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Die Rettung

14.12.2019

Plötzlich zupft der Kleine, Filzhut schräg,
Hahnenfeder aufrecht, Augen Basedow,
Brustkorb aus Chitin und Spinnenbeine,
zupft dir an der Hosennaht, gerade
als du blind ins Schwarze springen willst,
grient dich an und sagt (mit einer Stimme,
Schmirgelpapier verklebt mit Goldlack):
„Tu es nicht, wart noch, komm, drehen wir
noch ʼne Runde!“ Geht vor, nein wuselt,
und wie gebannt durch seine nach Gras
und Fellen duftende Aura, folgst du ihm.

Drunten flackert der Rhein, loderndes Öl der Sage,
Schuppen von Schiffsschrauben gerupfter Nixen.
Nenn ihn wie Horaz Maecenas iocosus, Witzbold,
Pfiffikus, wenn der sich wieder einmal zuviel
Knoblauch reingestopft und sein Mädchen gegen
seinen Kußmund die Hände hebt und an des Bettes
Kante rückt, nenn Götterzwerg ihn, deinen Retter,
Sohn des Hermes von einem leichten Mädchen,
führt er dich ja die Brücke runter, flugs am Rhein-
ufer lang in Richtung Stolzenfels, es ist schon
angestrahlt, das Schloß, wie ein Kirmes-Tand aus
Pappmaschee und Zuckerwerk, vorbei am
Hospital, wo dir im Arm die Mutter starb,
stumm und wie ein kleiner Vogel unter Satans
Sonne ausgedörrt, die Seele war schon lang zuvor
hinausgeschlüpft in eine räudige Katze,
die auf dem Ahorn saß und schaute elend
mauzend in das Fenster – und weiter dort am Strom,
wie es raschelt, das Gras, und auseinanderseufzt
vor dem heißen Pfeifen dieses Knirpses,
und dazwischen zucken gezackter Schlangen
Flammen, Feuerstätte im Lager der Vaganten,
seiner Brüder mit Mähnen von blauem Tang und Teer,
schimmernd um den Hals die Narbenschnur,
seiner Schwestern mit der Wölfin spitzen Brüsten,
auf der Stirn das Blenden schwarzer Sonnenflecken,
Kniee, die wie Monde aus dem Dunkel tauchen.

Ja und ja, dort ist ein Klirren, Schwirren, ist ein
Fletschen weißer Zähne, Schnalzen geht aus
purpurroten Mündern, und zum Schwingen
bunter Röcke, aufgewallter Locken singt,
kehlig, schnarrend, gurrend einer, dem am Gürtel
blitzt des goldenen Dolches Sichelmond:

Wir fahren durch die Lande
im Herzen Sand vom Strande,
und brennt die morsche Scheuer,
so war es unser Feuer.

Pflückt sich der Gott die Trauben,
ein Rausch, den wir ihm rauben,
will uns der Dämon hetzen,
sind Lieder, ihn zu letzen.

Uns nähren dunkle Feste
wie Flammen dürre Äste,
wen unsre Frauen küssen,
der wird sein selbst entrissen.

„Nun, mein Sohn“, flüstert mir der Zwerg ins Ohr,
„solche Flammen, solche Küsse, bringen sie nicht
schöneren Tod ins einmal durchglühte Leben? Schau
diese schmachtend zerbissenen Lippen, grüner Nächte
Augen, schneeige Molke der wogenden Brust,
willst du ins kalte Wasser, willst du armselige
Motte nicht lieber von solcher Glut deine papierne
Hülle verzehren lassen?“ Und du, ein Fremdling
fahler Rasse und erloschener Blicke sehnsuchtstrüber
Tränen, dem des Siegelringes Glutrubin im Schlaf
eine geile Metze vom Finger abgezogen,
statt im Wiehern der Silberstute „Dawn of the day“
unterm scharfen Sporn zu hören, wie das Leben
ruft nach fernen Bildern, neuen Reichen, hat
Reue dich entseelt, wie eines Töpfers ohne Ton
hängt dir die sehnenschlaffe Hand in müden Sausens
Gras. Ja du, der weiß, wer diesem Volke singen,
tanzen will mit seinen Frauen, findet nicht mehr heim,
und mit freiem Atem, offener Stirne stehst du
unter ihnen auf und hebst zu singen an …

 

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