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Grabgesang zu Lebzeiten

25.11.2017

Du weißt, ein andrer wird da wohnen,
wenn du nicht mehr bist, ein Fremder.
Was bleibt von dir? Ein dumpfer Wohngeruch,
den man mit frischer Farbe leicht übertüncht.
Die Kübel, Töpfe mit den Blumen sind dann Urnen
abgeblühten Lebens, verdorrter Keime voll,
wenn man sie auf den Unrat kippt,
zum großen Rest von Müll, geborstnen Tellern,
Gläsern, Tassen, Vasen, auch die grüne Vase
ist darunter, vor der die Kerze oft gebrannt,
daß an der Wand der Schattenmond der Rosen-
knopse leise bebte. Der Teppich mit den grünen Bahnen,
lila Ranken, in denen bunte Aras hockten,
Echsen aus Lotosbechern Tropfen schlürften,
und Äffchen schaukelten, geringelt um Lianen,
steht zusammengerollt schon tot im Eck –
weht eine ausgerissne Feder aus dem engen Loch,
ründet sich am Boden traumgrüne Lache nicht?

Die Bücher, all die Bücher, die Ahnengruften,
durch die wie eine Fledermaus die Seele schwirrte
oder lange schwankend hing im Dunkel,
an Büscheln ausgerupfter Silben schmatzend.
Die Schneckenspuren deines Schweißes,
die Unterschlängelungen, wo der Schmerz
sich einen süßen Rhythmus fand, wie einer Viper
schöne Daseinswelle im goldnen Sand,
die trocknen Blätter von Ahorn, Buche, Linde,
eingelegt, wo ein weises Wort, die Blume
eines hellen Lieds vom Tau der Küsse glänzte,
sie werden alle mit verbrannt.

Das Blumenkissen, wo ihr liebes Haupt geruht,
der Lampion, den du am Ufer ihres Schlafs
entzündet, die weichen Pantöffelchen,
die sie gewärmt, die holden Püppchen
mit den Kulleraugen, die ihr sanfter Blick
zum Leben hat erweckt und sprachen auch zu dir
und riefen ihren Namen, wenn sie ferne weilte …
auch sie, auch sie …

Die Ringeltaube kommt wohl noch geflogen
und sitzt am Rand des Daches überm Hof,
gurrt ein wenig, bläht den Hals,
schaut in dein Fenster, ob wer ein Krümlein
Kuchen oder alten Brotes ihr entgegenwerfe.

Und in den ersten Nächten zittert noch
über deinem Haus ein fahler Schein,
wie jenes Gespensterlicht, das wir Kinder
nachts auf den Gräbern ahnten, zu trüb
für einen Stern, zu wässrig für den Geistermond
japanischen Gedichts, und senkt sich
bis zum Morgengrauen, zerraufte Blüte
eines weißen Mohns, auf die verlassne Stätte,
von Sonnenvaters erigierten Messern aufgeschlitzt.

Eines Tages, eines Nachts, bald, schon jetzt,
bleibt er für immer aus, nur die Leere gähnt
aus blauem Schlund, aus dem die weißen Wolken
ewig quellen, um hohen Muts zu wandern
unterm Seufzen meerbetörten Winds
und über Städte, Wälder, Gärten, Gräber
Vergessensglück zu regnen namenlos.

 

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