder wie über dem monotonen Sand der Wüste abertausend funkelnde Nägel in den schwarzen Samt der Leere eingeschlagen zu sein scheinen.
„Das Dunkel löschte mich schweigend aus. Ich ward ein toter Schatten im Tag.“ – Trakl konzentriert die dichterische Beschwörung der Nacht auf die existentielle Erfahrung der Wesenlosigkeit und Verlorenheit menschlichen Daseins unter dem Mond. Alte Bilder mythischer und biblischer Herkunft werden zu diesem Zwecke evoziert; so erscheint die Nacht als verzauberter Garten oder wird als Schmerzensmutter angerufen. – Wir können nicht sagen, die barocke Fülle metaphorischer Bilder der Nacht schwebe hier wolkenhaft an uns vorbei und wir blieben empfindungslos für die brennenden Blutstropfen, die sie auf die Poren der Aufmerksamkeit herabregnet. Wir können nicht sagen, der metaphorische Sprachgebrauch dieser Dichtung bewahre uns davor, sie beim Wort zu nehmen.
„O Nacht, ich bin bereit.“ „O komm, du hohe Zeit.“ Gewiß, nur das gequälte Kaspar-Hauser-Leben eines Depressiven, eines süchtigen Psychopathen und sozial Unbehausten konnte sich ein dichterisches Ich fingieren, das wie dieses die Nacht besingt. Doch verfehlten wir die Deutung, würden wir sie auf das Zeugnis von Psychopathologien und sozialen Stigmatisierungen verengen und vereinseitigen.
Ob die Metaphorik des Monds, die sich von Sappho über Goethe und die Romantiker bis zu Baudelaire, Mallarmé, Verlaine und Trakl zieht, seiner Eroberung durch die technische Zivilisation und seinem Verblassen im Dunstkreis der Metropolen widerstehen wird, können wir nicht voraussagen; möglich, daß dies in der westlichen Hemisphäre bei der zunehmenden Eindämmung und Verschmutzung ihres Überlieferungsstromes durch das Einbringen von zeitgeistigem Müll und den Abwässern aus den Kloaken des Kulturbetriebs der Fall sein wird, in der östlichen könnte sie auf dem Hintergrund der buddhistisch geprägten chinesischen und japanischen Dichtung und Kunst ihre spirituelle Funktion vielleicht aufrechterhalten.
Siehe auch:
https://www.youtube.com/watch?v=ljccIdMT4lw
Arkadisch-grüne Nacht
Golden ist des Mondes Brücke
und arkadisch-grün die Nacht.
Sprich von Liebe, Tau im Blicke,
auf der Brücke quer die Nacht.
Beug herab dich nicht zum Flusse,
wo am Fels die Welle stockt.
Fühle vor dem weichen Kusse,
der vom andern Ufer lockt.
Hörst du rauschen wild die Tiefe,
sei des eignen Lieds getrost,
wär’s auch, daß Undine riefe,
hast Arkadien erlost.
Und du siehst auf jenen Weiten
röten sich Aurora schon,
quälen dich noch Dunkelheiten,
Heidekraut glüht dort und Mohn.
Faßt dich Schwindel, jähes Schwanken,
wenn des Mondes Blume blaßt,
halte fest an dem Gedanken,
daß die Liebe dich nicht haßt.
Wird kein Fittich auch dich tragen,
sinkst du in den leeren Raum,
Herz des Dichters wird nicht klagen,
daß Arkadien nur Traum.
Muß der Brücke Gold sich schwärzen,
und du tauchst ins Dunkel ein,
trinken Lethe sich die Schmerzen,
Liebenden quillt sie wie Wein.
Halme grüner Verse
Mohnfelder, Flammen, die das Herz zerkochten,
ein Kuckuck rief dem Gott der Hirten nach.
Du gingst, ins Haar des Herbstes Gold geflochten,
es blich im Mond, der durch die Wipfel brach.
Uns fröstelte vom heißen Schrei der Grille,
und jäh war er verstummt, doch nicht die Qual,
die in uns bettelte um Schlaf und Stille,
den Tau des Efeus am bemoosten Mal.
Im Dämmer glänzten schwarz Holunderbeeren,
sanft preßten wir das Schweigen, Hand in Hand,
süß war es uns, der dunklen Glut zu wehren,
die einst in roten Küssen war entbrannt.
Laß, Dichter, Halme grüner Verse sprießen
am Rinnsal, wo des Abschieds Tränen fließen.
William Shakespeare, Sonett 17
Who will believe my verse in time to come,
If it were filled with your most high deserts?
Though yet heaven knows it is but as a tomb
Which hides your life, and shows not half your parts.
If I could write the beauty of your eyes,
And in fresh numbers number all your graces,
The age to come would say ‘This poet lies;
Such heavenly touches ne’er touched earthly faces.’
So should my papers, yellowed with their age,
Be scorned, like old men of less truth than tongue,
And your true rights be termed a poet’s rage
And stretched metre of an antique song:
But were some child of yours alive that time,
You should live twice, in it, and in my rhyme.
Wer glaubt noch meinem Vers in künftigen Welten,
der ganz von deinem hohen Wert erfüllt?
Der Himmel sieht, er kann als Grabmal gelten,
das dich verbirgt, dein wahres Sein verhüllt.
Könnt deiner Augen Schönheit ich beschreiben,
all deinen Liebreiz singen Maß für Maß,
die Nachwelt riefe: Dichter übertreiben,
kein Mensch, der Engelsschöne je besaß.
So wird mein Buch, vergilbt, mit Altersschorfen,
mißachtet, gleich dem Greis, der Unsinn lallt,
dein Lobpreis als Poetenwahn verworfen,
zerdehnter Vers bemooster Klanggestalt.
Doch strahlte noch aus Kindes Blick dein Licht,
du lebtest zwiefach, in ihm und dem Gedicht.
William Shakespeare, Sonett 16
But wherefore do not you a mightier way
Make war upon this bloody tyrant, Time?
And fortify your self in your decay
With means more blessed than my barren rhyme?
Now stand you on the top of happy hours,
And many maiden gardens, yet unset,
With virtuous wish would bear you living flowers,
Much liker than your painted counterfeit:
So should the lines of life that life repair,
Which this, Time’s pencil, or my pupil pen,
Neither in inward worth nor outward fair,
Can make you live your self in eyes of men.
To give away yourself, keeps yourself still,
And you must live, drawn by your ownsweet skill.
Doch magst du Waffen, schärfere, noch recken
im Feldzug gegen den Tyrannen Zeit,
dein Siechtum hinter Mauern wohl verstecken,
die dichter sind als meiner Verse Kleid.
Nun stehst du auf dem Turm von hohen Tagen,
rings mancher Frauen Gärten, bar der Saat,
vom Wunsch beseelt, dir Lebens Flor zu tragen,
dir ähnlicher als Bildes Inkarnat.
Des Lebens Linien schreibe Leben fort,
was flüchtig Zeit und dünn mein Pinsel malen,
der Quell der Seele und ihr schöner Hort,
dein Lächeln muß mit solchen Blättern fahlen.
Wenn du dich hingibst, nur dann wirst du bleiben,
dir ist die Kunst, im Bild dich zu verleiben.
Des Laubes Grazie
Scheint wund dir vom Gewicht der Welt der Rücken,
ist ein Gespenst nur, was du torkelnd trägst.
So wirf es ab, wenn du ins Gras dich legst,
im hohen Blau Lichtfäden zu erblicken.
Will dir der Staub des Tags die Kehle stopfen,
o atme ein, die Herbstzeitlose bebt,
der Schleier perlt, den lächelnd Venus hebt,
und atme aus, geküßt von weichen Tropfen.
Birgst du dich abends unter Rankengittern,
ist alles stumm, es singt kein Vogel mehr.
Noch rauschen südwärts Schwäne übers Meer,
fühl, Duft des Lotos läßt ihr Herz erzittern.
Doch ekelt das verschnittene Terrain,
o fern des Laubes Grazie bei Lorrain.
Schatten unter Schatten
Nachts hört er Läuten österlicher Glocken
aus dem Morast versiegter Ströme steigen,
und mag sein Traum sich über Brunnen neigen,
sind Stimmen, in die Tiefe ihn zu locken.
Er wandelt hin ein Schatten unter Schatten,
die giftig zischen, Zungen fremder Sippen,
ihm hat die Rede ausgedörrt die Lippen,
am Hauch des Wahns, das Wort, es muß ermatten.
Will abseits er aufs dunkle Moos sich betten,
zu strömen in die Nacht, die sternenlose,
quält ihn Erinnerung, o Duft der Rose,
als könnten ihn der Heimat Gärten retten.
Doch schwitzt Asphalt, wo seine Rosen blühten,
erloschen sind, die grünem Dämmer glühten.
William Shakespeare, Sonett 15
When I consider every thing that grows
Holds in perfection but a little moment,
That this huge stage presenteth nought but shows
Whereon the stars in secret influence comment;
When I perceive that men as plants increase,
Cheered and checked even by the self-same sky,
Vaunt in their youthful sap, at height decrease,
And wear their brave state out of memory;
Then the conceit of this inconstant stay
Sets you most rich in youth before my sight,
Where wasteful Time debateth with decay
To change your day of youth to sullied night,
And all in war with Time for love of you,
As he takes from you, I engraft you new.
Betrachte ich, wie jedes Ding gedeiht
und einen Augenblick nur blüht in Fülle,
wie dieses Schauspiel nichts als Possen reiht,
umglänzt von der Gestirne Geisterhülle,
seh ich, wie Menschen wachsen blumengleich,
der sie erquickt, der Himmel läßt sie schmachten,
des Prangens Purpursaft rinnt talwärts bleich,
verschlissnes Festkleid, keiner wird sein achten:
So wird mir klar, wie alle Vesten schwanken,
du schwebst vor mir in voller Jugend Pracht,
wo Nichter Zeit und Fäulnis um dich zanken,
zu stoßen deinen Glanz zum Pfuhl der Nacht.
Um dich kämpft Liebe bis zur Todesstunde,
ein Reis propf ich dich, und es blüht die Wunde.
Einsam torkelnd
Und einsam torkelnd durch die Schattenschluchten,
fühl einen Stich ich schwach, wenn Seelen streifen.
Wo Früchte ihr, die Gott aus Eden reifen,
ihr Monde, Lotos über blauen Buchten.
Schnitt mir ein Sägeblatt des Lärms die Wunde,
will ich die Knospe Blut in Aschen wühlen.
Wo Quellen ihr, die Schläfe mir zu kühlen,
ihr Seufzer, rieselnd aus bemoostem Munde.
Ich sah dem Maskendickicht sich entwinden
ein Lächeln, und sein Licht schien mich zu meinen.
Verschlungen von den Wogen, die verneinen,
die Blume Anmut muß ins Dunkel münden.
Daß Cherubim vor meiner Türe wachen,
mit Flammenschwertern, oder Höllendrachen.
O schlafen, schlafen
Und geh ich abends einsam über Felder,
wo bittre Tropfen an den Halmen nagen,
seh ich das Kreuz auf fernem Hügel ragen
und sehne mich ins Dunkel tiefer Wälder.
Den Pfad zum Uferschilf, wo trübe Wellen
den braunen Kahn, den schon bemoosten, wiegen,
ihn meid ich noch, solange Schwalben fliegen
und trunken sirrend mir den Weg erhellen.
Doch blüht zur Nacht des Mondes blasse Blume,
streck ich mich aus ins Seufzen weicher Moose
und träume von dem Duft der Alpenrose,
die du mir einst bewahrt in feuchter Krume.
Erloschne Rose kann kein Kuß entfachen,
o schlafen, schlafen, und nicht mehr erwachen.
Sonett des Witwers
Dein Lächeln war wie einer Welle Schaum,
der Möwe Schatten ist es weggeflogen,
o Träne, du hast zitternd Glanz gesogen,
und er rann hin auf dunklen Schweigens Saum.
Wie Ranken, weich benetzt vom Abendtau,
im jähen Winde Silbertränen weinen,
sie sprühen aus an schiefergrauen Steinen,
hab ich geweint, ein Mann um eine Frau.
Wie Vögel, die geheime Macht betört,
zu wandern aus in ferne Paradiese,
im Schlaf noch zwitschern, wiegt sie Meeresbrise,
verklang, was tief gebeugt nur Schwermut hört.
Laß, Dichter, Efeu um das Grabmal dunkeln,
das Gold der Inschrift unter Kerzen funkeln.
Die Obszönen
Die durch ihr bloßes Dasein schon verhöhnen,
die Blicke Gier, der Wulst der Worte feucht,
gleich Schaben, die kein Sonnenlicht verscheucht,
gekrochen aus dem Ausguß, die Obszönen.
Mollusken ohne Rückgrat, die nicht hecken,
sind fruchtbar immerhin, rhythmisch verzweigt,
doch hat des Dämons Sperma blind gezeugt,
die eitel nur ihr Spiegelbild belecken.
Schwarmgeister, die der Ahnen Saat befielen,
sie fressen sich den eignen Untergang,
die abgeschüttelt Scham und Maß und Rang,
sie streuen Spreu, den Samen der Sterilen.
Laß, Dichter, Lava aus den Versen wallen,
worin die Larven schrumpeln und zerfallen.
Katakombennacht
Daß uns aus Wolken fielen noch Ikonen,
vom Engel namens Raffael gemalt.
Als müßten wir in Gottes Schatten wohnen,
schon lange ist kein Gnadenblick erstrahlt.
Es blieben uns nur abgeblühte Namen,
die Geisterhand auf öden Karst verstreut,
und trugen doch der schönen Seele Samen,
o Sommerblau, wie uns dein Lächeln reut.
Die wir noch bebend Kerzen angezündet,
zu suchen Trost in Katakombennacht,
nicht sahen wir, was hoher Geist verkündet,
wie Licht des Lebens aus dem Grab erwacht.
Laß, Dichter, dunklen Wortes Wimpern zittern,
daß uns ein Auge glänzt wie zwischen Gittern.
William Shakespeare, Sonett 14
Not from the stars do I my judgement pluck;
And yet methinks I have Astronomy,
But not to tell of good or evil luck,
Of plagues, of dearths, or seasons’ quality;
Nor can I fortune to brief minutes tell,
Pointing to each his thunder, rain and wind,
Or say with princes if it shall go well
By oft predict that I in heaven find:
But from thine eyes my knowledge I derive,
And, constant stars, in them I read such art
As truth and beauty shall together thrive,
If from thyself, to store thou wouldst convert;
Or else of thee this I prognosticate:
Thy end is truth’s and beauty’s doom and date.
Nicht sammle ich von Sternen Kunde ein,
und dennoch will ich Sternendeutung wagen,
berichte freilich nicht von Glück und Pein,
von Seuchen, Dürren oder Wetterplagen.
Ich lese nicht dem Schicksal aus der Hand,
jedwedem Donner, Regen, Sturm zu künden,
noch ob das Glück von Prinzen hab Bestand,
wenn Himmelsstrahlen in die Zukunft münden:
Nein, deine Augen sind mein Wissensquell,
Fixsternen gleich, ich weiß, darin zu lesen,
wie Wahres blüht im schönen Abbild hell,
kannst du von Eigenliebe nur genesen.
Was sonst geschieht, ich kann es dir verheißen,
das Wahrbild Schönheit wird dein Tod zerreißen.
Blitzt aber Gott
Subtile Fiederung, belehrt vom Wind,
daß Mittagsbläue furchen fromme Schwingen.
Der Nachtigallen zauberisches Singen,
daß Arme reicher als die Satten sind.
Der Blüten Mimikry, die Falter kirrt,
daß Süße saugend Leben sie verschwenden.
Erinnerungen, die den Kreis vollenden,
hat Abendlicht das Knäul des Tags entwirrt.
Der Mythen Schnee, im Hauch des Lieds getaut,
Perlmutt in Muscheln meerumschäumter Bilder,
erglänzen unterm vollen Monde milder,
wie Tränen auf der Sanftmut matter Haut.
Blitzt aber Gott in Rhythmen dunklen Lebens,
der Phrase Aaslicht flackerte vergebens.
Wechselgesang der Abgeschiedenen
„Als könnte ferner Hauch mich noch erreichen,
der Knospen deiner Huld entflossen ist,
vertändelt habe ich die schmale Frist,
des Sommertages goldne Bilder bleichen.“
„Was du in feuchter Auen Glanz gesungen,
als ich Holunderschnee uns hab gepflückt,
wie Vogelruf, vom Abendrot entzückt,
ist es im schwarzen Laub der Nacht verklungen.“
„Die wie Kristalle heiß das Herz zerstochen,
die flockenblinden Küsse sind getaut.“
„Wenn aus dem Schilf der Sehnsucht Nebel graut,
seh ich des Mondes Porzellan zerbrochen.“
Laß, Dichter, sich in süßem Reim vereinen,
die abgeschieden umeinander weinen.
William Shakespeare, Sonett 13
O! that you were your self; but, love, you are
No longer yours, than you your self here live:
Against this coming end you should prepare,
And your sweet semblance to some other give:
So should that beauty which you hold in lease
Find no determination; then you were
Yourself again, after yourself’s decease,
When your sweet issue your sweet form should bear.
Who lets so fair a house fall to decay,
Which husbandry in honour might uphold,
Against the stormy gusts of winter’s day
And barren rage of death’s eternal cold?
O! none but unthrifts. Dear my love, you know,
You had a father: let your son say so.
O, bliebst du, Lieber, eins mit dir, doch bist
du’s länger nicht, solang du hier mußt leben:
Das Ende naht, benütze diese Frist,
dein süßes Bildnis andern mitzugeben.
So wird die Schönheit, dir verliehen zur Pacht,
hinfällig nicht, du darfst ins Lichte ragen,
du selbst, sank auch dein altes Selbst in Nacht:
Mag süßer Sproß dein süßes Antlitz tragen.
Wer gäb ein Haus, so schön, preis dem Ruin,
ein weiser Sinn erhielte es in Ehren,
wenn auch des Winters wilde Winde schrien
und ewigen Eises Tode an ihm zehren.
Ach, nur Verderb! Weißt, Lieber, du den Namen
des Vaters noch? So rufe dich dein Samen.
Vergeblicher Rat
Haus ein dich hinter harten Eisentoren,
sagt wunden Geistes uns der Fahrensmann.
Wir treiben Blüten blaß in Mondes Bann
auf Wassern hin, dem frohen Tag verloren.
Verbirg dich in des Abends Dämmerlauben,
rät uns vom Strahl versengt der Venus Magd.
Steigt schon der Sonnenfalke, der sie jagd,
uns girren Morgenlicht die Turteltauben,
Daß nicht die Seele flieht, verschließ die Lippen,
sagt wohl der Fromme, Wortes Eremit.
Uns heißt zu sagen, was die Liebe litt,
das wilde Brausen im Verlies der Rippen.
Vergebens ist, den Irrenden zu raten,
die somnambul der Gischt entgegenwaten.
Melpomene
sed quae Tibur aquae fertile praefluunt
et spissae nemorum comae
fingent Aeolio carmine nobilem.
Horaz, Oden, 4, 3, 10–12
In Wassern, die bei Tivoli geflossen,
hat süß sie dir gerauscht, Melpomene,
in Haines Lauben, im Holunderschnee
hast fern der Welt die Stille du genossen.
Uns aber ward die Lippe spröd im Staube,
den aufgewirbelt asphaltgrauer Wind,
in grellen Bildern trieb das Auge blind,
an Überdruß verblutete der Glaube.
Der Jugend Chor hat feierlich gesungen
dein Lied zum Ruhm besonnter Tempelpracht,
gelähmt hat uns, zu stolpern in die Nacht,
der Pfeil, tonlos ins Herz des Worts gedrungen.
Daß uns der Efeu an der Friedhofsmauer
noch rühre geisterhaft der Muse Schauer.
Das zerbrochene Maßwerk
Die tätowierte Haut der Phantasie,
schmerzvoll zerstochne fratzenhafte Leere.
Es zischt, die feuerspeiende Chimäre
reibt feuchten Blickes sich an Gauklers Knie.
Die blind im Schleim des Ungereimten schmatzt,
die Made Unzucht ist ins Wort gekrochen,
das Maßwerk des Gedichtes liegt zerbrochen,
obszöner Stachel hat das Bild zerkratzt.
Was sich wie Hefe aus dem Abgrund hob,
hat ätzend die Ikonen überquollen,
die Lilien und die Rosen sind verschollen,
der Dankgesang und schöner Formen Lob.
Bau, Dichter, Treppen uns aus dunklen Schluchten,
beglänzte Zeilen an mondstillen Buchten.
Vertane Lektüren
ego apis Matinae
more modoque
grata carpentis thyma per laborem
plurimum circa nemus uvidique
Tiburis ripas operosa parvus
carmina fingo.
Horaz, Ode 4, 2, 27–32
Ach ja, hoch flog der große Pindaros,
ein Schwan, himmlische Musen zu betören,
doch was mich graue Schulmaus stets verdroß,
das stumme Buch ließ mich kein Rauschen hören.
Ein Sturzbach, der da braust, pries ihn Horaz,
in wilden Gischtes Schäume mich zu locken,
wo aber, Wonnen blauen Hymnen-Bads,
Papier, es brauste nicht und blieb staubtrocken.
Zart hat der Römer es uns anvertraut,
nicht stürze er, ein Schwan, in blaue Tiefen,
umsumme, niedre Biene, Quendelkraut,
bis seine Carmina von Nektar triefen.
So hab ich mich ins Sommergras gelegt,
der Ode Ton war schon im Traum verklungen,
ein dunkles Brummen kam herangefegt,
ein Stich, und ich bin schreiend aufgesprungen.
Ungeheuer
Auf Kreuzes Balken seufzt ein Schaum von Flocken,
verkrustet ist die Wunde von Kristall,
die Nacht ist hell wie vor dem Sündenfall,
nichts zischt, sie aus dem Schlaf des Schnees zu locken.
Schon spielt die blaue Luft mit starren Halmen,
stumm aus verharschtem Uferschlund gebleckt,
zu singen hat der Strahl den Schmerz erweckt,
und Zapfen weinen grünem Wasser Psalmen.
Zur Rose sagt die Liebe, küß mich, Feuer,
zum Mohn der Dichter, färb das Wort mir rot,
kehrt auch die Blätter von der Bühne Tod,
fad wär das Schauspiel ohne Ungeheuer.
O die das Blütenblatt ins Album pressen,
bald haben sie des Namens Duft vergessen.
William Shakespeare, Sonett 12
When I do count the clock that tells the time,
And see the brave day sunk in hideous night;
When I behold the violet past prime,
And sable curls, all silvered o’er with white;
When lofty trees I see barren of leaves,
Which erst from heat did canopy the herd,
And summer’s green all girded up in sheaves,
Borne on the bier with white and bristly beard,
Then of thy beauty do I question make,
That thou among the wastes of time must go,
Since sweets and beauties do themselves forsake
And die as fast as they see others grow;
And nothing ‘gainst Time’s scythe can make defence
Save breed, to brave him when he takes thee hence.
Hör ich den Glockenschlag Vergängnis künden
und seh den frohen Tag vergrämt im Trauerkleid,
erblick am Veilchen ich die Fülle schwinden
und schwarze Locken silbern überschneit,
seh ich, wie hohem Stamm die Blätter starben,
Schirm, der das Vieh vorm Sonnenstich bewahrt,
die lichten Grannen starr in dumpfen Garben,
vom Karren weht ihr struppig-weißer Bart,
dann macht dein schöner Leib mich bang erzittern,
daß er im Wüstensturm der Zeit verdorrt,
denn Schönheit welkt und Süße muß verbittern,
blüht andres schon, Tod reißt sie mit sich fort.
Sinnlos, vorm Sichelklang sich taub zu stellen,
doch mag aus Kindesmund dein Lied noch quellen.
Dichters Grab
Die Gräber grünen fahl, im grauen Mond
siehst du noch Lichter, die dich zitternd fragen,
ob auch Gedächtnis bei den Engeln wohnt,
an deren Flügeln bittere Wasser nagen.
Kein Engel schwebt um Dichters schmales Grab,
kein Fittich rauscht ihm nach die Nachtgesänge,
nur eine Weide senkt ihr Haupt herab,
daß sie mit weichem Tau das Mal besprenge.
Nur einmal knirschte aus dem Schlaf der Kies,
ein altes Weib blieb vor dem Schriftzug stehen:
„Mich quälte Duft aus fernem Paradies“,
trüb war ihr Blick, sie konnte ihn nicht sehen.
Bald stinkt das Grab von brandig-faulen Saaten,
es einzuebnen, blitzen schon die Spaten.
Der weiche Schauer
Tropft durch das Laubendach der Dämmerungen
kein Sternenlicht, kein Tau auf unseren Schmerz,
vergebens wär, was Dichter uns gesungen,
ein Schattenspiel, ein selbstverliebter Scherz.
Die es wie Schicksal tragen, Blattwerk stummer Trauer,
gleich Zweigen starr gereckt in Düsternis,
erweckt nur hoher Muse weicher Schauer,
ein Himmel rinnend durch der Seele Riß.
Die weißen Blüten, die es aufgelesen,
das Kind streut lächelnd sie aufs Wasser hin.
Von dunkler Zweifel Fieberwahn genesen,
schenkt uns der Geist im Liede Licht und Sinn.
Mag, Dichter, dich ein sanftes Tröpfeln lehren,
daß noch Gesanges Wolken wiederkehren.
Tau zittert hin
Tau zittert hin, vom Hauch erweicht, Kristall,
die Erde sänftigt leiser Seufzer Rinnen.
Zu Seidenschuhen rollt der Purpurball,
das Spiel von Tod und Liebe will sich spinnen.
Eisblumen, die den müden Blick gebannt,
sind über Nacht gewelkt an lauen Scheiben.
Es schwirren heiße Schatten übers Land,
kein Engel liest, was sie auf Gräber schreiben.
Das schrille Wort, es wird im Zwitschern stumm,
Gefuchtel tauber Hand muß jäh erstarren.
Am Blau des Himmels sieht sich Klugheit dumm,
vorm Abgrund tanzt geblümte Schar der Narren.
Noch perlen, Dichter, dir am Kruge Tropfen,
bald wird den grünen Mund Rauhnacht verstopfen.
Kerzen im Gedicht
Von Stengeln schwach, von Wurzeln nicht gehalten,
die aus den Toden Leben saugen, Pracht,
verschweben wir auf Wassern, Luftgestalten,
Gespinst des Mondes, Schaum der Sternennacht.
Der fernen Blitze hymnische Gravuren
wischt wieder aus ein grauer feuchter Schwamm.
Schnee fällt auf Schnee, unlesbar sind die Spuren.
Im Marmorspalt lallt Grabmals Epigramm.
Wir wandeln unterm Rauschen dunkler Blätter,
worin des Heimwehs Elegie erlischt,
vom jähen Abgrund reißt hinweg kein Retter,
sprüht schon der Reueklage bittrer Gischt.
Magst, Dichter, du im Finstern Kerzen spenden,
daß Liebe trägt der Liebe Bild auf Händen.
Verlassene der Dämmerungen
Wie warmer Hauch in blauen Frost gequollen,
was wir gesungen, wölkte trüb hinan,
Eleison, in Finsternis verschollen,
glomm auch der Kelch, er löste nicht den Bann.
Als Phoebus und Dianas Sänger standen
vorm Sonnentempel auf dem Palatin
Roms Kinder in äolischen Gewanden,
ein Duft floß ihnen zu von Lorbeer grün.
Wo sich der Neckar in den Abendstunden
wohl einem Seher purpurn hat gefärbt,
bog sich ein Kreuz, von wildem Wein umwunden,
ward Sonnensang von Mondes Horn gekerbt.
Daß wir, Verlassene der Dämmerungen,
noch beten könnten wie mit Flammenzungen.
Corona des Wortes
Aufs Wasser gesetzt, Weihgabe der Nacht,
mit Lichtern beflaggte herzblättrige Schalen.
Was uns beschieden, still lächelnd zu zahlen,
sind wir aus Erde und Himmel gemacht.
Im Rauschen des Blattes geht unter Gesang,
was auf den Denkstein die Treue geschrieben,
wird von den Geißeln der Winde zerrieben,
Tau einer Blüte, wie zittert er bang.
Corona des Wortes, verschwiegener Sinn,
Veilchenduft aus zerknitterten Briefen,
Wehklagen, die unter Goldlettern schliefen,
Flocken von Namen, sie schmolzen dahin.
Wort, kaum entsprossen, schon stäubt es hinab,
Himmel und Erde, einträchtig im Streite,
gepfercht in die Enge blaut uns die Weite,
friedvoll hüllt aber Efeu das Grab.
Moos grünt Erinnerung
Auf fernen Gipfeln scheint ein Schnee erglüht
von Rosen, die im Talgrund lang verblaßten.
Hat sich umsonst der Geist ums Wort gemüht,
mag kindlich er nach Jenseitsbildern tasten.
Moos grünt Erinnerung am toten Stein,
der rätselhaften Inschrift hellen Schatten,
verborgen sei das Heil in Brot und Wein,
dem wunden Herzen blieb nur sanft ermatten.
Idiot der Liebe, der ihr Bildnis küßt,
der Seele lichten Schaum aus Dunkelheiten,
weiß wohl, kein Auge weint, das ihn vermißt,
und fühlt Geschwisterblick ihn heimgeleiten.
Der Schrein ist leer, vor dem uns Flammen lohten,
o sende, Abgrund, uns noch Liebesboten.
Im Abschied mild
Dem irdenen Krug, umweht von Spinnenweben,
blieb von den Sonnentrauben kaum ein Dunst.
Die Knospen, die im Abendwind erbeben,
im Abschied mild, entrückter Anmut Gunst.
Beschwingte Stimmen sind schon fortgezogen,
wir bleiben mit dem kahlen Wort allein,
doch hat das Lied der Lerchen nicht getrogen,
das höher stieg als unser dumpfes Sein.
Ist längst erloschen auch das Gold der Früchte,
und weichen Singsangs Lippe ward dir rauh,
im Schlaf erglänzt auf deinem Angesichte
wie hingeneigter Blüte frischer Tau.
Noch einmal kehre Zwitschern in die Lauben,
bevor die grauen Herzen uns ertauben.
Im Kuß der Sonne scheiden
Laß Hand in Hand uns durch die Auen streifen,
schon duftet es nach Veilchen blau und kühl,
und konnte uns die goldne Frucht nicht reifen,
schwebt blaß, doch vollen Mondes das Gefühl.
Wild überwuchert finden sich noch Quellen,
versiegt ist nicht, was heimlich Gaia spricht,
und knien wir auf feuchten Mooses Schwellen,
schöpft unser Herz, das wunde, dunkles Licht.
Bricht ein der Strahl, die Knospen aufzuschließen,
daß selig süßen Tau die Blüte weint,
sind Schatten wir, die ineinanderfließen,
zwei Siegelhälften, stumm im Tod vereint.
Und mußten wir im Kuß der Sonne scheiden,
der Mond wird uns in Efeublätter kleiden.
Die zerbrochene Syrinx
Ist eine Scherbe, sind es blanke Knochen,
was schimmernd aus der dunklen Erde ragt,
Hand des Barbaren hat den Krug zerbrochen,
der Mensch, der fiel, hat nicht Lebwohl gesagt.
Ist es der Atem auch, der dunkel floß,
daß bange Nacht das Schilf in Schauern wiegt,
weil Keuschheit sich dem wilden Gott verschloß,
hat er sich selbst im reinen Ton besiegt.
Wie stumm die Welt inmitten allen Lärmens,
als hätt die Syrinx sich zerbrochen Pan,
wie schal der Trost inmitten allen Schwärmens,
als wär im Wahn die Wahrheit abgetan.
Die Scherbe nimm und pflanz ein Veilchen drein,
lies auf die Knochen, birg sie fromm im Schrein.
Sonett an den Dichter
Die Knospe hat dem Strahl sich aufgeschlossen,
gesickert sind hinab aufs stumme Moos
Tautropfen, die von Rosenfingern flossen
der Magd der Sonne, Morgenröte Eos.
Das Fenster öffne, daß der Hauch der Frühe
ein wenig deine müde Stirn erfrischt,
es ist, als ob der graue Reim erblühe,
wenn Veilchenduft sich deinem Atem mischt.
Und gehst du einsam unter Schattenlauben,
aus denen geisterhaft noch Sternlicht quillt,
lausch nach dem trunknen Lied der Turteltauben,
das bald erlischt wie ferner Liebe Bild.
Daß dir die heiße Saite nicht zerspringe,
still hülle dich des Abends Purpurschwinge.
Daß uns noch Tränen glänzen
Der Kerze Flackern, Fratzen in den Spielen
von Schatten geben uns der Seele Bild.
Wenn wir den Wind der Unrast nicht mehr fühlen,
erloschen wär, was aus dem Innern quillt.
So fingert Eos auf den Schlaf der Blume,
von Wimpern stäubt der Traum zum hohen Strahl.
Der Regen singt entzwei die Erdenkrume,
und Veilchen flehen, Mond, o mach uns fahl.
Wie Tropfen, die an zarten Fäden zittern,
gewebt von grauer Spinne des Geschicks,
zerrinnen in den herbstlichen Gewittern
die Blicke, Küsse, Verse leisen Glücks.
Daß uns, wenn auch die Schatten sich schon längen,
noch Tränen glänzen bei den Abschiedssängen.
Der grüne Pfad
Noch sehen wir den grünen Pfad sich winden,
den Knaben in der Joppe, wie er lacht,
früh brach er auf, das scheue Reh zu finden,
spät liegt er unterm Mond, Grabmal der Nacht.
Das Mädchen mit bepacktem Leiterwagen,
das Moos glänzt purpurrot vom Weltenbrand,
kein Mund ist weich genug, davon zu sagen,
wie steinig es den grünen Pfad empfand.
Die Greisin, aufgewehter Schleier Schatten,
krumm tastend mit dem Stecken, blind vom Tau,
der von den Wangen rinnt, den sterbensmatten,
grün ist der Pfad, o Herz, wie bist du grau.
Durchs Dunkel, Dichter, mag der Pfad dich leiten,
bis Auen sich im Licht des Liedes weiten.
Es sang der Strom
Ward auch die Inschrift auf dem Stein verdeckt,
das Efeulaub hat dir wie Lichtgezitter
auf Wassern Namen, schlafende, geweckt,
wie schwarze Kirschen süß, wie Wermut bitter.
Erstickt in Dünsten, Regenmelodie,
doch bebten Tropfen noch herabzufließen,
von zarten Halmen eine Elegie,
wie Tränen, wenn sich müde Lider schließen.
Es sang der Strom hoch in der Finsternis,
als längst die Purpurknospe hingesunken,
Wind ging, das graue Netz des Traums zerriß.
Hast du noch Licht aus Stromes Sang getrunken?
Begradigt leckt der Fluß am Ufer Teer.
Im Frack Rimbaud, er pfeift, das Auge leer.
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