Verse, Mücken
Stimmen, Wasser, wildes Kräuseln
hat sich unterm Mond geglättet.
Seufzer, fast im Schmerz ertrunken,
die ans Ufer sich gerettet.
Worte, Knospen, die verschlossen
bang sich vor dem Weltengrauen,
tuen auf die trunknen Lider,
in das Morgenrot zu schauen.
Verse, Mücken, die am Abend
durch den blauen Äther schwimmen,
scharen sich im Dämmerlaube,
und ihr Herz fängt an zu glimmen.
Das entstellte Dichterwort
Die Pickel, die sein Angesicht entstellen,
sie füllen wieder sich mit weißem Schleime.
Da hilft kein Puder aufgeschminkter Reime,
sie nähren sich aus subkutanen Quellen.
Die Lider sind verklebt, sie aufzureißen
schmerzt, aber mehr noch jenen Brand zu sehen,
aus dem die Funken des Gerichtes wehen,
wie trockne Blitze, die im Auge beißen.
Schon ringelt sich empor der Wurm, die Phrase,
verstopft den Mund mit seinem Schlauch, dem blinden,
den After reckt er vor die blasse Nase:
Erquickung soll das Dichterwort noch finden.
Dann schmatzt er in bacchantischer Ekstase
durchs Mark, sich um das Herz des Sinns zu winden.
Albrecht Dürer, Bildnis seiner Mutter
Kühl sind der Aphrodite Marmorlenden,
die Knospe Mund, betaut vom Abendlicht,
Duft dir zu strömen öffnet sie sich nicht.
Trieft Meerschaum noch aus fahler Anmut Händen?
Die Greisin, Augen, die ins Leere stieren,
Fleisch, ausgemergelt, Lippen, stummer Strich,
sterile Furchen, und sie fragen dich:
Wird sich vorm Tod die Seele schon verlieren?
Der Muschel dumpfes Brausen ist verklungen,
was ihr entstieg, zerstob im Gischt der Nacht.
Gestaltung, Abschiedsschmerz still abgerungen,
hat was verweslich wesentlich gemacht.
Es grüne, um ein graues Herz geschlungen,
die Ranke Vers, der Schwermut schlichte Pracht.
Siehe:
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Datei:Albrecht_Duerer,_Bildnis_seiner_Mutter.jpg
Die Haut der Worte
Verrunzelt, übersät mit Altersflecken,
die Haut der Worte. Kehlsack, abgeschlafft.
Kein Wunderbalsam, der sie wieder strafft,
Getast, ertaubt, kein Stich wird es erwecken.
Und die vom Phrasenstaub verstopften Poren,
durch die einmal der Hymnen Odem drang,
schließt weder Seufzen auf noch Klagesang.
Was Stickluft atmet, ist dem Geist verloren.
Den Staub wird dir nur feuchtes Glänzen lösen,
das aus dem Aug der hellen Einfalt rinnt,
Empfindung fädeln sich durch enge Ösen,
wenn ihr das Dichterwort entgegensinnt,
ins Offne lockt mit Gesten, graziösen,
wo Haut und Hirn erquicken Licht und Wind.
Kalk
Hinabgeschüttet in die Grube,
als könnte er dem Schattenmund,
was aus ihm quoll,
das Blut,
ein Nein ins Nichts geröchelt,
löschen.
Graues Wort,
Schale,
zu oft gefüllt für einen Durst,
der unstillbar
glüht und tiefer glüht
unter Aschen der Erinnerung –
gebunden von der Feuchte,
die keinen Keim mehr nährt,
sintert er zu Schorf,
zur Kruste,
die bleibt und wächst,
soviel du feilst und scheuerst,
Dichter.
Unförmig das Wort,
die zarten Masern des Gefäßes
unsichtbar,
faßt kaum das Maß es noch,
das dürftige,
den trüben Schein der Fülle.
Im Zeitverlies ergraut
Das Licht staut sich am sanft gewölbten Blatt
und rinnt herab zu dunklen Seufzens Wellen,
die aus dem Schlaf der grünen Erde quellen.
Ihr Traumbild ward am Aschenrauch nicht matt.
Ein Schattenpfeil, der durch das Flimmern schoß,
geflügelt dringt sein Schwirren durch die Stille.
Apollon wollte, daß es erdwärts quille,
das Blut, aus dem die Wunderblume sproß.
Der Augenblick ist ohne uns vollkommen.
Wir sehen, wie der Schmerz der Liebe taut,
vom Glanz des Schnees geblendet nur verschwommen.
Gewißheit, die durch Zweifels Dickicht blaut,
zermürbte Lippe heißt sie nicht willkommen.
O heißes Herz, im Zeitverlies ergraut.
Klar und rätselhaft
Salzkristall, gelöst im feuchten Auge,
daß es nicht in Dämmerung versinke
und sich Süße aus dem fremden sauge.
Klar und rätselhaft; des Dunklen Winke.
Irrsal! ruft die Gischt aus wilden Wogen,
mondgeglättet sind sie trunkne Spiegel.
Daß die Macht des Ursprungs nicht getrogen,
öffnet Pindar hohen Waltens Siegel.
Strom, er scheint ins Abseits sich zu winden,
doch auch Karsten will er rauschen, kahlen.
Der Umnachtete läßt groß ihn münden,
wo Gestirne heller Sagen strahlen.
Ja und Nein zum Dasein
Wer ja zum Licht, zur Nacht, zum Dämmer sagt,
klingt es gedämpft auch wie todbange Schritte,
spricht mehr als eines Schattens leere Bitte,
der an des Hades Eisentor verzagt.
Des Wortes Rose ist herabgeblüht,
schon wehen Blüten auf das weiße Linnen,
nun fühlst den Tau du auf die Stirne rinnen,
der einst wie Dunst des Abendrots verglüht.
Wer aber nein gesagt, ihm lieh den Hauch
die Luft, der grünen Lebens Saat gezittert,
und ist im frühen Frost sie bleich verwittert,
sie stäubt im Schnee empor, ein lichter Rauch.
Erwachte Chiffern
Schaum, der über grünem Samt gefunkelt,
seufzt, nun matt, in Schlick und dumpfen Spalten.
Graue Trübsal rinnt in Worthautfalten,
und das Inkarnat des Sinnes dunkelt.
Die sie in den Katakomben malten,
Auren um die Schläfen der Erwählten,
daß sie mit dem Jenseits sich vermählten,
wie sie unter eitlen Blicken fahlten.
Veilchen, sanft gepreßt in alten Briefen,
trübem Auge kaum mehr zu entziffern,
atmen selig aus, erwachte Chiffern,
Düfte hell, die lang im Finstern schliefen.
Vom Bannen der Chimären
Wir haben Augen nicht wie kalte Scheiben,
zu spiegeln ferner uns die Glutgesichte.
Noch in des Traumes angstgedämpftem Lichte
sind sie Chimären, die den Schlaf vertreiben.
Und in der Schlucht der Seele hörst du schwellen
Sintfluten, gischtend über jähe Klippen.
Doch flüstert es wie von Ophelias Lippen,
seufzt Ohnmacht schon, versiegen ihre Quellen.
Der Bilder Flackern, Irrgeblitz von Stimmen
kann nur ein hoher Geist uns gnädig bannen
in Blüten, die wie stille Kerzen glimmen,
nur das Gedicht uns Schwebebögen spannen,
wie Schwäne unter ihrer Nacht zu schwimmen,
von Schimmern hell, getropft vom Bart der Tannen.
Sanfter Anmut aufgetane Hände
Kind, es kniet vor einer Bettelschale,
Hündchen kommt herbeigetrottet, wedelt.
Und sein Wedeln sagt: Auf, laß uns eilen
zu Mildherzigen beim Liebesmahle.
Graue Taube, jäh herabgeglitten
auf den Sims, als müsse sie dort sterben.
Angstgebläht lag nächtens sie im Regen.
Flaum, er blieb, um deinen Hauch zu bitten.
Einmal hat dir weich ein Mund gesungen,
streiften dich nachtblaue Hyazinthen,
sanfter Anmut aufgetane Hände.
Liebe schwieg, Lied, lang hat’s nachgeklungen.
Der Weinberg Sprache
Die uns des Wortes goldnen Wein verdünnen,
daß Sonne wir und Erde nicht mehr schmecken,
Entwurzelte und fader Phrase Gecken,
sie zappeln schon im Netz, das Nornen spinnen.
Die zwischen Mann und Weib den Abgrund füllen
mit queeren Puppen, glattrasierten Schranzen,
auf daß Sterile mit Kastraten tanzen,
ihr Name wird die Faust der Scham zerknüllen.
Was dir im Laub des Dämmers glüht an Beeren,
du pflückst und kelterst ihn, den Herbst des Lebens.
Und das gereifte Wort, das wir begehren,
gießt, Dichter, du in Strophen lichten Schwebens.
Wenn noch der Liebe Kinder davon zehren,
dienst du im Weinberg Sprache nicht vergebens.
Wo sich die Sehnsucht staut
Aus Sommerabends offenem Fenster weht
ein Ton, ein dunkler, und wie eine Taube,
dem Täuberich wild schwirrend nach zur Laube,
ein heller. Schwermut, Süße, die zergeht.
Die Knospen, auf das Wasser sanft gesetzt
von Anmutsgesten, werden fortgetragen,
daß sie dem Morgenrot von Wangen sagen,
sie habe Tau der Sommernacht genetzt.
Wenn überm Grund gefrorene Seufzer hängen,
der grüne Sinn für immer scheint ergraut,
hörst, Dichter, du im Schnee ein Leben drängen.
Kristall, ein Schweigegitter, und es taut.
Schmelzwasser, schluchzend in nachtblauen Gängen,
schäumt wie ein Reim, wo sich die Sehnsucht staut.
Die kleine Therese
Dem Andenken an Thérèse von Lisieux
Ein Wunder rettet noch die Geistesschwachen.
Wenn hohl die Worte, große dumpf verhallen,
die Blüten hellen Sinns ins Dunkel fallen,
kann nur des Abgrunds Qual ein Licht entfachen.
So sah ein Kind, von Schwermut ganz benommen,
wie einer bleichen Kitsch-Madonna Wangen
sich röteten, wie feucht von Liebesbangen
dem blinden Aug die Iris war erglommen.
Der Gnade Lächeln kam aus totem Ton,
es hat der Lebensstarre sanft entbunden
Therese, Kind, das wie entschlafen schon
umflossen war vom dunklen Glanz der Wunden,
als glänzte schwarzes Blut im Acheron.
O Holde, lächle uns, daß wir gesunden.
Das verstummte Keuchen
Das Keuchen auf der Treppe. Spucken. Fluchen.
Nun schleppt er hoch das Kreuz der Nacht, das schwere,
in seines letzten Sommers dumpfe Leere,
wo Mücken nur und Schatten ihn besuchen.
Du hast sie manchmal ihm getragen, Tüten,
gestopft mit Einheitsfraß von Penny, Dosen,
ein Trost war nicht dabei, kein Duft von Rosen,
die ihm die Angst der Dämmerung durchglühten.
Die Lüge raunt, sanft sei er hingeschieden.
Ein Dämon würgte und der Geist zersprang.
Sein Engel aber, der ihn scheu gemieden,
ihm war vor dem zerrissenen Antlitz bang,
nun da geglättet es ein dunkler Frieden,
stand wie ein Bettelkind im Flur und sang.
Der blaue Nachtopal
Der Stimme Dolch, bedeckt ward er vom Staube.
Es hat sich ausgezischt die Wahngift-Schlange.
Nun schmieget Hand in Hand sich, Wang an Wange.
Nun gurrt von weitem sanft die Turteltaube.
Schnee glänzt, wo gestern Blütenflocken stoben.
Die Feuchte schluchzt, schwemmt sie die welken Träume
an dunkler Buchten unbetretene Säume.
Doch du bleibst hier, den Glanz des Schnees zu loben.
Laß, Dichter, Himmels blauen Nachtopal
sich überm Bett der Liebe langsam drehen.
Laß tönen fern ein tiefes Hornsignal,
wenn die Erwachten sich ins Auge sehen.
Verklang es wehmut-innig, pastoral,
die Stille lasse weinend sie bestehen.
Am Ufer hin bis in die Nacht
Wenn wir am Ufer hin zur Stunde gehen,
da schon die Vögel schweigen, kommt ein Wehen
von süßen Düften aus der Halme Schwanken.
Wir bleiben vor den weißen Blüten stehen,
die aus dem Schattenlaub herniedersanken.
Und droben schäumt’s, gleich selig Blinden,
von Wolkenflößen, die nie Buchten finden,
wo die verlorenen Seelen, die sie tragen,
das bange Tau um Finger könnten winden,
die aus dem Schlaf der braunen Erde ragen.
Und sind die Wolken kaum in Dunst zerronnen,
hat uns die Nacht mit schwarzem Vlies umsponnen,
aus dem gespenstisch trunkne Augen schauen.
O Bakchoschor von Myriaden Sonnen,
die sanft erblassen schon in Lüften, blauen.
Splitter und Blüten
Hier liegen Splitter, die im Sonnenlicht
wie Liebesmale, schmerzlich-süße, glimmen.
Dort siehst du Orchideenblüten schwimmen
auf trüben Wassern, ein zerrissenes Gesicht.
Die Splitter kannst du nicht zusammenkitten
zur Vase, die wie Hände, die sich falten,
das Licht der Blume hat emporgehalten,
wie sind ins Dunkel sie ihr jäh entglitten.
Die Blüten kannst du nicht zur Knospe runden,
daß sie sich öffnend Wohlgeruch noch spendet,
wie einst in jenen blauen Abendstunden,
da sich der Tag im Sternensang vollendet.
Nun trinkst Erinnern du, den Glanz aus Wunden.
O daß Vergessen Nacht, die Norne, sendet.
Der verletzte Maulwurf
Ihm bleibt nur Dunkelheit und Schmerz durchwühlen,
die Schatten häufen rechts und links der Pfade.
Er tastet nach dem Wurm, der fetten Made,
doch kann kein fremder Saft die Wunde kühlen.
Durchstößt er noch der Erde dumpfe Kruste,
sieht er verschwommen durch getrübte Linsen
den bleichen Mond im schwanken Schilfe grinsen,
auf schwarzem Samt die Nägel der Verluste.
In seinen Schlaf dringt aus vergessenen Gängen,
von ihm gebahnten, doch zerfallen lang,
als würde er aus sanften Kehlen drängen
zu kindlich-heitern Spielen, ein Gesang.
Tauwasser rinnt durch atemlose Engen.
Geschluchz, als straffe jählings sich ein Strang.
Das Schwirren des Pfeils
παλίντονος ἁρμονίη ὅκωσπερ τόξου καὶ λύρη
Heraklit
Widerspenstige Harmonie wie die von Bogen und Leier
Was zart das Herz preßt, wird es auch zerdrücken.
Was uns emporhebt, Abgrunds grüne Welle,
ruft tief und tiefer rauschend: Mensch, zerschelle,
die hohe Ode Tod soll dich entrücken.
Als ob die blaue Luft ein Schwirren teilte,
die Woge sprüht Gesang, und feuchte Funken
sind auf die kühne Stirn schon hingesunken:
Es ist der Pfeil, der unser Herz ereilte.
Wir gehen schweigend in die Abendröte,
und was wir scheu dem schwachen Hauch versagen,
tönt fern, das Silber einer Hirtenflöte.
Wir wollen das Geschmeid ins Dunkel tragen,
muß auch, was sich zum Liebesstern erhöhte,
herniedersinken in den Strom der Klagen.
Lebewohl, kurz aufgehalten
Mein Glück, in deinem Haar die lose Spange,
die du verloren hast, du liefst so schnell.
Sie war nicht teuer, aber honighell.
Weg war sie, suchten wir auch lange, lange.
Dein Glück hat eines Tropfenschimmerns Dauer,
es rieselt lau an deinem Rücken hin,
als ob ich nah dir, wenn ich ferne bin,
verblassend rasch, ein Sommerabendschauer.
Wie brüchig, was Zerbrechende verbindet,
ein Hauch, ein Lebewohl, kurz aufgehalten
im Wechselblick, der blitzend schon erblindet,
dringt Feuchte in die wimperndunklen Spalten.
Wie jeder sich zurück ins Dämmern windet,
wo Stern und Blume, Leid und Zeit erkalten.
Archaisches Lächeln
Wie unter hohem Sternensang Entrückte
sind jene frühen lichtverwöhnten Koren,
aus trunknen Perlmutts Muschelschaum geboren,
o daß der Charis Lächeln sie beglückte.
Als habe übersprengt mit feuchten Funken
Aurora eines Schläfers blasse Wangen,
sind sie erwacht, um lächelnd zu empfangen,
was im Korallengrund des Traums versunken.
Uns scheint die Sicht von Schattenschilf vergittert,
es kommt kein Gott, herab es uns zu biegen,
wie flehen wir um Nacht, vom Tag verbittert.
Nur wenn uns Mozarts Melodien wiegen,
sehn wir an Knospen noch, was selig zittert,
auch wenn wir schon am Rand des Abgrunds liegen.
Siehe auch:
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/a/a5/ACMA_671_Kore_1.JPG
https://de.wikipedia.org/wiki/Archaisches_L%C3%A4cheln#/media/Datei:Cavalier_Rampin_-_Louvre_2014.JPG
Die unbeschwerte Anmut
Des einen Zeilen kleben wie die Mücken
im Lügen-Sirup auf verfaultem Brot.
Sie zappeln noch, doch ist ihr Sinn schon tot,
erstickt an selbstgefälligem Entzücken.
Des andern Reime sind wie Apfelsinen,
die winters glühen am entlaubten Ast.
Wie gleicht sein Vers dem ungeladenen Gast,
der uns betrügt mit gleisnerischen Mienen.
Beschwer die Anmut nicht mit Edelsteinen,
die ihrem Aug den sanften Glanz entwenden.
Wähl, Dichter, von den Bildern nur die reinen,
die, was verschwiegen, schweigend uns noch spenden.
Daß stumm die Träne wir des Abschieds weinen,
zeig uns der Lilie Schnee in keuschen Händen.
Im Reich des Irrealen
Die Flamme des Gedichts kann nichts versengen,
vom Hauch entfacht, singt Asche sie aus Lettern.
Der Blitz des Sinns, er muß sich selbst zerschmettern,
aufseufzt der Vers nur, wenn ihn Rhythmen zwängen.
Der Muse Kuß schmatzt nicht von feuchten Zungen,
und ihre Brüste sind wie blasse Blasen,
gefüllt mit allegorisch-dünnen Gasen.
Langt Hermes hin, ist Zwillingssinn zersprungen.
So schweben wir im Reich des Irrealen
an Zwielichtfäden, Zwirn, im Schlaf gesponnen.
Wir sehen sie, kaum aufgeblüht, schon fahlen,
des Mundes Blume, Schwester kalter Sonnen.
Bleich, wie Naive die Madonnen malen,
ist ihr der letzte Reim vom Lid geronnen.
Doppelgänger
Ich schlafe auf Etruriens Grabeshügeln,
wo warm der Sand und sanfter rieselt Stille.
Mir träumt, wie fern ein weiches Wasser quille,
wie Schatten in die blauen Nächte flügeln.
Ich liege bei den Menhir-Monolithen,
die unterm Strahl des Mondes dunkel tönen,
als könnten Ahnengeister sie versöhnen,
die Seele, jäh vom Sonnendolch zerschnitten.
Du aber tanzt mit einer Knospe am Revers,
die an der Schwermut Gitter aufgesprossen,
in eines trunknen Abends Ungefähr.
Doch ist ihr süßer Duft schon bald verflossen
in tote Dünste von Urin und Teer.
Das Tor, weinlaubumrankt, war zugeschlossen.
Die trunknen Knospen Mozarts
Kurz aufgeflackert wie ein Traumgesicht,
im Nu des Dunkels langer Qual enthoben,
fiel eines Lächelns Blüte von dort oben,
entsprossen unter fernem Himmelslicht.
Und keine Schale war, den weichen Schnee,
kein Herz, den Flockenschimmer aufzufangen.
Er ist geschmolzen wie auf heißen Wangen,
versunken wie der Schaum der Orchidee.
So sind erloschen auch die Silbertöne,
die aus dem Schilf der Serenade sprühten,
als ob die Wildnis Sternenglanz versöhne.
Du aber wähntest, daß die kaum erblühten,
die trunknen Knospen Mozarts jäh verhöhne
Gischt der Lagune, der Chimäre Wüten.
Der Strom der Dichtung
Was in die Nacht Ophelia getragen,
es war ihr Lied, ein Strom von wilden Klagen.
Wie durch den Karst ein Fluß sich Ufer sticht,
und in der Ödnis will ein Bleiben grünen,
mag sich des Wortes feuchte Glut erkühnen,
wenn sie die Kruste unsres Schlafs durchbricht.
Laßt uns es sehen, wie Gesang betaut,
die schon herabgebeugt, todmüde Seelen,
daß sie sich recken gleich beglänzten Stelen,
wie Knospen, denen Luft der Liebe blaut.
Wohin er zieht, wir können es kaum ahnen,
der Strom der Dichtung, dunklem Grund entquollen.
Mag er zum Meer den Schlangenpfad sich bahnen,
befruchten ferner Enkel dürre Schollen,
aus Schlämmen wühlen noch Geseufz der Manen,
mag fern verrauschen er in Traumes Stollen.
In die Irre gegangen
Es fügt der Schlußstein sich zur Mitte dicht,
und über uns fließt zart des Maßwerks Licht.
Die Angst verlockt uns in ihr Labyrinth,
und wir mißtrauen selbst gewohnten Worten,
als wären Mauern sie, verschlossene Pforten,
und wissen nicht mehr, wer, wozu wir sind.
Dann wieder hat aufs Glatteis uns gejagt
verwirrter Fragen Sturm, wir rutschen, gleiten.
Statt Arm in Arm gemach ans Ziel zu schreiten,
zieht eins das andre nieder, wild-verzagt.
Wir fühlen nicht die Rhythmen mehr, die tiefen,
im Meer des Epos hin- und widerfluten.
Als ob in harten Kapseln Düfte schliefen,
in Lethes Dunkel Rosen Sapphos bluten.
Die Stimmen, die uns aus dem Irrsal riefen,
betäuben nun wie schwarzer Sonne Ruten.
Epiphanien der Klage
Du gehst hinaus, da hockt sie auf der Treppe,
sie lächelt auf zu dir, der Nymphe gleich,
die nachts herumgeirrt am toten Teich.
Tritt nicht auf ihrer Seufzer graue Schleppe.
Und liegst du spät noch unterm Dämmerlaube,
da schläfrig tropft herab ein matter Tau,
fahlt träumerisch gewiegt Gefieder grau.
Erkenn am dunklen Gurren sie, die Taube.
Und sinken hin gesanglos deine Tage,
als wäre nie ein Musenquell entsprungen,
am letzten neigt sie sich dir zu, die Klage,
und hält den bleichen Arm um dich geschlungen.
Daß deine Schwermut noch zu atmen wage,
bis sie ihr süßes Lied dir hat gesungen.
O Hauch der Nacht
Kartage-Sonett
Nacht zwischen all den Sonnen, Nacht und Nacht.
Corona jeden Wortes, strahlt die Stille.
Wer mag von Leere reden, wer von Fülle?
Des Morgens Rose dämmert, welke Pracht.
Durch Gärten gehst du, blühendsten Verfall.
Die Mauer zeigt dir schon, das Wort die Spalten,
wo graue Moose sich und Schatten ballten
und was im Schlaf herniederrinnt, Gelall.
Und doch sprach Segen jener bei dem Mahle
mit Flammenzungen über Brot und Wein,
daß nimmer ihnen das Gedächtnis fahle.
Uns blieb vorm Kreuz der stumme nur, der Stein,
da wir der Kerzen banges Flackern sehen.
O Hauch der Nacht, o schwarzer Flocken Wehen.
Die Entsprungene
Jäh hat dich, sonst von Schatten ernst umschlossen,
wie Inseln keuschen Sands im Ozean,
wie Schnee von Blüten, die sich aufgetan,
ein Lächeln kühlen Mondlichts überflossen.
Auf deiner Lippen samten-roter Schwelle,
die noch kein grauer Zweifel je betrat,
erglomm wie Tau auf purpurnem Brokat
ein feuchter Glanz, ein Hauch verborgner Quelle.
Ja, dies geschah, als um uns Dunkel wehte
traumdichtes Gras und fahles Rauschen stieg,
als lägen wir im Uferschilf der Lethe.
Dich aber weckte auf der Sonne Sieg,
wie heißer Zonen Wild bist du entsprungen.
Ich sank zurück, ein Schwamm, der ausgewrungen.
Die Götter Griechenlands
Wie Gips schmolz – was? Die Götter Griechenlands,
auf Neckars Dämmerauen noch beschworen.
Nun ist Apollons Blondgelock geschoren,
verblich der Goldsaum pythischen Gewands.
Es blieben nur Chimären, Geistersang.
Nicht lächelt Aphrodite queeren Drohnen,
und Charis würgt’s vom Schweiß der Amazonen.
Die Muse peitschte Jazz: Sie nahm den Strang.
Du hörst nicht die homerisch-grüne Welle
die fahle Muschel Ithaka beklagen.
Du fühlst nicht, was dir netzt des Schlafes Schwelle,
rührt noch von Amphitrites Flossenschlagen.
Sind Diotimas Inseln, Eros’ Funken
schon in ein schwarzes Weltenloch gesunken?
Verwischte Spuren
Den Abendhauch, den kühlen, spürst du kaum,
doch kräuselt sich der See, und Tropfen scheinen
still auf des Wassers zarte Haut zu weinen,
schon schwebt herab Selenes blonder Flaum.
Du hörst das Schluchzen deines Schritts im Schlamm,
die Spur wird bald verfüllt vom Lehm, dem feuchten,
Es können Knospen schlaffen Lids nicht leuchten,
die Harze stocken am verfaulten Stamm.
Hier ist die Bucht, wo träg die graue Vene
das ausgelaugte Blut ins Schilf ergoß.
Nein, sage nicht, daß Liebe sich noch sehne
nach dem Gesang, der hellen Nächten floß.
Hier ist versandet er, versickert sind die Namen,
die aus der fernen Heimat Quelle kamen.
Die Ägypterin
Wie die Ägypterin den schwanken Krug,
hat sie aus Brunnendunkel ihn gezogen,
ein Flimmern vor der Isis Silberbogen,
trägst eignen Lebens Fülle du genug.
Sie aber geht, was Glanz der Armut leiht,
zu schütten über Schultern und in Schalen,
daß auferweckter Knospen Augen strahlen.
Es wirren Fäden Lichts, sie wringt ihr Kleid.
Was dir ward aufgebürdet, Herthas Last
an Scheiten, mußt du durch die Schneenacht tragen
zum Vaterhaus, wo du nun weilst als Gast,
zu sorgen für der Fremden Wohlbehagen.
Du schürst die Glut, Waldgeister, Feen singen,
die selbst der Hathor wildes Herz bezwingen.
Die Flucht nach Arkadien
Καὶ ποιμένες ἦσαν ἐν τῇ χώρᾳ τῇ αὐτῇ ἀγραυλοῦντες καὶ φυλάσσοντες φυλακὰς τῆς νυκτὸς ἐπὶ τὴν ποίμνην αὐτῶν. καὶ ἄγγελος κυρίου ἐπέστη αὐτοῖς καὶ δόξα κυρίου περιέλαμψεν αὐτούς, καὶ ἐφοβήθησαν φόβον μέγαν. καὶ εἶπεν αὐτοῖς ὁ ἄγγελος· μὴ φοβεῖσθε, ἰδοὺ γὰρ εὐαγγελίζομαι ὑμῖν χαρὰν μεγάλην ἥτις ἔσται παντὶ τῷ λαῷ, ὅτι ἐτέχθη ὑμῖν σήμερον σωτὴρ ὅς ἐστιν χριστὸς κύριος ἐν πόλει Δαυίδ. καὶ τοῦτο ὑμῖν τὸ σημεῖον, εὑρήσετε βρέφος ἐσπαργανωμένον καὶ κείμενον ἐν φάτνῃ. καὶ ἐξαίφνης ἐγένετο σὺν τῷ ἀγγέλῳ πλῆθος στρατιᾶς οὐρανίου αἰνούντων τὸν θεὸν καὶ λεγόντων·δόξα ἐν ὑψίστοις θεῷ καὶ ἐπὶ γῆς εἰρήνη ἐν ἀνθρώποις εὐδοκίας.
Lukas, 2, 8–14
Und da waren Hirten auf dem Feld, die hüteten des Nachts ihre Herde. Und der Engel des Herrn trat zu ihnen und die Herrlichkeit des Herrn umstrahlte sie und sie ängstigten sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: „Fürchtet euch nicht. Siehe, ich verkünde euch eine große Freude, die allem Volk zuteilwird: Es ist euch heute der Retter geboren, der ist Christus der Herr, in der Stadt Davids. Und dies ist für euch das Zeichen: Ihr werdet ein Kindlein finden, gewickelt in Windeln und in einer Krippe liegend. Und plötzlich war um den Engel die Menge der himmlischen Heerscharen und sie priesen Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden den Menschen, die guten Willens sind.
Laß, Liebe, uns aus dieser Dürre flüchten,
wo Rauschen schläft tief unter dem Asphalt.
Hier bleibt das Herz an greller Lampe kalt,
verzerrt sieht eins des anderen Gestalt.
Laß uns aus dieser Dürre, Liebe, flüchten.
Wir wollen, Liebe, nach Arkadien wandern
und sehen, ob noch Quellen, blaue, sind,
der Mond noch küßt umschilfte Knospen blind
und süßen Liedes Duft uns bringt der Wind.
Wir wollen nach Arkadien, Liebe, wandern.
Laß, Liebe, uns vergilsche Hirten fragen,
wenn sie im milden Abendsonnenschein
uns Becher reichen voll mit goldnem Wein,
ob sie gehört das hohe Benedein.
Laß uns vergilsche Hirten, Liebe, fragen.
Wir wollen, Liebe, heimwärts nicht mehr kehren,
wenn auch die Hirten sagen: „Ach, hier war
kein Glanz, kein Sang aus hoher Engelschar,
wir wandeln trostlos, aller Gnaden bar.“
Wir wollen heimwärts, Liebe, nicht mehr kehren.
Laß, Liebe, uns bei bittern Quellen schlafen,
wo ausgespien das Lied vor Zeiten schon
der Überdruß, der Schwermut wüster Sohn.
Lang ist der Schlaf, genährt von schwarzem Mohn.
Laß uns bei bittern Quellen, Liebe, schlafen.
Tote Herzen
Ἐὰν ταῖς γλώσσαις τῶν ἀνθρώπων λαλῶ
καὶ τῶν ἀγγέλων,
ἀγάπην δὲ μὴ ἔχω,
γέγονα χαλκὸς ἠχῶν ἢ
κύμβαλον ἀλαλάζον.
1 Korinther 13, 1
Schwadronierte ich, wie Menschen tun,
und schluchzte auch mit Engelszungen,
doch kennte stille Liebe nicht,
hohl dröhnend Blech wär ich,
scheppernd eine Rassel.
Es kann uns kein Geschwätz der Not entreißen,
nicht die durch Phrasendickicht schlängeln, Zungen,
nicht was sirenenhaft die Nacht gesungen,
wenn dürstend wir die Lippen blutig beißen.
Die Spiegel trüben uns Verwesungsdünste.
Was wir im irren Blick der Wollust sehen,
sind Gluten, die um Lethes Wasser flehen.
Im Leeren schweben wir wie Traumgespinste.
Daß aufgetan uns würde jene Schneise,
die Lichtung, wo das Kreuz der Liebe ragt
und um uns flockt das Wort wie Schneien leise,
bleibt uns, vom eignen Maulen taub, versagt.
Wir schlagen blind aufs Blech von hohlen Becken,
die toten Herzen können wir nicht wecken.
Gerank von Versen
An überkreuzten Maßwerks zarten Gittern,
erweckt von milden Himmels milder Leuchte,
genetzt von wehmutblauer Abendfeuchte:
Gerank von Versen, leiser Reime Zittern.
Ins Dunkel hat gesenkt der Gärtner Samen,
ob sie geerbt, ob sie ihm zugeflogen,
das Erbe hat, den Fund er aufgezogen,
er kennt des Wachstums Nacht, der Sterne Namen.
Uns aber freut, das weiche Grün zu sehen,
und wenn sich strahlend aufgetan die Augen,
still atmend, einsam oft, entlangzugehen,
mit holder Liebe auch, um einzusaugen
tief Düfte, deren Zauber sanft entrücken,
die Blüte ihr, der Anmut Bild, zu pflücken.
In jenen Welten
In jenen Welten, sprach er, ist Kristall
der Schmerz geworden und ihn bringen
erglühter Monde Strahlen zum Erklingen,
erloschen ist der Drangsal Feuerball.
Dort wandeln wir, der Liebe Schattenspiel,
vor sanften Himmels sanft erhellten Weiten,
dort beben wir wie orphisch-trunkne Saiten,
Akkorde, steigend, sinkend, sonder Ziel.
Das sagte er, da er im Sterben lag.
Blaß war sein Antlitz wie die letzte Rose,
die du ihm noch gepflückt im stillen Hag,
wo eure Wangen kühlte einst im Moose
Tau, fahlem Laub der Dämmerung entronnen,
dem Abendlicht sein goldnes Vlies gesponnen.
Kein Grund zu weinen
Ich sah der Rose müdes Haupt sich senken,
und taumelten im Halbschlaf schon die Bienen,
noch kreisten auf dem Teich, vom Mond beschienen,
zwei Schwäne. Und ich mußte dein gedenken,
wie du sie mir gereicht, Adonisblüten,
süß war der Duft, der ihre und der deine.
Wie schnell war er verweht wie Flusen, feine,
wie Rauch von fahlen Aschen, ausgeglühten.
Ach was, aus Worten hab ich bloß gewoben
den Garten, Blumen, Bienen und den Teich,
aus Wortes dunklem Spiegel es gehoben,
der Liebe Antlitz, süß und wehmutbleich.
Warum denn weinen, weil es rasch verblaßte?
Es sind nur Reime, die ein Narr verpraßte.
„Seelenfrieden“
Das einzig Echte, sagt er, war die Wunde,
sie hielt ihn wach, ließ fühlen ihn und schreiben,
es konnte ihm das Wort sich nur verleiben,
quoll es wie Blut hervor, Blut aus dem Munde.
Sie ist auf seiner tauben Haut gewandert,
sagt er, gleich Furchen, die das Wort sich schürfte,
als ob Empfindung überfließen dürfte,
bevor sie langsam hin zum Meer mäandert.
Vernarben soll sie nun und ganz verheilen,
in einer Klinik namens Seelenfrieden.
Ein Pharmakon soll gnädig sie zerteilen,
das Wort, den Schmerz, zu hausen abgeschieden.
Wie Plastikkitsch am Bett von Sterbensmatten
ist, sagt er, blutleer nun sein Vers, ein Schatten.
Anämie
Dort trug durch Ginster dich ein Hauch so lau
zum See, wo dir der Morgen feenzarte
Gespinste im betauten Schilf verwahrte,
und wie der Azur war dein Auge blau.
Dort war die Stimme, die den Knaben rief,
an Bord zu kommen, heimlich wie die Pforte,
die nie verriegelte am Rebenhorte,
wo auf der Schieferglut die Echse schlief.
Hier hat dich Dämmerdickicht eingeschlossen,
ein Zwielicht, das dir Tag und Traum verwehrt,
die goldne Stimme Sommer ist verflossen.
Hier graut das Herz, wenn es das Blut entbehrt,
in dem ins Südland lockend Sonnen singen,
der Geist durch Aschen schleift die matten Schwingen.
Der Honig südlichen Lichts
… die schattenumrankte, unheilvolle deutsche Seele.
Denn alles, was nicht ins Bewußtsein steigt, kommt als Schicksal zurück.
Christian Kracht, Eurotrash
Blieb dunkel, was gefühlt sie und gedacht,
gleich Abgrundwassern, Trank von Schattenseelen,
was aber niederrann von Asphodelen,
war dunkler Glanz vom Tränenstrom der Nacht.
Vergiftet sei das Blut vom schwarzen Mohn,
den sie im Fusel mit der Asche mischen,
der steten Wolke über deutschen Tischen,
sagst du, des Chaos und der Moira Sohn.
So sind sie aufgebrochen denn vergebens,
im Südland Honig, goldenen Sanges Waben,
uns heimzubringen, Licht erfüllten Lebens,
sie, Dichter, die dem Versfuß Anmut gaben,
und wir im Dickicht wilden Stammelns schauen,
wie in der Lichtung stille Veilchen blauen?
Der alte Eichenstamm
Blind abgeschabt der Rinde Palimpsest,
nur lesbar noch dem Mond. Verschränkt sich biegen
zwei wie im Krampf erstarrte Wurzeln. Doch wiegen
im Wipfel Winde sacht ein Vogelnest.
Rings rupfen Kühe Löwenzahn und Klee,
sie zucken manchmal, ächzt es im Gezweige,
als quille Mark, zersplittre eine Geige.
Der Eicheln Bitterkeit scheut selbst das Reh.
Der alte Stamm, er scheint schon zu verwittern,
doch will am süßen Licht ein Blatt ergrünen.
So rankt an dämmerzarten, morschen Gittern
die Knospe Vers, umsummt von trägen Bienen,
hat aufgetan sie sich den späten Strahlen.
O Blume mit dem müden Lid, dem fahlen.
Der nächtliche Gast
Wirst in der Nacht wohl an die Türe klopfen,
wohnst in der Nähe ja, hast es nicht weit.
Zu gehn mit dir, ich wäre schon bereit,
doch trinken wir zuvor noch goldne Tropfen.
Dieweil magst du von jenen mir erzählen,
die sich versteckt vor dir, dich ängstlich flohn.
Wie du Verlaine geträuft ins Blut den Mohn,
sich Karoline wollt mit dir vermählen.
Das Glas ist leer, du breitest deine Schwingen,
ich klammre mich an ihren Purpurflaum,
wir fliegen hoch, fern höre ich dich singen.
Tief rauscht der Strom, an seinem Ufersaum
seh ich die Pappeln noch, seh Rebentrassen.
Dann alles still, die frühen Bilder blassen.
Inspiriert durch Franz Schuberts Klaviersonate B-Dur, D 960, erörtert von Sir András Schiff, insbesondere 1:19 ff.
Siehe:
https://www.youtube.com/watch?v=ViZu8ATTqc8&t=575s
(Hinweis zum Verständnis: Karoline = Karoline von Günderode)
Gebrüll von Gnomen
οὐκ ἔσθ’ οὗτος ἀνὴρ διερὸς βροτὸς οὐδὲ γένηται, ὅς κεν Φαιήκων ἀνδρῶν ἐς γαῖαν ἵκηται δηιοτῆτα φέρων· μάλα γὰρ φίλοι ἀθανάτοισιν. οἰκέομεν δ’ ἀπάνευθε πολυκλύστῳ ἐνὶ πόντῳ, ἔσχατοι, οὐδέ τις ἄμμι βροτῶν ἐπιμίσγεται ἄλλος. Odyssee, 6, 201–205
Wahrlich, der lebt noch nicht, und niemals wird er geboren, Johann Heinrich Voß |
|
Der Dichter schläft, sein Auge aber wandert
durch Farne, Dämmerung der Endmoränen.
Vergebens sucht nach Schneelicht es bei Schwänen,
solang es feucht vom Tau des Monds mäandert.
Und wacht er auf, liegt auf zerknülltem Linnen
das Buch, die Odyssee, noch aufgeschlagen.
Zu matt mag er Delphinen nach nicht jagen,
nicht Salzflut fühlen in den Nacken rinnen.
Er blättert, möchte heitern Spielen nah
den Rufen scheuer Mädchenanmut lauschen,
den Namen nennen, ihn, Nausikaa.
Da bricht er los, der Lärm der Erdmaschinen,
er hört statt ferner Meereswellen Rauschen
Gebrüll von Gnomen, die dem Mammon dienen.
In die Fremde gehen
ἔσσεται ἦμαρ ὅτ’ ἄν ποτ’ ὀλώλῃ Ἴλιος ἱρὴ
Ilias VI 448
Einst wird kommen der Tag, da Ilios fällt, das uns heilig
Gerhard Fink
Im Wissen, Ilios, die heilige, müsse fallen,
nimmt Hektor Abschied von Andromache,
ihr Bild verschwimmt schon in Hesperiens Schnee,
Astyanax hört er von fern noch lallen.
Sie aber würde in der Fremde tragen
Amphoren von den rätselbittern Quellen,
mit Tränen netzen die verhaßten Schwellen,
nie mehr ein Wort der Muttersprache sagen.
Auch du wirst, Dichter, in die Fremde gehen,
als Wegzehr müssen dir die Flocken dienen,
die aus erloschenen Himmels Abgrund wehen.
Die Waben laß, den Honig goldner Bienen,
die um der Heimat holde Blüten summten.
Die dich genährt, die Lieder, sie verstummten.
Verse, Flocken
Verse atmen, ohne zu verstehen,
Flocken, sanft wie leisen Abschieds Wehen,
und des Abends dunkle Pfade leuchten.
Laß uns schweigend Hand in Hand noch gehen
und die Stirn von lichtem Schaum befeuchten.
Perlen, die an trunknen Wimpern glimmen,
wehmutsüße Lichter, die verschwimmen,
und die Verse schmelzen hin wie Flocken.
Lauschen still wir weichen Wassers Stimmen,
die uns in das Schilf des Schlafes locken.
Mußt du einsam durch beschneite Weiten,
über denen Schwermutnebel gleiten,
in die dämmernde, die Ferne gehen,
mögen Stimmen, helle, dich geleiten,
Verse, Flocken, die herniederwehen.
Ein Herz voll dumpfem Mull
Verblichener Samt, Kopfkissen wie zerstochen.
Er liegt gekrümmt, zerfleddert liegt das Buch,
und fand ihn nicht, den Vers, den Wohlgeruch,
ist jäh ins Loch des Schlafes eingebrochen.
Es wird ihm schwer, ins Wirkliche zu kriechen,
wo seiner nichts als Schmerzroutine harrt,
wo Lust am Firnis trüber Bilder scharrt,
auf mürben Decken zittert, die schlecht riechen.
Er lauscht nicht mehr, ob auf der morschen Stiege
ein Knarzen von vertrauten Schritten kündet.
Ihm ist, als ob sein Schatten ferne liege,
wo sie ihm einst den dunklen Sinn entzündet.
Daß er nichts fühlt, wenn Tau der Milde tropft,
hat er sich dumpfen Mull ins Herz gestopft.
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