Skip to content


Sep 18 25

Stanzen vor dem hohen Blauen

Wenn sich des Leides Falten jählings glätten,
ein Linnen, das zerwühlt war, wieder spannt,
magst du dich aus dem Trug der Bilder retten,
den Schattenspielen auf getünchter Wand.
Dich fesselten nur Traumes lose Ketten,
ein schmaler Reif entsank der schlaffen Hand.
Das ungetrübte Aug wird ruhig schauen
Gestalten wölken vor dem hohen Blauen.

Sie nichten selber sich, die Angstchimären,
was dir den Atem nahm, der Alb zergeht,
wenn ferne sich des Lebens Linien klären,
was sie verbarg, der Schwermut Schnee verweht.
Die Stimmen, die in deinem Blute gären,
sie winden sich empor zum Dankgebet.
Der Mund, ward ihm der Knebel erst genommen,
mit Sylphen seufzt er, psalmodiert mit Frommen.

 

Sep 17 25

Stanzen orphischer Nacht

Ich lag, wie schon von Grabesnacht umfangen,
gewickelt in der Schwermut bleiches Tuch.
Da hörte ich, wie sanfte Geister sangen.
Aus fernem Garten strömte Wohlgeruch,
wie einst, da Hand in Hand wir dort gegangen,
wo Unschuld blüht, noch unversehrt vom Fluch.
Da habe Hauch gefühlt ich, innig-warmen,
als läg die Liebe noch in meinen Armen.

Sein Lied war hell wie Schnee auf mondnen Steinen,
die Erde hat ihm aufgetan den Schoß.
Und Orpheus stieg hinab, zu ihr, der einen,
sie aber schwebte schon erinnerungslos
bei stummer Asphodelen fahlem Scheinen,
ein Tropfen Glanz auf Lethes dunklem Moos.
So fiel sein Blick in eine trunkne Leere,
das Lied erstarb im Rauschen ferner Meere.

 

Sep 16 25

Herbstgeruch

Die Bilder leuchten härter,
die Flucht der Linien schmerzt.
Herbes, Unerbittliches
würzt schon die Luft.

Wir sind mit uns allein
und treten wie aus Scheu
nicht auf des Fremden Schatten.

Wie Tau, der zögernd-haltlos tropft
vom Purpurblatt der Reben,
erlischt der Glanz des Worts.

Schon sind Erinnerung
Schaum des Flieders, Schmelz der Rose.
Herbes, Unerbittliches
durchtränkt die Luft.

 

Sep 15 25

Gedenke nicht

Gedenk des Schneelichts nicht der Waldkapelle,
ob muschelgleich sie noch die Höhe ziert.
Zerbrochen schweigt das Salve auf der Schwelle,
obszöne Hand hat ihr die Stirn beschmiert.
Wo Weihrauchwolke stieg, dem Geist zu danken,
stinkt nach Urin das Mosaik der Ranken.

Im Beet der Fresken windet sich die Sure,
die nach dem Untergang der Frevler schreit.
Der Jungfrau Mund, geschminkt wie einer Hure,
der Hostien Flocken, in den Kot geschneit.
Gedenke nicht der frühen Lobgesänge,
da Licht brach in der Schwermut dunkle Gänge.

 

Zum Verständnis:
Sure 9, Vers 5: „Erschlagt die Frevler, wo ihr sie findet.“

 

Sep 14 25

Lichtung im Eichenhain

Hier scheint ein lichtes Wesen still zu sinnen
und früh zu glänzen das gezackte Blatt.
Das Dunkel zögert, wurzelhin zu rinnen.
Gemäuer, das Gewalt zerbrochen hat,
einst Apsis einer Quelle, die geleuchtet,
der Isis leises Lächeln überfeuchtet.

Das Wasser gluckst noch zwischen zarten Moosen,
und manchmal kommt ein Reh daher und trinkt.
Hier ist die Stätte für die Heimatlosen,
wenn ihrer Hoheit Wappen Sonne sinkt.
Hier magst du, Dichter, weiche Reime finden,
wenn Seufzer sich um holde Schatten winden.

 

Sep 13 25

Rideo quia absurdum

Er wird nie jodeln an der Waterkant,
krachledern stehn am Uferkai: Der Friese
brüllt seine Shantys in die Meeresbrise,
in kurzen Hosen fühlt er sich entmannt.

Säng ihm ihr Lied betörend Loreley,
und schwankte er vom Riesling schon: Dem Märker
knirscht noch im Rausch der Sand der Marken stärker
als Heines und Brentanos leiser Schrei.

Die Schwarze soll sich in ein Dirndl zwängen,
ein Wüstenberber sich den Mönch am Meer
zum Krummdolch seines heißen Ingrimms hängen.

Doch einen deutschen Michel zaust man schwer,
der sich in einen Negerkraal wollt drängen,
und wär sein Herz auch mohrenschwarz wie Teer.

 

Sep 12 25

Wer sagt Abendrot

Vor der Schönheit, vor dem Grauen
bricht der Mensch ins Knie.
Wer ist, der nicht schrie,
wenn verharschte Wunden tauen?

Blätter auf des Traumes Schwelle,
Herbst hat sie geweht.
Wer spricht das Gebet,
sinkt dahin das Licht der Quelle?

Duft drang von entsunknen Rosen
ins Verlies der Nacht.
Wer seufzt, jäh erwacht,
wehe uns, den Heimatlosen?

Schlägel führte über Rippen
Meistersänger Tod.
Wer sagt Abendrot,
dem erlosch die Glut der Lippen?

 

Sep 11 25

Lerchen und Nachtigallen

Die gleich Lerchen steigen in die Bläue,
Rufe, Stimmen aus den Dämmerauen,
und sich kontrapunktisch wirrend stauen,
schweifen, daß ihr Odem sich erneue.
Manche drängen höher und entschwinden.
Wölken Träume, magst du sie noch zu finden.

Die verborgen sich im Blattwerk wiegen,
süßer Schwermut Nachtigallen singen
in geheimnisvoll getauschten Ringen,
die sich um den Blick der Venus biegen.
Manch ein Schluchzen übermannt die Schwestern.
Birg es, Dichter, in des Reimes Nestern.

 

Sep 10 25

Entrückter Liebe Schimmer

Wie hat im Dunkel einst mir dein Lächeln geschimmert,
gleich einer Traube zwischen dämmernden Reben.
In eine Schale soll die goldene Frucht man bald heben,
daß sie nicht wehrlos im harschen Froste verkümmert.
Ich aber mochte den Schimmer nicht pflücken, schweben ihn lassen,
mußte in fahler Mondnacht, im Schneelicht mußte er blassen.

Wie mir dein Wort das Herz, das schlaflos ergraute,
gleich lichten Tropfen, lieblichem Troste der Blumen,
haben sie seufzend erweicht erst die trockenen Krumen,
mit einem Glanz erfrischten Sinnes betaute.
Schlaf ich allein auch im fremd gewordenen Zimmer,
schwebt es herab im Traume mir, Flockengeflimmer.

 

Sep 9 25

Für Liana

Der geopferten Unschuld von Friedland

Sinnig lächelnd scheinst du heiter.
Fühlest du den Schatten nicht
huschen über dein Gesicht?
Geh nicht weiter, geh nicht weiter.

Tritt nicht an die Bahnsteigkante.
Blond bist du und jung und schön.
Fühlst du nicht das kalte Wehn,
nicht die Blicke, haßentbrannte?

Blicke, die dich schon zerschneiden,
wie ein Blatt, obszön beschmiert,
die schon wühlen ungerührt
Nacht aus deinen Eingeweiden.

Weißt du nicht von den Hyänen,
die gelockt in Goethes Land
der Bigotten Unverstand,
Meuchler mit sinistren Plänen?

Denn die Faust, die dir im Rücken
sich geballt und es vollstreckt,
hat das Juste Milieu geleckt,
Perversion ist sein Entzücken.

Lust am eignen Untergehen
reißt in Fetzen Wort und Sinn,
und Verblendung neigt sich hin,
in der Bluttat Wahn zu sehen.

Doch die um die Unschuld weinen,
sehn, wie man das Recht hier pflegt:
Ja, der Mörder wird umhegt,
geht im Park auf strammen Beinen.

 

Sep 8 25

Geflüster zwischen Tag und Nacht

„Weiter, Lieber, gehn wir nicht,
hier ist mild das Abendlicht.
Laß uns lehnen an die Mauer
unter Efeus weichem Schauer.“

„Wenn die Wolke nicht verhält,
kann sich wohl ein Mond noch ründen,
blasser Glanz der Knospe künden,
daß entronnen wir der Welt.“

„Mag der Blume Aug sich feuchten,
wird sie ja umsonst nicht weinen,
mit den Schwestern sich vereinen,
die auf Eos Händen leuchten.“

„Liebe, fühl den Augenblick,
dem die Lider schon ermüden.
Leise spricht das scheue Glück,
Nacht nur bringe ihm den Frieden.“

„Daß Wachträume um uns wallen,
singt der Quelle dunkler Mund,
strömt aus tiefem Himmelsgrund
hoher Ton von Lichtkristallen.“

 

Sep 7 25

Reden und verstummen

„Nicht wie die Welt ist, ist das Mystische, sondern daß sie ist.“
Ludwig Wittgenstein

 

Leicht reden ist von sanften Übergängen,
wenn in der Sanduhr Korn um Korn verrinnt
die Spinne wie im Schlaf den Faden spinnt,
am Abend sich allmählich Schatten längen.
So reihen Perlen wir zur schönen Kette,
und rhythmisch wogt der Vers im Metrenbette.

Die jähen Wechsel aber, tiefe Schnitte,
wenn ein Gestirn aus dunklem Abgrund blitzt,
den Erdschoß Reis, den Faden Moira ritzt,
da graut dem Geist, daß er in Schründe glitte.
So stehen stumm wir vor des Daseins Fülle,
und Widersinn zerreißt des Sinnes Hülle.

 

Sep 6 25

Näher als das Blut

Wo noch ein Licht im Dämmerlaube flirrt,
auf Schiefertrümmern einer Weinbergsmauer,
bist du der Schatten oder jener Schauer,
wenn durch den Schatten eine Taube schwirrt?

Tönt nicht kristallen-hell dein Lachen fern,
wenn an das Glas des Himmels Flügel schlagen,
will mir der dunkle Glanz des Wassers sagen,
du seiest längst entrückt, ein stiller Stern?

Nein, nah bist du, mir näher als das warme
Blut, wenn die Ader ihm, die nächtige, schwillt.
Des Mondes Strahlen sind wie deine Arme,

hat mir die Feuchte schon den Blick verhüllt.
Ein süßer Quell fließt du dem bittern Harme,
wenn aus der Schale Herz ein Leuchten quillt.

 

Sep 5 25

Aus dem Abgrund Rauschen

Ich habe nichts als Rauschen
Rudolf Borchardt

Wir sollen von der Frucht der Erde leben,
aus Samen, die wir dankbar bloß empfingen,
die dunkler Regung hold ins Helle dringen,
das Saatgut würdigen Erben weitergeben.

Der hohe Umschwung möge uns begeisten,
das Spiel des Lichtes mit beredten Schatten,
bis wir im Sonnenuntergang ermatten
und Träume kehren, die zu Göttern reisten.

Nachts wollen wir dem Sang des Wassers lauschen,
das geisterhaft ein bleicher Mond bescheint,
die harte Münze Wort mit Tränen tauschen,

die Eingedenken fernen Seelen weint.
Quillt aus dem Abgrund uns ein mildes Rauschen,
verstehen wir, was Dichtermund gemeint.

 

Sep 4 25

Im Aschenkreis

Das Holz des Heils riß auf nur unsre Leere.
Es ward gefällt, verbrannt. Und Funken sprangen
aus weißer Glut. Doch keine Engel sangen,
daß sie die Angst der dunklen Welt verzehre.

Wir standen auf dem Berg im Aschenkreis
und sahen ringsum auf die öde Steppe.
Die Sonne schleifte ihre Purpurschleppe
durch schwarzen Sand und weißen Knochengneis.

Und ewig über Babels Wassern weht
den Schrei von Golgotha der Wind ins Nichts,
wo nimmer tote Liebe aufersteht.

Fiel in das Dunkel auch ein Tropfen Lichts,
als hätte banger Seele Durst gefleht,
er dräng nicht durch die Maske des Gesichts.

 

Sep 3 25

Wie traurig sinnlos atmen

Luft atmen, sinnlos lebenslang, wie trist.
Luft ohne Geist kann keine Seele nähren.
Mag deine auch vom Duft der Rosen zehren,
im Süßen wittert schon Gestank von Mist.

Wie öd ist eigner Rede Widerklang
aus eines fremden Nächsten hohlem Munde,
wie monoton pocht immerzu die Wunde,
wie schwankend allen Fühlens Abschiedsgang.

Ist wahr, ist Wahn, was die Erwählten künden,
daß hoher Geist die Seele eingeblasen,
den Odem hat verdunkelt Dunst von Sünden?

Wie konnte leicht auf Hellas’ schönen Vasen
in Gesten ohne Schwere Anmut münden,
wie weckte Hauch, was wir bei Pindar lasen?

 

Sep 2 25

Jacqueline du Pré

Wie sich Wasser kräuselt und die Welle
schluchzend in die Schwesterwelle bricht,
gabst dem Fühlen du, das dämmert, Licht,
Funken schäumend eine Bachforelle.
Daß wir deiner sehnsuchtsvoll gedenken,
wenn sich Nebel auf die Wasser senken.

Gleich der Nachtviole, die dem bangen
Herzen süße Schimmer vorgesandt,
daß es aus dem Dunkel heimwärts fand,
bist du Knospe bebend aufgegangen.
Früh am harten Strahl ist sie verblichen.
Keine hat noch ihrem Schmelz geglichen.

 

Siehe:
https://www.youtube.com/watch?v=CwFeshwZPUA&list=RDCwFeshwZPUA&start_radio=1
https://www.youtube.com/watch?v=qokpAPozdkA&list=RDReZeyI8Z5wk&index=3

 

Sep 1 25

Sternbild meiner Nacht

Hat in des Dämmerlaubes weichem Bangen
die Abendsonne Glanz noch aufgewühlt?
Des Sommers Knospen waren längst verglüht,
fern gingen Ströme, die schon nachtwärts sangen.

Im braunen Helmbusch deines Haares glommen
noch süße Funken, Flimmerkäfern gleich,
und deine Hand lag in der meinen weich,
zu fühlen, ob ihr Pulsen ich vernommen.

Was unsre Lippen wie im Traume hauchten?
Nicht Worte mehr, erstickte Rufe, wehe,
die aus verfallener Brunnen Tiefe tauchten,

als riefe Herz dem Herzen: „O vergehe!“
Nun fleh mit kalten Worten ich, verbrauchten,
daß sich dein Sternbild um mein Dunkel drehe.

 

Aug 31 25

Nachtumsponnen

Kaum bist du tiefer in den Wald gedrungen,
hat unversehens dich ein Dorn geritzt.
Im Wipfelzwielicht ist ein Lied erklungen
und Abendsonne hat durchs Laub geblitzt.
Die zarte Wunde hat sich bald geschlossen,
doch scheint ins Herzgeflecht ein Gift geflossen.

Was sie im Halbschlaf dir noch zugeflüstert,
erglänzte wie der Tau auf schwankem Blatt.
Vom Schatten müder Wimpern überdüstert,
ward ihres Auges Feuchte jählings matt.
Ein Tropfen Lichtes war herabgeronnen,
die Nacht hat ihr Gespinst ums Wort gesponnen.

 

Aug 30 25

Deutsche islamische Republik 2090

Deutsche Schulen wurden zu Medressen,
zu Moscheen Kirchen, Kathedralen.
Schuberts Schwanensänge sind vergessen,
wenn Muezzin-Rufe gellend prahlen.
Goethes Divan darf kein Herz erhellen,
ließ ins Paradies ein Hündlein schnellen.

Zwischen Alpenalm und Meeresküste
muß verdunkelt Frauenanmut schleichen.
Schnee der Lenden, Rubens Knospenbrüste
mußten Suren-Ornamenten weichen.
Keiner darf vom Wein der Verse kosten,
die an Mosel, Rhein und Nahe sproßten.

Doch sind graue Gettos, blumenlose,
noch behaust von blonden Indigenen.
Einem Dichter, träumend von der Rose,
fehlt der Duft des Wortes für sein Sehnen.
Was nur hat geblüht, in welchem Glanze
welchen Glücks? Vertrocknet ist die Pflanze.

 

Zum Verständnis:
Johann Wolfgang von Goethe, West-östlicher Divan, Buch des Paradieses, Gute Nacht (Ende):

Wo das Schöne, stets das Neue,
Immer wächst nach allen Seiten,
Daß die Unzahl sich erfreue.
Ja, das Hündlein gar, das treue,
Darf die Herren hinbegleiten.

 

Aug 29 25

Das kleine Leben

Das kleine Leben muß ins Gras sich ducken,
und immer fühlt das zarte Herz ein Bangen,
daß noch der böse Feind es werde fangen
und unter seinen Krallen wird es zucken.
Als würden uns Dämonen stets umlauern,
verschleiern wir den Blick, errichten Mauern.

Es schneit. Da seufzt am Tor der Fuchs, der schlaue,
die Hühnchen mögen öffnen ihm, er werde
das Fell nur trocknen, sitzend still beim Herde.
Gerührt schließt auf ein Huhn, schon spürt’s die Klaue.
Uns predigen, die ihre Heimat hassen,
daß Tür und Tor wie allen offen lassen.

 

Aug 28 25

Tropfen aus dem Kelch des Lebens

Wo nichts mehr sich verbirgt, im feuchten Glanz
von Augen, Abendteichen grüner Stille,
ist es, als ob das Leben einwärts quille,
in Tränen löse auf sich die Substanz.
Und keine Wimper wird mich länger halten,
zu sinken hin in samtenen Schlafes Falten.

Wo nichts mehr sich verschweigt, im blauen Ton
von Liedern, in verklärter Nacht gesungen,
ist es, als sei die Schale Herz zersprungen,
Tau perle über purpurdunklen Mohn.
Nur meine Zunge hat gelechzt vergebens
nach süßen Tropfen aus dem Kelch des Lebens.

 

Aug 27 25

Von Walthers Linde bis zu Trakls Weide

Verdunkelt hat der Wildwuchs fremder Keime
der heimatlichen Blüten sanfte Pracht.
Vor der Barbaren Tamtam in der Nacht
floh ins Verlies die Schar der scheuen Reime.

Vergiftet hat der Pesthauch fauler Zungen
das edle Blut, das hell im Vers geschäumt,
umsonst hat röchelnd er sich aufgebäumt,
da ihn die Vettel Unzucht ausgewrungen.

Von Walthers Linde bis zu Trakls Weide
schlang sich der Dichterpfad, bis vor die Mauer
mit ihrem ausgerauschten Efeukleide.

Dort träumt der deutsche Vers, erstarrt vor Trauer,
wie ihm ein Blitz das Angstgeflecht zerschneide,
zum Glanz Homers ihn trägt ein dunkler Schauer.

 

Aug 26 25

Staub der Sprache

Was aus der Dunkelheit hervorgequollen,
hat schimmernd uns den öden Karst genetzt,
das Wort. Und es versickerte. Zuletzt
ging, was dank ihm ins Licht gedrängt, verschollen.
Umsonst, den Staub der Sprache aufzuwühlen,
ertaubter Sinn kann Wahres nicht mehr fühlen.

Hoch mußt du zwischen kahlen Felsen steigen,
wo kaum noch Moos erweicht die harsche Bahn,
das edle Blau zu finden, Enzian,
die leere Fülle im entrückten Schweigen.
Die Blüte sollst du ungebrochen lassen,
sie würde dir beim Abstieg bald erblassen.

 

Aug 25 25

Im Schilf des Schlafs gehört

Strahl, der ins Dunkel der Pupille dringt,
und grelle Bilder, die uns blinde Nerven malen,
sie rinnen hin wie Tau in Blumenschalen,
wie Brunnenwasser, das im Traume singt.

Ein Flüstern, fern im Schilf des Schlafs gehört,
von Worten, die wie blasse Gaze wehen,
läßt uns Gespinste, märchenzarte, sehen,
von süßen Rätseln scheint das Herz betört.

Hüllt uns der Violine warmes Drängen
den Abschied noch in goldnes Abendrot?
Mag tragen uns aus grauen Rauschens Engen

des Sichelmondes stilles Silberboot?
Verheißen nicht die Schatten, die sich längen,
das Laub des Dämmers, einen sanften Tod?

 

Aug 24 25

Bemerkungen zur Sprache

Philosophische Sentenzen und Aphorismen

Alle Glieder und Organe des menschlichen Körpers haben ihren Namen. Wir sprechen nicht nur von Fuß, Bein, Knie, Bauch, Arm, Hand und Kopf, sondern bei der Hand von den Fingern und wieder von Daumen, Zeige-, Mittel-, Ring- und kleinem Finger, Handballen und Handwurzel; nicht nur vom Kopf, sondern von Stirn, Wangen, Mund, Lippen, Augen; und wieder nicht nur vom Auge, sondern von Lidern, Wimpern, Augapfel, Iris und Pupille.

Allerdings genügen dem Chirurgen unsere gleichsam naturhaft gewachsenen Alltagsbenennungen nicht, um seine minutiösen Schnitte zwischen Adern und Nerven zu machen; hier bedarf er der Erweiterung der medizinischen Fachterminologie, die sich mittels immer neu verfeinerter Beobachtung entfaltet hat.

Es ist ein Unterschied, ob ich sage „Er gab mir die Hand“ oder „Er ließ mich seine Pranke spüren“. – In beiden Fällen liegt semantisch das zugrunde, was wir das Bedeutungsradikal <Hand> nennen können; an der Fülle der Variationen ermessen wir den sprachlichen Reichtum semantischer Nuancen: Hand, Pranke, Tatze, Pfote, Faust, Händchen, Pfötchen, Fäustchen.

Pranke ist eine schlichte Benennung, wenn es sich um einen Löwen handelt, auf Menschen gemünzt, ist es eine metaphorische Zuspitzung, die eine humoristische Note oder satirische Übertreibung leisten mag.

Die Hand eröffnet uns das weite, unübersichtliche Bedeutungsfeld des Handelns und der Handlung, in dem wir uns vor philosophischen Fallstricken zu hüten haben.

Wir sprechen von Handzeichen und meinen damit, daß eine mit der Hand ausgeführte Geste und Bewegung nach einem bekannten Zeichencode erfolgt, so daß die Geste von jenem, dem sie gilt, ohne weiteres decodiert werden kann. Der Code kann gleichsam natürlich aus der Alltagskommunikation erwachsen (herbeiwinken, zum Abschied winken) oder bereichsspezifisch konventionalisiert worden sein (die Handzeichen des Dirigenten, die mit einem Stab in der Rechten verstärkt werden).

Das meiste, was wir tun, bedarf der mit Hilfe von Greifen, Nehmen, Geben tätigen Hand. Wir handeln mit der Hand, so wie wir mit den Agen sehen.

Einer bewegt die Figur der Königin auf dem Schachbrett; damit verfolgt er die Absicht, dem Gegner Schach zu bieten. – Hat er den Bauern geschlagen und Schach geboten, sprechen wir von der Tatsache, daß sein Spielzug erfolgreich war und seine Absicht oder der Handlungszweck erfüllt wurde.

Freilich, wir können Schach zu spielen träumen oder davon, den verstorbenen Freund zu sehen. – Doch scheuen wir davor zurück, dies im eigentlichen Sinne Schach spielen oder sehen zu nennen.

Allerdings dürfen wir, was wir mit handeln und Handlung meinen, nicht auf den Begriff eines absichtlichen Tuns einengen; denn vieles tun wir gleichsam routiniert, ohne mit jedem Handlungsschritt eine bewußte Absicht zu verbinden; Fahrrad fahren etwa, aber auch reden.

Unterhalten wir uns oder plaudern, schlagen wir nicht unentwegt gleichsam in einem unsichtbaren Wörterbuch nach, um das jeweils passende Wort oder eine besseres Synonym zu finden, wir bilden nicht im Geiste einen Satz in der Absicht, ihn hernach lautlich zum Ausdruck zu bringen, sondern formulieren die Aussage beim Reden.

„Wer handelt, wer spricht?“ – Metaphysik legt uns Fallstricke im Bedeutungsfeld der sprachlichen Kommunikation mittels vertrackter, in Aporien führender Fragestellungen aus.

Mein Freund Peter liest, was ich ihm geschrieben habe. Er sieht es leibhaftig mit seinen leibhaftigen Augen vor sich. Aber ist diejenige Instanz, die liest und lesend versteht oder nicht versteht, sein unsichtbarer Geist oder sein Gehirn? – Es ist Peter, der liest, und diese Auskunft muß uns genügen.

Sind Peters Augen aber nicht gleichsam Instrumente, mit denen er die Handlung des Lesens ausführt, so wie der Handwerker mit den Händen das Werkstück bearbeitet?

Freilich, Peter kann, um eine Sehschwäche auszugleichen, eine Brille aufsetzen, wie der Handwerker einen Hammer zur Hand nehmen kann, um seinem Zweck Nachdruck zu verleihen. Aber Peter kann nur lesen und lesend verstehen, was ich ihm geschrieben habe, weil er lesen gelernt hat. Und er kann nur verstehen, was er liest, weil er Bedeutungen und Bedeutungseinheiten zu identifizieren gelernt hat; zum Beispiel die Bedeutungseinheit einer Frage anhand der Wortstellung und des Fragezeichens.

Doch wird mein Freund mit den rhetorischen Fragen „Stammt nicht auch das krumme Holz Kants aus dem großen Wald der Natur?“ oder „War nicht der Wicht Napoleon eine historische Größe?“ überfordert sein, wenn er nicht zwischen echten und rhetorischen Fragen, zwischen aufrichtigen und ironischen Aussagen zu unterscheiden gelernt hat.

Nachdem Ödipus das grauenhafte Rätsel seiner Herkunft herausgefunden hat, blendet er sich am Ende der Tragödie des Sophokles; aber der Schauspieler tut dies nicht wirklich, sondern nur scheinbar; die Handlung ist eine Scheinhandlung, denn sie spielt im fiktiven Rahmen eines theatralischen Spiels.

Wir tun nicht gut daran, unser alltägliches Reden und Handeln in Anführungszeichen zu setzen und indem wir es sozialen Rollen und ihren Funktionsträgern zuweisen, gleichsam zu theatralisieren; denn damit nehmen wir ihm den Ernst. – Die echte Mutter spielt nicht Mutter und der Moribunde spielt nicht den Sterbenden.

Es ist daher angemessener, statt von Sprechakten von Sprachhandlungen zu reden; der Anklang an Rollenspiele und theatralisch-fiktive Akte ist verfänglich.

Die Chorlyrik der antiken Tragödie hat viele Anklänge an jene kultischen Gesänge, die ihren Ursprung im Kult des Dionysos verraten. – Doch sollen wir etlichen hebräischen Psalmen wegen ihres Kunstcharakters den echten Rang von Gebeten absprechen?

Wie können wir zwischen dem künstlichen Schnee auf den Gipfeln der Hymnen Hölderlins und den schmerzlich blendenden Kristallen echter Frömmigkeit unterscheiden?

Nur doktrinäre Narren wähnen, die Sprache könnte über den konventionellen Zuwachs des Wörterbuchs hinaus in ihren grammatischen Tiefenstrukturen willkürlich nach eigenem Gusto und Ermessen verändert werden, ohne daß der Sprachgeist empfindlichen Schaden davontrüge.

So kommt die Gendermanie des hypermoralisch kastrierten unzüchtigen Gewäschs dazu, statt von Studenten von Studierenden, statt von Wissenschaftlern von Wissenschaffenden zu schwadronieren, zu dumm, um zu begreifen, daß auch schlafende Studenten Studenten bleiben, nicht aber schlafende Studierende, daß eine wesentliche Leistung des Wissenschaftlers darin besteht, vorgebliches Wissen als Scheinwissen zu entlarven.

Nur der ideologisch fanatisierte Narr glaubt, mit Ausdrücken wie Lehrer, Zuhörer, Fahrer oder Kenner seien nur Männer gemeint. Als erklängen nur tiefe Stimmen, wenn der Sängerkreis zusammenkommt.

Selbst das medial aufgehübschte Lyrikwunderfräulein spricht heute von Autoren und Autorinnen, Lesern und Leserinnen.

Der Mohr von Venedig muß heute eine Maske tragen – über der Maske seiner Rolle.

Der neue ideologische Puritanismus stört sich an der Nacktheit der Venus, aber nicht an der obszönen Entblößung seiner pervertierten Sprache, vom Exhibitionismus jener, die sie nackt in Lederriemen geschnürt festtäglich hinauskrakeelen, zu schweigen.

Sie haben keine sprachliche Schöpfung vollbracht, das Sprachcliché und die Phrase genügen, um sich selbst ins Scheinwerferlicht zu rücken und den wahrhaft Schöpferischen in den Schatten des Parias.

Muß ich, weil jene, die den Genozid am jüdischen Volk zu verantworten hatten, die ethnische Relevanz des Volksbegriffs voraussetzten, nunmehr der kulturell zerstörerischen Auflösung und Vermischung aller Völker und Nationen das Wort reden? Wäre dies Ausdruck eines trügerischen Schuldempfindens oder schlicht logische Dummheit?

Ich bin nicht geneigt, halbrohes Fleisch zu verschlingen, weil der Führer es verschmähte, auch nicht, um das barbarische Gebrüll des Klumpfußes zu vermeiden, pseudolyrisch zu röcheln.

Muß ich einzig ungegenständlicher Kunst huldigen, weil die Falschen die gegenständliche zum Fetisch erhoben?

Soll ich, um dem Verdacht metaphorisch gesüßter Verse zu entgehen, nur saure poetische Trauben anbieten?

Scheinleben ohne Kontakt mit den tragischen Mächten des Daseins in sekundären Institutionen und kulturellen Blasen wie Hochschulen, Parteien und Parlamenten kompensiert seine Erfahrungsarmut in Sekundärsprachen inzestuöser Abkunft wie dem Genderkauderwelsch oder den hysterischen Litaneien der Klimareligion.

Wieso bestehen Antirassisten darauf, die öffentlichen Bildschirme mit immer mehr Angehörigen einer bestimmten Rasse, der schwarzen, zu bevölkern?

Wenn es zum Schwur kommt, im Verteidigungs- und Kriegsfalle, lassen jene, die sie nur locker angelegt haben, die Maske der Integration bald sinken.

Was kann es unter Angehörigen konfligierender Kulturkreise Pazifizierenderes geben als die Trennung von Tisch und Bett, alias Apartheid?

Wie der Fall Arminius zeigt, ist es bisweilen ein Zeichen machtpolitischer Kurzsichtigkeit, den Kulturfremden die eigene Sprache lernen und in die Arcana der Herrschaft eindringen zu lassen.

Muß ich die Ilias Homers und die Gedichte Pindars auf den Müll werfen, weil sie Angehörige einer imperialen Welt waren, die Pflanzstädte und Kolonien rund um das Mittelmeer bis ins heutige Rumänien, Nordafrika und Asien gründete? Von der Literatur der Römer, die ganz Europa kolonialisierten und uns zum kulturellen Nährboden machten, zu schweigen.

Klassische Schriftsteller wie Herder, Kant, Hamann und Goethe, die sich wie die antiken Historiker Herodot oder Tacitus des kulturellen Unterschieds der Völker und Ethnien bewußt waren, werden nach und nach zensiert. Wann werden ihre Denkmäler verhüllt oder abgetragen, die nach ihnen benannten Straßen umbenannt?

Was wir Norm nennen, können wir an der normativen Struktur der Sprache ablesen. So muß ich etwa, um das Denkbare dem Faktischen gegenüberzustellen, die sprachlich korrekten Formen des Irrealis bilden können: Würden wir hier einen Durchgang schaffen, dürfte sich der zeitlich-energetische Aufwand zur Bewältigung der Strecke halbieren.

Normal aber nennen wir, was das biologische und soziale Leben sichert, auf Dauer stellt und so lange währt wie möglich: Die monogame Familie ist die Norm des Gemeinschaftsleben, nicht weil es rechtgläubige Fanatiker ihren Schriften entnehmen, sondern weil die Nachkommenschaft nur mittels der Vereinigung geschlechtlich polarer Gameten, sprich von Mann und Frau, gesichert wird und im besten Falle wohlbehütet aufwächst und mit dem erforderlichen Können und Wissen (wie der Sprache) versorgt wird; und weil das soziale Leben mit seinen Versorgungseinrichtungen nur durch die geregelte Abfolge der Generationen auf Dauer gestellt werden kann.

Norm der Sprache ist die Verständlichkeit, das heißt die möglichst eindeutige und unmißverständliche Übermittlung von Tatsachen, Wünschen, Fragen, Erwartungen und Erinnerungen mittels ökonomisch eingesetzter lautlicher Mittel; normal, was wir als angemessene Mittel zur Erlangung der uns vorgegebenen objektiven Zwecke des sozialen Lebens, wie beispielsweise seinen Erhalt mittels Nachkommenschaft, akzeptieren.

Wir erkennen und ermessen die Kraft der Normen an den Sanktionen, mit denen sie bewehrt sind, oder den fatalen Folgen, die ihre Übertretung nach sich ziehen, Wer aufgrund einer neurologischen Erkrankung unverständlich redet, kommt ohne Hilfe im Leben nicht mehr zurecht; wenn mehr und mehr ihrer Verächter die Institution der auf Nachkommenschaft zielenden Ehe diskreditieren, ist die Gemeinschaft auf Dauer vom Aussterben bedroht.

 

Aug 23 25

Am Leidenspflock

Daß nichts dich deiner selbst entreißt, hast fest
gebunden du am Leidenspflock die Seele.
Du ahntest nicht, daß sie die Nacht dir stehle,
sie zehre ab der Schwermut schwarze Pest.

Was jugendlich gelächelt, Anmut schwand,
es blaßten hin der Heimat goldne Triften,
verwischt wie unter Palimpsesten Schriften
sind alle Chiffren, die dein Geist erfand.

Es blieben dir nur schwachen Odems Worte,
die späten Rosen, die sich müde neigen
an üppig einst umrankter Gartenpforte.

Ihr Duft verweht ins abendliche Schweigen.
Wenn auch der letzten Knospe Schmelz verdorrte,
verstummt dein Herz und Geisterstimmen steigen.

 

Aug 22 25

Auch du erhellst die Nacht

Willst du, was schön und edel ist, erfahren,
steh still und schau der Charis hohen Gang,
lausch Stimmen, zart gefügt im Widerklang,
die sich ihr Licht im Zwielicht rein bewahren.

Und steigst empor du auf Gesanges Stufen,
siehst du, wie auf den Abgrund Glänzen schwebt,
vor Schauern heitern Lebens Knospe bebt,
wenn „Tu dich auf“ ihr sanfte Strahlen rufen.

Dir schwindelt nicht, mag nur der Klang dich tragen,
Zweig unter den Geschwistern eines Baums,
die windgewirbelt ja zu Schimmern sagen.

Und bist du bloß das Flimmern eines Flaums,
ein leiser Reim, wenn Hymnenflügel schlagen,
auch du erhellst die Nacht des stummen Raums.

 

Inspiriert durch:
https://www.youtube.com/watch?v=N6sUlZa-IrU&list=RDN6sUlZa-IrU&start_radio=1

 

Aug 21 25

Auch eine Einladung zur Reise

Une autre Invitation au Voyage

„Hörst du das Schluchzen nicht aus dunklem Grunde,
auf totem Teer verdorrten Blattes Scharren?
Willst du ein Schatten unter Schatten harren,
weit gehen noch zu dieser späten Stunde?“

„Der Heimat Sänge sind verstummt, die frommen.
Ich stehe, doch will in die Tiefe fallen.
Ich rede, doch wie Somnambule lallen.
Der Heimat süße Lichter, sie verglommen.“

„Zum nahen Strom, Freund, will ich dich geleiten,
dort ist ein Kahn, ein Fährmann, altersgrau,
er kennt das Ufer, wo sich Blumen breiten.“

„Dein Wort kühlt meinen Schmerz wie Abendtau.
Ich fühle schon, wie sich die Engen weiten,
ich sehe schon der Knospen Orphisch-Blau.“

 

Aug 20 25

Schimmer und Staub

Wer sah den Wagen mit der goldnen Scheibe,
als erster auch das Pferd, das mit ihr schwebt,
wie sich ein Schimmer aus der Urnacht hebt,
daß uns ein Tag zu Saat und Sange bleibe?

Wer sah zuerst das Licht im Dämmerhaine,
die Göttin, wie sie segnend in die Flur
mit mildem Lächeln zu Entrückten fuhr,
wie sie entschwand in Teiches grünem Schreine?

Noch kleben am Kristall des Lichtes Krumen
der Erdnacht, und ein bittrer Tropfen rinnt
dir, Dichter, an des Liedes zarten Blumen,

wenn deiner Schwermut Dämmerung beginnt,
verdunkelnd selbst das Wort von Christi Lumen.
Siehst du zuletzt Staub wirbeln Wüstenwind?

 

Zur Veranschaulichung:
Sonnenwagen von Trundholm: http://www.jenseits-des-horizonts.de/wp-content/uploads/2012/07/8.8.Sonnenwagen-600×428.jpg

Die altgermanische Göttin Nerthus: Tacitus, Germania, Kap. 40

 

Aug 19 25

Die gestutzten Krallen

Dies Volk ward geistig matt und flügellahm,
das einmal sich den Adler auserkoren
zum Bild, daß es zu hohem Flug geboren.
Gestutzt die Krallen hat ein Scheusal zahm

in ihren Käfig die Moral gesteckt.
Da döst er unterm Lappen greller Streifen.
Wie faule Keime, die zur Frucht nicht reifen,
sind Völker, die der Ahnen Schatten schreckt.

Was bleibt, sind auf zerbrochenen Steinen Moose,
auf Namen wuchernd, die wir einst verehrt.
Doch der emporgereckt die Purpurrose,

den Hochsinn hat der wüste Geist verzehrt.
Volk, taumelnd in die Nacht, ins Namenlose –
schweig, Dichter, daß nicht Schmach dein Wort versehrt.

 

Aug 18 25

Aus den Liedern der Verheißung

Sacht rührt er an die Lade wie im Traum,
Granatfrucht baumelt an des Priesters Saum,
gefüllt mit des Gesetzes dunklen Kernen,
zu sprießen auf dereinst dem Volk zum Baum
mit abertausend roten Blütensternen.
Daß es in seinem Rauschen Eden fühle,
sein Schatten ihm den Brand der Wüste kühle.

Wenn der verbrannten Erde Rinde springt
und aus dem Karste wieder Feuchte dringt,
wird fliehen aus den dumpfen Schmerzverliesen
die Schar der Treuen, und vom Tau beschwingt,
erquickt sie feuchter Glanz der Sonnenwiesen.
Daß uns der Herbst nach panisch-stummen Schrecken
noch gebe, des Gesanges Wein zu schmecken.

 

Zur Vertiefung siehe auch: 2 Mose 28, 33 f.

 

Aug 17 25

Gottes verlassener Garten

Und Gott durchwandelte den schönen Garten,
und sah, was er gepflanzt, war schon verblüht.
Bald wandte er sich ab, des Anblicks müd,
hoch stob das Laub, da goldne Schuhe knarrten.
Er ging, ins trunkne Einerlei zu lauschen
an öder Küste ewig-grauem Rauschen.

Hast Blüten, lichte Kränze, du gewunden,
sie auf des Traumes Schwelle uns gelegt,
hat Nachtwind jählings sie hinweggefegt,
der Blume Wort, der Duft blieb unempfunden.
So sah ich, Dichter, dich mit Schatten spielen,
die kaum gebannt, im Herzen schon zerfielen.

 

Aug 16 25

Als Schwermut liegenblieb

„Freund, wir wollen weiterwandern.
Die Sonne steigt, die Luft ist lau.
Der Sehnsucht Pfade, sie mäandern
an hohen Stroms umschilftem Blau.“

„Ich bin zu müd für Pilgergänge,
mein Herz litt einen tiefen Sprung.
Die fernhin locken, Lichtgesänge,
hat mir verdüstert Dämmerung.“

„Vielleicht, daß wir ein Heilkraut finden,
das deine Wunde, Lieber, heilt,
wo sanfte Musen Blumen winden
und still der Geist der Liebe weilt.“

„Ach, laßt mich, Freunde, hier nur liegen.
wo weich das Moos, die Schatten mild.
Ins Dunkel soll mich Rauschen wiegen,
das fern mir wie aus Eden quillt.“

 

Aug 15 25

Die fremde Last des Lebens

Wer ihn auch wirft, der Schatten weiß es nicht.
So tragen wir die fremde Last des Lebens.
Das Grübeln müden Geistes ist vergebens,
ob Dunkel uns gezeugt hat oder Licht.

Kein Innen ist, kein Außen, das uns hält.
So kommt und geht des Lächelns sanfte Welle,
legt Hauch uns Blüten auf des Traumes Schwelle,
weht weher Duft von Versen ferne Welt.

Von Flammen einer dunklen Glut entfacht,
sind wir wie Kerzen, die sich selbst verzehren.
Verwaiste irren wir in Götternacht,

kein Seher ist, den rechten Weg zu lehren.
Ein bittrer Rauch steigt aus der Seele Schacht,
Gewölk von Psalmen, die nicht wiederkehren.

 

Aug 14 25

Im Liebesdunkel

Wie im Liebesdunkel Käfer sprühen,
Früchte sanft im Dämmerlaub erglühen,
sind die Verse schwermutsüßer Nacht.
Kühle Gluten hat der Mond entfacht
Versen, die nur in den Nächten blühen.

Mag auch Eos ihre Rosen streuen,
Glocken wecken, die am Licht sich freuen,
ist Selene erst hinabgeblaßt,
Sonne wird, weil Schwermut ihr verhaßt,
Dichter, deinen Vers nicht mehr erneuen.

 

Aug 13 25

Das paradoxe Nichts

Aus den Meditationes mortis

Der Tod verfinstert jedes lichte Maß.
Wir denken als Verlust ihn, doch vergebens,
verlieren ist wie finden Teil des Lebens.
Am Brocken Tod zerbricht das Wort wie Glas.

Das Dunkel scheint die Hülle nur des Lichts,
die Nacht zu furchen Schneisen in die Helle.
Ein Widerhall längst ausgerauschter Quelle
verweht das Wort im paradoxen Nichts.

Doch fühlen wir wie eine Made nagen
den Tod im roten Fruchtfleisch unsrer Lust,
lähmt uns schon bald ein glückliches Verzagen –

je ausgehöhlter eines Menschen Brust,
je minder wird der eitle Drang zu sagen,
was jeden Sinn zersetzt, der uns bewußt.

 

Angeregt durch den Vortrag „Unsere Angst vor dem Tod“ von Prof. Dr. Ernst Tugendhat, gehalten am 2. Juli 2003 in der Carl Friedrich von Siemens Stiftung, München:
https://www.youtube.com/watch?v=Anbp8kDk2eU

 

Aug 12 25

flamen und carmen

Die Taube pickt und pickt, da bleibt kein Rest.
Von eigner Brut nur läßt der Wolf sich bitten.
Wer gab dir ein, den Schaum vom Trank zu schütten,
von Gut und Blut zu opfern Gott zum Fest?

Nur uns tönt süß das Lied der Nachtigall,
ein Stechen fühlt im Ohr wohl ihr Rivale.
Zerbrechen will des Lebens harte Schale
an dunkler Abendglocke Widerhall.

Was sprühen ließ die Glut des Opfers, flamen,
und Rauch, der Seele Bildnis, stieg empor,
gab früher Priesterschaft den edlen Namen.

Der um die Fluren tanzend sang, der Chor
hat eingesenkt des Liedes Wundersamen.
Sprießt aus geborstenem Teer er noch hervor?

 

Angeregt durch:
Gregor Maurach, Enchiridion Poeticum, Hilfsbuch zur lateinischen Dichtersprache, Darmstadt 1983, § 107

 

Aug 11 25

Muscheldunkles Brausen

Schon wölben Dünen sich aus goldenem Sand,
des Nachts von einem warmen Wind gesandt.
Schon haben sanftes Rauschen wir vernommen,
und weiße Gischt ist uns vors Tor geschwommen.
Schon wölben Dünen sich aus goldenem Sand.

Bald schließt uns muscheldunkles Brausen ein.
Ein Labyrinth aus fahlem Perlmuttschein
hat uns mit weichen Sanges Schmelz umfangen,
gleich Perlen, die in süßen Tau zersprangen.
Bald schließt uns muscheldunkles Brausen ein.

Schon schimmert über uns die grüne Nacht,
ein Fluoreszieren schöner Schreckenspracht.
Wie lichter Quallen Auf- und Niederschweben
sei ozeanisch-still ein Traum das Leben.
Schon schimmert über uns die grüne Nacht.

 

Aug 10 25

Aus der Poetik des Verstummens

Wie heiter spielt im Tau der frühe Strahl,
wenn süßes Schweigen glänzt am Blumenmunde.
Er rinnt hernieder in des Menschen Wunde,
schon scheint zu stammeln ihm die alte Qual.
Füll, Dichter, du vom Tau in zarte Maße,
gieß ihn der Nacht auf blaue Traumtopase.

Wie geisterhaft tönt nächtlicher Gesang,
als würde er aus Schmerzverliesen dringen,
wo Seelen, halb erstickt, um Atem ringen,
entrücktes Schluchzen, dumpf und sterbensbang.
Streu Blüten stumm, genährt mit deinen Tränen,
ins Dunkel, daß wir Eden nahe wähnen.

 

Aug 9 25

Mit Kopf und Kragen

Ins Weltsystem verstrickt mit Kopf und Kragen,
Gezücht der Sonne und der Finsternis,
geht durch dein Selbstgefühl ein zarter Riß,
pocht dir an jedes Wort ein fremdes Sagen.

Hineingezwängt in knöcherne Gestelle,
die du mit deinem weichen Mark ernährst,
sagt süßes Bangen, was du noch begehrst,
zu treiben wie die Knospe auf der Welle.

Frag nicht, wo solche Wasser fließen sollen,
nicht, wie du würdest eine Blume leicht,
zu schwimmen hin zu seligen Atollen.

Schon hat die Schwermut Lichtgesang erweicht,
der Seele tiefster Brunnennacht entquollen.
Wie, du versteinst, da dich der Strahl erreicht?

 

Aug 8 25

Das Salz der Sehnsucht

Dem Andenken an Sören Kierkegaard

Als höbe aus der Schwermut leises Tönen
von Wassern uns, weich rinnend wie durch Moose,
Tau, perlend von der morgenfeuchten Rose,
daß sich der Geist mag mit der Nacht versöhnen.

Ob uns den grellen Nerv, die dunkle Wunde
Kristalle lindern, die an Wangen tauen,
beseelte Blicke sanft geweckter Frauen
und Worte, Duft von keusch erblühtem Munde?

Uns wirft das Kreuz, das vor der Sonne steht,
lang seinen Schatten auf den Schnee der Pfade.
Wohl schmecken wir, vom Meer uns zugeweht,

das Salz der Sehnsucht nach dem blauen Bade,
nach Ufern, wo die Anmut Sapphos geht.
Ach, Angst barg ihrer Verse Frucht, die Made.

 

Aug 7 25

Süßes Grauen

Auf faulem Holzstrunk wuchert wildes Leben,
den Grabstein übertrumpft ein lichtes Grün.
Fühlst, Liebe, du nicht mehr ein sanftes Glühn,
daß träumerisch wir uns die Hände geben?

Sind unterm Asphalt auch erstickt die Quellen,
goß Moloch übers Moos den toten Teer,
ein Duft von Tang und Salz ruft uns zum Meer,
um mit dem Mond zu schaukeln auf den Wellen.

Ich aber bin zu müde, weit zu reisen.
So laß das Meer mich, trunkne Feuchte schauen
in deiner Lider zart beschilften Schneisen.

Laß schwimmen mich, wo ferne Küsten blauen,
um der Pupille stillen Abgrund kreisen
und niedertauchen in ein süßes Grauen.

 

Aug 6 25

Kranke Seelen

Die Glut war kalt, die wir mit Füßen traten,
das Laub der Eichen, sanft im Herbst verbrannt.
Wie kranke Seelen, unseren verwandt,
rings Strünke, die im Frost um Frühling baten.

Was wie im Halbschlaf meine Lippe lallte,
war fade Schale ausgesaugter Frucht.
Wir taumelten am Saum der dunklen Schlucht,
und fühlten, daß uns keine Hand mehr halte.

Brach aber ein die Nacht, die sternenlose,
und schloß uns in ihr wildes Dickicht ein,
glomm jäh an deinem Mund das Wort, die Rose,

und reiner Duft floß in mein trübes Sein.
Ich neigte meinen Mund wie in Hypnose,
am blinden Kuß erlosch der süße Schein.

 

Aug 5 25

Die Taube und die Mythe

Kreisrund der Taube Augen, scharf und kalt.
Sind Fenster sie, zu sehen, was wir streuten,
vom First des Dachs, wo sie des Lichts sich freuten,
und flatternd fände eine Hoffnung Halt?

Wohl kann es sein, daß uns ein Sprachbild narrt.
Die Blicke sind’s, die zum Erblickten ziehen,
ein Rhythmus spricht, dem sie nicht kann entfliehen,
die mit dem Kopf nickt, mit der Kralle scharrt.

Schmelzwassern gleich siehst du Gesänge rinnen
von Höhen, wo der Lichtkristall zerfällt.
Warum er taut, die Muse mag’s ersinnen,

die, Dichter, deutend uns die Nacht erhellt.
Daß nicht die Netze, die uns Mythen spinnen,
verdorrter Lippe Spötteln dir zerspellt.

 

Aug 4 25

Feiner Riß im Porzellan

Kein Seufzen ist, das blaue Schatten wirft.
Kein Schrei zerbricht die Nacht der Opferschale.
Glück, Tau des Lichts, auf daß im Mond es fahle.
Die Schwermut würgt der Hauch, den Eros schlürft.

Die weiche Rose, die du pflücktest, stach.
Was in den Nacken ihr dein Mund geschrieben,
die Locke wirren Traumes hat’s zerrieben.
Der Schmerz blieb unterm Schnee des Schlafes wach.

Lief nicht ein feiner Riß durchs Porzellan
des Alls, da Philomela hat gesungen?
Und als sich über Leda hingebeugt der Schwan,

hat ihre Flügel nicht die Nacht geschwungen?
Da kaum das Wort die Knospe aufgetan,
ist schon ein weher Duft ins Herz gedrungen.

 

Aug 3 25

Durch die Wörterwüste

Wir müssen durch die Wörterwüste gehen.
Unendlich flimmert geisterhafte Stille.
Oase grünen Wahnes höhnt dem Flehen,
daß noch ein süßes Wort uns Heimat quille.
Wir müssen durch die Wörterwüste gehen.

Da ist kein Manna, das aus Wolken fiele,
die Schrift zu bergen, keine Bundeslade.
Kein Flammenzeichen weist uns hohe Ziele,
wir hungern nach dem Honigwort der Gnade.
Da ist kein Manna, das aus Wolken fiele.

Kein Mose kommt, daß er den Stein erwecke
zur Wunderquelle mit geweihtem Stabe
und unser Geist die Segenssprüche schmecke,
verdorrtes Herz am Schöpferwort erlabe.
Kein Mose kommt, daß er den Stein erwecke.

 

Aug 2 25

Wunde, die im Traume klopft

Philosophische Sentenzen und Aphorismen

Sentimentalität und Kitsch sind hilflose, aussichtslose Versuche, den anthropologischen Riß zu kitten.

Heilsversprechen, mögen sie noch so aberwitzig und obskur sein, wirken, weil die angeborene Wunde, alias Erbsünde, unverheilt in uns weiterschwärt.

Wer wie alle die Versuchung in sich trägt, doch drängender, schmerzlicher fühlt, rennt dagegen an und gerät immer weiter in dürres, verkarstetes Gelände.

Beim späten Schubert, aber vor allem in Mahlers Symphonien scheinen wir der Versuchung der Heilung durch Kitsch erstmals in Werken bedeutender Komponisten zu begegnen.

Die Wunde ist nur scheinbar verheilt; sie hat eine zarte Kruste gebildet, die bei der leisesten Berührung wieder aufbricht.

Die das Moment des tremendum aus dem Bilde Gottes streichen oder abdrängen, können der Versuchung nicht widerstehen, das Gegen-Moment, das fascinosum, zu sentimentalisieren, zu verniedlichen, zu versüßen.

Die Verkitschung der Figur des Armen, von den Barfüßern bis zu den Bolschewiken.

Die Verkennung der Grausamkeit der Natur, vom Sonnentau bis zur Gottesanbeterin, findet sich naturgemäß in kitschigen Idyllen; doch die frühen Stilleben der Holländer und Franzosen sind davon noch frei.

Freilich, Grausamkeit ist unsere Projektion; die Natur bietet unserem Maßstab keinen festen Halt.

Poetische Schönheit und metaphysische Dummheit gehen manchmal wie Zwillingsgeschwister Hand in Hand, Wange an Wange, wie im Sonnengesang des Franz von Assisi.

Negativitäts- oder saurer Kitsch: Adornos selbstquälerische Beschwörung des Nichtidentischen, das „Warten auf Godot“.

Erst kommt der heiter-fidele Taugenichts Eichendorffs, dann der einsam-düstere Wanderer Schuberts und Caspar David Friedrichs, schließlich die Vagabunden und Abfalleimerbewohner Becketts.

Der ästhetisch unsichere Kitsch-Künstler formt Gebilde, die uns auffordernd, schmeichelnd und Beifall heischend zublinzeln.

Die großen Werke sind gleichsam muschelartig in sich und vor den brausenden Fluten der Umwelt geschlossen; sie aufzubrechen, um die Perle echter Bedeutung darin zu entdecken, heißt sie zerstören.

Das Kleine, Feine, Anmutige schützt klassischer Formwille vor sentimentaler Verniedlichung; so der Knabe Dionysos auf dem Arm der Hermesstatue des Praxiteles.

Falsche Liebe äfft die wahre, bis sie vor dem verlangten Liebesopfer die Maske fallen läßt.

Gesetz von der Inflation des künstlerischen Werts: Wenn man mit billigeren Mitteln, die weniger Mühe und Hingabe verlangen, den gleichen Effekt erzielen kann, den Beifall der Menge, sinkt die Kunst nach und nach im Wert.

Bestimmt einzig noch die Quote den Wert des Dargebotenen und Mitgeteilten, ist man in der medialen Gegenwart angelangt.

Der kalte Verführer ruft die gleichen Gefühle hervor wie der heiße Liebhaber, bis eine falsche Träne ihren Argwohn erweckt.

Post coitum triste – ein kaum bewußter Nachhall der Erbsünde.

Der gefallene Mensch liest im Leben wie im Boulevardblatt nur die sensationellen Schlagzeilen.

Wie Touristen des Lebens sammeln wir nur Eindrücke, die uns schon im Werbekatalog als ikonisch angepriesen wurden.

Unsere Erinnerungen sind wie Schatten, die im Labyrinth der Seele blind aneinander vorbeihasten.

Wir sehnen uns nach dem Schmerz der wiederaufgeplatzten Wunde, daß sie uns die Wirklichkeit echten Empfindens zurückgebe.

Die seelisch Kranken, die sich stechen und quälen, martern und an die Grenzen des Erträglichen anrennen, verdienen unsere Bewunderung im Gegensatz zu den Schneeflockenexistenzen in ihren gut von aller äußeren Unbill abgedichteten Blasen.

Wo die Ursünde sich schicksalhaft in Leib und Leben des Einzelnen manifestiert, vollzieht sich wohl ein uns nicht einsehbarer lebensgeschichtlicher Plan, den fromme Einfalt an den Kehren und Wegwendungen der Vorsehung glaubte dingfest machen zu können.

Das Ende der göttlichen Funktion der Vorsehung vollzieht sich in der Allmacht der mehr und mehr unsere Lebensregungen bestimmenden KI-Systeme.

Wie klingt der Gesang des Nachtigallenmännchen im Ohr des nachbarlichen Weibchens, wie im Ohr des lauernden Konkurrenten? – Aber, es ist dieselbe Melodie.

Dasselbe Wort kann Gegensätzliches meinen, wie wir anhand der Zweideutigkeit gewisser Urworte belehrt wurden.

Wir neigen eitel, hochmütig oder selbstvergessen dazu, den echten Schmerz mittels eines fingierten, vorgespiegelten zu übertünchen.

Die gegenderte Sprache mutet wie die entstellenden Flecken auf der Haut des Geschlechtskranken an.

Knipst du das Licht in der Küche an, flüchten die gemeinen Schaben jählings in ihren Unterschlupf, nicht so das Ungeziefer gemeiner Wortverdrehungen in der ideologisch verseuchten Sprache.

Nur der begnadete Asket, den es in der Wüste der Sprache nach reinem Wasser verlangt, hat die Kraft, das ihm vom Dämon dargereichte faulige zu verschmähen.

Was sie als Manna anpreisen, sind vergiftete Baisers aus der Küche Satans.

Die Augiasställe der Sprache stinken zum Himmel; kein Herakles weit und breit.

Wunde, die im Traume klopft; unerhörte Rhythmen dichterischer Sprache.

Der Boden ob nun der Moral oder der Anti-Moral ist schlammig, sodaß der Versfuß gleich einbricht.

Der Aufstand der Avantgarde ist im neuen Spießertum steriler Verweigerung erstickt.

Aus Angst vor dem schönen Klang und dem reinen Ton begannen sie zu krächzen und zu würgen.

Auf daß nicht unverhofft eine Knospe aus der Leinwand breche, versiegelt man sie mit einem monochromen Lack.

Vom Tode läßt sich nichts sagen, außer daß er alle Kriterien des Sagbaren tilgt.

Mit dem feingesponnenen Netz der Chorlyrik eines Sophokles oder der horazischen Ode lassen sich selbst kleine, unscheinbare Falter des Gefühls einfangen.

Zerknüllte Laken – Zeugnis sexueller Ekstase oder der Krämpfe eines Sterbenden. Wer vermag es zu unterscheiden?

Geknebelter Mund ist ihnen Stille, Würgen des Überdrusses Gesang.

Arme Schlucker, die im Abfall wühlen, sollen wir bedauern; Schreiberlinge, die im Müll der öffentlichen Meinung nach Verwertbarem suchen, dürfen wir verachten.

 

Aug 1 25

Das Labyrinth der Seele

Des Menschen Seele scheint ein Labyrinth
mit abertausend krummen Dämmergängen,
wo sich gespensterhaft die Schatten drängen,
Erinnerungen, füreinander blind.

Wo aber dunkel ihre tiefste Höhle klafft,
dort haust der Dämon, jenes Ungeheuer,
das schnöd zerreißt, verneinend, was uns teuer,
der Liebe Bild, gemalt auf zarten Taft.

Lieh keinen lichten Faden dir die Schöne,
zu leiten, Dichter, dich im Wahnverlies,
daß wilden Sinn betören sanfte Töne?

War’s Bacchus nicht, der einst das Dunkel wies,
wie mit dem Glanz der Frucht es sich versöhne?
Ach, Schwermut war, was aus das Licht dir blies?

 

Jul 31 25

Einsam im Abendrot

Nun gehst du einsam in das Abendrot.
Was du gesungen hast in Jugendzeiten,
ward Schatten, die durch deine Träume gleiten.
Von Liebe flüstern sie, die lang schon tot.

Was dir betaut die hohe Rose Wort,
der Liebe sanftes Aug, es ist erblindet,
daß es die Rose nicht mehr wiederfindet.
Die fahlen Blüten weht bald Nachtwind fort.

Die letzten Strahlen sind wie goldne Stricke,
die um das Herz, das graue, sich dir legen,
daß es im Rauschen dunklen Bluts ersticke.

Aufs Laub der müden Erde tropft der Regen,
an zarten Knospen flehn noch Liebesblicke.
Ach, der Verwesungsduft schlägt schon entgegen.

 



Neueste Einträge

Kategorien

Beliebte Einträge

Top