Veilchen im Tal
Ihr aber, liebliche Veilchen im Tal,
wo ich mir selber entrückt hab gelegen,
lindert die Wehmut mit Duft noch einmal.
Ach, der Asphalt glänzt duftlos im Regen.
Unter dem dämmernden Efeugerank
hast du gesalbt die Stirn mir mit Küssen,
denn mein Herz war, mein Herz, es war krank.
Nun hat es selbst sich in Stücke gerissen.
Vor der Kapelle blau leuchtendem Bild,
Mutter, die uns ihren Mantel gebreitet,
lilienumkost hat ihr Lächeln gestillt.
Mondin, du hast mich ins Dunkel geleitet.
Glocke, am Grunde des Stromes ertönt,
und an der Wimper hat lang sie gezittert,
Träne, die mit dem Leben versöhnt.
Auge, wie bist du von Schatten umgittert.
William Shakespeare, Sonett 11
As fast as thou shalt wane, so fast thou grow’st
In one of thine, from that which thou departest;
And that fresh blood which youngly thou bestow’st,
Thou mayst call thine when thou from youth convertest.
Herein lives wisdom, beauty, and increase;
Without this folly, age, and cold decay:
If all were minded so, the times should cease
And threescore year would make the world away.
Let those whom nature hath not made for store,
Harsh, featureless, and rude, barrenly perish:
Look whom she best endowed, she gave the more;
Which bounteous gift thou shouldst in bounty cherish:
She carved thee for her seal, and meant thereby,
Thou shouldst print more, not let that copy die.
Dein Schwinden halte auf im zarten Zweige,
den du gepflanzt, und du wirst neu ergrünen.
Dein Blut gib hin vor deines Tages Neige,
mag dir zur Freude es den deinen dienen.
So lehrt die Weisheit Schönheit weiterschreiten,
sonst Torheit Welken, Grauen und Verfall:
Es herrschte, stürben bleich dir nach die Zeiten,
nach sechzig Jahren Öde überall.
Strauch, den Natur gehemmt, sich zu vermehren,
laß herb und grau, dürr ohne Frucht dem Tod.
Die Reichbegabten fruchten ihr zu Ehren,
so ehre, was sie milde dir entbot.
Ihr Siegel schnitt sie dich, um froh zu künden:
Drück ein dein Abbild, laß es nicht erblinden.
Das stille Leben
Der Gärtner hat die Rosen rings beschnitten
von wüsten Trieben, kümmerlichen auch.
Verschweigen wir, was wir um uns gelitten,
in einem Schweigen mild wie Blütenhauch.
Südfrüchte schimmernd in kristallnen Schalen,
beglänzt vom feuchten Mond ein Silberkrug,
es konnte eine edle Hand nur malen
das stille Leben, das sich selbst genug.
Wo Efeuranken Dämmerung verbreiten,
die Inschrift überwuchern Gram und Gras,
wird der umflorte Blick vorübergleiten,
nicht lesen, was im Licht der lichte las.
Weißt du es noch, was uns der Vers verkündet?
Die Quelle klagt, der Sehnsucht Strömung mündet.
Die Tür war nur angelehnt
Philosophische Sentenzen und Aphorismen
Wer herausragt, zieht scheele Blicke auf sich. – Guillotiniert man die exzellenten Orchideen und Rosen, bleibt, der uns auf Dauer anödet, der bieder-niedere Rasen.
Die Krone kann einer nur tragen; sie allen erbberechtigten Brüdern vermachen zu wollen hieße, sie in Stücke zerschlagen zu müssen.
Wenn alle – o Reich der Liebe – gleich zu gleich auf Augenhöhe gestellt werden, sind alle gleichermaßen gedemütigt, düpiert und gelackmeiert.
Wer effeminiert die scharfe Schneide des Verstandes fürchtet, versteckt sich hinter süßlichen Grimassen und verständnisheischendem Gefuchtel.
Dichters Ehre – sich nicht von tätowierten Brillenschlangen ins Gedicht zischen zu lassen.
Am Nullpunkt des Denkens und Sagens spalten und gabeln sich Ja und Nein, Wahr und Falsch, Sein und Nichtsein, Leben und Tod.
Am Nullpunkt des Denkens lösen sich die Bilder auf.
„Das Leben ist ein Gefängnis.“ – „Das Leben ist ein Geschenk.“ – Aber der noch nicht Existente kann weder in Ketten geschlagen noch beschenkt werden.
Die Seele ist kein Schatten des Körpers. – Der Schatten ist kein interner Teil dessen, der ihn wirft.
Denken, das mit dem Kopf gegen die Mauer der Sprache schlägt.
Will man alles bedenken, alles erwägen, kommt man nie dazu, die Schwelle zu überschreiten.
Die Größe ist ungerecht.
Die Illusion, allem und allen gerecht werden zu sollen, mündet in Stumpfsinn und Apathie.
Der Unglückliche und der Glückspilz reden nicht über dasselbe, auch wenn sie das gleiche sagen.
Empfindungen lassen sich nicht vollständig analysieren; die Farbempfindung geht nicht auf in der Formel Lichtfrequenz x Nervensystem, für deren Geltung wir einen Apparat ohne Wissen von sich selbst konstruieren können.
Man kann anhand des lächelnden Gesichts im Spiegel nicht erkennen, daß man es selbst ist, der lächelt, ohne gefühlt zu haben, daß man lächelt.
Empfindungen sind Keimstätten des Gefühls; die Ekelempfindung ist der Keim für die Gefühle der Abneigung und Verachtung.
Weil Hinz die Juden, die abstrakte Malerei und Dichtung, die atonale Musik und den Jazz haßte, ist Kunz nicht dazu verpflichtet, all das hochzuschätzen und zu lieben.
Sprachkritik oder die Eichung von Begriffen.
Das Langenmaß muß die Dimension des zu Messenden haben; die Ars poetica über Begriffe verfügen, die sich an die Dichte und Intensität der poetischen Bilder und Rhythmen anzuschmiegen geeignet sind.
Ist Intensität ein ausreichendes Maß der Empfindung? – Der ersterbende Klang der Sonate.
Rilke läßt den letzten Takt im letzten Vers des Gedichts „Der Panther“ aus; die Steigerung des Ausdrucks durch das Ausgesparte und nicht Ausgedrückte.
Die kausale Perspektive der Biologie – Tier unter Tieren – genügt nicht, um zu verstehen, daß wir es sind, die morgens erwachen.
Der tierische Laut ist kein Begriff; die Nachtigall weiß nicht, daß sie singt.
Die Bedeutung und der Begriff sind nicht der Schatten des Körpers des Lauts.
Der Blick öffnet und schließt das Gesichtsfeld. – Das unwillkürliche Tasten des Blicks, das registrierende, bewertende Prüfen des Blicks.
Wie man ihn anblickt, blickt der Angeblickte zurück.
Mythologie, als könne das Gehirn etwas erblicken, ein Bild, eine Landschaft, ein Gesicht.
Mythologie, als wäre das Ich oder Subjekt der geheime Souverän und Schattenkönig im Reich der Bewußtseinsphänomene; Mythologie, auf der immerhin ein Platon, ein Kant ihre Ethik gründen, die sich in der Maxime verdichtet, der Souverän werde offenbar und trete aus dem Schatten.
Der reduktive Naturalismus ist begrifflicher Selbstmord aus Angst vor der Verführung durch den Idealismus.
Das aufopferungsvoll seine Jungen nährende und hütende Muttertier weiß nicht, daß sein Verhalten dazu dient, seine Gene weiterzugeben oder die Art zu erhalten.
Eltern zeugen und päppeln unter hohem Einsatz ihrer Energien und Ressourcen ihre Nachkommen nicht in der Absicht, die Populationsrate nicht sinken zu lassen.
Das Recht ist – trotz Platon, trotz Kant – kein Ableger der reinen Vernunft, sondern ein genuiner Sproß des Rechtsempfindens. Und dieser gedeiht in den Nebelauen urtümlicher Reaktionen wie solchen des Zorns, des Wunsches nach Rache und Vergeltung sowie nach Tötung oder Züchtigung des Übeltäters, Verräters, Mörders und Vergewaltigers.
Der Geschädigte muß den Schaden empfunden haben, bevor er nach Vergeltung schreit; nur der Betroffene ruft „Auge um Auge“ oder verlangt nach einer anderen Form der Entschädigung.
Das Gericht betreibt als Sachwalter der Rache- und Vergeltungswünsche des Geschädigten nicht deren institutionelle Neutralisierung, sondern übt die öffentliche Funktion ihrer Legalisierung aus.
Nur der pädagogisch und strafrechtlich wohldosiert verabreichte Schmerz belehrt; nur die verbrannte Zunge hütet sich vor weiterem Zischen und Lästern, nur das gestopfte Maul garantiert nächtliche Ruhe.
Der kastrierte Vergewaltiger und Triebtäter muß sich ein neues Betätigungsfeld suchen.
Das Mißverständnis der Vernunft als Herrin im Haus der Seele suggerierte und insinuierte der Antike die verlockenden Bilder der Ruhe, der Beschwichtigung, der Meeresstille und Ataraxie.
Der Psychologe Augustinus und der Tiefenpsychologe Pascal hatten gegen die Annahme der antiken Philosophie von der Souveränität der Vernunft den auf tiefem Empfinden gegründeten berechtigten Einwand erhoben, daß die Unruhe des Herzens unstillbar sei und einzig der Frieden Gottes sich – je nach Fall – seiner erbarmen könne.
Das Briefwerk des Horaz ist ein Zeugnis des vergeblichen Ringens um die Befriedung der Unruhe des menschlichen Herzens.
Die Unruhe kann wohl betäubt, nicht aber gestillt werden.
Die Sehnsucht des kleinen Marcel nach dem Gute-Nacht-Kuß der Mutter ist größer und betörender als die Erfüllung seines Wunsches, der einer Enttäuschung nahekommt.
Erwachsen werden oder geistig reifen hieße, die Fremdheit des Daseins ertragen zu lernen, ohne den Verlockungen nachzugeben, sie mittels Betäubungsmittel aller Art – Drogen, Religionen, totalitäre Ideologien – auslöschen zu wollen.
Der Wahnsinnige schlägt verzweifelt gegen die Tür, die, wenn er erschöpft zu Boden sinkt, wie von Geisterhand aufspringt. Die Tür war nur angelehnt.
Das Weinen, das den Nervenknoten und nervösen Krampf löst, den Krampf, in dem wir infantil am unerreichbar Fremden oder fremd Gewordenen hängen (der Imago der stillenden Brust oder der verlorenen Heimat).
Effeminierte Kerle mit grell lackierten Fingernägeln und Ohrringen, halb kahl geschorene Mädchen mit Piercings an Nase und Lippen, plakathafte Vulva-Kitsch-Malereien, Sprachverhunzungen à la „jeder und jede“, „Autor:innen“ oder „Menschen, die menstruieren“: Die Lust an der Entstellung, am Schiefen, Verdrehten und Grellen, gedeiht wie Unkraut in der Bodenlosigkeit der urbanen Endzeit-Zivilisation.
Was wahr und falsch, recht und unrecht, schön und häßlich ist, steht im Allgemeinen nicht zur Disposition; das aber reizt und kränkt den geistig Schwachen und den Perversen.
Leute, die es als befreiende Wahrheit oder alleinseligmachende Offenbarung in alle Mikrophone schreien, es tummle sich zwischen den Polen von Mann und Frau eine faszinierende Schar von zwielichtigen Gestalten, ähneln den Toren, die annehmen, zwischen dem Wahren und Falschen hause noch ein buntes Völkchen verlockender Halbwahrheiten.
Jede Ästhetik und jede Ars poetica sind insofern normativ, als sie methodische Mittel bereitstellen, um beispielsweise über einen vorliegenden Text zur Entscheidung darüber zu kommen, ob es sich dabei um ein Gedicht oder um ein zusammengestoppeltes, zusammengeleimtes, aus Versatzstücken angesagter Zeitgeistphrasen montiertes Pseudo-Gedicht handelt.
Der Irrtum, die Kunst sei etwas durch und durch Künstliches, rührt schon an den Wahn, alles müsse machbar sein. – Der Kern der Kunst ist der Willkür entzogen, ähnlich wie die natürlichen Tatsachen der Zweigeschlechtlichkeit und die in ihr aufsteigenden erotischen Gewitter.
Die Erfahrung des Göttlichen kann man nicht erlernen, provozieren oder nachahmen. – Hölderlin drückt dies aus, wenn er davon spricht, er fühle sich von Apollon geschlagen.
Die Banalität und seelische Kahlheit, der erotischen Gefahr mittels künstlicher Angstverhütungsmittel scheinbar entronnen, reden im Staccato vom Spaß am Sex.
Perversionen sind Gefühlswelten und Verhaltensweisen, in denen sich die mehr oder weniger vollständige Ablösung der Sexualität von der Fruchtbarkeit dokumentiert.
Man kann nicht die Absicht hegen, ein Dichter zu werden oder sich zu verlieben.
Die mittels künstlicher Stimulantien erweckten poetischen Ergüsse machen der Muse kein Kind.
Sie destillieren aus der unverfügbaren Gnade eine fade Soße, die sie auf die noch faderen Hostien einer Massenspeisung streichen, um sie als Liebesmahl zu deklarieren.
Das auf das Puttenmaß von sentimentalem Kitsch allumfassender Menschenliebe und karitativer und politischer Gesinnungsmoral geschrumpfte Christentum zerfällt wie die Reliquie im Schrein, die man unvorsichtigerweise der Frischluft ausgesetzt hat.
Dem entschwundenen Engel
Durch Laubes Flammen sind wir noch geschritten,
von Vogelrufen wogte Herbstluft süß,
es färbte Abendrot, was ich gelitten,
den Blütenschnee in fernem Paradies.
Und löschte auch der Auen Dämmerleuchten
des Nachtwinds schwarzer Flügel bald,
es führten süßen Glanzes, tränenfeuchten,
mich treue Augen durch den Dornenwald.
Zum Saum gelangt, ein Vorhang, aufgerissen,
sah ich im Tal wie Rosen auf dem Strom
die Morgenröte wach die Wasser küssen,
die Heimatstadt, wie kniend um den Dom.
Und bist, ein Engel, du dem Traum entschwunden,
dein Hauch hat mir den hellen Vers entbunden.
Geh kühn ins Ungeheure
Der Schieferdächer Sammetglanz im Regen,
um goldene Säulen Fäden Tods gewunden,
zerfetzt, zerschnitten von der Sonne Degen,
und Wolken tief, Hetzmeuten gleich von Hunden.
Ein Schicksal, unabwendbar, dumpfes Grollen
durch Täler, wo den bangen Ställen Brüllen
und silberkaltes Klirren war entquollen,
und Knospen sprangen, sich mit Blut zu füllen.
Wir Kinder aber rannten ins Gewitter
und lasen, was auf Aschenpergamente
die Blitze ritzten, ah, wie schmeckten bitter
des Himmels Tränen, Tropfen, transparente.
O gehe, Dichter, kühn ins Ungeheure,
daß uns dein Vers mit dunkler Glut befeure.
William Shakespeare, Sonett 10
For shame deny that thou bear’st love to any,
Who for thy self art so unprovident.
Grant, if thou wilt, thou art beloved of many,
But that thou none lov’st is most evident:
For thou art so possessed with murderous hate,
That ‘gainst thy self thou stick’st not to conspire,
Seeking that beauteous roof to ruinate
Which to repair should be thy chief desire.
O! change thy thought, that I may change my mind:
Shall hate be fairer lodged than gentle love?
Be, as thy presence is, gracious and kind,
Or to thyself at least kind-hearted prove:
Make thee another self for love of me,
That beauty still may live in thine or thee.
Schamhaft bekenn, daß Liebe dir nicht eigen,
der an sich selber läßt kein gutes Haar.
Gesteh, wie viele Liebe dir bezeigen,
daß du nicht eine liebst, ist sonnenklar.
Du mußt dem Dämon der Vernichtung dienen,
schrickst nicht vorm Anschlag auf dich selbst zurück,
dein schönes Heim zerlegst du in Ruinen,
das zu beleben wär dein Lebensglück.
Den Sinn erneu, daß ich mich neu besinne.
Soll schöner wohnen Haß als Zartgefühl?
Daß deine Anmut dir ein Herz gewinne,
dem eignen Herzschlag sperre dich nicht kühl.
Zeug dir ein zweites Selbst, schon mir zuliebe.
Daß noch dir Schönheit wie den deinen bliebe.
Der Vorhang ist gefallen
Magst immer weiter du nur wandern,
die abgestreiften Häute laß den andern.
*
Fühle an den Wimpernspitzen
ferner Meere Muscheln blitzen.
*
Von grüner Verse Dämmerranken
laß erdwärts tropfen die Gedanken.
*
Bewehrt ist auch der Liebe Mund mit Zähnen,
auch weiser Sermon macht uns schließlich gähnen.
*
Im Käfig mag die Nachtigall nicht singen,
der Phrasen Öl verklebt des Dichters Schwingen.
*
Hebst du den Block, siehst du hervor sie kriechen,
die Ungestalten und die geistig Siechen.
*
Horaz, geborgen im Sabinergut,
roch Fäulnis schon, die schwarze Flut.
*
Sie lauschten zwischen Schoß und Phallus dunkel
zwittriger Zungen Wahngemunkel.
*
Ist auch der Vorhang längst gefallen,
hört fern man noch Lears Geisterlallen.
*
Sie wollen Vater nicht, nicht Mutter heißen,
Kunstrasen ist, worein sie beißen.
*
Vorm Reim, wie wurde ihnen bang,
die Verse klopfen ohne Widerklang.
*
Das Lied der Anmut kommt aus Fernen,
der alte Adam kann’s nicht lernen.
*
Willst deine Tür du Heuchler nicht verschließen,
darf des Vandalen Tritt dich nicht verdrießen.
Vignettenzart
Von Flammen, die im Morgenwind gezittert,
blieb uns ein dämmerfahles Rosenlicht,
vignettenzart von Schattenlaub umgittert
des Atems Initiale am Gedicht.
Der Schaum um Bilder, die homerisch stiegen
aus Meeresgrotten, Muscheln blauen Klangs,
zerstob in Schilfen, die sich seufzend biegen
in das Morendo eines Nachtgesangs.
Die Strahlen, um der Hymne Kranz gewunden,
der Pindar über Urnenfelder hebt,
im Irrlicht haben wir sie nachempfunden,
das Grabes Inschrift geisterhaft umschwebt.
Und hausen wir auch zwischen kahlen Mauern,
im Traum glänzt noch ein Vers von Liebesschauern.
William Shakespeare, Sonett 9
Is it for fear to wet a widow’s eye,
That thou consum’st thy self in single life?
Ah! if thou issueless shalt hap to die,
The world will wail thee like a makeless wife;
The world will be thy widow and still weep
That thou no form of thee hast left behind,
When every private widow well may keep
By children’s eyes, her husband’s shape in mind:
Look what an unthrift in the world doth spend
Shifts but his place, for still the world enjoys it;
But beauty’s waste hath in the world an end,
And kept unused the user so destroys it.
No love toward others in that bosom sits
That on himself such murd’rous shame commits.
Hast Angst du, einer Witwe Aug zu netzen,
daß dir die Tage öd und einsam sind?
Wird deine Lücke einst kein Kind ersetzen,
seufzt auf die Welt, ein Weib, doch ohne Kind.
Sieh, wie die Welt bereichert, wer verschwendet,
die Münze rollt, die Welt steht hochbeglückt,
liegt Schönheit brach, wird sie der Welt entwendet,
die ungenutzte von Nichtsnutz zerpflückt.
Nie ward der Liebe Anhauch je zum Segen,
wen Schande stachelt, Hand an sich zu legen.
Die erstickte Quelle
Geheimnis aber quoll in stillen Hainen,
vom Blattwerk grüner Einsamkeit verhüllt,
wie zwischen weich von Moos behaarten Steinen
ein Wasser, das mit Monden sinkt und schwillt.
Gleich Pilgern in den Karsten, blütenlosen,
die noch im Traum der Sonnenfalke hetzt,
erflehten Dichter Tau auf Mohn und Rosen,
der ihren Vers, den darbenden, benetzt.
Wie Liebenden, von Schatten dicht ummauert,
zerkratzte spitzes Wort den zarten Mund,
die Wunden schloß, was selig sie umschauert,
Glanz stummer Tränen, Siegel ihrem Bund.
Die Quelle ward erstickt im Teer von Phrasen,
die Asche schmatzend wir im Jahrbuch lasen.
William Shakespeare, Sonett 8
Music to hear, why hear’st thou music sadly?
Sweets with sweets war not, joy delights in joy:
Why lov’st thou that which thou receiv’st not gladly,
Or else receiv’st with pleasure thine annoy?
If the true concord of well-tuned sounds,
By unions married, do offend thine ear,
They do but sweetly chide thee, who confounds
In singleness the parts that thou shouldst bear.
Mark how one string, sweet husband to another,
Strikes each in each by mutual ordering;
Resembling sire and child and happy mother,
Who, all in one, one pleasing note do sing:
Whose speechless song being many, seeming one,
Sings this to thee: ‘Thou single wilt prove none.’
Wie? Traurig lauschst du süßen Harmonien,
für die kein Widerstreit, nur Freude zählt,
umarmst nicht liebend, was dir ward verliehen,
liebst etwa du Umarmung, die dich quält?
Wenn der Akkord von Saiten, die gleich schweben,
Brautpaaren ähnlich, dir das Ohr verstört,
ist es ein Tadel mild, daß dir das Leben
in Einsamkeit den Widerklang verwehrt.
Die Saite, süßer Gatte einer zweiten,
hör, wie ihr eigner Schwung im andern schwingt,
wie Vater, Mutter, Kind den Sinnraum weiten,
wenn süßen Dreiklangs uns ihr Lied erklingt.
Lied ohne Worte, polyphon, doch rein,
sagt dir: gesanglos wohnst du und allein.
Von fahlem Gras umsungen
Im Glanz von Augen wie ein Bild entstehen,
die sehnsuchtsvoll ein Veilchen angeschaut,
von sanften Lidern ausgewischt vergehen,
nur dunkle Feuchte sagt, wie es geblaut.
An harter Stirne weich den Nachtwind fühlen,
und Flammen gaukeln, was verloren ist,
in Schatten, gleich Verlaines Schäferspielen,
Gespenstern, deren Hand du einst geküßt.
Schürst in erloschnen Versen du nach Gluten,
das Herz, es bleibt doch dunkel dir und kalt,
du hörst sie ferne rauschen, schwarze Fluten,
sie schwappen an die Schwelle dir schon bald.
Wie Gras dem Wind beug dich den Dämmerungen,
schlaf, Dichter, ein, von fahlem Gras umsungen.
Entsagung
Erweckt vom Glanz der Tropfen, keuschen, milden,
hat Ton geschmiegt sich seherischer Hand,
was Blüten trieb aus zarten Versgebilden,
quoll über traumbemoosten Brunnenrand.
Ein Leuchten komme noch aus reinen Blicken,
des alten Dichters graues Herz erbat’s,
den Kranz zu winden wollte ihm nicht glücken,
dem Tau geträufelt Oden des Horaz.
Und kehrt sie nicht, die graziöse Muse,
für dumpfen Schlaf hat Schilf noch Dämmerung,
die Mandel schweig verschlossen in der Druse,
bis sie versinkt in stummer Lethe Dung.
Geläute, sanft verweh wie Blütenschneien,
still, Glocken, still, daß wir im Traum nicht schreien.
William Shakespeare, Sonett 7
Lo! in the orient when the gracious light
Lifts up his burning head, each under eye
Doth homage to his new-appearing sight,
Serving with looks his sacred majesty;
And having climbed the steep-up heavenly hill,
Resembling strong youth in his middle age,
Yet mortal looks adore his beauty still,
Attending on his golden pilgrimage:
But when from highmost pitch, with weary car,
Like feeble age, he reeleth from the day,
The eyes, ‘fore duteous, now converted are
From his low tract, and look another way:
So thou, thyself outgoing in thy noon
Unlooked on diest unless thou get a son.
Sieh, wie im Osten Gnadenlicht erhebt
sein Strahlenhaupt und wie ein jedes Wesen
kniet vor dem Bild, das Leuchten neu belebt,
in ihm die heilige Majestät zu lesen.
Und wenn des Himmels Hügel es erklomm,
gleicht roter Knospe es in lichter Schneise,
auf Götterschönheit blicken Menschen fromm,
lobpreisend ihre goldne Pilgerreise.
Doch wie am Gipfelgrat ein alter Mann
hinkt müd der Wagen aus azurner Sphäre,
die Blicke, eben noch verzückt im Bann,
enttäuscht der Untergang, die dunkle Kehre.
Auch du, einmal gestürzt vom Strahlenthron,
stirbst unbesehen, zeugst du keinen Sohn.
Komm, Morgenhauch
Komm, Morgenhauch, wir wollen aufwärts quellen,
blank lächelt uns der Schiefer mondgeküßt.
Weich betten Moose schroffen Wingerts Schwellen,
es glänzt die Traube, bis du trunken bist.
Tief atmen wollen wir, die Lüfte blauen
von einem Singsang, der aus Höhen quillt,
wo Selige sich wohl die Hütten bauen
und knien hin vorm heimgeholten Bild.
Und sind zu müde wir, den Gipfel zu erreichen,
hier birgt die Mulde scheuer Seelen Brand.
Das Dunkel kommt, uns rauschen alte Eichen,
o schlummern ein wir, Liebe, Hand in Hand.
Wie Felsenginster sonnengolden leuchten,
verlöschen unter Nebeln, dämmerfeuchten!
William Shakespeare, Sonett 6
Then let not winter’s ragged hand deface,
In thee thy summer, ere thou be distilled:
Make sweet some vial; treasure thou some place
With beauty’s treasure ere it be self-killed.
That use is not forbidden usury,
Which happies those that pay the willing loan;
That’s for thy self to breed another thee,
Or ten times happier, be it ten for one;
Ten times thy self were happier than thou art,
If ten of thine ten times refigured thee:
Then what could death do if thou shouldst depart,
Leaving thee living in posterity?
Be not self-willed, for thou art much too fair
To be death’s conquest and make worms thine heir.
Laß Winters wilde Hand nur nicht entstellen
den Sommer dir, bevor dein Mark gepreßt:
Mit Süße füll das Glas, laß herrlich quellen
der Schönheit Tau, bevor vertropft der Rest.
So fruchten ist kein Wucher, der verboten,
beglückt es ja, die’s zahlen gern zurück.
Ein zweites Ich zu zeugen löst den Knoten,
zehnmal gelöst, verzehnfacht sich das Glück.
Zehnmal so glücklich wirst dein Ich du spüren,
sind zehnmal dir zehn Leben aufgeblüht.
Wird Tod ob deines Tods noch triumphieren,
läßt Nachwelt singen er dein Lebenslied?
Daß dir die Zwingburg eigne Schönheit stürm,
nicht Tod sie schleift und erben läßt Gewürm.
Erfüllt vom Leeren
Wo Astern leuchteten aus Dämmerungen,
schwitzt grelles Blech, lärmt wild ein dunkler Clan.
Wo du hast wehrlos vor dich hin gesungen,
schnitt man den Mond vom Ast, erschoß den Schwan.
Der auf die Hand den Blütenstern gehoben
und barg den Glanz in samtner Verse Nacht,
sein Stern ist mit dem Feuersturm zerstoben,
und Asche ward, was er geträumt, gedacht.
Die Traubenranken um der Liebe Bildnis,
die golden rauschten im Oktoberlicht,
verwandelte der Lethe Tau in Wildnis,
kein Wein verklärt uns noch das Angesicht.
Schon blicken wir in menschenferne Sphären,
vom stummen Moos gerührt, erfüllt vom Leeren.
Sang nachtblauer Wellen
Die Blicke, müd der Blicke voller Dunst,
auf Pfützen trüber Gegenwart zu stieren,
hebt über Mauern uns antike Kunst,
bis sie im Meer des Epos sich verlieren.
Gespinst des Zweifels und des tausendfach
Gedachten, das uns graue Spinnen weben,
besprengt, der aus dem Tor des Sommers brach,
ein Schauer, still erglänzt das schlichte Leben.
Die sich geduckt im Hegelseminar,
die trauten Alltagsworte, die uns meinen,
schreckt auf wie schriller Lerchen Flatterschar
der Morgenwind, auf daß wir nicht verneinen.
Das Meer, es schwappt an Traumes sanfte Schwellen,
homerisch ist der Sang nachtblauer Wellen.
William Shakespeare, Sonett 5
Those hours, that with gentle work did frame
The lovely gaze where every eye doth dwell,
Will play the tyrants to the very same
And that unfair which fairly doth excel;
For never-resting time leads summer on
To hideous winter, and confounds him there;
Sap checked with frost, and lusty leaves quite gone,
Beauty o’er-snowed and bareness every where.
Then were not summer’s distillation left,
A liquid prisoner pent in walls of glass,
Beauty’s effect with beauty were bereft,
Nor it, nor no remembrance what it was.
But flowers distilled, though they with winter meet,
Leese but their show; their substance still lives sweet.
Die Stunden, die dir hold mit Reiz umwanden
den süßen Blick, daß alle darauf blicken,
sie machen herrisch alle Zier zuschanden,
die einer Krone gleich war zum Entzücken.
Die Zeit, sie stürzt und läßt den Sommer schlittern
in Wintergraun, kratzt aus die bunten Alben,
der Saft gefriert, die Adern Lichts verwittern,
verschneit die Schönheit, Kargheit allenthalben.
Wär uns das Blumenwasser nicht geblieben,
die Tropfen im Gefängnis von Phiolen,
müßt mit der Schönheit ihre Gunst zerstieben,
uns träumte nicht im Dufte von Violen.
Der Blumen Blut, die Wintersturm zerknickt,
ihr Glanz schwand hin, ihr dunkles Herz berückt.
Die geschändete Muse
Nicht wird der Baum entrindet Früchte bringen,
die Muse, stranguliert von rauher Hand,
dem Quälgeist keuchen, doch nicht lieblich singen,
der ihre Flechten um den Hals ihr wand.
Ins Lilienlicht azurner Reime spritzen
sie dunkles Stammeln, stygischen Päan.
Rot am Revers der Hymnen prangend Litzen
aus Seidentaft reißt ab Hyänenzahn.
Kein leiser Hauch dringt durch das Schweigegitter.
Geschändet ward die Muse sich selbst fremd,
floh zu den Frommen durch das Ungewitter.
Sie haben ihr das wirre Haar gekämmt.
Kein Fittich schwebt, noch Kühlung uns zu fächeln,
kein Lied ertönt, daß wir im Schlafe lächeln.
Blaß und immer blasser
Wie jäh ist uns das goldne Bild zerronnen,
das auf des Wassers weichem Samt gewallt,
als wär getropft ein Tropfen in den Bronnen,
der sich an eigner Wimper zart geballt.
Als einsam wir am offnen Fenster standen,
hat uns der Herbst ein schmales Blatt geweht,
von fernen Abschiedsfestes Laubgirlanden,
von einer Weide, die am Grabe steht.
Auf einmal ist die Hand in Schlaf gesunken,
ins Gras der Schrift, die zitternd ihr erwacht,
die helle Blüte, die den Tau getrunken,
verschloß in ihren Schoß die hohe Nacht.
O schweben still auf Mondes Blumenwasser,
und Träume träumen, blaß und immer blasser.
William Shakespeare, Sonett 4
Unthrifty loveliness, why dost thou spend
Upon thy self thy beauty’s legacy?
Nature’s bequest gives nothing, but doth lend,
And being frank she lends to those are free:
Then, beauteous niggard, why dost thou abuse
The bounteous largess given thee to give?
Profitless usurer, why dost thou use
So great a sum of sums, yet canst not live?
For having traffic with thy self alone,
Thou of thy self thy sweet self dost deceive:
Then how when nature calls thee to be gone,
What acceptable audit canst thou leave?
Thy unused beauty must be tombed with thee,
Which, used, lives th’ executor to be.
Verpraßte Schönheit, Erbschaft, dir verschrieben,
sie läßt verkümmern du im Winkel Ich?
Natur schenkt nichts, sie leiht bloß nach Belieben,
und nur den Edlen leiht sie königlich.
Wieso mißbrauchst du, Beau Geizkragen,
die Fülle, dir gegeben, daß du gibst?
Du wucherst ohne Zins. Soviel erjagen
die Riesensummen, daß du elend bliebst?
Du redest mit dir selber nur im Spiegel,
die Mienen süß zu süßem Selbstbetrug:
Reißt aber auf der Tod dir Brief und Siegel,
sieht des Revisors Auge: nicht genug.
Sterile Schönheit, sie muß mit dir sterben,
fruchtbringende lebt weiter in den Erben.
Trübe Flocken
Bespuckt, zerkratzt von keifenden Megären
sank in den Kot das mütterliche Bild.
Die weder zeugen können noch gebären,
verkünden, daß kein Sinn im Dunkel quillt.
Und ist dem Schoß ein Ahnen noch geblieben,
das langer Trübsal Mauern übersteigt,
wird es von kalten Ammen abgetrieben,
dieweil ein Knochenmann den Walzer geigt.
Und Verse sind ein Schneien trüber Flocken,
die tauen, kaum vom warmen Dung geküßt.
Die Brunnen, die befruchtet, fielen trocken,
und niemand klagt, weil er die Frucht vermißt.
Zerbrich, o Sänger, die verstimmte Leier,
ins Kloster gehe, Muse, nimm den Schleier.
Bogen und Leier
In Eos’ Rosen lodern schon die Brände,
der Hauch des Abends träumt sich den Orkan.
Der Knospe sagt der Strahl: Geh auf, verschwende,
die Nacht dem Licht des Denkerwortes: Wahn.
An kalten Wimpern zittern heiße Tränen,
des Lächelns Schnee zerrinnt in Wehgesang.
Bestückt ist auch der süße Mund mit Zähnen,
vom Bogen schnellt der Pfeil, ein Leierklang.
Die Einsamkeit muß schlaflos immer lauschen,
ob auf der Stiege ächzt der Liebe Schritt,
und die betäubt an Küssen sich berauschen,
entzweit das Messer, das die Frucht zerschnitt.
Wie Schatten längen sich uns die Gedanken,
wie Rätsel, die nur dämmernder sich ranken.
William Shakespeare Sonett 3
Look in thy glass and tell the face thou viewest
Now is the time that face should form another;
Whose fresh repair if now thou not renewest,
Thou dost beguile the world, unbless some mother.
For where is she so fair whose uneared womb
Disdains the tillage of thy husbandry?
Or who is he so fond will be the tomb
Of his self-love, to stop posterity?
Thou art thy mother’s glass and she in thee
Calls back the lovely April of her prime;
So thou through windows of thine age shalt see,
Despite of wrinkles, this thy golden time.
But if thou live, remembered not to be,
Die single and thine image dies with thee.
Schau in den Spiegel, sprich zu deinem Bild:
Nun ist es Zeit, dies Antlitz zu erneuen.
Noch ist es frisch, wenn es nicht neu aufquillt,
täuschst du die Welt, wird’s eine Mutter reuen.
Denn welche ist so schön, den keuschen Schoß
dem Segen deines Ehepflugs zu wehren?
Und wer pflanzt töricht sich sein Grabmal bloß
aus Selbstsucht, um sein Erbe zu verheeren?
Der Mutter Spiegel du, die in dir schaut
den lieblichen April im Rosenhage.
So gönnt dies Fenster dir, der schon ergraut,
durch zarten Staub den Schimmer goldner Tage.
Doch lebst du hin in des Vergessens Wildnis,
stirb einsam, und mit dir stirbt auch dein Bildnis.
Gischt von fremden Fluten
Nicht unser ist der Schnee auf Alpengraten,
wo sich das Murmeltier vorm Adler duckt,
das Glitzern nicht blau tönender Sonaten,
wenn Mondes Sichel überm Eismeer zuckt.
Fremd schäumt das Licht an leergefilmten Stränden,
nie kühlt die Wunde Geist ein Blumentau.
Den Lorbeer windet, die noch Heimat fänden,
und wär’s kristallner Ode Gitterbau.
Wer kann sie lesen, Blattes Nervenrunen,
die Saite sein, die windgestrichen singt?
Wir haben Worte, traumgeblähte Dunen,
sie schneien hin, wenn Todes Fittich schwingt.
Und schlafen wir, als ob im Grab wir ruhten,
quält uns der Traum mit Gischt von fremden Fluten.
Die schwarzen Wasser
Auch das gemalte Veilchen muß erbleichen,
das Vasenbild schleift ab der hohe Strahl.
Es wehen, Aber-Flocken, hin die Zeichen,
in einer Wintersonne todesfahl.
Das Wort, ein Blatt mit feinen Sinns Geäder,
das grün dem Hauch des Sommers nachgesummt,
das Herbstgewitter ward sein jäher Mähder,
die Erde löst es auf, verwelkt, verstummt.
Die holden Augen, die das Blühen schauten,
der Glanz kristallner Blüten macht sie blind.
Die Schmerzen, die an heißen Hymnen tauten,
o trübes Fühlen, das ins Dunkel rinnt.
Ihr schwarzen Wasser, wogt in Mondes Schwanken.
O Efeuzweige, die um Gräber ranken.
William Shakespeare, Sonett 2
When forty winters shall besiege thy brow,
And dig deep trenches in thy beauty’s field,
Thy youth’s proud livery, so gaz’d on now,
Will be a tatter’d weed of small worth held.
Then, being ask’d where all thy beauty lies,
Where all the treasure of thy lusty days,
To say within thine own deep-sunken eyes
Were an all-eating shame and thriftless praise.
How much more praise deserv’d thy beauty’s use,
If thou couldst answer ‘This fair child of mine
Shall sum my count, and make my old excuse’
Proving his beauty by succession thine!
This were to be new made when thou art old,
And see thy blood warm when thou feel’st it cold.
Wenn vierzig Winter deine Stirn umdrängen
und Furchen graben durch die schönen Auen,
wird dir der Jugend Taft in Fetzen hängen,
verblich der Schmuck, worauf jetzt alle schauen.
Gefragt, wohin die schönen sich zerstreuten,
die Mienen froher Tage, glanzumwoben,
auf deiner Augen Schattengrab zu deuten,
wär Scham, die beißt, und weggeworfnes Loben.
Das Lob wär recht, trüg deine Schönheit Früchte,
und sprächest du: „Dies schöne Kind, das meine,
macht quitt die Schuld, ist Fürsprech beim Gerichte.“
Denn seine Schönheit stünde ein für deine.
Das hieße jung zu sein, so alt du wärest,
zu wissen warm dein Blut, wenn du auch frörest.
Stimmen aus dem Wald
Wir lebten einsam, ruhig und bescheiden
in einer Hütte still am stillen Teich,
des Schlafes Halme waren unsre Weiden,
von Träumen zart umgittert, Lämmern gleich.
Und gingen wir im Abendmond spazieren,
sprang um uns her ein kleiner weißer Hund.
Die wandeln Hand in Hand, wie sollt sie frieren,
haucht Kühle auch bemooster Quelle Mund.
Dich aber, Somnambule, riefen Stimmen
nachts aus des Waldes blauer Finsternis.
Am Morgen sah ich auf dem Wasser schwimmen
der Schläfe Zier, die Blume des Narziß.
O daß einander wir wie Hirten wären,
von Seelenauen scheuchten die Schimären.
Immortellen
Sie sind nicht schön, die strohern-trocken-gelben,
doch sprechen sie das sonnenhohe Ja.
Homer erzählt, wie Duftöl aus denselben
gab der Prinzessin Glanz, Nausikaa.
Im Sand der Altmark sah es auch Fontane,
im Dämmerlicht des zähen Lebens Kraut,
beschwor es traurig-heiter im Romane
voll schmerzlich-süßen Dufts der jungen Braut.
Ist, Dichter, dir das Rosenwort erloschen,
brich von gemeiner Staude einen Zweig,
und blieben statt geprägten Golds nur Groschen,
laß hell sie klingen auf dem Bürgersteig.
Daß Verse uns den späten Gang erhellen,
der durch die Heide führt, gleich Immortellen.
William Shakespeare, Sonett 1
From fairest creatures we desire increase,
that thereby beauty’s rose might never die,
But as the riper should by time decease,
His tender heir might bear his memory;
But thou, contracted to thine own bright eyes,
Feed’st thy light’s flame with self-substantial fuel,
Making a famine where abundance lies,
Thyself thy foe, to thy sweet self too cruel.
Thou that art now the world’s fresh ornament
And only herald to the gaudy spring
Within thine own bud buriest thy content,
And, tender churl, mak’st waste in niggarding.
Pity the world, or else this glutton be,
To eat the world’s due, by the grave and thee.
Von Schönen hoffen wir ein Neuerblühen,
auf daß die Rose Schönheit nicht vergeht,
muß volle Knospen Zeit auch niederziehen,
am zarten Sproß, sieh, wie ihr Banner weht.
Doch du, ins Schimmern deines Augs verschlossen,
daß eignen Markes Saft dein Brennen nährt,
läßt darben hin, wo Fülle dir geflossen,
ein Feind dir, der sein süßes Selbst verzehrt.
Du könntest grüne Ranken um uns winden,
zur heitern Frühlingsfeier laden ein,
doch trunkner Blüte Lid läßt dich erblinden,
dich holden Unhold Geiz Verschwender sein.
Laß Gnade walten und schling nicht hinab,
was allen gilt, in dich, dein eigen Grab.
William Shakespeare, Sonett 66
Tired with all these, for restful death I cry,
As, to behold desert a beggar born,
And needy nothing trimm’d in jollity,
And purest faith unhappily forsworn,
And guilded honour shamefully misplaced,
And maiden virtue rudely strumpeted,
And right perfection wrongfully disgraced,
And strength by limping sway disabled,
And art made tongue-tied by authority,
And folly doctor-like controlling skill,
And simple truth miscall’d simplicity,
And captive good attending captain ill:
Tired with all these, from these would I be gone,
Save that, to die, I leave my love alone.
Ich bin es leid und fleh: Grab, sei mein Bett,
und muß dies sehn: Erlesen haust im Mist,
ein ödes Nichts glänzt aufgebläht und fett,
und Treue, die so kläglich sich vergißt,
den hohen Rang, den Unwert abseits rückt,
Jungfräulichkeit, rüd ins Bordell verbracht,
vollkommne Form entwürdigt und zerstückt,
den König, wie er hinkt und Pöbel lacht,
geknebelt Dichtermund von Amtsgewalt,
und Doktor Dumm maßregelnd das Genie,
wie wahres Wort als Narrenwort verhallt,
wie Sklave Recht geht vor Herrn Schlecht ins Knie:
Dies alles bin ich leid, wär längst schon fort,
ließ sterbend meine Liebe ich nicht dort.
William Shakespeare, Sonett 18
Shall I compare thee to a summer’s day?
Thou art more lovely and more temperate.
Rough winds do shake the darling buds of May,
And summer’s lease hath all too short a date.
Sometime too hot the eye of heaven shines,
And often is his gold complexion dimmed;
And every fair from fair sometime declines,
By chance or nature’s changing course untrimmed.
But thy eternal summer shall not fade,
Nor lose possession of that fair thou ow’st,
Nor shall death brag thou wand’rest in his shade,
When in eternal lines to time thou grow’st.
So long as men can breathe or eyes can see,
So long lives this, and this gives life to thee.
Soll ich im Bild des Sommertags dich malen?
Du bist noch süßer, milder bist du noch.
Maiglöckchen schütteln Winde, die Vandalen,
wie rasch des Sommers Prangen sich verkroch.
Bisweilen will des Himmels Blick versengen,
oft scheint das Rouge der Wangen abgezehrt.
Kein Schönes bleibt, wenn sich die Schatten längen,
Natur ist launisch, nur ihr Wandel währt.
Doch deines Sommers Glanz soll nicht verblassen
und seine Schönheit dauern, sie ist dein,
nicht prahle Tod, du gingst die schwarzen Gassen,
in Versen, immergrünen, grünt dein Sein.
So lange Menschen atmen, Augen schauen,
so lange blüht dein Bild auf meinen Auen.
Kehr nicht wieder
Unheimlich sind die knorrigen Wurzeln der Palmen,
wenn aber Winde wehen, hörst du sie schwatzen,
doch was die tropischen Regen singen, sind Psalmen.
Ah, immer lächeln die Frauen, auch wenn sie dich kratzen
Schon stürzte blindlings dein Herz ins prasselnde Feuer
von Hibiskus und Ingwer, doch Lotuslippen
fingen es auf. O Meergott, du Wiederkäuer,
o Salz und Schaum der kristallinen Klippen.
Und kehrst du heim unter die Giebel des Kummers,
zum kleinen Trost von Geranien und Wicken,
umschluchzen dein Herz graue Rinnsale Schlummers,
und wieder erwachst du von gespenstischem Ticken.
O kehr nicht wieder, hast du die Muschel gefunden,
am Duft der Orchideen das Heimweh verwunden.
Der Dichter bei den Mänaden
Quo me, Bacche, rapis tui
plenum?
Horaz, Oden, 3, 25
Ein kühler Hauch verschlägt ihn in die Grotten,
wo Hymnentau versteint zu Stalagmiten,
kristallne Blätter nänienbleich verrotten
und goldbeschuppt die Haut von Amphitriten.
Ein Grünspan träumt vom Gras an Felsenwänden,
die seines Liedes Widerhall verzerren,
als könnten nur Mänaden es vollenden,
wenn sie ihn würgen, ihren fremden Herren.
So muß die Schlangen er dem Haar entwinden,
und vor ihm kniend gießen sie ihr Lächeln,
betörte, die am Schnee der Lust erblinden,
wenn weicher Verse Fiedern sie umfächeln.
Erwacht hört er den Herbst durch Wipfel jagen,
ans Fenster Wein- und Efeuranken schlagen.
Das Gebet des Pilgers
Ins Fremde geh, um wieder dich zu finden.
Fremd schmeckt die Frucht, ein Dunkel, aufgebrochen,
und bist gesandt, der Nacht ein Licht zu künden,
wie jäh verlischt das Wort, kaum ausgesprochen.
Wähnst du vermessen, wahren Sinn zu leihen,
was reinen Odems haucht von Wipfeln, kühlen,
muß blind das Wort, ein Lallen, niederschneien,
kein Blatt bleibt dir, den Adern nachzufühlen.
Wie eines Brunnens ist, was Himmel sagen,
und höher schwillt’s, wenn Blitze fernhin leuchten.
Es neigt der Pilger sich an stillern Tagen,
der Lippe Sprödigkeit mit Glanz zu feuchten.
Und kniet er auf den schmerzend-kahlen Schwellen,
ist sein Gebet wie Plätschern weicher Wellen.
Das sanfte Joch der Muse
In kalte Schichten, dunkle, vorgetrieben,
die Wurzeln. Knorrig aber recken Äste
das Blattwerk, silbern steht darauf geschrieben,
wie Licht der Gott aus Schattenadern preßte.
Der Hirt stützt sinnend sich auf krummem Stabe,
wie Hermes mit dem goldnen wird er Schatten,
die Herde, leiten, daß sie Schlummer labe,
zum sichern Pferch von mondbeglänzten Matten.
Wie Kinder gern im Schilfe sich verstecken,
sie kommen Hand in Hand, die sanft betörten,
der Anmut Honig, süße Milch zu schmecken,
da sie den Zauberton der Flöte hörten.
Daß Worte dunklen Glanzes Bilder zeugen
und sich dem sanften Joch der Muse beugen.
Die Leier schweigt
Will Hera sich mit Zeus in Liebe betten,
läßt er auf Idas Gipfeln huldvoll schweben
der Wolke trunknen Duft und Blumenketten
beglänzt mit Tau von ihren Seufzern beben.
Die Neidischen, sie können es nicht sehen,
weil scheelen Blick Mysterienqualm umdüstert,
die Musen aber, die durch Wände gehen,
sie haben es Homer im Schlaf geflüstert.
Es greift der Gott zur Leier, läßt den Bogen
sanft gleiten unterm Helm der blonden Locken,
feucht vom Kristall kastalisch reiner Wogen,
und schüttelt sie in hohen Rhythmen trocken.
Die Leier schweigt, von Sängers Hand zerbrochen,
als Würmer durch das edle Mark gekrochen.
Lied der Enterbten
Als uns die Siegel und Wappen Würmer zerfraßen,
die Sphinx, die Mähne des Löwen, die Adlerschwingen,
und wir den Wohlgeruch aus den Gärten vergaßen,
brach jählings ab die Nachtigall mit Singen.
Das silberne Seufzen aber von Birken, von Weiden,
die Rätselchiffren des Hauchs auf schneeigen Auen,
wie könnten trösten sie noch die Herzen, die scheiden
von goldenen Vliesen in ein trostloses Grauen.
In Schluchten schwelenden Unrats heulen Hyänen,
Schakale haben über Nacht es vertrieben,
das holde Schweben und Niedertunken von Schwänen,
die uns den Flaum der frühen Verse geschrieben.
Daß uns Enterbte ihr mahnet, nicht zu verbittern,
o süße Wangen von Veilchen, wo Tropfen noch zittern.
Hapax legomenon
Es ähneln sich die Blätter alter Eichen,
blickst du von fern, nicht nah genug und scharf.
Wem wollen wir das lose Blatt vergleichen,
das lächelnd Hermes nur entziffern darf?
Mag feuchten Glanzes Aug in Aug sich spiegeln,
ein Mond schwebt jedes hin, für sich allein.
Wie kann der Liebe Blick den Blick entsiegeln,
das Wasser Mondes rätselhaften Schein?
Sind all die Worte nicht wie Auslegwaren,
flugs in des Satzes Einkaufsnetz gestopft?
Der Vers, er reißt sich aus dem Unsichtbaren
ein Herz, das bangend deiner Nacht nur klopft.
Du bist, was deine Einsamkeit gesungen,
o Lied, von Efeuranken sanft umschlungen.
Zögernd auf der Schwelle
Philosophische Sentenzen und Aphorismen
Plötzlich taucht ein Foto der Person auf, mit der wir seit Jahren geschäftlich oder anderweitig korrespondiert haben. Paßt nun das Gesicht zu der Vorstellung, die wir uns aufgrund des wenn auch nichtvisuellen Kontaktes von der Person gemacht haben oder nicht? – So oder so, glauben wir uns in unserer imaginären Annahme nun bestätigt oder enttäuscht: Es handelt sich in jedem Falle um eine philosophischer Betrachtung würdige Form von Täuschung.
Eine andere ebenso elementare Täuschung wird in der Meinung ersichtlich, daß der Menschheit ein großer Schaden entstanden wäre, wäre Mozart (oder ein anderer der Kulturheroen) nicht geboren worden oder als Säugling verstorben oder doch vor der Abfassung des Don Giovanni oder des Requiems. Denn etwas, was nicht existiert oder existiert hat, kann keine wohltuende (oder auch schädliche) Wirkung ausüben. – Fragen wir noch, welchen Verlust all jene unzähligen Generationen erlitten haben, die vor Mozarts Geburt und segensreicher Schaffenszeit gelebt haben und nicht in den Genuß seiner beseligenden Harmonien haben kommen können, so fragen wir nicht minder töricht.
Wir können unsere eigene und die Nichtexistenz anderer weder uns vorstellen noch begrifflich erfassen; es bleibt stets ein Schatten, Spiegelbild oder eine bizarre Art von Scherenschnitt, jeweils freilich gearbeitet nach dem lebenden Original.
Die Schwierigkeit, sich einen Begriff von der Seele zu machen, der sich gleichsam von allen physischen Schlacken purifiziert hat: Homers Schattenbilder und Dantes Jenseitsgestalten.
Es gibt einen begrifflichen Unterschied zwischen absoluter und relativer Differenz: wahr und falsch, ja und nein, künstlerisch gelungen oder mißlungen; dagegen mehr oder weniger schwer, groß, warm, schnell; intelligent, geschickt, talentiert.
Allerdings kann selbst das gut Gemeinte schiefgehen; das allzu schöne oder üppige Geschenk kann den Beschenkten beschämen.
Wir können der Versuchung kaum widerstehen, den Abgrund zwischen absoluten Gegensätzen mit den Schatten und Spiegelbildern des Relativen zu füllen.
Die mittels KI generierte Mozart-Sonate klingt zunächst wie ein Original, bevor sie den seichten Ton des Imitats oder Plagiats offenbart.
Kinder fragen, wo sie vor der Geburt waren. – Sie zweifeln an der Tatsache, daß es die verstorbene Großmutter „nicht mehr gibt“, weil sie von ihr geträumt haben.
Das Nichtsein ist nicht vorstellbar, nicht denkbar, ein gedankliches Unding: der erste Lehrsatz des Parmenides.
Der Satz „Der Kreisumfang beträgt in der euklidischen Geometrie 360 Grad“ ist nicht wahrer als der Satz „Peter war vorgestern mit mir im Park spazieren“, nur weil der erste uns mit größerer Gewißheit oder Evidenz ausgestattet scheint als der zweite.
Der Satz „4–2 = 8“ ist nicht falscher als der Satz „Sokrates war der Schüler des Platon“, nur weil die Inkonsistenz und somit Falschheit des ersten uns unmittelbar ins Auge springt, während die Unwahrheit des zweiten einem historisch und philosophisch Ungebildeten verborgen bleiben mag.
Die Liste der Wörter „über“, „alle“ „Gipfel“ „sein“, „Ruhe“ ist kein Teil eines dichterischen Zusammenhanges wie der Vers „Über allen Gipfeln ist Ruh“ es ist.
Das Nichtdichterische ist keine Vorform, kein Schattenriß, kein Spiegelbild des Gedichts.
Wir springen von der Prosa des Alltags in die Sprache der Dichtung, so wie wir nach Kierkegaard den Sprung von der lauen Gleichmütigkeit des Nichtglaubens in die Leidenschaft des Glaubens tun.
Sehr mißlich, fatal und töricht ist die Täuschung, die durch Projektion des Gegenwärtigen auf das Vergangene zustandekommt, als wäre das eine stets die unausbleibliche Manifestation des anderen oder das Heute eine neue Zwiebelschale auf der alten Haut des Gestern.
Die Gründe für den Ausbruch des Krieges liegen freilich in der Vergangenheit, ja können in Tiefenschichten geopolitischer, kultureller, ethnischer und sozialer Differenzen der Kriegsgegner wurzeln, deren Alter Jahrzehnte und Jahrhunderte umfaßt; doch der Befehl zum Angriff an diesem bestimmten Ort und zu dieser bestimmten Zeit hätte auch unterbleiben können.
Moralische Wahrheiten sind schon aus dem Grund nicht als unmittelbar einleuchtend, selbstevident oder als der Seele des Menschen eingepflanzt zu klassifizieren, wie es immerhin Platoniker, Stoiker und sogar Paulus annahmen, weil es in diesem erstaunlichen Falle keiner Gerichte, Strafen oder Ächtungen bedürfte.
Zu sagen, daß man nach diesen und jenen schrecklichen Ereignissen und Untaten dies und das nicht mehr tun könne, ohne die Toten zu verhöhnen oder sich selbst zu betrügen, zum Beispiel Gedichte zu schreiben, zeugt nicht von einem überempfindlichen moralischen, sondern einem unterentwickelten oder einseitig entwickelten ästhetischen Organ.
Wenige Tage nach der Katastrophe hört man wieder die Sektkorken knallen. – Das spricht nicht für die moralische Unbedenklichkeit der Feiernden, sondern für die tiefere Wahrheit des Lebens, das nicht umhin kann, sich selbst zu feiern.
Horaz, der sich selbst einmal ironisch als epikureisches Schwein bezeichnete, versteigt sich in den Römeroden zu härtesten Forderungen des Verzichts, des Opfermutes und der Selbstverleugnung; doch nur die eine Wahrheit auszusprechen und ihren Schatten geflissentlich zu retouchieren, hieße, nur die halbe Wahrheit zu bekennen.
Besser die doppelte Wahrheit als die schlichte Indifferenz.
Hedonismus zu predigen ist eine perverse Art von Pfaffentum.
Den Aufflug zu den Gipfeln des hohen Stils wie bei Pindar, Sophokles oder Horaz registrieren wir als Ausnahme von der Regel, im lauwarmen Wasser des Alltagsgeschwätzes zu planschen.
Mancher freilich, der sich den zu großen Kothurn untergebunden hat, zeigt einen bedrohlich schwankenden Gang.
Der den psalmodierenden Vortragsstil Paul Celans in der Runde der literarischen Biedermänner und Beckmesser mit demjenigen eines Goebbels verglich, war aufrichtiger in der Artikulation seines peinlichen Unbehagens als die Corona seiner philosemitischen Bewunderer.
Keine theatralische Maske, kein solitäres Gehabe und kein elitärer Dünkel schützen vor der Ansteckung mit dem Virus vulgaritatis.
Dummheit hält sich für das Maß aller Dinge und schreitet unbedenklich zur Tat; der denkende Mensch sieht sich im Kind des Heraklit, und versucht nicht erst, mit einer Muschel den Ozean auszuschöpfen. Zögernd auf der Schwelle kehrt er in seinen Elfenbeinturm zurück.
Der hohe Stil der antiken Dichtung ist gleichsam ein in gespanntester Syntax und überbelichteter Bildlichkeit eingefangener Wirbel des Schnees auf dem Olymp.
Der olympische Adler des Pindar rauscht wieder in den Hymnen Klopstocks und einzigartig in jenen Hölderlins. Doch ist die Luft, die seine Fittiche aufwirbeln, nicht luzid und transparent wie die mediterrane, sondern geisterhaft von ahnungsschwangeren Wolken verdunkelt.
Das Wagnis des hohen Tones und Stils im Deutschen, von Klopstock über Goethe und Hölderlin bis Rilke und Celan, gleicht dem Wagnis des Seiltänzers ohne Netz und doppelten Boden, der der Innervation seiner hymnischen Rhythmik in einem Maße vertraut, daß er schließlich auch die Balancierstange – nicht nur des Reims, nicht nur des Ruhms und des Applauses – wegwirft.
Was aber preisen, wen aber rühmen, wenn es zum Zerwürfnis mit den Vätern, zum Abbruch der Fühlungnahme mit den Ahnen kam? Vom geschmolzenen Schnee auf den Bergen der Götter zu schweigen.
Die Verlockung des Rätselhaften, jenes Enigmatischen, das den Orakeln und Göttersprüchen in ihrer Zweideutigkeit von jeher anhaftet, hat manchen nicht nur das Zögern auf der Schwelle des Takts leichthin überspringen lassen, sondern im Salto mortale ins Unverständliche an die Grenze der Groteske, der Parodie und Hysterie getrieben.
Der tragisch auf dunkel tönenden und beängstigend dünnen Eisflächen angehäufte, aber auch sentimentalisch in vermodernde Waldungen stiebende Wörterschnee eines Jürgen Kross ist zugleich ein Zeugnis hoher lyrischer Verdichtung auf engstem Raume und des unvermeidbaren Unglücks, das über den odisch atmen wollenden deutschen Vers in Form einer steil in die dünne Luft einer transzendenten Leere gereckten Bildlichkeit und der wurzellosen Ranken einer dämmerigen Syntax hereinbricht. Die bescheidene Lichtung, die ihm das schartige Messer eines formstarren Manierismus im Dickicht des sprachlichen Zerfalls der Gegenwart zu schneiden vermag, wächst im Rücken des heroischen Mannes augenblicks wieder zu, als sein eigener Schatten.
Man kann dem Leben sein Geheimnis nicht gewaltsam entreißen. Es ist stark genug, auf der Folterbank unserer herrischen Ungeduld und zuchtlosen Neugierde zu schweigen. – Die leise Geste, ein Anhauch des Nichtgesagten, tut es uns kund.
Ohne ein Bewußtsein, und sei es vage, bedrängt und ausweglos, wie am Rande des Grabes, ein Bewußtsein des Übermenschlichen versiegt der Quell der Hymnen; es bleibt nur ein trübes Rinnsal von Abwässern, in denen sich keine silbernen Wolken spiegeln.
Hermeneutik oder die Kunst der Interpretation wird asthmatisch, steckt sie die Nase in den Korb mit schmutziger Wäsche, erblindet, blickt sie scheel durch das Schlüsselloch in die zwielichtige Kammer der Perversionen.
Das in Mitgefühl sentimental zerfließende Herz, dem keine distinctio boni et mali eingepflanzt ist, kann den kaltsinnigen Verstand nicht erweichen, der ihm im Gegenteil anhand untrüglicher Belege, freilich vergeblich, nachzuweisen versucht, daß jener parasitische Dauergast, der den armen Teufel, den schwer Traumatisierten und ewig Unbehausten mimt, in Wahrheit ein verschlagener Tunichtgut ist, der sich an der Tochter des Hauses schon vergriffen hat.
Der hohe Ton und Stil kamen den Deutschen nicht zuletzt abhanden, weil die Jauche des massenmedial legitimierten Plebejergeschmacks längst über die sakrale Schwelle des hierarchisch-hieratischen Hochsinns geschwappt ist.
Es erleben alle alles, doch dem Erlebten den Stempel des Originellen und Exklusiven aufzudrücken vermögen nur die Seltenen.
Der starre Falter des gültigen Worts im Bernstein des Gedichts.
„Wenn ihre dionysische Gottheit sie inspiriert, träumen die Vulgären von fetten Ärschen und die ewig Empörten vom Schafott, während ein Baudelaire das Lied vom Wein des Einsamen singt.“
„Das klingt plausibel oder vielmehr allzu plausibel; denn nicht weniger wahrscheinlich ist es, daß derselbe von seiner dionysischen Gottheit inspirierte Dichter, nachdem es ihn in die Niederungen vulgärer Phantasien und bösartiger Ressentimentgefühle gezogen hat, sich mit einem Male umwendet, um seinen Aufstieg zum Sublimen anzutreten.“
Verse, wachgeküßte Lider
Verse, ihr schlafenden Augen, o küßten
wach euch die Lider, daß zittern die blassen,
liebende Strahlen, die lang wir vermißten,
sag euer Blick uns: Ihr seid nicht verlassen.
Lüfte, die um Kerzen spielen,
löschen sie mit einem Mal.
Die aufs Flimmerkleid stier schielen,
eitle Verse, innen kahl.
Von der Schürze stäubt und schwindet
wolkig Mehl, vertaner Rest.
Vers, den Wahrheit hold nicht bindet,
kein Gedächtnis hält ihn fest.
Blumen, die vorm Mond erbleichen,
schließen ihre Lider bald.
Blassen hellen Tags die Zeichen,
Haut des Verses, taub und kalt.
Durch der Dämmerungen Ranken
schimmert heim ein Sternenreich.
Verse, die auf Wassern schwanken,
schneegefiedert. schwanengleich.
Fahler Asche mag erwecken
letzte Glut, wer gläubig schürt.
Süß läßt uns ein Vers erschrecken,
der ans Unsagbare rührt.
Trauben, die im Dunkel glühen,
künden uns von edlem Wein.
Verses Sinn will uns entfliehen:
Atmen seinen Duft wir ein.
Fühlender in Gegensätzen
Fader Schaum des Ungefähren,
Geist, er rinnt ins Nichts den Lauen.
Sich im Fremden zu verklären,
spannt ins Joch er Männer, Frauen.
Fühlender in Gegensätzen
sprüht das dunkle Leben Funken.
Die nur Spiegelbilder letzen,
sind im Trüben bald versunken.
Masken, gellend auszuschweifen,
blättern in lunarem Fahlen.
Keime, die im Dunkel reifen,
knospen den azurnen Strahlen.
Winzer müssen sie beschneiden,
taube Triebe edler Reben.
Geister, die das Chaos scheiden,
können nach Vollendung streben.
Wirbel, mißlich überdrehte,
lassen jäh die Saiten reißen.
Weicher Hauch, der sie umwehte,
darf der Blüte Frucht verheißen.
Im Schlafe zwitschernd
Vögel, die im Röhricht schwanken,
zwitschern leise noch im Schlaf.
Hoher Woge mag er danken,
wenn den Vers ihr Rauschen traf.
Die sich ballen, wieder reißen,
Wolken, loser Lüfte Spiel.
Nachts ein Schimmern, tags ein Gleißen
rankt der Reim um das Gefühl.
Dunkeln müssen blaue Glocken,
Laub der Dämmerung, es weht.
Kaum erblühte Verse stocken,
wenn die Liebe abseits steht.
Schwäne sind, das Haupt zu tunken
in gründämmerndes Geschling.
Vers, ist er zum Grund gesunken,
hält das Gold ins Licht, den Ring.
Vergebens war dein Rufen
Vom Aether aber fällt
Das treue Bild und Göttersprüche regnen
Unzählbare von ihm, und es tönt im innersten Haine.
Friedrich Hölderlin, Germanien
Nun ist von deinem Äther uns geblieben
blaß und verschwimmend,
ein duftentrücktes Veilchenblau,
von einer Liebe, die verlassen wurde,
am Saum des Sommerabendhimmels scheu gepflückt.
Der Adler, den du kühn vom Indus her gesandt,
die Salzflut sah im Monde er noch glitzern
und rastete erschöpft im Alpenschnee.
Vergebens war dein Rufen nach den Hohen,
daß sie aus holden Lächelns Falten
uns tropfen ließen Tau
auf schon verdorrter Hoffnung
graues Herz.
Die du erweckt aus den papiernen Ranken
und Schattenrissen der Gelehrsamkeit,
daß jäh erzitterten
im Jahrhundertschlaf erschlaffte Wimpern
und feuchten Glanzes sich geweitet
die göttlich-stillen Augen,
von Meeresgischt gesprenkelte Gestalten,
von Mohn und Rosen überhauchte Schläfen
und Geister, die aus Quellen Liebesschauer,
aus Wolken die Erleuchtung brachten –
zertrümmert unter rohen Schicksals Hämmern,
von Fäulnisdunst zerfressen sind und
über ausgelaugten Furchen Dunst
jetzt jene tiefbeseelten Lebensbilder.
Was hier noch grünt, sind Herthas Haine nicht,
wo einst in weichen Wassers Schlaf
ein Schwan der Verse Traumgefieder
still hat eingetunkt.
Und was um Sangeswolken abendrötlich flammte,
es blättert ab wie Grind vergilbten Allgefühls,
wie schlecht vernarbter Wunde tauber Schorf.
Der Sage goldener Rauch,
der dir aus mythischen Ruinen quoll,
ward überschrieben von der Asche
erstickter Schreie.
Die Göttersprüche, die geregnet sind
von deinem Hellas-blauen Himmel,
versickerten in wüster Rede Karst.
Entstellt von Spritzern ätzenden Urins
am Wegrand aber siecht
die Blume, schwach leuchtend noch
wie Blut am Christusdorn,
die Blume deines Munds.
Uns Tagedieben wiesest du die Nacht,
den Abgrund, jenseits aller Sternenbilder,
worin einfältig lächelnd und
wie närrisch mit dem Schnupftuch winkend
langsam du versankst,
kein Flügel war, dich noch zu retten,
o langsam sankst hinab.
Das treue Hündchen
Schon hörst du wieder süßes Schnaufen,
o kreatürlich-warmer Schall,
es kommt das Hündchen angelaufen,
bringt dir zurück den roten Ball.
Du siehst es an dem Glanz der Augen,
wie wahre Treue tief beseelt,
wozu uns Worte schwerlich taugen,
stumm hat sein Blick es nicht verfehlt.
Wie rührend ist die Freundesgeste,
hebt es die Pfote auf dein Knie.
Die Hand, die stürmisch deine preßte,
ob sie nicht trog, du weißt es nie.
Und bist du munter, mag es fegen
durch Gras und Dickicht, und es bellt,
sich traulich dir zu Füßen legen,
wenn Schwermut auf das Herz dir fällt.
Gern pflückst du aus dem Fell die Kletten
und kämmst das immer krause Haar,
gern mag es sich aufs Kissen betten,
als wäret ihr ein altes Paar.
Gedenke, wie an wirren Tagen,
da Liebe kam und Liebe ging,
du wolltest unwirsch es verjagen,
und es mit Blicken an dir hing.
Und hörst du aus dem Napf es schlecken
und kratzen an der Wohnungstür,
kommt dich bisweilen an ein Schrecken,
daß stumm es wird, leer um dich her.
Müden Dichters Winke
Sei wie das Wehen des Holunders,
Gardinenbausch, vom Mond gebläht,
die Rüsche eines Blumenwunders,
ein Reim, ans Traumrevers genäht.
Die Knospe nimm, keck hingehalten
von einer Fee, die schelmisch lacht,
wenn jäh die Blüten sich entfalten
und süßer Duft dich schwanken macht.
Der Dämmerschilfe Odem trinke,
vom Geist des Wassers hochgestimmt,
als ob noch einmal Ferne winke,
sieh, wie ein Boot ans Ufer schwimmt.
Laß nur das tumbe Ruder fahren,
o treibe hin gedankenlos,
hör bloß, wie lüstern Tritons Scharen
schon schwappen um das lecke Floß.
Im Dunkel knirscht es noch ins Röhricht,
mag es die Toteninsel sein,
steig aus, und blick zurück nicht töricht,
hier hüllt der Stille Laub dich ein.
Die Harmonie der Welt
Das Rauschen ist verebbt, die Gischt zerstoben,
im Traum hallt nach der hohe Wellenschlag.
Hat goldne Fäden Abendlicht gewoben,
ermißt du deiner Leiden Sonnentag.
Wir können nicht ergrübeln, wie es wäre,
nicht aufgewacht zu sein in dieser Welt,
wie fühlen wir den Schatten und die Schwere,
wenn Glanz der Träne von der Wimper fällt.
Und wenn die Blüten, hingestreute, schwimmen
auf schwarzen Wogen, nach und nach verblaßt,
erinnerst du dich an das feuchte Glimmen,
den wehen Duft, den du geatmet hast.
Die Harmonie der Welt ist im Gefunkel
der hohen Nacht verborgen, schweigt im Dunkel.
Die Marionetten
Sie baumeln wie an losen Fäden, wirren,
die Puppen eines abgetanen Spiels,
ein Wind kommt auf, läßt eins ins andre klirren,
Gebeine ausgemergelten Gefühls.
Der große Spieler, er hat hingeschmissen,
aus Überdruß vorm immer gleichen Plot,
wenn anfangs sie das Lilienbanner hissen,
am Ende jubeln sie um das Schafott.
Was dir in irdnem Kruge noch geblieben,
der feuchte Glanz aus schon versiegtem Quell,
laß, Dichter, ihn auf unsrer Stirn zerstieben,
damit die Nacht noch einmal werde hell.
O könnte uns, taubstumme Marionetten,
dein sanfter Hauch aus der Erstarrung retten.
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