Skip to content

Augenmaß und Augenweide

03.04.2014

Kleine deutsche Stilübungen III

Kaum war sie auf der Bildfläche erschienen, hatte er ein Auge auf sie geworfen.

Noch zu später Stunde, als die Wirkung des Alkohols unverkennbar war, verfolgte er sie unablässig in all dem Gewühl des turbulenten Festes mit den Augen.

Für die anderen war sie unscheinbar, er hatte sie im Auge.

Als sie ihn, hohlwangig und abgezehrt von der Kellerlochexistenz seiner zu nichts führenden Studien, bei der Hand nahm und in den blühenden, glühenden Garten des Lebens führte, gingen ihm angesichts all der Wunder die Augen über.

Er mochte ja zuvorkommend, bescheiden, gelehrig sein, indes für die entscheidenden Dinge des Lebens, das, was unter Menschen zwischen Erwartung und Erfüllung schwebt wie die Kugel auf der Fontäne, fehlte ihm das Augenmaß.

Ihr Verweis, ihr vorerst nicht mehr unter die Augen zu treten, traf ihn wie ein vergifteter Pfeil.

Er war so verstört, verblendet, in sich verbissen, dass er keine Augen hatte für die Schönheiten des Parks, in die sich harmonisch Kunstwerke hohen Ranges fügten.

Seine Augen blickten wie aus menschlich kaum mehr einholbaren unendlichen Fernen.

Dass er in ihrer Anwesenheit neuerdings leicht errötete, versetzte sie in Staunen, bis sie sich eingestehen musste, dass sie, ohne dessen noch recht innezuwerden, begonnen hatte, ihm schöne Augen zu machen.

Ein wildes Gewirre von Linien belästigt das Auge, bis es darin, erleichtert und entzückt, die versteckte Figur entdeckt.

Gern ließ er seine Augen auf den üppigen Hügeln ihrer Brüste weiden.

Damals hockten sie dicht bei dicht, da rauchten die Köpfe, da wurde zäh debattiert und wie geschmiert diskurriert – gleichviel, wie zwei Bälle, die, heftig aneinandergeprallt, in verschiedene Richtungen wegspringen, verloren sie sich, ohne Wehmut, ohne Bedauern, endlich aus den Augen.

Wie lässt sich der Mund mit leckeren Häppchen, mit etwas Süßem leicht zufriedenstellen, wie gern verweilt das Ohr beim Geplätscher des Brunnens, des Geschwätzes oder den schlichten Akkorden eines Lieds – wie schwer ist es, dem Auge einen Anblick, eine Gestalt, ein Bild zu entdecken, an dem es sich gehörig satt zu sehen vermöchte.

Das Auge ist unruhig von Natur, immer scheint es zu flackern wie ein unaufhörlichen Winden ausgesetztes Licht.

Woran nimmt das Auge Maß? Du musst dich bewegen, um jene Statue herumgehen, um die ganze Kraft und Macht ihres gedrungenen Ausdrucks zu verinnerlichen.

Um deine Augen auf Reisen zu schicken, musst du keine Fahrkarte lösen.

All das Gerede, all das Theoretisieren und Bramarbasieren, war mit einem Schlag verflogen – als wärest du aus einem stickigen, verräucherten Lokal voller lärmender Gäste ins Freie unter den offenen Himmel getreten – dorthin, wo der Stein ein Stein und der Mond der Mond ist – so konntest du deinen Augen wieder trauen.

Was trieb sie, vor der herannahenden Gefahr das Auge zu verschließen?

Trotz seiner scharfen Augen, seines analytischen Scharfblicks, war er blind für die zunehmenden Verwerfungen des Geländes, auf dem sie sich scheinbar ungehindert bewegten.

Manche schließen träumerisch oder genussvoll die Augen, um auf den Wogen der Melodie zu gleiten. – Dass sich einer die Ohren zugehalten hätte, um den Tintoretto in den Uffizien besser betrachten zu können, scheint noch nicht aktenkundig.

Wie findet das Auge sein Maß? Es ist beständig darauf bedacht, den Ausgleich zu finden zwischen oben und unten, links und rechts, zwischen Himmel und Erde, der Vertikalen und der Horizontalen, aber auch von vorn und hinten, Vordergrund und Hintergrund. Wie bei den Zeigern der Uhr ist die hohe Zeit des Ausgleichs nur zu erwarten, wenn sie einträchtig sich überlappen oder sich ergänzend eine gerade Linie bilden. Der Rest ist Rechnen mit dem Schrägen, Fälligen, Unerfüllten.

Wir sind hier auf dem Sonnenplaneten und nähren unsere Augen mit den Strahlen des Zentralgestirns. Mit dem Wachsen und Abnehmen der Schatten lernt das Auge die Zeit zu messen, die Zeit zu zählen. Im Wechsel von Tag und Nacht, Wachen und Schlafen, Arbeiten und Träumen findet das Auge ein Maß für Übersicht und Chaos, Sicherheit und Gefahr, Vertrautheit und Fremdheit, Liebe und Vernichtung.

Wer Sorgfalt walten lässt, der kluge Mensch, hat ein Auge auf den Dingen, den Tieren, den Menschen, die ihm anvertraut sind – selbst im Schlaf. Hat er nicht seine Wächter, seine Hunde, seine Überwachungssensoren?

Du kannst sehen, wie dich fremde Augen wahrnehmen, mustern, streifen – deine eigenen Augen und ihren Ausdruck siehst du gewöhnlich nicht. Und wenn du in den Spiegel blickst, kannst du deine Augen nicht sehen, wie andere sie sehen – und den Ausdruck deiner Augen bemerkst du nicht. Können den Ausdruck deiner Augen, das Sprachspiel deiner Augen, nicht auch nur wieder die anderen verstehen?

Weil uns Augenfälliges und Augenscheinliches mehr überzeugen als Ohrenfälliges und Ohrentönliches, trauen wir dem Augenzeugen mehr als dem Ohrenzeugen.

Obwohl sie ihm nicht einmal an die Schulter reichte, blieb sie während der ganzen Zeit ihres Zusammenlebens auf Augenhöhe mit ihm.

Misstrauisch und ängstlich von Natur, konnte er sich bei ihrer telefonischen Zusage, mit Gewissheit das Gartenhäuschen abgeschlossen und verriegelt zu haben, nicht beruhigen, sondern ging den beschwerlichen Weg in die Gartenanlage, um sich mit eigenen Augen vom Augenschein zu überzeugen.

Allein kann dich dein Auge immer aufs Neue betrügen – deshalb erfolgt eine sichere Überprüfung der Korrektheit von Akten und wichtigen Papieren nach dem Vier-Augen-Prinzip.

Unter vier Augen – das heißt: Es kann peinlich werden, du kannst dich blamieren, in Verlegenheit geraten, dein Gesicht verlieren.

Unter aller Augen – das heißt: Du kannst dich spreizen und brüsten, mit deinen speziellen akrobatischen und artistischen Nummern glänzen, spielend leicht die Masken wechseln. Den Schlussapplaus nimmst du in deine Einsamkeit mit.

Wenn du sie nur mit dem Mund, nicht auch mit dem Herzen geküsst hast, springt sie dir bald wie ein Gespenst am hellichten Tag ins Auge.

Wenn er ihr unversehens auf der Straße begegnete, schlug er verlegen die Augen nieder.

Nach ihrem Treubruch konnte sie ihm nicht mehr gerade in die Augen schauen.

Sie hatte ihn solchermaßen behext, dass er offenen Auges in sein Unglück rannte.

Mit dem Auge vermagst du zu sprechen. Freude und Verlegenheit, Unbefangenheit und Scham, Entzücken und Trauer, Übermut und Scheu und manches andere legst du in den Ausdruck der Augen, gibst du mit den Augen zu verstehen. – Mit den Ohren kannst du höchstens wackeln, wenn du es kannst – und das bedeutet gar nichts. Da können dein Mund und deine Lippen schon mehr: schmollen, sich kess und satirisch spitzen, sich hochmütig schürzen, einen verbissenen Eindruck machen, indigniert herabhängen – indes, mit dem Ausdruckstanz der Augen können sie nicht mithalten.

Nach der Unterredung mit dem Freund schien es ihm zunächst, als habe er ihm die Augen über ihr wahres Wesen geöffnet – oder waren es üble Insinuationen, von Eigennutz, Neid und Eifersucht angefacht?

Das Auge verrichtet seinen höchsten Dienst am Leben als Polizist, Detektiv und Spion der Aufmerksamkeit – deshalb behalten wir die Sache im Auge, deshalb fassen wir die Tatsachen ins Auge und deshalb haben wir ein Auge auf all das, dem unser Lebensinteresse gilt, alles, was uns am ehesten förderlich, am meisten gefährlich zu sein scheint.

Kommentar hinterlassen

Note: XHTML is allowed. Your email address will never be published.

Subscribe to this comment feed via RSS

Top