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Okt 21 25

Da glomm am Vers noch Moos

Da glomm am Vers noch Moos, ein schlichtes Grün,
das in das Dunkel unsrer Bängnis schien.
Da war ein Schimmer noch von feuchten Blicken,
als Hauchen bog die Schilfe des Gedichts,
den Wanderer am Ufer zu entzücken
mit einem Funkeln südlicheren Lichts.
Und als die Nacht ein schwarzer Menhir schien,
glomm ihm am Fuß noch Moos, ein schlichtes Grün.

Die in die irdne Schale sie gesetzt,
die Blüte war von Tropfen jäh benetzt.
Tau stand ihr in den Augen, dunkles Wasser,
worin der Funken Sehnsucht unterging,
Geschmeiden gleich, nur matter, fahler, blasser,
an einem abgestreiften Liebesring.
Kein Nachttau hat den Tränenglanz ersetzt,
der ihrer Blüte sanftes Lid benetzt.

 

Okt 20 25

Erinnerung, verweh

Wo Gläser klirrten, unter Festsaaltischen
wand sich gekrönter Vipern eitles Zischen.
In Augen, sommerabenddämmerfeuchten,
von Schatten einer dunklen Glut umrankt,
sahst du des Mondes scharfe Sichel leuchten,
die fahle Knospe Mund, wie sie geschwankt.

Ans Ufer bist du einsam fortgegangen,
da Nachtigallen wie im Traume sangen.
Auf schwarzen Wogen glommen süße Funken,
entrückter Blüten monderhellter Schnee.
Selenes Schleier war hinabgesunken.
Das Dunkel sprach: Erinnerung, verweh.

 

Okt 19 25

Wermut der Resignation

Philosophische Sentenzen und Aphorismen

Die historisch kontingente, aber epochal beglückende Koinzidenz von Macht, Reichtum und erlesenem Kunstgeschmack ist die Bedingung der Möglichkeit kultureller Höchstleistungen in Architektur, bildender und redender Kunst, wie die römische Klassik unter Augustus, der Hof von Versailles, Potsdam, Dresden oder das Bündnis zwischen Carl August von Weimar und Goethe belegen.

Daß horribile dictu der kriminelle Triebtäter, der Perverse und der Geistesschwache dasselbe Gewicht bei der demokratischen Wahlentscheidung einbringen, ist dem aristokratischen Geist ein Greuel.

Der künstlerische Wille ist die Maßgabe für den individuellen sprachlichen Ausdruck; so gebrauchte Stefan George außer bei Namen die Kleinschreibung, um sich ein Markensiegel zu schaffen. Dem Sprachstümper, dem typischen Produkt demokratischer Massenbildung, unterläuft die Verkennung des Anredepronomens mit dem Pronomen der dritten Person Plural unwillkürlich – im Doppelsinne.

Und doch ist sie wie der Untergang des Genetivs oder die Unfähigkeit, zwischen dem Konjunktiv der indirekten Rede und dem Konditionalis zu unterscheiden, ein Signum des Sprachverfalls.

„Hätte ich nicht so gebummelt, wäre mir die Bahn nicht vor der Nase davongefahren.“ – Solche grammatischen Bildungen zum Ausdruck des irrealen Bedingungsgefüges geben den sprachlichen Anstoß zu philosophischen Erwägungen über den Begriff der mehr oder weniger freien Handlung.

Die Betrachtung der komplexen epischen Struktur der Äneis, die man insgesamt in einen odysseeförmigen und einen iliasähnlichen Teil, aber wie bekannt auch triadisch gliedern kann, darf auf erhellende Analogien aus der Architektur antiker Großbauten wie des Apollontempels auf dem Kapitol oder des Athenatempels der Akropolis zurückgreifen.

Virum mihi, Camena, inseces versutum. – Uns ist in alten maeren wunders viel geseit. – The Queen was in the parlor eating bread and honey. – Wir finden verwandte metrische Gebilde und Klangeffekte wie beim altrömischen Saturnier, in der Nibelungenstrophe und im englischen Nursery Rhyme, die nicht auf Beeinflussung zurückgehen können, sondern aus der gemeinsamen Tiefenstruktur des Indogermanischen fließen.

Die orphische Schlange beißt sich in den Schwanz. – Dem Mythos gemäß kehrt der trojanische Flüchtling Äneas in die alte Heimat Ausonien zurück. – In der Ringkomposition der Sonate findet sich die Wiederholung des Anfangs als Reprise, doch nun in einer von der Durchführung geprägten eigentümlichen Stimmung.

Die keine Laren und Manen mehr verehren, werden unfruchtbar und sterben als Sippe und Volk aus.

Der Gleichheitswahn ist ein Symptom absterbenden Lebens.

Mantua me genuit, Calabri rapuere, tenet nunc/Parthenope; cecini pascua, rura, duces. – Hirten, Bauern, Feldherren galt mein Gesang: Ist dies eine geschichtsphilosophisch deutbare Folge evolutionären Typs vom Zeitalter der Nomaden und Jäger über die neolithische Phase des Ackerbaus bis zur historischen Schwelle urbaner Zivilisation oder der Ritter und Fürsten, wie das Mittelalter den Grabspruch Vergils deutete?

Ohne die Geburt von Bethlehem hätte Kaiser Konstantin die 4. Ekloge nicht messianisch gedeutet und wäre Vergils Dichtung nicht vollständig über die Wirren der Zeit gerettet worden. – Ist dies eine Form von Providenz?

Infolge der Egalitätsobsession und der Schleifung aller geistig-kulturellen Hierarchien mittels Quotenregelung und Gleichstellungsbeauftragung sinkt der durchschnittliche Intelligenzquotient auf voraussehbare Weise, bis das mathematisch-technologische Fundament des modernen Produzierens, Konsumierens und Kommunizierens nachgibt.

Die zum Klischee herabgesunkene Schmähung des Pater familias und die Entwürdigung der Matrone erinnern an die vergeblichen Bemühungen des Augustus, qua Sittengesetz ähnlichen Phänomenen der Dekadenz seiner Zeit Einhalt zu gebieten.

Kristalle, Muscheln, Blüten – Strukturen, die den dichterischen Geist beflügeln.

Die leise bebende Statik der klassischen Säule; das von eigner Schwere und Bedeutung getragene dichterische Wort.

Duft südlicher Gärten, der durch das offene Fenster des Sommers weht; die wunderlich von lauen Lüften bewegten Ranken der Verse.

Eichendorffs rauschende Brunnen; die trockenen Karste kaum noch rhythmisch zu nennender pseudopoetischer Phrasen.

Wer den Atem in die dünnen Kanäle der Mitteilung preßt, hat das dichterische Wort schon erstickt.

Hündische Gesinnung leckt die Hand, die sie füttert.

Schlichte irdene Schale, worin die Hand der Anmut zarte Blüten auf das Wasser setzt.

Das Motiv des katastrophalen Zusammenbruchs aus dem 1. Satz der Achten Bruckners kehrt im letzten wieder, um wie das finstere Grollen und die Düsternis des Endzeitgewitters von der Glorie einer überirdischen Sonne überstrahlt zu werden.

Alt werden heißt, die Häute der Meinung nach und nach abgestreift zu haben. – Wie, nackt bleibst du zurück? – Ja, wie ich auf die Welt kam, um den ersten Schrei auszustoßen, so auch den letzten.

Die Geschichte der Verklärung der Armut und des Armen ist noch ungeschrieben. Denken wir an den kynischen Philosophen mit seinem Wanderstab und dem kleinen Gepäck seiner Weltweisheit; die Worte der Bergpredigt „Kommet zu mir, die ihr mühselig und beladen seid“, die fröhlichen Bettelmönche der Franziskaner oder den armen Toren Parsifal; denken wir auch an den Mißbrauch des verklärten Bildes zu schändlichen Zwecken bei den Weltrettungspropheten von Lenin über Mao bis Pol Pot.

Pascal kannte die trügerischen Inszenierungsrituale der Pariser Salons, die Masken und Kostümierungen einer augenzwinkernden Rhetorik; umso verstiegener seine Weisung, der wesentlichen, Täuschung und Selbsttäuschung abstreifenden Einsamkeit zu pflegen, indem man am besten sein Zimmer nicht verläßt. Die zweideutige Radikalität dieser Authentizitätsverpflichtung kehrt in Rousseaus und Nietzsches Gestalten des einsamen Wanderers, aber auch in Heideggers ontologisch subtiler Analyse der Eigentlichkeit wieder.

Wir können nicht alle Wege gleichzeitig beschreiten, die sich uns eröffnen. Dies ist der triviale Grund der menschlichen Tragikomödie, wenn wir es dennoch vergebens in spastischen Scheinbewegungen und phantasmatischen Verstiegenheiten versuchen.

Die Komik Schopenhauers: Der Überzeugung, daß kein Dasein der Mühe wert und in allem Lebensgenuß der bittere Tropfen der Resignation enthalten sei, ließ er sich doch die feine Küche im Frankfurter Hof täglich munden.

Auf die universalen Ansprüche weltumspannenden Wissens und welterneuernden Wirkens müssen wir Verzicht tun und den bitteren Tropfen der Resignation schlucken.

Nur der einsame Denker ist solcherart souverän und streift ohne weiters die schmeichelnden Ideenkostüme der Welterklärung, der Selber-Lebens-Durchleuchtung, der Transformation des opaken sozialen Körpers in einen auratisch-lichten Leib der Gerechtigkeit und Gleichheit von sich ab.

Ihm kann der süße Honig der Illusion den bitteren Geschmack der Erkenntnis auf Dauer nicht überdecken.

Der Grund, auf dem wir gleich Schlafwandlern umhergehen, ist ein gefrorenes Wasser, das je länger die Sonne der Wahrheit brennt, dahinschmilzt.

Wir müssen den vorletzten Grund als letzten hinnehmen.

Worauf ruht er? Wie die Atome, die Sterne, die Planeten, auf nichts.

Wir sehen die Taube auf dem Dach, und sie scheint erregt hin und her zu trippeln, als würde sie sich freuen, weil wir Körner in den Hof streuen. – So blicken wir, Narren und Marionetten kindlicher Wünsche und urtümlicher Mythen, auf die Fremdheit des Daseins.

Wir sehen Muster und Schemen wie in Wolkenballungen, Ornamenten, Gesichtern, Handlungen, grammatischen Strukturen. – Doch wir könnten all dies auch nichtanalog und algorithmisch als Zahlenreihen und Funktionen auffassen, ohne einem dieser Aspekte den unbedingten Anspruch auf Geltung und Wahrheit zuzusprechen.

Die großen Versprechen beruhen auf falschen Gewißheiten und trügerischen Evidenzen, die aufgrund ihrer giftig strahlenden Simplizität die Masse nicht nur der Mühseligen und Beladenen, sondern neuerdings auch der Wohlstandsverwahrlosten faszinieren: Die Juden sind die Parasiten am geschundenen Volkskörper von ihnen unterjochter Nationen, die Reichen sind die Blutsauger der Armen, also wird uns ihre Vernichtung eine neue soziale Heilsordnung heraufführen.

Gefährlich an der Halbbildung sind nicht die Löcher im Wissen, sondern der purpurfarbene Talmi-Samt des ideologischen Scheinwissens, mit dem sie gestopft werden.

Der erkenntniskritische Grund unserer nicht kompensierbaren Resignation liegt in dem Umstand, daß wir grundlegende Begriffe wie Raum und Zeit nicht definieren können oder nur in der Weise umschreiben können, daß ihre Umschreibung die Geltung des Begriffs schon voraussetzt. Wir können nicht mehr oder Tiefgründigeres sagen, als daß Raum dasjenige ist, was wir mit einem beliebig konstruierten Längenmaß messen, Zeit dasjenige, was wir mit einer beliebig konstruierten Uhr, ob Sand- oder Atomuhr, messen.

Wir können den Menschen nicht anthropologisch objektiv beschreiben; denn wir müßten auch die Tatsache beschreiben, daß er es ist, der sich selbst beschreibt.

Es gibt kein letztes oder einzig gültiges und relevantes Kriterium zur Bestimmung dessen, was wir mit Begriffen wie „wirklich“, „wahr“ oder „exakt“ meinen. Wir können sagen: „Ich habe ihn wirklich gesehen“, wenn wir damit meinen, daß wir ihn zu sehen nicht geträumt haben, ohne zur letzten Gewißheit zu gelangen, daß wir ihn „wirklich“ (unabhängig von jedweder Relativität) gesehen haben. Wir können sagen: „Die Aussage, daß ich ihn (da und dort und zu dieser bestimmten Zeit) gesehen habe, ist wahr“, wenn wir damit implizieren, daß die Aussage, ihn nicht gesehen zu haben, falsch ist, ohne genau angeben zu können, welcher Unterschied zwischen der Aussage „Ich habe ihn (da und dort und zu diesem bestimmten Zeitpunkt) gesehen“ und der Aussage „Die Aussage: Ich habe ihn (da und dort und zu diesem bestimmten Zeitpunkt) gesehen, ist wahr“ hinsichtlich ihrer Wahrheitsbedingungen besteht. Wir können sagen: „Ich habe ihn genau an diesem Ort und zu dieser bestimmten Zeit gesehen“, ohne über ein absolutes Maß für die Orts- und Zeitbestimmung zu verfügen.

Wir können allerdings eine parallele Welt derart konstruieren, daß die in unserer Welt gültige Aussage „Ich habe ihn an diesem Ort zu diesem bestimmten Zeitpunkt gesehen“ falsch ist, weil die Person an dem Parallelort zur Parallelzeit nicht anwesend war.

Wenn wir um die Relevanz der Polarität der Geschlechter für den Erhalt von Familien, Sippen, Ethnien und Nationen und die identitätsstiftenden Lebensformen bei der Weitergabe der Tradition des je eigentümlichen Erbes in Sitten und Gebräuchen, Mythen und Folklore wissen, können wir eine ethische Einstellung und eine politische Maxime ableiten, die zur Förderung der traditionellen Familie beitragen, ohne über ein letztes Kriterium für die Beantwortung der Frage zu verfügen, ob wir den Erhalt dieser und jener Gemeinschaft in einem absoluten Sinne befürworten sollen. Denn wir können nicht behaupten, zu existieren und weiter zu existieren sei für jene Gruppe oder diese Person (wie uns selbst) eine absolute Forderung (wie sie der göttliche Auftrag an das frühe Israel auf dem Weg aus der ägyptischen Gefangenschaft enthielt).

Jener sieht in der Kippfigur einen Hasen, dieser eine Ente, ohne daß wir über ein letztes Kriterium für die Beantwortung der Frage verfügen, welches Bild „wirklich“ und „wahr“ oder eigentlich gemeint ist.

Daß wir mit dem Wort „Mond“ den Mond meinen, ist eine den Wortgebrauch betreffende triviale Aussage; nicht dagegen, daß der Mond der einzige Erdtrabant ist. Und doch ist dies nicht mehr als eine durch alle bisherigen Beobachtungsdaten abgedeckte Vermutung, der wir nicht den Rang einer ewigen oder absoluten Wahrheit zusprechen können.

Wir messen an Dingen, die sich bewegen, wie den Sandkörnern in der Sanduhr oder dem Schattenstab an der Sonnenuhr, die Zeit; dabei unterstellen wir, daß diese Bewegungen gleichförmig, homogen und eineindeutig gerichtet sind, ohne ein absolutes Kriterium zur Bestimmung dieser Bewegungseigenschaften vorweisen zu können.

Wir gelangen vom vorsprachlichen Schweigen nicht in die Dimension der Sprache, von der absoluten Bedeutungslosigkeit oder Sinnlehre nicht in die Dimension von Bedeutung und Sinn.

Die sprachliche Idiotie KI-gesteuerter Übersetzungsprogramme gibt die idiomatische Wendung in dem Satz „It’s raining cats and dogs“ wörtlich wieder durch den Satz „Es regnet Katzen und Hunde“, denn das Programm versteht natürlich weder Englisch noch Deutsch, sonst würde es den Satz durch eine analoge deutsche Wendung wie „Es gießt wie aus Kübeln“ wiedergeben.

Wie soll der Primitive, der nur den Unterschied zwischen süß, sauer und bitter ausdrücken kann, die subtilen Geschmacksnuancen der französischen Küche oder die feinen aromatischen Duftvariationen der symbolistischen Lyrik wiedergeben?

Vom Wermut der Resignation muß einen großen Schluck nehmen auch, wer sich von der humanistischen Illusion zu verabschieden gedenkt, die Goebbels und Goethe, Stalin und Mandelstam denselben Rang, dieselbe Würde, dasselbe Recht auf Geltung zuspricht.

Jessie und Jenny gleichen sich wie ein Zwilling dem andern, doch jede behauptet gegen die andere ein unvergleichliches Maß an Authentizität, weil Jessie sich dasselbe geschmacklose Motiv auf dem rechten, Jenny auf dem linken Hinterbacken hat tätowieren lassen.

 

Okt 18 25

Kreuz und Morgenstern

Noch einmal wollen wir den Kreuzweg gehen,
den überwuchert fast das Dunkel schon.
Das Herz erglühe uns wie roter Mohn,
wenn wir vorm dorngekrönten Heiland stehen.

Noch einmal wollen wir den Engel sehen,
die Lilie, hingeneigt der Demut Thron,
die Jungfrau mit dem segensmilden Sohn,
und fühlen hohen Geistes Flügel wehen.

Ich will den Docht im Honigwachs entzünden,
daß still die reine Liebesflamme scheint.
Mag auch dein feuchtes Aug von Nächten künden,

da ungestillte Liebe hat geweint,
sieh Ströme in die Bucht des Himmels münden,
wo Morgenstern sich blauem Tag vereint.

 

Okt 17 25

Schilfe, Dolche

propter aquam, tardis ingens ubi flexibus errat
Mincius et tenera praetexit harundine ripas.

nahe am Wasser, wo weit in trägen Windungen Mincio
schweift und die Ufer zart umwebet mit Schilfen.

Vergil, Georgica, III, 14–15

i, sequere Italiam ventis, pete regna per undas.
spero equidem mediis, si quid pia numina possunt,
supplicia hausurum scopulis et nomine Dido
saepe vocaturum. sequar atris ignibus absens
et, cum frigida mors anima seduxerit artus,
omnibus umbra locis adero. dabis, improbe, poenas.

Geh nur, folg den Winden nach Italien, das Reich such auf Wogen.
Ich indes hoffe, sind noch fromme Numina mächtig,
das Verhängnis ereilt dich unter Klippen, da rufst du noch öfters
Dido mit Namen. In düsteren Gluten bin ich nah dir, die Ferne,
und wenn eisiger Tod den Gliedern abstreift das Leben,
bin allerorten ein Schatten ich da. Du, Ruchloser, büße.

Vergil, Äneis, 4, 381–386 (Monolog der Dido)

 

Wo aus Urnacht Wasser Schilfe hebt,
die im grünen Dämmerlichte schwanken,
hauchte es dir ein den Trostgedanken,
daß vergebens Sterbliches nicht lebt,
wenn es Wurzeln nähren aus der Tiefe,
Tau des Monds von Traumes Wimpern triefe.

Als du sahst, wie zartes Gras verdorrt,
überm First der Lust ein Unstern funkelt,
hat ein Dämon listig dir gemunkelt,
Liebe sei ein ungeheurer Tort,
wenn aus süßen Blicken, die sie wecken,
Dolche werden, die uns niederstrecken.

 

Okt 16 25

Hungerträume

Da kokett sie lehnte an der Weide,
auf dem Wasser trieb das gelbe Laub,
wußtest du, das Wasser trennt euch beide,
für den Ruf vom Jenseitsufer taub.
Und ihr Mund war schon wie eine rote
Frucht, der Hungerträume herber Bote.

Daß du ihnen könntest Wärme leihen,
wie mit Schnee berieben zarter Haut,
half dir Hauchen nicht noch Benedeien,
aus gepreßten Zeilen drang nur Klagelaut.
Laß nur, Dichter, Traumlaub dich umhüllen,
bis mit Blut sich Frucht und Verse füllen.

 

Okt 15 25

Verblichene Immortellen

Blütensterne, auf ihr Tuch genäht,
Lichtreflexen gleich auf schwarzen Wellen.
Daß ergrünen mögen Immortellen,
hast du Worte ihr ins Herz gesät.
Sturm, er hat die Blüten weggerissen.
Mußt sie, Sommerdüfte, mußt sie missen.

Deiner Verse Taft ist schwermutblau.
Die du eingewebt, die zarten Reben
sind gerötet wie von trunknem Leben.
Trauben leuchten still im Abendtau.
Wie dir bangt, daß sie im Froste blassen,
von der Liebe Sonnenblick verlassen.

 

Okt 14 25

Spät ist sie, die Stunde

Gestrandet sah im Sande Platon Zeichen,
an Kreisen Linien, die sie zart berührten,
und Strahlen, die ins Grenzenlose führten,
doch keine, sich Tagwesen anzugleichen.
Da schien ihm, hoher Sinn hat hier gehandelt,
der Unverwandtes sich hat anverwandelt.

Da unter ihm die Wasser ferner Sagen
das Moos benetzten an der Ufermauer,
Gedächtnis aber gaben Efeuschauer,
sah Hölderlin die Burg ins Blaue ragen.
Da fühlte er der Schwermut Engel drängen
zum Glanz von vaterländischen Gesängen.

Du aber wandelst auf geteertem Grunde.
Ersticktes Flehen aus dantesken Reichen
vermag ein rohes Herz nicht zu erweichen.
Der Krüppel Baum spricht: Spät ist sie, die Stunde.
Und du erkennst, hier wär es wohl vergebens,
vom Keim zu singen, von der Frucht des Lebens.

 

Okt 13 25

Tag der Unbehausten

Trunkner Duft aus Blütenkronen,
dunkles Seufzen aus den Tiefen.
Zwitschern lichtet graue Zonen,
wo wir Unbehauste schliefen.

Durch des Traumes Wimpern bricht
honiggelbes Morgenlicht.

Laß uns mit den Hirten schweifen
und dem Strom der wollenen Herden,
wo die Purpurbeeren reifen,
übers weiche Moos der Erden.

Und die goldne Leier ruht
blitzend in der Mittagsglut.

Ich will sacht die Halme streichen,
die dein nacktes Knie geneckt,
bis die Quelle wir erreichen
und der Kuß nach Dämmerung schmeckt.

Still auf muschelweißem Boot
Venus schwimmt ins Abendrot.

Die gesättigt sind, sie schmiegen
eins am anderen ihr Haupt.
Uns genügt, im Freien liegen,
wo die Ödnis Traum belaubt.

Hast du, Liebe, es gefühlt,
Mond, der wilde Gluten kühlt?

 

Okt 12 25

Süße Resignation

Daß wir noch einmal dürften klimmen
im grünen Dämmerschein,
wo Tropfen goldner Trauben glimmen,
im Rebenhang am Rhein.

Doch bangt uns um die alten Knochen,
ein knirschend-zartes Glas,
ein Schieferblatt, gedrückt, zerbrochen,
geknicktes Ufergras.

Laß, Liebe, Aug in Aug uns schauen,
den Abendglanz auf fernen Auen.

Daß wir noch einmal dürften lauschen
dem hohen Stromgesang,
wenn tiefer weiche Wasser rauschen
im Sonnenuntergang.

Doch fürchten wir, uns überschwemme
mit fahler Glut der Mond,
durchstochen würden Herzens Dämme,
von Stürmen lang verschont.

Laß, Liebe, Herz an Herz uns drängen
und lauschen hellen Blutes Sängen.

 

Okt 11 25

Der unersättliche Wurm

Nachts hast du’s rieseln hören. War es Sand
in Mauerrissen? Nein, aus deinen Knochen,
von Zähnen eines Dämons aufgebrochen,
rann mürbes Mark, ein ausgelaugter Tand.

Nach Fäulnis hat geschmeckt der goldene Wein.
War er gepantscht? Nein, was in ihm gefunkelt,
der Liebe Bild ist jählings eingedunkelt,
und aus dem Dunkel glomm ein Totenschrein.

Vernimmst du aber im Geäst der Zeilen
ein Ach, frag nicht, ob Wörterwülste lasten,
woran dein scharfer Sinn noch müßte feilen.

Der es zernagt, der Wurm wird nimmer rasten,
das Faserwerk der Worte noch zerteilen,
wenn längst ihr Blattgrün und ihr Sinn verblaßten.

 

Okt 10 25

Das Schimmern der Gedächtnismale

Was durch die Erde sich, den harten Felsen frißt,
das weiche Wasser wird im Meere münden.
In Feuern, die den Dichtergeist entzünden,
schmilzt hin das Eis, die Angst im Herzgenist.

Von Versen, südlicher als jedes Wort,
das Sehnsucht hauchte in den kalten Zonen,
weht noch ein Duft bestäubter Blütenkronen,
daß uns der Traum verklärt den kargen Hort.

Und starrst du, Dichter, nur auf Kiesel, fahle,
die knirschend sich im trocknen Flußbett drängen,
die Adern schimmern, die Gedächtnismale

im Glanz von diaphanen Stromgesängen.
Die Rose auch, sie flammt in blauer Schale
und glüht noch nach, wenn sich die Schatten längen.

 

Okt 9 25

Verschollener Glocken Widerklang

Uns bleibt verschollener Glocken Widerklang,
ein Efeuschauer noch von Schattengittern,
verblaßter Blüten geisterhaftes Zittern
am Saum des Weges in den Untergang.
Nicht unter stummen Tränen zu verbittern,
bleibt uns verschollener Glocken Widerklang.

Und deine Hand ließ meine jählings los,
als Blick und Blick erblindend sich entglitten.
Kein Gott gab uns zu sagen, was wir litten,
das müde Haupt zu bergen, war kein Schoß.
Als wär der Liebe Banner uns zerschnitten,
ließ deine Hand die meine jählings los.

Da flogst du, Taube mit schneeweißem Band,
ich hörte schwirrend sich die Flügel breiten.
Kein Odem wehte mir, dich zu geleiten,
der flügellos am schroffen Abgrund stand.
Daß heim du zu den Schwestern mögest gleiten,
o holde Taube mit schneeweißem Band.

 

Okt 8 25

Was Selene mir gesagt

Wie leuchtet Schnee auf Marmorschultern still,
und feiste Putten tragen Nonnenhauben.
Zu weißem Dunst verblassen Turteltauben.
Ach, schlafen, schlafen, einzig, was ich will.

Die Welt ist kalt, mein Blut noch sehnsuchtswarm.
Ich atme bangen Duft von Lethes Fluten,
und was ich hauche, sind erloschne Gluten.
Ach, schlafen, schlafen in Selenes Arm.

Schon äugt sie schelmisch von der Wolkenmauer,
betastet die vom Gram gehöhlten Wangen,
zerfurchter Stirne Chiffren dunkler Fron –

ihr Blick gefriert und ihre Milch wird sauer.
„Du Grind und Greuel himmlischem Verlangen,
lichtloser Lehm, bist nicht Endymion.“

 

Okt 7 25

Im Nest der Nacht verwahrt

Principio caelum ac terras camposque liquentis
lucentemque globum lunae Titaniaque astra
spiritus intus alit, totamque infusa per artus
mens agitat molem et magno se corpore miscet.
Inde hominum pecudumque genus, vitaeque volantum,
et quae marmoreo fert monstra sub aequore pontus.

Vergil, Aeneis, 6, 724–29

Himmel und Erde zunächst, des Meeres Wogengefilde
und die leuchtende Kugel des Monds und die riesige Sonne
nährt von innen der Geist und gliederdurchflutend bewegt sein
Walten den Weltenbau, vermählt sich dem mächtigen Leibe.
Hieraus stammen Menschen und Vieh und das Leben der Vögel,
und was an Wesen der Ozean birgt unter marmornem Spiegel.

Übersetzung: Johannes Götte

Erstlich denn also: den Himmel, die Erde, die flüssigen Flächen,
Auch das Titanengestirn und die leuchtende Kugel des Mondes
Nährt im Innern der Geist. Die ganze Masse bewegt er,
In die Glieder ergossen, vermengt mit dem großen Gebilde.
Ihm entstammen die Menschen, die Tiere, das Leben der Vögel,
Was an Wundergeschöpfen der Marmorspiegel des Meers deckt.

Übersetzung: Emil Staiger

 

Sonett vom Nest der Nacht

Der Odem, der gelichtet hat den Dunst,
das Chaos, floß aus keines Dämons Lungen,
schien von sublimem Duft durchdrungen,
der fühlbar wird in Werken höchster Kunst,

wenn durch der Verse Ranken jäh erglänzt
ein goldner Tau auf Bacchus reifer Traube,
sich im Gedicht Vergils bezeugt der Glaube,
daß irdenes Wortfragment ein Gott ergänzt.

Dies ward den Auserwählten offenbart
in Völkern, die noch nah am Ursprung wohnten,
wo mit Semele sich der Blitz gepaart.

Doch wir sind die vom Feuergeist verschonten,
unflügge, blind, im Nest der Nacht verwahrt,
das dunkel schwankt, wo sie auf Flammen thronten.

 

Okt 6 25

Die entschwundene Rose

Ein Odem scheint des Talgrunds Dunst zu lichten,
der Tau sich zu Kristallen zu verdichten,
und Myriaden Mücken Lichtes schwirren.
Der See erglänzt, ein weißer Onyxstein,
wo gleich Entrückten Wolkenschatten irren.
Herniederströmt der Sonne Purpurwein,
daß feuchte Gluten trinken, die da leben.
Wirst, Dichter, du das Wort ins Blaue heben?

Noch quellen Stimmen aus dem Blattwerk, süße,
als sende Liebe Abenddämmergrüße.
Und du gehst hin, die Rose anzuschauen,
ob sie noch wie im Frühlicht dir sich neigt
und sehnsuchtsweiche Tränen sie betauen,
ihr Duft sagt, was ihr roter Mund verschweigt.
Ach, Dichter, du kannst sie nicht wiederfinden.
Hilft Mondes weißer Mohn den Schmerz verwinden?

 

Okt 5 25

Hinter dunstumflorten Gittern

Wir harren hinter dunstumflorten Gittern
und ahnen, die erlöschen, ferne Schimmer
von Versen, die von süßen Schauern zittern.
Doch hören wir nur trostlos das Gewimmer
erstickter Stimmen dem Morast entsteigen.
Wir haben nichts als trüber Halme Neigen.

Du sagst, wir sollen unsre Blicke wenden,
legt sich der Nebel, zu den schönen Gärten
und lauschen, wie den Sommertag vollenden
Gesänge der gefiederten Gefährten.
O Freund, wir sind durch ihren Staub gegangen,
den Lärm, daß zarte Kehlen dran zersprangen.

 

Okt 4 25

Heimatlicher Pfad

Schattend schlang der Pfad sich zwischen Reben.
Gold von Trauben aus dem Schlaf zu heben,
drängten zitternd warme Strahlen schon.
Tropfen blitzten aus den Traumgeweben,
und die Sonne stieg, ein roter Mohn.
„Hörtest du, wie uns aus Wolkentiefen
Liebste, süße Stimmen heimwärts riefen?“

Dankbar tranken wir das Licht der Höhe,
und uns war, ein Duft von Süden wehe.
Hell im Talgrund wogte trunkener Schaum,
heller als der reine Schnee der Schlehe.
Apfelblüte glomm von Baum zu Baum.
„Sieh nur, Liebster, was uns heim will locken,
die auf Schlafes Schwelle fallen, Flocken.“

 

Okt 3 25

Der Dichter bei den Hesperiden

Wart ihr des Atlas holde Töchter,
Kinder goldenen Dämmerlichts,
war eure Mutter die sternbesäte Nacht,
ihr mondbeschienener Teil gar,
Aphrodite,
graziöse Zweige seid
am erhabensten Stamme ihr
des Abendlands.

Wie hast du, Dichter, ihn gefunden,
jenseits der Säulen,
die jählings ragen
aus dem Schaum des Ozeans,
auf der Hyperboreer
schwankem Eiland,
den Wundergarten,
und streiftest deine Finger
sinnend über Gräser hin,
furchtlos wie Herakles,
dem Drachen zu begegnen,
dem schnaubenden Schrecken
aus der Erde neidischem Grund.

Der Hüterinnen lieblichste,
die des himmlischen Feuers
in süßen Dämmers Wipfeln
pflogen,
die Nymphe reichte selber dir,
von sehender Hand gepflückt,
der Pomeranzen manche,
weil sie der feuchte Glanz gespiegelt
deines Sehnsuchtsblicks.

Und eines Delphins wogender Rücken
trug heim dich an die Küste,
die wir noch Heimat nennen,
wenn Schilfe rauschen träumerisch.

Du bargst das goldene Schimmern
aus göttlich-hoher Nacht,
Stilleben alter Meister gleich,
in einer silbernen Schale,
geprägt mit wehenden Ranken
um Chiffren einer Rätselschrift,
zart bestreut mit blauen Blüten
heimatlicher Veilchen
und der keuschen Lilie
matterem Hauch,
und hast auf stille Moose sie gestellt,
betaut von Eros
somnambulen Seufzern,
nicht weit vom übergrünten Mal
mit halb schon abgebröckelten Namen
der Gefallenen.

Wir wissen wohl,
sie faulten nicht,
der Hesperiden reine Früchte,
auch wenn die Schale überwuchert ward
vom Wildgestrüpp
herbeigewehter Unkrautsamen,
und dem herabgestürzten Neste gleich
in den Brodem wilder Schwermut
tief und tiefer sank.

Von Schatten unversehrt
leuchten uns zu Häupten sie
im Sternbild Großer Wagen,
wie einst es Hellas’ Dichtergeist,
uns zum Angedenken,
huldvoll hat erschaut.

 

Okt 2 25

Zwiesprache bei Nacht

„Nacht hat jählings mir gestreift die Wange
mit dem Flügel einer Fledermaus.“
„Herz, mein liebes Herz, o sei nicht bange,
hab gescheucht sie schon zur Tür hinaus.“

„Eine Schlange kroch aus meinem Kissen,
zischte, ich sei, Mutter, nun ihr Kind.“
„Unsre Katze hat sie tot gebissen,
schlafe, was noch zischt, ist nur der Wind.“

„Wie’s mir graust vor deinen wilden Blicken,
Schnäbeln, tauchend nach der Schuppen Gold.“
„Will ins Dunkel sie des Meers entrücken,
wo sie schimmern, Träume, die mir hold.“

„Fremd will, Liebster, mir dein Antlitz scheinen,
und dein Mund verzerrt von Wahngelall.“
„Nah sind sich, die umeinander weinen,
Arm in Arm im endlos tiefen Fall.“

 

Okt 1 25

Klagesang

Wie schwach sich blassem Mund entrang
verlassener Seele Klagesang,
daß dunkle Feuer in uns glühen.
Die Tropfen sind umsonst geronnen,
kein Veilchen mocht im Abgrund blühen.
O Tau, Trank gnadenloser Sonnen.

Aus weichen Reimen form den Krug,
vom Sinnhauch fest und dicht genug,
und birg sie, daß der Klage Tränen
nicht trocknen auf verwaisten Schwellen.
Dann schweige, Dichter, mit den Schwänen,
die schwanken Schlafs die Nacht erhellen.

 

Sep 30 25

Kreuz auf dem Hügel

Daß es in Nacht, ins dunkle Schweigen ragt,
worin die Segenssprüche längst erloschen,
des Lichtes Garben faulten ungedroschen,
hat kalter Hohn dies, heißer Schmerz gesagt?

Als wir die Kerze dort entzündet, spät,
der Pfad war überkrustet schon vom Schlamme,
hat bang im Wind geflackert ihre Flamme,
und Löcher riß Verzagen ins Gebet.

Sag, ob umsonst der Mutter Träne floß,
ob sie im dürren Karst den Keim noch nährte
für lichterweckter Hoffnung edlen Sproß.

Sag, Dichter, ob dein Vers noch eine Fährte
zur Wunde weist, die Liebessinn ergoß,
wie ihn sein glühend Herz Herzlosen lehrte.

 

Sep 29 25

Herbstgefühl

Des Frühlings Klagen sind im Herbst verdampft.
Still glomm die Traube, Gier hat sie zerstampft.
Ins Dunkel rann der lichte Tau.

Ein Wolkenflaum, der Schwermut noch entzückt,
ward bald von einem Sichelmond zerstückt,
leer wölbte sich Unendlich-Blau.

Die Hand, so weiß und lilienblütenmatt,
ich hielt sie dir, ein lebensmüdes Blatt,
das, hielt ich’s nicht, ins Leere fiel.

Dein Auge, feucht von fahler Sehnsucht Glanz,
sank in der Zweige bacchisch-wehen Tanz,
o Blick der Liebe ohne Ziel.

Und als dein Haar, die blaue Finsternis,
wie eine Woge mich zum Abgrund riß,
ließ fallen mich der Schmerz, die Lust.

Wollt heben mich des Morgens roter Schrei
zum Sklavendienst am dumpfen Einerlei,
kalt läg ich an der warmen Brust.

 

Sep 28 25

Sibirischer Tiger

Herrscher du im Schneegefild,
immer bleibt dein Sinnen wild,
dunkel deine Glut.

Amur strömt die Kunde fern,
stets durchglimmt ein heißer Stern
deines Adels Blut.

Der schwarz zwischen Halmen blinkt,
Angstdunst von der Hirschkuh trinkt,
Töters ist der Blick.

Und du brichst mit einem Zahn,
weißer als der Sage Schwan,
jählings das Genick.

Wie das edle Fell sich bauscht,
hat der Seele Ohr erlauscht,
die im Farne schleicht.

Und der Ruf der Tigerin
saugt aus knochenhartem Sinn
Mark, vom Traum erweicht.

Springest nach dem zarten Biß
wieder in die Finsternis
hoher Einsamkeit.

Hörst nicht mehr im Nachtgeviert,
wenn sie ihren Wurf gebiert,
wie sie nach dir schreit.

Hüte dich vorm Schattenmann,
teuflisch unter Dämons Bann
spaltend Herz und Holz.

Sein Gebiß ist scharfer Geist,
Ödnis nur, was er verheißt
für der Tundra Stolz.

Deiner Schwester schönes Haupt,
ihrer Augen Glanz beraubt,
starrt auf rotem Samt.

Stapfe tiefer in den Schnee,
daß kein schnöder Mensch es seh,
wie dein Auge flammt.

 

Sep 27 25

Fatale Epiphanie

Gelockt hat dich vom Schulweg Katzengold,
wo mit zernarbtem Ranzen du gegangen.
Des Sommers pralle Schoten, wie sie sprangen,
und grüner Waldesodem schien dir hold.

Ah, deine Lungen preßte Schluchzen heiß,
als du wie Gischt das Haar hast flirren sehen,
die Nymphe überm Fels der Quelle stehen.
Grün war ihr Blick und ihre Brüste weiß.

Du hast das Wort vergessen, armer Schüler,
das zwischen Sapphos Lippen glühend sproß,
und wandest dich wie auf der Folterbank.

Sie sprühte mondnen Hauch nur immer kühler.
Du ranntest heim, das Fatum fiel ins Schloß,
in Kissen dich zu wühlen, fieberkrank.

 

Sep 26 25

Sonett für Seelenforscher

Die Seele fließt gestaltlos fast wie Gas.
Ein Schatten flog dich an, ein Duft, ein Lächeln,
du willst es dir vom müden Antlitz fächeln,
doch neigst du dich wie taubeschwertes Gras.

Der Quälgeist Ich, die Mücke, ist gemein.
Sitzt niemals still, muß, muß stets um dich schwirren.
Ein Schlag, umsonst! Noch heißer kreist ihr Sirren.
Nachts schrickst du auf, sie stach dir zart ins Bein.

Ein Fremdling ist, der unterm Dachfirst haust,
Erinnerung an früher Kindheit Tage.
Wie’s dich, hörst du ihn krampfhaft husten, graust.

Und täglich stellst du ihm vor dem Verschlage
die Armensuppe, die du selbst dir braust.
Der Löffel klirrt – o Silberton der Sage.

 

Sep 25 25

Sonett vom Dichtermut

Das edle Antlitz, Anmut weichen Ganges,
sie leuchteten wie Bilder von Watteau,
sie stimmten, Gesten hoher Huld, uns froh,
als schwöllen Wellen lieblichen Gesanges.

Daß du nicht müde wardst des Überschwanges,
quoll aus des Seraphs Mund das A und O,
entbrannte deiner Schwermut dürres Stroh,
und mit den Engeln flogst du, gleichen Ranges.

Du siehst den Flügel im Morast verwesen,
das Antlitz überfleckt von schwarzen Pocken,
hörst Klauen wölfisch Wohllauts Samt zerreißen.

Sieh, wie uns Dichtermut aus kruden Brocken
ein Mosaik ersinnt, zart und erlesen,
wo weiße Blüten keuscher Anmut gleißen.

 

Sep 24 25

Am Sterbebett zu singen

Ein Ton, ein Seraph, lichtgekeimt,
es öffnet sich ein Ohr nach innen,
die Augen schließe nur gemach.

Nicht hält, was uns zusammenleimt,
so gib dem süßen Singen nach,
ins Grenzenlose zu verrinnen.

Ist dies der Rose sanfte Glut,
was deiner Schwermutnacht entsprossen,
genährt mit deinem hellen Blut?

Schon ist, daß er die Rätsel kühlt,
ein Tau auf deine Stirn geflossen.
O kalte Stirn, die nichts mehr fühlt.

 

Sep 24 25

Clément Marot, Epigramme de soy mesme

Plus ne suis ce que i’ay esté
Et ne le sçaurois iamais estre.

Mon beau printemps & mon esté
Ont faict le sault par la fenestre.
Amour, tu as esté mon maistre,
Ie t’ay seruy sur tous les Dieux;
O si ie pouuois deux foys naistre,
Comme ie te seruiroys mieux!

 

Ins eigne Fleisch geritzter Spruch

Wie mußte, was ich war, vergehn,
so werde niemals mehr ich sein.
Mein Frühling war, mein Sommer schön,
und Trunkenheit brach sich das Bein.
Dir diente, Liebe, ich allein,
denn überhimmlisch strahlt dein Mund.
Gäbst wieder du den Becher Wein,
ich leerte ihn bis auf den Grund.

 

Sep 23 25

Kein Himmel tauet den Gerechten

Aus dunklem Abgrund schreit es: Herr, errette!
Doch weh, kein Himmel tauet den Gerechten.
Es verlustieren die Gemeinen sich, die Schlechten,
siecht hin der Fromme auf dem Sterbebette.

Verwaiste Seele fand sich keine Stätte.
Mit Schattenbildern mußten Denker fechten,
da unter hellen Lüstern Narren zechten
und Hurer schabten ab vom Samt die Glätte.

Ach, Liebe, dieser Finsternis entrinnen,
aus der obszöne Flammenzungen lecken,
durchs Netz der Nacht, das kalte Nornen spinnen,

die Hände nach dem Gold der Trauben recken
und Milde träufeln den zermürbten Sinnen –
still unter Sternen liegen ohne Schrecken.

 

Sep 22 25

Sich jählings schließende Stanzen

Du träumtest unter hoher Lauben Schwanken,
durchs Blattwerk fielen Tropfen weichen Lichts,
auf daß sie wüschen ab die Schmerzgedanken,
zu glätten dir die Falten des Gesichts.
Du recktest dich empor, gleich Schwermutkranken,
ins hohe Rauschen orphischen Gedichts.
Wie Tränen rinnen von geliebten Wangen,
war bald, ein Wahn der Nacht, der Glanz zergangen.

Du stiegst vom Strom hinan durch Dämmerreben,
vorbei an voller Trauben süßem Glimmen,
und weiche Lüfte schienen zu beleben,
vom Geist der Liebe zart erregte Stimmen.
Du riefst ihn an, empor dich doch zu heben,
wo Wolken in die blaue Leere schwimmen.
Als atemlos den Gipfel du erklommen,
sankst vor dem Kreuz du nieder, wie benommen.

 

Sep 21 25

Das Zwiegespräch von Erde und Sonne

Philosophische Sentenzen und Aphorismen

Verwesungsgeruch, in den sich süßliche Aromen mischen.

Je länger einer lebt, umso mehr oder gewichtiger scheinen die Gründe für den Wunsch zu werden, nicht gelebt zu haben.

Wären die Blicke der Verachtung giftige Pfeile, gäbe es keinen Grund zur Sorge um die Übervölkerung des Planeten.

Würfen die Blicke der Angst, des Hasses, der Mißgunst Schatten, wir hausten immerdar in Nacht und Nacht.

Die schlichte Existenz genügt, um Argwohn, Verdacht, Ressentiments zu wecken, geschweige denn die eitel sich blähende oder die vom Glück besonnte.

Die Passanten grinsen, wenn der Linkische stolpert; die Meute geifert, wenn dem Prediger der Verständigung das Maul gestopft wird.

Wer nicht der Meinung der Meinungsmacher ist, wird mit dem sozialen Tode bestraft.

Der Schnee der Gipfel glänzt auch den Bewohnern der Schattenwelt.

Sie tragen Steine in den Rucksäcken auf dem Pilgerpfad des Lebens.

Sie schauen indigniert, sagt einer wie Wittgenstein: „Wirf ab die Last, dann geht es sich leichter!“

Der natürliche Mensch, dem die aurea mediocritas kein Ausweis von Mediokrität ist, gilt für fade, rückständig, krank, als eine zum Aussterben abgestempelte Spezies.

Je wahnwitziger, verrückter, obszöner eine Idee, eine Mode, eine künstlerische Darstellung, umso begeisterter und frenetischer die stumpfsinnige Menge.

Bei sich bleiben, sagt Seneca angesichts der Unsteten, können sie nicht.

Stumpf- und Dumpfsinn ist die Regel, Geschmack für die Nuance oder Genie die Ausnahme.

Der Finger der Unzucht oder das erigierte Szepter mit der Prätention auf die Weltherrschaft.

Aus blutigen Greueln und dem Morast des Chaos erhob sich die Blüte der klassischen Dichtung Roms.

Wer nicht sagt, was alle meinen, nicht wiederkäut, womit alle sich die geistige Leere stopfen, ist schon der Häresie verdächtig.

Der Dichter, der auf scharfen Graten balanciert, ohne Hoffnung, einmal noch den wunden Fuß aufs weiche Moos stiller Auen zu setzen.

Im geritzten Fleisch der Muschel wächst die Perle heran.

Die den verhängnisvollen Blick nicht einmal spürte, Eurydike.

Marionetten, die an den Schnüren des Zeitgeistes zappeln, schwadronieren von Freiheit und Selbstbestimmung.

Sogenannte Kunstproduzenten, die den Auswurf des Ekels parfümieren, ja nicht einmal mehr parfümieren.

Weibliche Eierstöcke oder die Brutstätte der Unterwerfung und des Kriegs der Männer.

Überwundene Scham gilt ihnen für das Unterpfand des Sublimen.

Freilich, die Pflanze schweigt im Tageslicht, doch seufzt sie in der Nacht des Wurzelreichs mit ihren Schwestern von der Sonne des Siegs.

Stil und Zweige sind das Skelett, die Blätter das Fleisch der Orchideen; was sie dem Licht entgegenrecken, das in Wohlgeruch gehüllte Geschlechtsteil voller Pollen und Samen.

Über das Zwiegespräch von Erde und Sonne ward noch keine Rhetorik, keine ars poetica  geschrieben.

Das Flüstern der Nacht, der Sonne Kriegsgeschrei.

Fröschen dünkt ihr Gequake das eigentlich Schöne.

Jedes bleibt seinem Element und Medium verhaftet, das Auge dem Licht, der Gang der Schwere, der Flügel der Luft. Und das menschliche Wort, vermag es sich selbst zu übersteigen?

Was da gärt und gluckst im Morast der Lüge, schmeichelt dem Zeitgeist als Offenbarung des Wahren, Guten, Schönen.

Als wäre er auf einen steilen Paß gestiegen, auf dem keiner mehr mit ihm ging; niemand ist, ihm zu sagen, ob jenseits des Gebirges die fruchtbare Ebene seiner harrt oder die Wüste.

Der Dirigent bewegt bei der Achten Bruckners bisweilen die linke Hand wie in spastischen Zuckungen, dem Zweige gleich, von dem der fatale Sturmwind Tautropfen schüttelt.

Torheit rodet mit der glitzernden Sense der Interpretation das Schilf der Metaphern, um sich freie Sicht auf das dahinterliegende eigentlich Gemeinte zu verschaffen; aber das Schilf rauscht für sich selber.

Ja, das dichterische Wort vermag sich selbst zu übersteigen; als würde sich im Flügel des Gesangs das Geheimnis der Luft und des Windes offenbaren.

Als bohre sich der Strahl im Fleisch des Lebendigen ein Auge, lege die Sonne ins Nest der Nacht ein Herz, um sich selber zu empfinden.

In Bach, Mozart, Beethoven, Bruckner teilt sich uns ein Sinn mit, der nach Wittgenstein nicht sich sagen läßt.

Das Wasser, das Schubert zum Klingen bringt, ist gleichsam das Medium, das uns trägt und in dem wir liebend gern, gern liebend untertauchen und ertrinken.

Die Sonne grüßt die ungeheuren Schöpfungen, die sie aus dem Schoß der Erde zog; die Erde aber schweigt und dreht sich in die Nacht.

Die Sonne schlürft den Schaum der Ozeane, das Zwielicht melkt die trägen Wolken.

Gezwitscher steigt mit Lerchen in den blauen Zenit; der Nachtigallen Wohllaut sickert aus dem Blattwerk der Dämmerung.

Die Sonne peitscht die durstigen Herden; der Mond tränkt des Dichters mürbe Lippen mit dem Tau des Reims.

Am Atem sparen, bis wärmer er das Herz des Verses füllt.

Dichtung, Mark der Nacht, Kristalle, die im Strahl der Sonne rein, im Mondlicht wie ein Claire-obscur ertönen.

Kybele, die Mutter, ruft: Dein Sonnenwagen wird in meinem Dunkel landen. Dein Singen, Kind, in meines Dämmers Schilf verebben.

Das Zwiegespräch hat kein Ziel, ist sich selbst genug.

Die von außen, physikalisch und kosmologisch, gemessene Zeit ist nicht die Dauer, mit der die sich Unterredenden den Zeitraum des Gesprächs aufspannen.

Die mit dem Metronom gemessenen Takte und Zeitabstände geben uns nicht die Grade der Intensität des Gehörten.

Nicht nur die Silbenzahl, auch der Wert der Zäsuren und Dihäresen sowie der Wechsel von Daktylen und Spondeen konstituiert die Dauer des Hexameters.

Der Einschnitt der Mittelzäsur des Pentameters gleicht der harten Fügung, mit der sich Nacht und Tag, Erde und Sonne widersprechen.

Flut, sie muß verrauschen, Gischt des Tags im Schilf des Schlafs versickern, Blume des Munds sich vor dem Schnee des Monds verschließen.

Das Sonnenkönigtum ist die Krone aller staatlichen Herrschaftsformen – vom japanischen Nippon bis zum Königtum der Douce France und aller Herrschaftshäuser, die den Sonnenadler im Wappen trugen, ob den Legionsadler der römischen Heere oder den Doppeladler der Habsburger Monarchie.

Freilich, wer auf dem Reichstag statt der hoheitlichen die Flagge der Entartung hißt oder das im Paß und Ausweis integrierte Emblem des Reichsadlers an jeden dahergelaufenen Nichtdeutschen verteilt, bekundet damit nur die Verachtung für seine Herkunft und die einstige Größe der eigenen Kultur.

Ähnlich wie Zweige, Ranken, Wipfel ausgreifen, um mehr Licht aufzufangen, ist die menschliche Kultur seit Jahrtausenden vom Trieb nach Ausweitung und Expansion bestimmt. Keine staatliche Größe ohne imperialen und kolonialen Anspruch. Das zeigen die kolonialen Gründungen der Griechen von Marseille bis zum Schwarzen Meer, die Züge Alexanders bis Baktrien und Indien und die Immensität des Römischen Imperiums.

Die gleichsam lichthungrige Unruhe des menschlichen Geistes mag dämpfen oder gar überwinden, wer den Rat Senecas und Pascals, bei sich zu bleiben, beherzigt oder sich in die Höhlen und hinter die hohen Mauern klösterlich-asketischer Lebensführung in die Stille zurückzieht. Doch in den mystischen Feuern und Glanzvisionen bricht sie wieder auf, mag sie sich auch nur in den Abgrund eines dunklen Lichtes ranken.

Ein gleichsam betäubender Einwand wider die aufgeklärte Torheit, alle Formen des Imperialismus und Kolonialismus zu verdammen, ist der Wein und der dichterische Geist des Dionysos, die sich ohne die welterobernde Unruhe des Römischen Imperiums nicht bis an Rhein und Mosel, Loire und Garonne ausgebreitet hätten.

Wir sehen die Religion der Sonne wie die arische oder japanische im ewigen Streit mit der Religion der Erdmutter und der Nacht, von den griechisch-orientalischen Mysterienkulten bis zum Christentum; freilich bildet die christliche Religion eine einzigartige Synthese, da sich der jüdische Schöpfergott des Lichts und des Worts immer wieder in die stumme Nacht seiner mysteriösen Abwesenheit zurückzieht.

Das dichterische Wort wird unfrei, unschön, mißtönend, wenn sich der Dichter in die Schuldknechtschaft der öffentlichen Meinung oder einer angeblich höheren Moral begibt.

Der hörige Wissenschaftler beweist in einem Gefälligkeitsgutachten, der Pferdefuß des Politikers sei das singuläre Symptom einer neuen höheren Rasse.

Der Perverse bekam das Entreebillet in die Salons der Elite; der ihn als solchen zu bezeichnen wagte, den Normalen steckte man in die geschlossene Psychiatrie.

Der einsame Dichter tritt aus der Hülle der mütterliche Symbiose und dringt bis an den Ausgang der Höhle vor; da erschrickt er angesichts des grellen Lichts. Flieht er panisch vor der großen Sonne und eilt in das Dämmerlicht zurück? Vielleicht, daß ihm Feuchte von Tränen die Gewalt der Strahlung bricht.

 

Sep 20 25

Schwermutblaue Stanzen

Wir lauschten noch dem Jubel in der Frühe,
da in die Bläue stiegen Lerchenscharen.
Wir ahnten, daß er sinkend süßer glühe,
Septembermond hoch über fahlen Maaren,
verstanden, was da rauschte, ohne Mühe,
als wir des hohen Stromes Kinder waren.
Gerank auf des Erinnerns zarten Gittern,
fühlst du von wehem Lufthauch es noch zittern?

Wir schnippten Murmeln in lehmgelbe Kuhle,
im grauen Asphalt mußte sie verschwinden.
Die Duft geweht durchs Fenster deiner Schule,
der Wahn hat sie gefällt, die alten Linden.
Wovon du träumtest, wunderfernes Thule,
im Meer der Sehnsucht kannst es nimmer finden.
Umwuchert ragt Erinnerns hohe Mauer,
weht er dich an noch, Efeus dunkler Schauer?

 

Sep 19 25

Sonett von der Niedertracht

Wenn dürres Gras, da längst der Quell versiegte,
gespenstisch raschelt unter grauem Wehen,
muß Wortes Knospe duftlos untergehen,
die grüner Wellen tiefes Seufzen wiegte.

Du sagst, es sei die Nemesis des Lebens,
daß die da hoch gestiegen, fallen müssen,
und stummer Bilder Lippen unter Küssen
den süßen Klang zu wecken, sei vergebens.

Nein, Niedertracht hat ausgedörrt die Quellen,
gelockt hat Bosheit auf die stillen Auen
was uns vertieren soll, ein wildes Bellen.

Wahn will das Schatzhaus Räubern anvertrauen,
der Anmut Kinder scheuchen von den Schwellen,
Kot nennen Gold, entmannte Männer Frauen.

 

Sep 18 25

Stanzen vor dem hohen Blauen

Wenn sich des Leides Falten jählings glätten,
ein Linnen, das zerwühlt war, wieder spannt,
magst du dich aus dem Trug der Bilder retten,
den Schattenspielen auf getünchter Wand.
Dich fesselten nur Traumes lose Ketten,
ein schmaler Reif entsank der schlaffen Hand.
Das ungetrübte Aug wird ruhig schauen
Gestalten wölken vor dem hohen Blauen.

Sie nichten selber sich, die Angstchimären,
was dir den Atem nahm, der Alb zergeht,
wenn ferne sich des Lebens Linien klären,
was sie verbarg, der Schwermut Schnee verweht.
Die Stimmen, die in deinem Blute gären,
sie winden sich empor zum Dankgebet.
Der Mund, ward ihm der Knebel erst genommen,
mit Sylphen seufzt er, psalmodiert mit Frommen.

 

Sep 17 25

Stanzen orphischer Nacht

Ich lag, wie schon von Grabesnacht umfangen,
gewickelt in der Schwermut bleiches Tuch.
Da hörte ich, wie sanfte Geister sangen.
Aus fernem Garten strömte Wohlgeruch,
wie einst, da Hand in Hand wir dort gegangen,
wo Unschuld blüht, noch unversehrt vom Fluch.
Da habe Hauch gefühlt ich, innig-warmen,
als läg die Liebe noch in meinen Armen.

Sein Lied war hell wie Schnee auf mondnen Steinen,
die Erde hat ihm aufgetan den Schoß.
Und Orpheus stieg hinab, zu ihr, der einen,
sie aber schwebte schon erinnerungslos
bei stummer Asphodelen fahlem Scheinen,
ein Tropfen Glanz auf Lethes dunklem Moos.
So fiel sein Blick in eine trunkne Leere,
das Lied erstarb im Rauschen ferner Meere.

 

Sep 16 25

Herbstgeruch

Die Bilder leuchten härter,
die Flucht der Linien schmerzt.
Herbes, Unerbittliches
würzt schon die Luft.

Wir sind mit uns allein
und treten wie aus Scheu
nicht auf des Fremden Schatten.

Wie Tau, der zögernd-haltlos tropft
vom Purpurblatt der Reben,
erlischt der Glanz des Worts.

Schon sind Erinnerung
Schaum des Flieders, Schmelz der Rose.
Herbes, Unerbittliches
durchtränkt die Luft.

 

Sep 15 25

Gedenke nicht

Gedenk des Schneelichts nicht der Waldkapelle,
ob muschelgleich sie noch die Höhe ziert.
Zerbrochen schweigt das Salve auf der Schwelle,
obszöne Hand hat ihr die Stirn beschmiert.
Wo Weihrauchwolke stieg, dem Geist zu danken,
stinkt nach Urin das Mosaik der Ranken.

Im Beet der Fresken windet sich die Sure,
die nach dem Untergang der Frevler schreit.
Der Jungfrau Mund, geschminkt wie einer Hure,
der Hostien Flocken, in den Kot geschneit.
Gedenke nicht der frühen Lobgesänge,
da Licht brach in der Schwermut dunkle Gänge.

 

Zum Verständnis:
Sure 9, Vers 5: „Erschlagt die Frevler, wo ihr sie findet.“

 

Sep 14 25

Lichtung im Eichenhain

Hier scheint ein lichtes Wesen still zu sinnen
und früh zu glänzen das gezackte Blatt.
Das Dunkel zögert, wurzelhin zu rinnen.
Gemäuer, das Gewalt zerbrochen hat,
einst Apsis einer Quelle, die geleuchtet,
der Isis leises Lächeln überfeuchtet.

Das Wasser gluckst noch zwischen zarten Moosen,
und manchmal kommt ein Reh daher und trinkt.
Hier ist die Stätte für die Heimatlosen,
wenn ihrer Hoheit Wappen Sonne sinkt.
Hier magst du, Dichter, weiche Reime finden,
wenn Seufzer sich um holde Schatten winden.

 

Sep 13 25

Rideo quia absurdum

Er wird nie jodeln an der Waterkant,
krachledern stehn am Uferkai: Der Friese
brüllt seine Shantys in die Meeresbrise,
in kurzen Hosen fühlt er sich entmannt.

Säng ihm ihr Lied betörend Loreley,
und schwankte er vom Riesling schon: Dem Märker
knirscht noch im Rausch der Sand der Marken stärker
als Heines und Brentanos leiser Schrei.

Die Schwarze soll sich in ein Dirndl zwängen,
ein Wüstenberber sich den Mönch am Meer
zum Krummdolch seines heißen Ingrimms hängen.

Doch einen deutschen Michel zaust man schwer,
der sich in einen Negerkraal wollt drängen,
und wär sein Herz auch mohrenschwarz wie Teer.

 

Sep 12 25

Wer sagt Abendrot

Vor der Schönheit, vor dem Grauen
bricht der Mensch ins Knie.
Wer ist, der nicht schrie,
wenn verharschte Wunden tauen?

Blätter auf des Traumes Schwelle,
Herbst hat sie geweht.
Wer spricht das Gebet,
sinkt dahin das Licht der Quelle?

Duft drang von entsunknen Rosen
ins Verlies der Nacht.
Wer seufzt, jäh erwacht,
wehe uns, den Heimatlosen?

Schlägel führte über Rippen
Meistersänger Tod.
Wer sagt Abendrot,
dem erlosch die Glut der Lippen?

 

Sep 11 25

Lerchen und Nachtigallen

Die gleich Lerchen steigen in die Bläue,
Rufe, Stimmen aus den Dämmerauen,
und sich kontrapunktisch wirrend stauen,
schweifen, daß ihr Odem sich erneue.
Manche drängen höher und entschwinden.
Wölken Träume, magst du sie noch zu finden.

Die verborgen sich im Blattwerk wiegen,
süßer Schwermut Nachtigallen singen
in geheimnisvoll getauschten Ringen,
die sich um den Blick der Venus biegen.
Manch ein Schluchzen übermannt die Schwestern.
Birg es, Dichter, in des Reimes Nestern.

 

Sep 10 25

Entrückter Liebe Schimmer

Wie hat im Dunkel einst mir dein Lächeln geschimmert,
gleich einer Traube zwischen dämmernden Reben.
In eine Schale soll die goldene Frucht man bald heben,
daß sie nicht wehrlos im harschen Froste verkümmert.
Ich aber mochte den Schimmer nicht pflücken, schweben ihn lassen,
mußte in fahler Mondnacht, im Schneelicht mußte er blassen.

Wie mir dein Wort das Herz, das schlaflos ergraute,
gleich lichten Tropfen, lieblichem Troste der Blumen,
haben sie seufzend erweicht erst die trockenen Krumen,
mit einem Glanz erfrischten Sinnes betaute.
Schlaf ich allein auch im fremd gewordenen Zimmer,
schwebt es herab im Traume mir, Flockengeflimmer.

 

Sep 9 25

Für Liana

Der geopferten Unschuld von Friedland

Sinnig lächelnd scheinst du heiter.
Fühlest du den Schatten nicht
huschen über dein Gesicht?
Geh nicht weiter, geh nicht weiter.

Tritt nicht an die Bahnsteigkante.
Blond bist du und jung und schön.
Fühlst du nicht das kalte Wehn,
nicht die Blicke, haßentbrannte?

Blicke, die dich schon zerschneiden,
wie ein Blatt, obszön beschmiert,
die schon wühlen ungerührt
Nacht aus deinen Eingeweiden.

Weißt du nicht von den Hyänen,
die gelockt in Goethes Land
der Bigotten Unverstand,
Meuchler mit sinistren Plänen?

Denn die Faust, die dir im Rücken
sich geballt und es vollstreckt,
hat das Juste Milieu geleckt,
Perversion ist sein Entzücken.

Lust am eignen Untergehen
reißt in Fetzen Wort und Sinn,
und Verblendung neigt sich hin,
in der Bluttat Wahn zu sehen.

Doch die um die Unschuld weinen,
sehn, wie man das Recht hier pflegt:
Ja, der Mörder wird umhegt,
geht im Park auf strammen Beinen.

 

Sep 8 25

Geflüster zwischen Tag und Nacht

„Weiter, Lieber, gehn wir nicht,
hier ist mild das Abendlicht.
Laß uns lehnen an die Mauer
unter Efeus weichem Schauer.“

„Wenn die Wolke nicht verhält,
kann sich wohl ein Mond noch ründen,
blasser Glanz der Knospe künden,
daß entronnen wir der Welt.“

„Mag der Blume Aug sich feuchten,
wird sie ja umsonst nicht weinen,
mit den Schwestern sich vereinen,
die auf Eos Händen leuchten.“

„Liebe, fühl den Augenblick,
dem die Lider schon ermüden.
Leise spricht das scheue Glück,
Nacht nur bringe ihm den Frieden.“

„Daß Wachträume um uns wallen,
singt der Quelle dunkler Mund,
strömt aus tiefem Himmelsgrund
hoher Ton von Lichtkristallen.“

 

Sep 7 25

Reden und verstummen

„Nicht wie die Welt ist, ist das Mystische, sondern daß sie ist.“
Ludwig Wittgenstein

 

Leicht reden ist von sanften Übergängen,
wenn in der Sanduhr Korn um Korn verrinnt
die Spinne wie im Schlaf den Faden spinnt,
am Abend sich allmählich Schatten längen.
So reihen Perlen wir zur schönen Kette,
und rhythmisch wogt der Vers im Metrenbette.

Die jähen Wechsel aber, tiefe Schnitte,
wenn ein Gestirn aus dunklem Abgrund blitzt,
den Erdschoß Reis, den Faden Moira ritzt,
da graut dem Geist, daß er in Schründe glitte.
So stehen stumm wir vor des Daseins Fülle,
und Widersinn zerreißt des Sinnes Hülle.

 

Sep 6 25

Näher als das Blut

Wo noch ein Licht im Dämmerlaube flirrt,
auf Schiefertrümmern einer Weinbergsmauer,
bist du der Schatten oder jener Schauer,
wenn durch den Schatten eine Taube schwirrt?

Tönt nicht kristallen-hell dein Lachen fern,
wenn an das Glas des Himmels Flügel schlagen,
will mir der dunkle Glanz des Wassers sagen,
du seiest längst entrückt, ein stiller Stern?

Nein, nah bist du, mir näher als das warme
Blut, wenn die Ader ihm, die nächtige, schwillt.
Des Mondes Strahlen sind wie deine Arme,

hat mir die Feuchte schon den Blick verhüllt.
Ein süßer Quell fließt du dem bittern Harme,
wenn aus der Schale Herz ein Leuchten quillt.

 

Sep 5 25

Aus dem Abgrund Rauschen

Ich habe nichts als Rauschen
Rudolf Borchardt

Wir sollen von der Frucht der Erde leben,
aus Samen, die wir dankbar bloß empfingen,
die dunkler Regung hold ins Helle dringen,
das Saatgut würdigen Erben weitergeben.

Der hohe Umschwung möge uns begeisten,
das Spiel des Lichtes mit beredten Schatten,
bis wir im Sonnenuntergang ermatten
und Träume kehren, die zu Göttern reisten.

Nachts wollen wir dem Sang des Wassers lauschen,
das geisterhaft ein bleicher Mond bescheint,
die harte Münze Wort mit Tränen tauschen,

die Eingedenken fernen Seelen weint.
Quillt aus dem Abgrund uns ein mildes Rauschen,
verstehen wir, was Dichtermund gemeint.

 

Sep 4 25

Im Aschenkreis

Das Holz des Heils riß auf nur unsre Leere.
Es ward gefällt, verbrannt. Und Funken sprangen
aus weißer Glut. Doch keine Engel sangen,
daß sie die Angst der dunklen Welt verzehre.

Wir standen auf dem Berg im Aschenkreis
und sahen ringsum auf die öde Steppe.
Die Sonne schleifte ihre Purpurschleppe
durch schwarzen Sand und weißen Knochengneis.

Und ewig über Babels Wassern weht
den Schrei von Golgotha der Wind ins Nichts,
wo nimmer tote Liebe aufersteht.

Fiel in das Dunkel auch ein Tropfen Lichts,
als hätte banger Seele Durst gefleht,
er dräng nicht durch die Maske des Gesichts.

 

Sep 3 25

Wie traurig sinnlos atmen

Luft atmen, sinnlos lebenslang, wie trist.
Luft ohne Geist kann keine Seele nähren.
Mag deine auch vom Duft der Rosen zehren,
im Süßen wittert schon Gestank von Mist.

Wie öd ist eigner Rede Widerklang
aus eines fremden Nächsten hohlem Munde,
wie monoton pocht immerzu die Wunde,
wie schwankend allen Fühlens Abschiedsgang.

Ist wahr, ist Wahn, was die Erwählten künden,
daß hoher Geist die Seele eingeblasen,
den Odem hat verdunkelt Dunst von Sünden?

Wie konnte leicht auf Hellas’ schönen Vasen
in Gesten ohne Schwere Anmut münden,
wie weckte Hauch, was wir bei Pindar lasen?

 



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