Toter Tau
Und hast du einmal es gesehen,
wie sich im Leeren Wirbel drehen,
zerfällt das Wort zu Staub.
Wenn aber Zweige banger wehen
und einsam mußt im Herbst du gehen,
schwelt Dämmerung im Laub.
Die Nacht ging über alles Klagen,
als du den Schimmer mußtest tragen,
die Kerze vor den Schrein.
Und hat ein Schrei ihn aufgeschlagen,
sahst du den Kelch im Finstern ragen,
verdunstet war der Wein.
Siehst du den Schmelz des Munds zerbissen,
den Sinn am Widersinn zerschlissen,
wie wird das Herz dir grau.
Ein Schatten unter Schattenrissen,
sinkst du auf schwarzer Moose Kissen,
benetzt von totem Tau.
Hauches Charme
Wie eine Mücke, die vom Fenster fiel
und lag am Boden todesstarr,
und nahmst sie auf, ein grauer Fleck
auf deiner Kinderhand, und hauchtest,
behauchtest sie, fast wie im Traum,
und wirklich fühltest du das Leben,
und wirklich flog sie auf, flog auf.
So ist es mit den toten Namen,
den grauen Namen der Erinnerung,
verdorrten, starren, schattenhaften,
die einst wie Käfer glühend schwirrten
an hoher Dichtung Dämmersaum,
Stern und Blume, Lichtkristall,
und nun in Dung und Aschen liegen.
Woher den Atem nehmen, Hauch,
zu neuem Fluge sie zu wecken?
Uns ruft ein buntes Geisterrascheln,
streift unser Fuß durchs Laub des Schlafs,
das schwarze Schluchzen eines Wassers,
das taube Glieder lösend leckt,
und was heraufbeschwört aus Tiefen,
die Tropfen aus dem Kelch des Monds,
Ophelias Leid, Ophelias Lied,
das unsern starren Sinn behaucht
und wir erbeben knospengleich.
Im Niemandsland
Philosophische Sentenzen und Aphorismen
Eigentlich handeln die Mächte, Mächte des Lebens und des Todes, des Aufbaus und der Vernichtung, der Sonne und der Nacht; dennoch bleibt nicht unschuldig, wer sich in ihren Dienst stellt oder auch sich sträflich ihrem Dienst und Anspruch verweigert.
Die geschichtlichen Mächte verkörpern sich in den Emblemen, Wappen und Allegorien derjenigen Länder, Nationen und Sprachen, die sie besetzen, die von ihnen besessen sind. – Keine Grenzbefestigung, keine Expansion, kein Krieg, ohne daß die römischen Legionen nicht das imperiale Zeichen des Reichsadlers aufgepflanzt hätten.
Das dichterische Wort verkörpert die Macht der Sprache. Wer sich in ihren Dienst stellt, mag siegreich sein oder scheitern, die Grenzen des Sagbaren ausweiten oder sich auf die harte Essenz des nicht zu Verschweigenden zurückziehen; doch kann er durch Schlampigkeiten, Mißtöne, schiefe Bilder und Metaphern sündigen.
Homer sah göttliche Mächte, übermenschlich-hohe, grausame und doch auch mit Einsicht begabte, in den Masken der in ihrem Dienst kämpfenden, siegenden und fallenden Hellenen und Trojaner den mythisch-historischen Krieg führen. Achill schont Hektor nicht; und doch läßt er sich von seines Vaters Bitten bewegen, ihm den Leichnam auszuhändigen.
Vergil gibt der Hoffnung inmitten des Untergangsfeuers Gestalt in der Figur des Aeneas, der seinen Sohn bei der Hand nimmt, den greisen Vater aber auf der Schulter aus den Flammen trägt. Aeneas, das heißt die Verkörperung der Roma aeterna.
Singt Sappho, so in ihr, durch sie, mittels ihrer Stimme die Macht des Eros oder Aphrodite.
Dem Propheten reinigt der Engel mit Feuer und Glut den adamitischen Mund, auf daß er reiner Gottes Willen verkünde.
Wer flucht, von dem sagen wir, er spreche im Zorn, oder auch, der Zorn habe aus ihm gesprochen.
Als wäre das Stammeln des Inspirierten ein Exempel in der Sammlung Freudscher Witze und Fehlleistungen.
Im Rascheln des Blatts, im Rauschen des Wipfels, im moosgrünen Schatten unter dem Zweige gewahren wir noch, bei ihrer vollkommenen Abwesenheit, die Stimme, das Seufzen, den Schlaf der Dryade.
Im Gedicht sagt das Wasser mit leisem Brausen und unheimlichem Glucksen von der lange versunkenen Nymphe, dem Schluchzen Ophelias.
Im Niemandsland des abwesenden Mythos beschwört das Gedicht im nächtlichen Glitzern des Teiches, im Gischt des Katarakts, im verfänglich sprudelnden Wirbel des Maares und im unerlösten Seufzen des Wassers im Schilf die seelische Macht und mythische Größe des Wahnsinns.
Wäre auch die mythische Metamorphose uns als abgegriffener Groschen humanistischer Bildung in den Schatten des Lorbeerbaums gefallen, das Gedicht kann unter der harten Rinde noch immer das klopfende Herz Daphnes hörbar machen.
Unser Verständnis ist unmittelbar, wenn wir sehen, wie der sich gekränkt Dünkende schmollt oder grollt. Wir müssen nicht wissen, ob er rechtens handelt oder die Kränkung imaginär war.
Die Klage klopft, einer Bettlerin gleich, an die Pforte des einsamen Dichters, und das Scherflein, das in ihrer blechernen Schale klingt, ist sein Vers.
Nur wer nicht über den Tellerrand schaut, wer sich den Blick auf die nähere und fernere Umgebung, beispielsweise das Luxusleben des Herrn Nachbarn oder den Glamour seiner Dame, durch das hochgewucherte Buschwerk seines Vorgartenzauns verstellen läßt, wer nicht über den Tag hinausdenkt, nämlich in die Nacht seines Untergangs, der mag den blanken Groschen des Glücks oder der Zufriedenheit einheimsen.
Freilich nicht auf Dauer; denn auch sein Herbst kommt und die herabgewehten Blätter geben den Blick auf die Öde frei, in der er sich zuletzt wiederfindet.
Ideen klingen nicht, haben weder Farbe noch Duft noch Tonalität; Werke, die sie zu verkörpern sich anheischig machen, mindern die Intensität ihres Daseins und ihrer Wirkung, handele es sich auch um Ideen mit dem Nimbus höherer Weihen wie Humanität, Völkerverständigung und Weltfrieden; daher die Schwächen Mahlers, aber auch der Neunten Beethovens, von den konzeptuellen Basteleien elektronischer und serieller Kompositionen zu schweigen.
Die Essenz der Werke kann nur ästhetisch, nicht ideologisch sein. Wir bemessen den Rang des Kunstwerks nicht nach der Idee oder der noch so hochgemuten Absicht ihres Schöpfers.
Die Meisterwerke gleichen aus der kosmischen Leere jäh auftauchenden Sonnen; freilich, sie gehen am nächtlichen Horizont auf, doch können sie sich unserem Blick ebenso plötzlich, wie sie aufgeblitzt sind, auch wieder entziehen, nicht weil sie erloschen, sondern in anderen, unsichtbaren Konstellationen entschwunden sind.
Wie über den Riesenstädten und ihren Feuern und Aschenwolken der Sternenhimmel verblaßt, so die großen Werke der Vergangenheit in dem Leuchten der Bildschirme, von dem wir wähnen, es erhelle unser Dasein.
Manche Dichtung, von minder Hellsichtigen und Hellhörigen hermetischer Verrätselung verdächtigt oder bezichtigt, gleicht einem labyrinthisch angelegten, von exotischen Blüten durchschimmerten Garten, in den sich angesichts des Wildwuchses oder der Wüste der Welt zurückzieht, wer der Devise willfahrt: Lebe im Verborgenen.
Der digitale Bildschirm hat den Lack und Chrom des Autos als Projektionsfläche kollektiver Begierden abgelöst.
Technische Zivilisation oder die totale Entweihung des Leibes und der Sinnlichkeit.
Man fühlt schon bei Lebzeiten die Desakralisierung des Körpers, der als lebloses Ding dem Verbrennungsofen anheimgegeben wird.
Sinn ist eine Kategorie des lebendigen Bewußtseins und der angewandten Sprache; ob es sinnvoller wäre, nicht gelebt zu haben, ist eine absurde Frage; denn man kann nicht ermessen, wie es wäre, nicht gelebt zu haben, nicht zu existieren.
Von der Faktizität des Daseins oder der Macht des Schicksals wissen wir nur die leere Fülle, in der das einzelne Exemplar nichts zählt.
Nur das liebende Auge sieht die Wahrheit des Einzigen und Einzigartigen.
Man erstickt, wenn man sich als Zeitgenosse definiert.
Im eleganten Künstleratelier unter dem Dach flimmern Pornofilme, im Keller des Hauses finden Verhöre unter Folter statt.
Was sie dir als Teilhabe, Zeitgenossenschaft und Engagement andienen oder aufnötigen, ist der kaum fühlbare Knebel, der dir den Mund mit lauter hübschen Phrasen stopft.
Mangel an Talent stellt die Dichtung in den Dienst der Moral oder Politik. – Der Beifall der erregten Menge ist auch dem minder Begabten vor dem die Stimme vergrößernden Mikrofon gewiß.
Die Kühnheit des Dichters, für niemanden zu schreiben, kann das Gedicht noch für eine Zeit beflügeln, über die Grenzen der verlorenen Heimat hinwegzuschweben. Wohin? Wohin auch immer, zum Strand der Schatten, zu den Inseln der Seligen, ins Niemandsland, wo das Wort die Stille findet, das Moos, auf das es, ein matt glänzender Tau, sich niederläßt.
Der Begriff einer Zahl ist keine Zahl. Die Erinnerung an einen Klang, an einen Duft klingt nicht und duftet nicht.
Ein Gedanke, ein Konzept, eine Idee können nicht „sinnlich erscheinen“; dies aber ist die verfehlte Annahme idealistischer Ästhetik (Platon, Hegel).
Man kann sich an ein Gedicht nicht wie an eine Zeitungsmeldung erinnern; täte man es, hätte man das genuin Dichterische verfehlt.
Man weiß nicht mehr, was einer gesagt hat; doch erinnert man sich an den ironischen, gehobenen oder gedämpften Ton seiner Stimme; so mit dem Gedicht.
Dichtung steht im Gegensatz zur Literatur; diese ist aus Lettern gemacht, jene eine Synthese aus Klang, Taktfolge und Rhythmus, von der Farbigkeit und Duftigkeit, die ihre Bilder und Vergleiche umhüllen, nicht zu reden.
Lyrische Dichtung ist ein Archaismus und Anachronismus in der modernen Welt; sie hat ihre Heimat nur als ein fragiles seelisches Refugium
Der Klang lyrischer Dichtung ist ein Echo des Melos der von Laute und Flöte begleiteten antiken monodischen und chorischen Lyrik, ihre Taktfolge und ihr Rhythmus sind ein Residuum der Tanzschritte antiker Chöre.
Der Literat schreibt im eigenen Namen oder im Namen der Idee, des Kollektivs, der Moral, denen er sich verschrieben haben mag; der lyrische Dichter ist kein Schreiber, sondern ein Hörer fremder Zungen, der Musen, der Chariten, des Orpheus, des Apollon oder welcher Gottheit immer, der lichten oder dunklen Mächte, die sich ihm zusprechen, wenn er auch das Vernommene im Dialekt seiner Muttersprache aufschreibt.
Der lyrische Dichter ist ein Repräsentant der oralen Tradition, die von Homer bis zur Edda, vom liturgisch-mystischen Gesang bis zum Volkslied reicht, nicht der Funktionär einer skripturalen oder digitalen Sinnproduktion.
Die Sprache der Dichtung ist wie ein Meer, aus dem der Dichter mit der Muschel seines Gedichts nur jeweils einige Tropfen zu schöpfen vermag.
Mehr als das Gesagte gelten, anders als im gewöhnlichen Gespräch, beim Gedicht Gesten, Mienen, Ausdrucksgebärden, Tonfarben.
Die reiche Mannigfaltigkeit der Versarten und Strophenformen, der rhythmischen Bögen und Bildprogramme entstammt Zwecken, die vom Anlaß des Singens und Sagens angewiesen wurden, wie Sieg und Preis, Eros und Evokation der Geliebten, Trauer und Klage, Verlust und Andenken, Spott und Invektive, schuldhafte Verstrickung und meditierende Besinnung; doch haben sie Dauer, auch wenn die konkreten Anlässe und konventionellen Situationen und die rhetorisch-figuralen Muster ihrer Bewältigung sich verflüchtigt haben – sie werden in verwandelter Gestalt gleichsam ins Innere der dichterischen Sprache aufgenommen.
Was dem Literaten die Moral und die Verantwortung sind dem Dichter der Mythos und seine Befragung. Auch wenn ihm kein lebendiger Mythos mehr als bunte Mannigfaltigkeit verleiblichter Mächte entgegentritt, spürt er diesen Mächten an ihrem spezifischen Ort und zu ihrer eigentümlichen Zeit immer noch nach, bleibt von Gaia auch nur die Erde, vom Kampf zwischen Licht und Dunkelheit der Wechsel der Tages- und Jahreszeiten, von Apollon die Sonne, der Lorbeer und der Gesang, von Dionysos die goldene Traube und der dunkle Rausch, von Orpheus der Anruf ins Nächtige der Unterwelt; von der Schöpfung das gestaltende, sondernde, ins Licht rufende Wort, vom Paradies Blattgeflüster und das Rauschen der Ströme, von der Urschuld der Makel und Aussatz der menschlichen Seele, von der himmlischen Stadt die efeubehangenen Mauern.
Kann, wie Schelling vermutete, wie Heidegger postulierte und zu improvisieren wagte, Denken eine Form des Dichtens, Dichten eine Form des Denkens sein? Nein, wenn man unter Philosophie logisch-semantische Analyse und vernunftgemäße Besinnung versteht; ja, wenn man die klassische Form der Philosophie ad acta legt; denn ihre schulmäßigen Zentralbegriffe wie Erkennen, Wissen, Wahrheit, Bedeutung oder Verstehen lassen sich nicht rein dichterisch umformen.
Wer statt „Mensch“ „Dasein“ sagt und „Existenz“, dichtet nicht, sondern entwirft mittels neuer Termini eine neue Atmosphäre des Denkens. – Allerdings hat Heidegger unter Rückgriff auf mehr oder weniger dichterische Ausdrücke wie „Wohnen“, „Bauen“, „Sage“ oder „Geviert“ ein Bild unserer geschichtlich-schicksalhaften Situation entworfen, das der Wahrheit näher kommen mag als das von den Humanwissenschaften konstruierte.
Da alle in den Medien benutzten Worte mehr oder weniger schadhaft, wurmstichig, ranzig geworden sind, muß, wer etwas zu sagen hat, beinahe in Rätseln sprechen.
Wer keinen von jenen erreichen will, die das von den Medien verhunzte Wort für das letzte halten, wird genötigt sein, sich in das Refugium des verwaisten epikurischen Gartens zurückzuziehen, der in Wahrheit ein Niemandsland geworden ist, aus dem die Freunde und Gesprächspartner in das mit dem Dröhnen der Lautsprecher lockende und nach Brathendl duftende Tivoli, die Götter aber in die unsagbaren Fernen der Intermundien entflohen sind und dessen Mauern wohl den Lärm der Welt abhalten, aber auch das Rauschen der heimatlichen Ströme. Hier muß er anders wieder, ernster oder sogar gelassener, fragen: Wozu Dichter in dürftiger Zeit?
Lyrische Rezidive
Und was so heiß
dich überströmte,
der Untergang der Sonne
in deinem Blut.
Und Nacht dann,
Nacht
und Stille,
oder fernes Schluchzen,
ans Uferschilf dir wogend
vom Fluß der Unterwelt.
*
Und Nacht,
o Nacht,
herniedersinkend,
das Wort,
das Licht,
verzückt
erstickt
in ihrem Schoß.
*
Sublim aufwölkend
wie sophokleischer Gesang
löst sich dein Wort,
das Wehgespinst,
ins grenzenlose Blau.
*
Stimme, weißer Schlaf,
erbettelt wie mit Muschelschalen,
gibt sich als Woge fort,
am eignen Echo
bald erlahmt,
gebrochen.
*
Laub des Ungesagten,
vom Mehltau matt
zermürbenden Geschwätzes,
ermüdet unter Schatten
grämlicher Begriffe
und Spinnenweben
abgespulter Namen,
erzittert schon,
erbebt von dem, was naht,
es siegelblank,
es golden-grün zu waschen,
Sturm.
*
Muß das Herz ergrauen
und der Geist verwittern
unterm harten Licht,
Träne wird betauen,
Knospe weich erzittern,
wenn die Nachtluft spricht.
*
Aufgebahrt in dunklem Schrein
ruht das Sonnenwort.
Schmerz, er rankt sich, wilder Wein,
in die Stille fort.
*
Flamme, eingesunken,
welkes Blatt, vom Herbst erleuchtet.
Wein, den wir getrunken,
hat die Wüste nicht befeuchtet.
*
Odem, gepreßt, geflossen
aus Lungen in beinernen Zangen.
Wort, das wild gesprossen,
hat sich im stummen Bild verfangen.
Überschauert
Überschauertes Gesicht,
blumenweich,
hingeneigt dem Abendlicht,
einer Blüte gleich.
Ausgetrocknet unterm Strahl,
Knospenrund,
aufgetan dem Monde fahl,
lang verstummter Mund.
Auge, blinder Bild für Bild,
tränenlos,
birgt, wo süßes Licht ihm quillt,
grünen Dämmers Schoß.
Namen, Schwärme
Namen kriechen wie Insekten,
an den Wänden, an den Waden,
Löcher stopfst du, wo sie heckten,
doch kein Harm kann ihnen schaden.
Surren wieder wie die Bienen,
und wie Mottenschatten kleben
sie am Fenster, den Gardinen,
dir zum Hohn ist frei ihr Leben.
Schlägst du um dich mit der Fliegen-
klatsche, sprühst du Gift aus Spritzen,
kannst dich selber nur betrügen,
Scharen krabbeln aus den Ritzen.
Namen sind es von den Toten,
den verkannten, den geschmähten,
sind der Nächte Flügelboten,
sind die sich dem Licht vermählten,
Geister eingeweihter Ahnen,
die gewohnt am Meer der Mythen,
die gewandert Sternenbahnen,
Sonnenwortes Satelliten.
Schwärme, die den Weg verdunkeln,
daß wir stolpern, daß wir irren,
Mücken, die im Finstern funkeln
und durch Abendröten schwirren.
Birgst du sie in leisen Reimen,
dienen sie dem Vers zu Samen,
die zu hellen Zeichen keimen,
uns zu leuchten, Gottesnamen.
Tränen, matter Glanz
Wir lagen unterm dunkelgrünen Blech der Nacht
und seinen tief getriebenen Folternägeln.
Was um uns wuchs, war stillen Duldens Gras
und Halme, die ihr Seufzen einwärtsbogen.
Zu taub, sich eins am andern wach zu fühlen,
Hände, zuckend wie im Schlaf, die Augen
zerbrochene Spiegel, die kein Bild mehr hielten.
Abgeblühte Knospe hing das Schweigen
über unserm starren Schmerz, der Mond.
Statt deiner sprach der Wind vom Grenzenlosen
mit Fäden fahlen Lichts und Funkenpollen,
die aus des Abgrunds Staubgefäßen wehten
zum Zwielichtufer ferner Asphodelen.
Statt meiner sang die moosbetäubte Quelle,
wo sich die alte Weide Schimmer sog,
vom Mündungsdelta eines blauen Stroms,
den sie im Moor versickernd, ach, versäumte.
Was wäre lichtes Wort uns mehr gewesen,
als die gezittert an den Wimpern, stumme
Tränen, und da sie rannen, hat ihr Glanz,
der matte, die Dunkelheit uns nicht erhellt.
Entgleitende Locke
Locke, schon entgleitend, lose,
was durch Schattenfinger fließt,
Duft, Erinnerungswirbel, Rose,
Blumenmund, den Schlaf verschließt.
Bleibt vom grünen Bild ein Schauer,
Tau, der glänzt, und Schaum, der kühlt,
rinnt ein Flüstern an der Mauer,
Wind, der weich im Efeu wühlt.
Stäubt sie auf, erregtes Wasser,
Gischt, die sich ins Helle biegt,
Traumgestalten werden blasser,
wenn ihr Quell, der Schmerz, versiegt.
Öffnen sich des Duftes Schalen,
Flechten greift die wache Hand,
die gerafft von Lichtspiralen,
als du schliefst, sich Anmut wand.
Kristalline Schale
Kristalline Schale, purpurfarben
wie des Lammes keusches Blut,
sprühend zarte Sonnengarben.
Schwarz die Luft im leeren Raum,
schwarzer Samt am schmalen Fuß,
blaß umseufzt von Muschelschaum.
Einer Blüte Schneelichtflaum
weiße Hand zu streuen wagt
auf der Nacht Obsidian.
Und er schwebt, ein fahler Schlaf,
Tau, der Glanz des Schweigens sagt,
niederperlend diaphan.
Ist dies die Nacht?
Ist dies die Nacht der lichten Klänge,
die auf die dunkle Erde sinken,
lilienblütengleich,
die Nacht, die mildert Todes Strenge,
wenn harsche Herzen Tauglanz trinken,
und sie werden weich?
Ist dies die Nacht, da Flügel gleiten
und streifen grauen Ahnenmalen
Staub vom Lebensbild,
die Nacht, da sich die Augen weiten,
geküßt, gesalbt von Gnadenstrahlen,
und sie glänzen mild?
Ist dies die Nacht, da Kerzen flammen
und Honig tropft zur Erde nieder,
Süße in die Bitterkeit,
die Nacht, die geistvoll fügt zusammen
das Licht mit dunklen Mächten wieder,
und sind benedeit?
Ist dies die Nacht, da sich erheben,
die drunten bei den Schatten lagen,
und ihr Banner schwingt,
die Nacht, da Lahme freudig beben,
wenn Blinde wahr vom Lichte sagen,
und der Stumme singt?
Ist dies die Nacht, da Steine blühen,
entsunkne Quellen aufwärts springen,
und sie tönen rein,
die Nacht, da Trauben tiefer glühen,
wenn Nachtigallen Sanftmut singen,
und das Wort wird Wein?
Mag sich in solche Nacht ergießen,
in dieses Abgrunds Wirrnis-Grauen,
einer Träne Licht?
O Nacht, die Flammenflügel schließen
die Engel, die dein Unheil schauen,
doch sie weinen nicht.
Zu spät
Er hantiert am Schloß der hohen Tür,
hingekniet und mit verbissenen Lippen,
die Stirn in Falten, man hört ihn seufzen, keuchen,
das Schloß, es geht nicht auf, die Tür bleibt zu.
Der Tag vergeht, die Nacht bricht an, und wieder
macht er sich ans Werk, schraubt mit Draht,
dreht ein Messer, es geht nicht auf, das Schloß.
Der Raum ist kahl, kein Bild und keine Vase,
ein Schrank, Waschbecken, ebne Pritsche,
an der Wand glimmt eine öde Funzel,
die wenn er auf dem Eisenbett vergebens
zu schlafen sucht, die fahle Maske des Gesichts
aufschimmern läßt, die Augen aber bleiben
Grabeshöhlen, die Blicke eingesunken.
Tag und Nacht, ein müder Übergang
von grauem Schnee in dämmergraues Eis
in einer Milchglasscheibe an der Decke.
Gefängnis, Lager, Läuterungsanstalt?
Manchmal öffnet sich die Deckenscheibe
und es surrt gefüllt mit karger Kost
an einem Seil ein Korb aus Bast herab.
Auch Bücher sind verstreut am Boden, Zettel,
vollgekritzelt, zerknüllt, zerrissen.
Briefe, angefangen und verworfen bald,
Bittgesuche, Notizen zum verfehlten
Leben, unleserlich, nicht zustellbar.
Er versucht noch einmal, das Schloß zu öffnen,
umsonst, liegt endlich hingestreckt und starr,
ein Husten, Stöhnen, und dann wird es still.
Das Grau tropft durch die Scheibe, dunkles Grau,
und ist kein Laut, kein Atem geht, kein Hauch.
Mit leichtem Schwung, wie eines sanften Flügels,
tut wie von selbst die Tür sich auf und Licht
strömt ein, ein Kind schwebt in den Raum,
nackten Fußes, die goldenen Locken wogen
ihm um die blassen Wangen, es tönt sein Mund.
Kommt das Licht von diesem Vlies der Locken,
kommt es vom Lächeln dieses Angesichts?
Das Kind tritt zu dem Toten, träumerisch
fährt seine Hand ihm über Stirn und Augen,
und matte Lider sinken, tote Monde.
Leise summend küßt sein Blumenmund
den Runzelmund, der nie gesungen hat.
Du kannst, o Engel, ihn nicht auferwecken,
wärst früher du gekommen, ihm zu zeigen,
daß diese Tür nie abgeschlossen war,
ein Weg ins Freie ging, ins eigne Leben.
Wurmstichige Terzinen
Entkämen wir einer sich selbst verschlingenden Welt,
wo Liebesschluchzen sich mischt mit Geröchel von Siechen,
zerquetschten Gesichtern, von Wollustgrimassen entstellt.
Wollen wir nicht Wurm unter Würmern mehr kriechen,
uns vom Kot hinabgewürgter Worte ernähren,
betäubt den Aasgestank der Geschichte beriechen,
sind wir es noch, die sich nach den Tiefen verzehren,
blauend über weißen Kelchen moosdunkler Auen,
was trunken flammt, die Feuer des Himmels verehren,
Nacht erbittend, Inseln fernen Leuchtens zu schauen,
Quellen, in deren Wölken Verzagte genesen,
Blüten, gepflückt vom Seufzen liebender Frauen.
Wer wollte aus dem Dung den Wurm sich erlesen
und ihn mit zauberischen Sprüchen behauchen,
die ihn verwandeln in ein bunt geflügeltes Wesen,
frei, in der Iris purpurnen Abgrund zu tauchen?
Kein Gott der Gipfel wohl dürfte den Ekel verwinden,
Würmer umfingernd, die in Verwesungsdunst krauchen.
Möchte der Unteren einer würdig uns finden,
von der düsteren Walstatt ins Licht uns zu heben,
Wassergeister, ihr Gischte, Sylphen, ihr linden?
Daphne steht starr, Ariel, nachtwindergeben,
Wasser verrauscht und Luft will Anmut nur tragen,
dem Wurme bleibt, im freudlosen Dunkel zu leben.
Ach, nenn nicht Leben verkrustete Worte benagen.
Der beschlagene Spiegel
Philosophische Sentenzen und Aphorismen
Für die relative Differenz wie die zwischen Personen, Arten oder Kulturen bieten wir unsere Einbildungskraft oder unser poetisches Ingenium auf, nicht immer vergeblich; doch vor dem absoluten Unterschied, dem von Leben und Tod, Sein oder Nichtsein, müssen wir die Waffen begrifflichen und bildlichen Verstehens strecken. Wir haften am Modell einer Asymptote, die sich zwar immer mehr der zu erreichenden Grundlinie annähert, sie aber niemals berührt.
Das, was im Sterben den Atem, den Herzschlag stillstehen läßt, denken wir uns wie diese Asymptote, doch so, als berührte sie eben jetzt die Linie.
Oder wir entfernen aus dem imaginären Wohnzimmer der Erinnerung nach und nach jedes Möbelstück; jetzt steht es schon ganz leer; dann hängen wir auch die Bilder von den Wänden ab; jetzt ist es leer und ganz kahl; endlich löschen wir das Licht oder schließen die Läden; jetzt ist es leer, kahl und finster. Aber wir können mit diesem Verfahren sich steigernder Negation nicht zu einem Bild oder einer Metapher unserer Nichtexistenz gelangen, denn da ist immer noch etwas, was übrigbleibt, gleichsam die dünne Luft der Abwesenheit, ein fahler Schimmer, der durch die Ritzen der Fensterläden oder den winzigen Spalt eines Vorhanges fällt. – Und immer ist da noch einer, der könnte er sprechen, von der dünnen Luft der Abwesenheit spräche oder dem fahlen Schimmer, der von irgendwoher in die Erinnerung fällt.
Das abstruse philosophische Kauderwelsch, das mit Platon, wenn auch gemäßigt von dichterischem Ingenium, anhebt, gipfelt nirgend anders als im deutschen Idealismus. Waren es in der Frühzeit noch sprachliche Vexierbilder wie die als Namen mißverstandenen Begriffe von Zahlen und Pseudo-Entitäten wie Wahrheit, Schönheit, Tugend, ist es beim intellektuell zügellosen Hegel ein Höllenreich radebrechend sich begattender Wesenheiten vom Nichts über das Etwas bis zum Zentrum dieser logischen Hölle, Gott, der weder Vater noch Sohn noch Heiliger Geist, sondern ein dialektisches Monstrum ist.
Die wahren Erben Hegels, Marx, Lenin und tutti quanti, inthronisierten den Höllengeist als uniformierte Avantgarde und revolutionäre Parteielite über einem eschatologischen Reich, in dem das Glück der Massen sich ununterscheidbar mit dem Tugendterror der Politik vermengt.
Der prophetenbärtige Freud missionierte am erfolgreichsten im Land der Pilgerväter mit einer sexualisierten Version des Puritanismus, einer pantheistischen Erotik ohne Gott, einer gleichsam im Brutwasser schwimmenden puritanischen Moral; das machte ihn für Hollywood anziehend.
Im Laufe der Jahre blickt einen die eigene Seele aus einem von den Ausdünstungen des Geschwätzes beschlagenen Spiegel als Gespenst entgegen.
Der jugendliche Feuerkopf, besessen von dem, was er als Leidenschaft für die Wahrheit, die Gerechtigkeit oder ein sonstiges Ideal mißversteht, verspürt ein quälendes Kribbeln in den Fingern; es sind die Wörter, die, wenn er sie über die Seiten gehetzt aufschreibt, auf der Stelle neue hervorlocken, um die Folter nur noch zu verlängern und zu vergrößern. Doch die wirren Schriftzüge und schludrigen Chiffren eines losgelassenen Willens sind nichts weniger als sprossend, rankend und glühend; vielmehr hinterlassen sie, welk über Nacht, das matte Schimmern eines Leichentuchs. Alt, müde, resigniert, ist der Dichter des Schreibens überdrüssig; denn er hat nichts jemandem und keinem etwas mehr zu offenbaren oder zu verkünden. Schreibt er aber, halb dösend, noch etwas aus alter Gewohnheit nieder, rinnt ihm, er weiß nicht woher, ein unheimlicher Glanz in die Sätze, Glanz wie von nächtlichen Blitzen.
Das sprechende Wesen? Ach nein, lieber blumenstilles Dämmern, schöner die Blüte, die wie von allein, gekitzelt vom Strahl, duftend sich auftut, nicht einmal seufzt, wenn der unausbleibliche Eros sie heimsucht, Befruchtung und Bestäubung aber Wesen, fremd wie von einem anderen Stern, die sie in anderer Absicht besuchen, anheimstellt. Schöner das Blatt, worauf kein entwurzelter Wille herumkritzelt, sondern eingewurzelte Gene unbewußte Zeichen und Linien morsen und masern, Blatt, das ohne Mund und Ohr, ohne sich selbst inne zu werden und sich selbst und dem eitel-vereitelnden Publikum Zeugnis zu geben, vom anonymen Wind erregt, sanft vor sich hin rauscht.
Kretins der Moral sind baß erstaunt und hell entrüstet, daß es im Krieg auch Tote gibt.
Sie können nicht urteilen, ohne zu werten, nicht das Wort auf die Lippen heben, ohne es mit dem widrigen Speichel des Moralisierens zu belecken. Gedenken wir in aller Still Max Webers und seiner Forderung nach Wertneutralität nüchternen Denkens.
Bekennt man sich nicht offen oder öffentlich für die Seite in einem Konflikt, die sie als die ihre einzig bekennen, gilt man bereits als Hochverräter. Aber nicht zu unterzeichnen, was einer deklariert, heißt nicht, für das Gegenteil eintreten. Doch für diese elementare logische Einsicht gebricht es ihnen entweder an Hirnschmalz oder an gutem Willen oder, höchstwahrscheinlich, an beidem.
Jüngst hat der Schelm auf dem Heiligen Stuhl die altehrwürdige Litanei auf Maria, die lauretanische, in der die sancta virgo virginum unter anderem turris eburnea und rosa mystica genannt wird, um die neue, dem Zeitgeschmack die Füße leckende Anrufung ergänzt: solacium migrantium, Trost der Migranten.
Ach, turris eburnea, Elfenbeinturm, als Schimpfwort für sich asketisch der Form und Sprachgestalt widmende Dichter mißbraucht, entstammt der Marienandacht?
Rosa mystica, dies Symbol der Gottesmutter inspirierte ganze Generationen von Dichtern und Künstlern, bis die dichterische Imagination angesichts der Massenproduktion von kitschigen Plastikrosen neben anderen Devotionalien für die Rummelplätze des Kults sie ihrer mystischen Aura und ihres betörenden Dufts beraubt fand.
Der große Physiologe Johannes Müller sei aufgrund der Entdeckung, daß jeder organische Sensor auch bei qualitativ unterschiedlichen Reizquellen jeweils mit der für ihn eigentümlichen, spezifischen Reizantwort aufwartet, so das Auge bei Druck durch seine Visualisierung in Funken und Sternchen, zur Annahme seines sogenannten physiologischen Idealismus inspiriert worden, wonach uns als sensorisch und mental (und, könnte man heutigentags ergänzen, sozial) geschlossenen lebenden Systemen die Realität auf immer verschlossen, ein Buch mit Sieben Siegeln bleibe. – Doch vermögen wir ohne weiteres zwischen Trugwahrnehmung und Realitätswahrnehmung, Wahn und Wirklichkeit zu unterscheiden, und zwar auf der Basis unserer Art, die Wahrheitsbedingungen derjenigen Sätze anzugeben und zu prüfen, mit denen wir unsere Wahrnehmungen beschreiben. Sicher liegst du immer richtig, wenn du sagst, dies da erscheine dir grün. Doch wenn du aufgrund einer solchen optischen Wahrnehmung über die Kreuzung gehst und von einem Auto erfaßt wirst, wissen wir, daß wir richtig liegen, wenn wir sagen: „Entweder hat die Anzeige der Ampel versagt oder du bist einer Trugwahrnehmung erlegen; und nur eines davon kann wahr sein.“
Um das, was wir richtig, korrekt, wahr nennen, zu begründen, können wir uns nicht auf natürliche Phänomene und Ereignisse berufen, sondern sind auf die Anwendung und Beurteilung deskriptiver Aussagen angewiesen. An der Tatsache, daß Wasser bei 100 Grad Celsius verdampft und bei Minusgraden gefriert, ist nichts Normatives aufzuspüren (ebensowenig wie aus der Tatsache, daß der Erdolchte verblutet, die moralische Forderung folgert, Blutvergießen sei in jedem Falle zu vermeiden); doch die Aussage, daß Wasser bei Minusgraden verdampft und bei 100 Grad Celsius gefriert, ist evidentermaßen unrichtig, inkorrekt, falsch.
Es gibt nichts Unwahres in der Natur, also auch nichts Wahres.
Es gibt nichts Heiliges in der Natur, also auch nichts Unheiliges.
Die Natur kennt keine Gnade, aber auch keine Verbrechen.
Mag die Welt alles sein, was der Fall ist; sicher aber ist sie nicht, wie es der erkenntnistheoretische Idealismus unterstellt, alles das oder die Summe dessen, was wir wahrnehmen, erfahren, erleben oder woran wir uns erinnern. Denn wäre die Welt nichts anderes als die sagen wir systematisch gegliederte und klassifizierte Summe, gleichsam die mentale Bilanz unserer Wahrnehmung, Erfahrung und Erinnerung, würden die Begriffe der Wahrnehmung, Erfahrung und Erinnerung sinnlos.
Eine systematisch gegliederte und klassifizierte Summe unserer Wahrnehmungen, Erfahrungen und Erinnerungen, in die auch all unsere Wahrnehmungstäuschungen, Illusionen und trügerischen Erinnerungen eingingen, sagt uns nichts über das, was wir Welt nennen könnten.
Welt ist nicht nur der Horizont, der stets mit unseren Schritten mitwandert, sondern der Horizont, der sich im Gefolge unserer Wanderungen und Expeditionen mehr oder weniger unmerklich verschiebt, erweitert oder verengt.
Das Thermometer mit seiner Quecksilbersäule hat keine qualitative Verwandtschaft mit dem Wasser, dessen Temperatur es mißt. Ähnlich der wahre oder falsche Satz: Er ist kein Abbild des Sachverhalts, über dessen Bestehen oder Nichtbestehen er wahrheitsgemäß oder fälschlicherweise Auskunft gibt.
Daß, solange es kulturelle Traditionen der Nationalsprachen gibt, jede Generation ihre eigentümliche Übersetzung von Homer, Sophokles und Horaz hervorbringt, weist darauf, daß es keine endgültige Version geben kann; doch es impliziert nicht, daß wir nicht zwischen weniger guten und guten oder hervorragenden Übersetzungen unterscheiden könnten.
Der Verfall des Deutschen, gemessen am sprachlichen Niveau eines Goethe, Thomas Mann oder Kafka, aufgrund seiner pervertierenden Indienstnahme durch Pädagogik, Politik und öffentliche Medien ist eklatant. Pars pro toto: der Untergang des Reflexivums; so liest man täglich Aufforderungen wie „Jetzt registrieren!“, „Heute noch bewerben!“ oder „Jetzt anmelden!“. Ist dies Ausdruck von Schlamperei, geistiger Verödung, Flucht vor der Wahrheit dessen, was Philosophen Selbstsein, Eigentlichkeit und Authentizität nannten, die sich ja am nachdrücklichsten in der Analyse des Gebrauchs reflexiver Wendungen offenbaren?
Sich an etwas zu erinnern ist etwas gänzlich anderes als jemanden an etwas zu erinnern.
Ähnliches gilt für den Verfall des Genetivs wie beispielsweise beim Genetivus partitivus, criminis oder memoriae: „Er hatte des Weines zuviel genossen“, „Er wurde des Verrats bezichtigt“ oder „Um seiner zu gedenken, ging er regelmäßig am Jahrestag von Vaters Tod zu seinem Grab“ – dies liest und vernimmt man heute nicht mehr; dafür aber groteske Formulierungen wie „Er erinnerte den verstorbenen Freund“ oder „Sie gedachten den Opfern.“ – Den Freund, den Gott habe ihn selig Mutter Erde bedeckt, an was auch immer erinnern zu wollen ist eine selten gelingende Sprachhandlung. Die den Opferkult pflegen, können, wessen sie mit Krokodilstränen gedenken, nicht mehr angemessen artikulieren. Vielleicht ist diese Form sprachlicher Vulgarisierung bereits eine Folge des Vordringens des Globalismus über das Englische, denn hier kann man ja sagen: „We rembered the victims.“
Des sog. Genderns nur weniges zu erwähnen, dieses staatlich verordneten, ansonsten auch vom medial gleichgeschalteten „mündigen Bürger“ in freiwillig vorauseilendem Gehorsam devot durchexerzierten Verbiegens des sprachlichen Rückgrats, das nicht nur entstellt, sondern auch die Verachtung und Verächtlichmachung der natürlichen Ordnung der Geschlechter zum Ausdruck bringt; nicht verwunderlich bei einem Volk, das die reproduktive und erzieherische Funktion der klassischen Familie diskreditiert und Frauen die angebliche Selbstverwirklichung ausschließlich in der Tretmühle des Acht-Stunden-Arbeitstages anempfiehlt, ja aufnötigt; hinzugerechnet der erkleckliche Anteil an Unbildung, Illiteratentum und Dummheit, der jene, die zwanghaft von Studierenden, Bürgerinnen, Ärztinnen oder Kolleginnen faseln, glauben zu machen scheint, die grammatische Grundform masculini generis stehe ausschließlich für die Benennung des natürlichen Geschlechts, während die Bedeutung von Wörtern wie „Student“, „Bürger“, „Arzt“ und „Kollege“ selbstredend sowohl Herrn Müller als auch Frau Meier umfaßt.
Der hohe Bogen
Schmerz und Schönheit, hoher Bogen,
Tau und Schimmer, Glut und Dürre,
Blütenlicht, ins Dunkel wehend Laubgewirre,
Lied, das kaum genistet wieder fortgeflogen.
Tropfen, die am Blatt des Traumes glommen,
weichen Wassers Liebewallen,
Seele, unbewußtes Lallen,
der Erde Herz vom Dunst des Monds benommen.
Und die Sonne bog zurück die Schatten
mit den Feuerfingern, und aus losen
Purpurtupfen wand sie Rosen,
daß der Falter Flügel nicht ermatten.
Dämmerung, als wir im Grase schliefen,
und uns weckten wie aus fernen Reichen,
heim zum großen Strom zu wandern, unsersgleichen,
Vogelstimmen, Geister der azurnen Tiefen.
Und wir sahen, wie die Wellen gingen
und Geschwisterwellen wiederkehrten,
fühlten, wie den Schmerz der Nacht vermehrten
Fiederflocken, Schnee von Schwanenschwingen.
Daphne-Variationen
I
Von der Sonne gejagt,
geritzt von goldenen Blicken,
um zu erstarren,
grünend,
an tröstlichen Wassern.
II
Dorther, wo sich bricht ins Trübe der Strahl,
ermattend in wogendem Tang,
wo das Lied des Tages verdämmert,
von glucksenden Blasen genarrt,
dem Lachen schiefmäuliger Fische,
aus raunender Ahnen Strom
kam die Wunder-Verwandlung.
Barg sie der schilffeuchte Hauch,
der dir kühlte die Glut,
war es bitterer Schaum,
der um den Fuß dir, den eingetunkten,
nächtlich geknistert?
III
Läßt Eros einzig die edlere Geste des Abschieds,
dem Schmerz der Entsagung erblüht
aus dem unendlichen Abstand
zwischen Sehnsucht und Bild,
einzig, was im sinkenden Strahl
grünender flüstert,
das unbeschreibliche Blatt,
leuchtend am Schattengezweig,
den Ruhm, Sonne der Nacht zu sein,
dem aus der Klage erwachten Gedicht?
IV
Herrlicher schimmerst du dir allein,
jungfräulich schöner am Ufersaum,
und reiner rinnt als purpurner Wein
von deinem Blatt Apollons Schaum.
Keuscher rührt der Sonne Kuß,
wenn der Strahl durch Wolken dringt,
und schwillt im Abendlichte der Fluß,
Schmerz, von Schatten gedämpft, er singt.
V
Kein Flügel hob dich rettend hinan,
zu Wurzeln faserten aus deine Füße,
und was dir schüttelte Gold auf die Schulter,
die Locke wand sich ins wallende Laub.
Aus der Schale des Schoßes entsprossen,
azurne Lüfte zu saugen, zart gefiederter Zweig.
Tränen aber, angstfeuchte Gluten, wurden,
die keimenden Blätter zu kühlen, Tau.
Stumme Rinde verschließt wie ein Rätsel,
Ring um Ring sich erinnernd, dein Herz,
und dir blieben vom Stampfen der Chöre
schmerzloser wehend die Lieder des Winds.
Siehe:
https://de.wikipedia.org/wiki/Apollo_und_Daphne
Der Untergang des Psalms
Rosig-hold schimmert noch ein Malvenblütenrest,
ein blauer Iris-Tupfer auf dem blassen Porzellan,
Vase, die zertrümmert keine Hoffnung läßt,
das Wunderbild zu schauen, Blüten, Teich und Schwan.
So quoll aus grünem Munde einst der Sang,
erquickt von weichem Wasser war das Dotterblumenblatt,
selig Flüstern aber goldener Überhang
des Laubs auf Kiesel, Lächeln unter Wellen mondenmatt.
Metallener Zähne ist das Unheil aufgeschrillt,
die Weide splitternd in den Abraumschacht,
der Quelle Mund erstickt, mit heißem Teer befüllt,
statt süßen Lallens hat ein rüdes Mensch gelacht.
Keine Locke blieb, da man das Haar der Bäume schor,
und nirgends zittert abendlich ein Flüster-Halm,
es könnte keines Engels feingewundenes Ohr
den Wunderklang noch hören, Seufzen, Sprühen, Psalm.
Blumenlabyrinth
Farne des Lichts, aus dem Dunkel geschnellt,
Blätter zerbröckelnd zu goldenem Rauch,
Antlitz, das sich mit Tränen erhellt,
eine sich neigende Blüte nun auch.
Schwelt aus der Erde der nächtliche Brand,
ist vom Himmel ein Glutharz getropft,
was wir fühlen, es rieselt wie Sand,
hat die Nacht ans Herz uns geklopft.
Grüne Seufzer, als seufze das Gras,
singt es in Zweigen, doch ist es kein Wind,
tönt es im Schlafe, Mund wie aus Glas,
flattern auf Flügel, die Schatten nur sind.
Wie im Traume irrt hin unser Sang,
selbst sich ein Blumenlabyrinth,
bald heiter duftend, bald wieder bang,
jetzt graue Nessel, dann Hyazinth.
Nächtliche Blitze
Philosophische Sentenzen und Aphorismen
Fremdheit und Ausgesetztheit erfuhren wir beim Gewitter in der Nacht – oder war mit den Blitzen die sie intensivierende Nacht selbst hereingebrochen? –, dort auf dem Feld, als schon schwere, dunkle Tropfen auf die Blätter klatschten, doch die weißen, aufzuckenden Sicheln und Farne des Lichts dünkten uns seltsam trocken, und es war der nachbarliche Bauer und sein Knecht, die uns Kinder unter die Plane steckten, und schon rumpelte der Karren unter dem Schnauben des Kaltbluts. Wir lugten aber bang und vor Kälte oder dem Schauer der Bilder zitternd unter der Plane hervor in das stumme Drama der nächtlichen Blitze, denen noch lange der Donner nicht folgte, der uns, bei stärker einsetzendem Regen, wie ein erlösendes Zeichen erschien.
Plötzlich verirrt im Traum, man kennt noch jenes Fenster, dieses Tor, jene Kirchturmspitze, aber weiß nicht mehr, in welcher Stadt man gelandet ist, ist es eine Stadt am Rhein, an der Küste der Normandie, der Bretagne, aber wüßte man auch um die Nähe des Meeres, sein Rauschen hört man nicht – und wie kommt man zurück, doch was heißt zurück, nach Hause, aber welches Zuhause; doch nie geht die Fremdheit soweit, daß man sich seines eigenen Namens nicht mehr erinnerte; oder darum nicht, weil man schon namenlos ist?
Die knirschende und knackende Stimme aus dem Sprechapparat, den man dem an Kehlkopfkrebs Erkrankten eingebaut hatte, Stimme, die klang, als würde sie aus einem phonographischen Archiv jeweils die zur Situation passenden stereotypen Wendungen abgreifen und wiedergeben. – Der Gedanke, daß auch wir, könnte man sagen, über einen solchen Apparat verfügen, nur organischer Bauart, und was ist das korrespondierende Hirnareal anderes als das akustische Archiv, in dem die über viele Jahre aufgezeichneten Wendungen und Phrasen, zu beständigem Abruf bereit, niedergelegt sind.
Was läßt uns sagen, jene vor Dezennien auf Tonträger gebannte Stimme des Kameraden sei dieselbe oder jener ähnlich, die wir kürzlich am Telefon vernahmen. Aber, hören wir genauer hin, ist die Ähnlichkeit nur eine Vermutung und ginge ganz verloren, wüßten wir nicht um die Identität der Person. – Doch was ist die Identität der Person, außerhalb einer gleichsam juristischen Rhetorik, wenn sie sich aus solchen Bestandteilen wie dem Aussehen, der Mimik, der Gestik, der Gangart, der Stimme und Sprechweise und anderem dieser Art zusammensetzt, Bestandteilen, die wie es scheint einem bis ins innerste Mark vordringenden und es aufzehrenden Vorgang der Verwandlung ausgesetzt sind?
Wohl ist, was wir fühlen, denken, uns vorstellen und woran wir uns erinnern, ähnlichen Prozessen der Verwandlung ausgesetzt wie unser Aussehen, unsere Mimik, unsere Stimme; wohl, was wir sagen und wie wir es sagen, doch die Bedeutung dessen, was wir sagen, was wir meinen, bleibt als eine gleichsam unkörperliche Form und Struktur relativ konstant. Die Konstanz gewährleistet nicht das Gedächtnis, das heftigeren Schwankungen und Auszehrungsprozessen unterliegt als unsere Gesichtszüge, sondern der soziale Zwang, der von außen auf uns ausgeübt wird und bekanntlich in den semantischen und syntaktischen Tiefenströmungen Epochen überdauert, mag auch das Gekräusel an der Oberfläche ephemer schwinden und sich erneuern.
Die semantische Relation von Wort und Sinn ist das soziale Korsett, von dem wir uns nur unter der Gefahr völliger Vereinsamung oder des Wahnsinns befreien können.
Wenn wir schnell lesen, entwischen uns optisch etliche Buchstaben und Silben; dennoch verstehen wir das Gemeinte.
Es muß eine Grenze der Wahrnehmung wie der von Buchstaben und Silben geben, unterhalb derer wir die Vollständigkeit des Gemeinten verlieren oder verpassen.
Würden morgen alle stottern, kämen wir bis zu einer bestimmten, vielleicht vagen und verschwimmenden, Grenze der Artikulation mit der Verständigung noch einigermaßen klar; darunter bräche sie jäh ab.
Würde aus der Minorität der Nicht-Stotterer von der Majorität der Stotterer ein König oder Anführer gekürt?
Das im Wirrwarr von Ranken versteckte Gesicht erscheint plötzlich.
Das Sonnenklare wird spät oder nie begriffen.
Was wir uns nicht vorstellen können, scheint nicht zu existieren.
Da wir uns nicht vorstellen können, nicht zu existieren, denn dies wäre anomisch und paradox, glauben wir zwar an den Tod der anderen, aber nur ziemlich unbestimmt an den eigenen.
Die Psychopathologie des philosophischen Denkens wird, vor allem bei den Meisterdenkern, eine Fülle von Befunden ausmachen, etwa wahnhafte Ideen von angeblichen, aber chimärischen Wesenheiten wie Gegenstand und Ding, Materie und Geist, Bedeutung und Bewußtsein.
Der Kult der Wesenheiten gehört zu den spirituellen Sonderangeboten, die säkulare Philosophie jenen macht, denen der Boden der religiösen Tradition unter den Sohlen bröckelt oder weggebrochen ist.
Die Vulgarisierung des Christentums mündet in Gesinnungsheuchelei und Herz-Jesu-Sozialismus.
Alchemie der Schmerzen: Pascal, Baudelaire.
Schauen wir uns die botanisch, architektonisch und ästhetisch sinnreich und harmonisch angelegten, mit malerisch komponierten Beeten, plätschernden Brunnen und aus mythischen Schatten jählings hervorlächelnden Figuren belebten Parke des Ancien Régime, des kaiserlichen und königlichen Hofs oder der großen Familien wie jener der Medici an, die nach dem Wort Baudelaires Schönheit, Ordnung und Luxus ausstrahlen; da erblicken wir sie noch unter schattigen Lauben und blumenbunten Sonnenschirmen mit halb entblößter, porzellanfahl wogender Brust Arm in Arm daherschlendern und sich dabei Seifenblasen schillernder Bonmots oder leichtgeschürzter Plaisanterien zuhauchen, Madame La Beauté, Madame La Grâce und Madame La Noblesse, während ihnen schokoladenbraune kleine Buben in cremefarbener Livree unter die lässig gerafften Röcke purzeln. Wir sehen die eine ihren zierlichen Fuß in das köstlich-kühle Naß des Brunnens tauchen, in dessen Gischt der Regenbogen ihrer müßigen Träumerei langsam verweht, während die zweite der dritten, wohlig an den breiten Rücken eines muskulösen, in eine pompöse Admiralsuniform gesteckten Negersklaven von den ozeanischen Inseln gelehnt, die Fingernägel anmalt. – Vergleichen wir diese Gärten grünenden Charmes, die nur für das Blaue Blut und jene, denen statt seiner eine adelige Gesinnung Noblesse verlieh, zugänglich waren, mit dem wüsten, kloakenhaft verhunzten und von krakeelendem, tätowiertem und mit verbranntem fauligem Fleisch die blaue Luft verräucherndem Gesindel aus aller Herren Länder okkupierten Wahrzeichen zeitgenössischer Lustbarkeiten, dem Krethi und Plethi offenstehenden Volkspark, fällt uns spätestens wieder ein, warum es uns schon aus rein physiologischen und ästhetischen Gründen verwehrt ist, dem Kult der Trikolore zu huldigen.
Sie kämpfen leidenschaftlich für die Freiheit der Meinung, die ihnen mittels schulischer und medialer Abrichtung eingetrichtert worden ist.
Jenes Welttheater, für dessen Aufführungen wir auf ein Dauerabonnement gerne verzichten.
Der Stotterer, der Paranoiker, der Invertierte sind in den Maulwurfsaugen der Schwatzbuden-Intellektuellen keine pathologischen Fälle, sondern „anders begabt“; was aber ist mit dem Kleptomanen, dem Vergewaltiger, dem Kinderschänder? Schon sind sie mit ihrem Latein am Ende? Ach nein, die Zeitgeist-Kretins philosophieren weiter.
Die Übergangszone zwischen dem normalen oder gesunden und dem kranken Zustand mag noch so diffus sein; aber sind wir einmal von einem zum anderen gelangt, wird die Sache klar, gibt es kein Zurück, sind wir ein Krüppel oder liegen im Sterben.
Konformismus: die Verleugnung kultureller und natürlicher Unterschiede durch hochtrabendes Geschwätz, blutleere Rhetorik, moralbetäubte Euphemismen.
Die Frau ist nicht nur diejenige, die gebären kann, sondern in allen wesentlichen Hinsichten vom Mann verschieden: Motorik, Hautempfindung, visuelle und olfaktorische Ansprechbarkeit, Präferenz sensorischer Reizquellen, seien es Farben, Düfte, Klänge.
Was der Kerl längst verdaut hat, daran würgt ein Mädchen noch etwas länger.
Die Voraussetzung dafür, etwas nicht zu verstehen, liegt in dem Umstand, vieles schon verstanden zu haben.
Welche Naivität und geistige Blindheit bezeugen jene, die angesichts eines gestern hereingebrochenen Krieges heute bekunden, in einer neuen Welt aufgewacht zu sein oder eine Zeitenwende zu erleben.
Scheel angesehen, beschimpft, diskreditiert zu werden erscheint den meisten noch besser, als ignoriert und mit Schweigen übergangen zu werden.
Dämonen, die uns necken oder zwicken, ziehen wir den Engeln vor, die leise mit den Flügeln rauschen, wenn wir schlafen wollen.
Die Weltseele und der Weltgeist der idealistischen Philosophie sind das Surrogat des väterlichen Gottes, der lächelnd oder grimmig auf die Schar seiner Erwählten hinabblickt, Surrogat, das hinter der Intensität des familiären Bezuges auf enttäuschende Weise zurückbleibt.
Der Trick, sich der so sehnlich vermißten Aufmerksamkeit zu vergewissern, besteht darin, in die Opferrolle zu schlüpfen.
Am Typus des Propheten und des Dichters versagen moralische Maßstäbe; Moses und Paulus waren Totschläger, Verlaine beging einen Mordversuch an Rimbaud, Celan an seiner Frau.
Verlaine, der schmutzig lebte, soff und herumhurte, verfaßte Verse von kristalliner Reinheit; er, der dem Laster der Unreinheit frönte, legte der jungfräulichen Madonna betörend duftende Lilien schneeiger Verse auf den Altar.
KZ und Gulag sind kein Bruch der Zivilisation, sondern die Hölle, in der ihre fortschreitende Linie mündet.
Was sagt die Meereswelle? Ich komme, ich gehe, ich kehre wieder.
Was sagt die Nacht? Ich bin tiefer als das Dunkel in dir, denn dies gebiert keinen Stern, mir aber glänzen Augen, mir glänzen Tränen.
Was spricht der Wind mit dem Blatt? Wir sind verschworen, nur wo du rauschst, nur wo du flatterst, bin ich zu finden.
Der Auswurf der See am einsamen Strand, Qualle, Seestern, Muschel und Treibholz, ist wie der Traumrest zwischen den Zeilen, den keiner zu deuten vermag.
Ballen, häufen, verklumpen sich die Zeichen, verschwimmt der Sinn. Ein Sturm muß kommen, damit sich das tote Laubwerk lichtet und frisches Blau durch die Zweige tropft.
Über der Geborgenheit des Wohnens der Menschen, der Sprache, zucken nächtliche Blitze.
Der Dichter geht nach draußen in die Nacht, bis der Schimmer der heimatlichen Fenster, ja die Erinnerung an diesen Schimmer, sich mit dem glänzenden Schaum des Grenzenlosen vermischt.
Hoffnung, graue Maus
Vom stillen Golde stürzt hinab zum Blechgebell der Pfad,
vom Porphyr hymnenübergossener Throne
zum fein durchs Hirn gesponnenen Leitungsdraht,
daß uns vom Blitz Prophetenwort verschone.
O hätte Siegerarroganz uns doch kastriert
die giftigen, die Feuerschlote,
umhüllt des Waldschrats dichterisch Geviert
mit Stille unser Land wie einer Mondviole Schote.
Wer haut den Kahlschlag ins Gehölz der Sprache,
daß öffne eine Lichtung sich getrübtem Sinn,
und welche Sonne trocknet des Geschwätzes öde Lache,
daß leise Gräser flüstern vor sich hin?
Die Hoffnung wuselt, eine graue Maus,
im Dickicht nachtumrankter Augur-Zeichen,
Minervas Eule macht ihr den Garaus,
sie fiept noch, wenn die Schattenschwingen streichen.
Doch barg sie Samen sich im mütterlichen Nest,
die unterm Schnee wie Kinder in der Wiege
hindämmern, bis ein Strahl sie weckt und keimen läßt,
als triumphierte lächelnd Eros in homerischer Intrige.
Die Sternenmythe
Ist es der ewige Reigen,
wie es die Sternenmythe uns sagt,
dunkeln und wieder sich glänzender zeigen,
Sonne, Gericht, das immerfort tagt?
Doch von Myriaden fern blitzender Scharen
ist uns die nächtige Mitte verstellt,
wir können nicht alles in allem erfahren,
nicht einmal ein Gott, der Ich sagte zur Welt.
Ist es von sphärischen Kreisen ein Kreis,
erhebend, was schon zu den Schatten gesunken,
Wechsel von Zeugen und Töten, Feuer und Eis,
aus Aschen wachgeblasene Funken?
Der Sinn durchzittert die wachsende Leere,
die zwischen Worten und Sternen aufklafft,
Anmut zerrinnt ohne ballende Schwere,
an Edens Flüssen wäre die Tugend erschlafft.
Ist es ein Wandern von Sagen und Samen,
Dichtung gesprossen aus Furche und Schoß,
ist es ein Ranken von heiligen Namen,
Schrift, die aus Schmerzen windet sich los?
Ja, der Maler bedarf der irdenen Farben,
tunkt er sie auch in ein himmlisches Licht,
Blüten aber, die nächtens erstarben,
ließen dem Dichter noch Duft fürs Gedicht.
Nachts mit dem Kahn
Wir lauschten im Schilf,
weiche Tropfen zersprangen,
der Teichrohrsänger rief
unseren Herzen, den bangen.
Wir nahmen den Kahn,
Ruder, es schäumte,
fiederwolkige Anmut, ein Schwan,
Mond, der im schwarzen Wasser Endymion träumte.
Ließen weiter uns tragen
von aufseufzender Welle,
müßig zu fragen,
ob heimatlich harrte noch eine Schwelle.
Auf der Insel sind wir erwacht,
rätselhart knirschte der Kies,
fremder wurde die Fremde, die Nacht,
die Funken ins schwankende Blätterwerk blies.
Im Eichenhaine, von Büschen verdüstert,
lagen wir Wange an Wange geschmiegt,
schwieg ich, hast du mir Dunkles geflüstert,
Träne, o Glanz, bald im Dickicht des Herzens versiegt.
Nichts galt es noch zu erreichen,
schwebte feucht glühend der Ball
im Geäst der uralten Eichen,
ja, wir hörten tief schluchzen die Nachtigall.
Die Weiden
Grün und silbern hat sie das Frühjahr beleuchtet,
selige Inseln im Auenmeer,
mit Tau des Abschieds der Herbst sie umfeuchtet
und der Hoffnung auf Wiederkehr.
An den Krümmungen sind sie gestanden,
wo der Wasserlauf wolkiger schäumt,
dort wo die Seufzer des Baches sich wanden,
Lilie und Sumpfdotterblume ihn säumt.
Wenn ihre Blütenkätzchen sich bauschen,
sind die Hummeln von Nektar betäubt,
Samen, die aus den Fruchtkapseln rauschen,
haben die weiblichen Narben bestäubt.
Und die behaarten nomadischen Samen, sie reisen
fern ins Ödland auf flügelnder Luft,
Wege der Fruchtbarkeit, sie übersteigen der Weisen
Weisheit, Mysterien aus Liebe und Duft.
Gedenke der großen Schleppe der Trauerweide,
wenn sie über ins Wasser sich neigt,
wie einsame Seele sie nimmt sich zum Kleide,
unter ihr dunkles Wehen gebeugt, alles fühlt sie und schweigt.
Wie grüne Schleier des Lichts uns umwallten,
daß wir schlummerten ein sogleich,
wie ihre wintergichtigen Finger sich krallten
um ein Traumbild des Mondes im verlassenen Teich.
Die Stimme geht mit
Am Fenster allein.
Ermattende Strahlen.
Dunkel lindert wie Wein
die Bilder, die Qualen.
Rieselt das Laub,
als obʼs nach dir fragt,
stelle dich taub,
harr aus, bis es tagt.
Und rinnt das Licht
dämmernder Auen
aufs Angesicht,
Träume, sie tauen.
Geh noch einmal,
nach Früchten zu sehen,
ins verwilderte Tal,
Trauben von Schlehen.
Und tastet dein Schritt
und dämpft ihn das Gras,
Flüstern geht mit,
nicht wer frag, nicht was.
Doch scheue die Weide,
tunkt sie ins Wasser ihr Blatt,
dort, wo ihr beide
schimmertet weich nach dem Bad.
Und gehst du zurück,
die flüsternde Stimme geht mit,
ob Unglück, ob Glück,
das Flüstern, die Stimme hält Schritt.
Dunkle Stunde
Es zittern deine Wimpern, Gras an Teichen,
wenn Abendwinde weich durch Schatten wehen
und über dunkle Wasser Schimmer gehen,
die sinken und das Ufer nicht erreichen.
Und was du sagst, ist wie ein Niederfallen
von schweren Tropfen aus den Dämmerungen,
gebrochner Zweige Schwanken, schmerzzersungen,
wie Gräserseufzen, müder Quelle Lallen.
Und deine Locken, frühen Lichts Gespiele,
wenn sie ihr Gold dem blauen Tag verpraßten,
sind nun der müden Schläfen Aschenlasten,
und ist kein Tauglanz, der auf Aschen fiele.
Dein Atmen ist ein banges Abschiednehmen,
die Woge, aufgerührt von kalten Monden,
auf der einst sonnenrote Blüten thronten,
verebbend kehrt sie heim zum Strand der Schemen.
Könnt ich an deiner statt ins Dunkel fließen,
daß Morgenlüfte dich ins Helle tauchen
und deinen Locken Engel Goldstaub hauchen,
um deine Schritte Mohn und Veilchen sprießen.
Sprach zu Gott der Lehm
Und Gott nahm vom Lehm,
Menschen sich zu bilden.
War er einsam ehedem,
wollte plaudern er in milden
Plaudereien, doch mit wem,
einem niederen Geschöpfe,
er, in dem das Wort besteht?
Dies begreifen nur die Tröpfe,
leere Spreu, vom Wind verweht.
Doch als wär er aufgeschreckt
aus dem Schlafe unbequem,
hätten Finger ihn geneckt,
sprach zu Gott der Lehm:
„Wolle mich nicht kneten,
gib mir kein Gesicht,
hauch mir deinen Odem
in mein Wirrsal nicht.
Hauch mir keine Seele,
daß ich mein bewußt
mich mit Fragen quäle,
ob ich Fülle, ob Verlust,
ob ich schweigen soll, ob singen,
wenn des Nachts die Quelle lallt,
oder bange Flügel schwingen,
weich von Schnee umwallt.
Will nicht zu dir beten,
weil mit hoher Kunst
du mir drehtest Locken,
Auge gabst und Fuß,
daß ich über Gras und Brocken
irr, den Mund voll Ruß.
Lass, o lasse mich dem Dunst.
Jugend geht in Freuden,
Strahlen ist ihr Ruhm,
doch es stinkt von Räuden
widrig Greisentum.
Wollust schnarcht in Kissen,
Zweifelsgeist bleibt wach,
unter Flockenküssen
liegt die Furche brach.
Aresʼ Helm, der glimmt
mondbleich wie die Lende,
nahm, daß er sie nimmt,
Venus in die Hände,
barg ihn sacht ins Gras,
wo ihr Schenkel zittert,
bis es klirrt wie zartes Glas
und er wieder ruhmumwittert
ihre falschen Tränen flieht,
jauchzend ins Gemetzel zieht.
Soll mir Mannes Dorn
von der Leere sagen,
soll ich, dunkler Born,
Fülle schweigend tragen,
zwiefach an Gestalt
Zwiefalt weiterreichen,
beides läßt mich kalt,
formlos soll mich Feuchte weichen.
Und es heitert mich der Ton,
der sich bildsam fügt Dryaden,
die mir opfern Wurm und Mohn,
Nymphen, die in meinen Senken baden,
und ihr lichter Leib fließt hin,
halt die Schale ich geründet,
deren weicher Mund ich bin,
Blüten sanften Strahls entzündet,
und die mich umwandeln, Schatten,
Totemgeister, können schlupfen
in begrünte Mulden, Matten,
wo sie herbe Kräuter rupfen.
Alles dies halb wie im Traum,
kein Gesetz hält mich im Zaum.
Laß dem Element mich dienen,
dem des Lebens Glanz entsprießt,
leg mir an nicht harte Schienen,
daß der Tanz des Pan verdrießt.
Reizt dich denn ein Bild,
das sich selber schaut erschrocken,
Quell, der aus dem Dunkel quillt,
den vom heißen Strahl bald trocken
trübsalmatter Kiesel füllt?
Willst du aber spiegeln
deines Dunkels Abgrund-Ich,
laß von Wolken dich umflügeln,
nimm den Schaum, nicht mich,
schöpf den Schaum von grünen Wellen,
die ein Sichelmond zerfetzt,
mag dein Psalm zerschellen,
wo Leviathan dich hetzt.
Mag dein steiles Sinnen
unter Engeln minnen.
Hauch nicht an den niedern Staub,
keine Zunge ihm verleihe,
er wird rauschen dürr wie Laub,
und sein hohes Lied sind Schreie.“
Das hingegebene Glück
Ist Glück die Blume, die im Monde fahlt,
ein Tropfen Milch, der bald ins Dunkel rinnt,
gib es dem Bildnis hin, das höher strahlt.
Das Bild ist keins, das Kunstverstand ersinnt,
durchformt er schmeichelnd auch den feuchten Ton.
Es ist des Eros und der Muse Kind,
es ist der Erde und des Himmels Sohn,
der wie mit Pindars trunknen Lippen spricht,
bekränzt mit Weinlaub und mit rotem Mohn.
Es ist der Krug, gefüllt mit dunklem Licht,
den uns die Hand der Jungfrau huldvoll reicht,
grünt ihr der Pfad entgegen, das Gedicht.
Und trinken wir, wird uns der Sinn erweicht,
die Stirn, verhärtet unterm Blitz der Nacht,
das Herz, vom langen Warten ausgebleicht.
Es ist, was zwischen Traumes Schilfen lacht,
die Quelle, tut sich auf der Erde Schoß,
ergraben nicht, an Lichtes Kuß erwacht.
O leuchte Glück, ist Opfer auch dein Los.
Sonnentau im Moor
Seufzen, Antwort der Erde,
tastet im Moorland dein Schritt
ins dämmernde Zwiegespräch.
Aber dein Schatten, er schweigt
brüderlich über den Pfad,
tönt noch im Rücken der Strahl.
Purpurner Tropfen, er rinnt,
Zeuge des wachsamen Dorns,
läßt kaum den Grashalm erzittern.
Doch in der Tiefe, was singt,
fleht ein Gebein um den Sarg,
auf verrottendem Moose zu gleiten?
Gehst über Geister du hin,
fremdester Schicksale Sang,
Echo verwehrt ihm dein Schmerz.
Dort aber glitzern sie, Perlen
an sehenden Todestentakeln,
die schlingen, ohne zu schmatzen.
Flügelndes Wort, Mücke,
bezaubert vom Sonnentau,
sirrt in den Untergang.
Es nährt, ekstatisch verstummend,
was sich verhüllte im Sinn,
der Erde schweigenden Glanz.
Noli tangere
Tastest an du, der noch trunken zittert,
des Fittichs veilchenblauen Hauch,
zergeht, zergeistert er zu Rauch,
der allen Odem uns verbittert.
Laß seufzen uns mit jenen Quellen,
um die das Gras der Gnade schwillt,
die aus dem Aug der Demut quillt,
die Träne soll die duldende, die Nacht erhellen.
Tastest an du, die wir aufs Wasser setzen,
die stillen Blüten des Gedichts,
zerblättern sie, und Kalk entweihten Lichts
wird weichen Wortes Haut verätzen.
Laß streuen uns aus Opferschalen
die Blüten vor das Gnadenbild,
daß Flügel uns, erhabene, umhüllen mild,
o leuchtet, Blüten, unsern dunklen Qualen.
An die Madonna
Wie Lilien blühen kann ich nicht,
die still dein hohes Angesicht
noch überfüllt mit holdem Schein.
Laß mich gering ein Tropfen sein,
der auf dem Blütenblatte blinkt
und schon ins dunkle Innre sinkt.
Der reine Lobgesang des Quells,
dir Anmut sprudelnd aus dem Fels,
ihn trübte ja mein Hauch wie Glas.
Dem Stern der Nacht zum Abschiedsgruß
laß seufzen mich vor dir wie Gras,
ach, möchte streifen es dein Fuß.
Vor deines Blickes sanftem Licht,
das unser Dunkel küßt von fern,
wie blind und stumm ist mein Gedicht.
Laß mich, von dem der Nachttau glitt,
ein Kiesel sein, gehst du zum Herrn,
ach, knirschte er von deinem Schritt.
Und birgst du deinen Sohn im Schoß,
hab ich kein Wort, ein Stammeln bloß,
wenn unbewußt die Träne rinnt.
Laß sein mich, was den Mantel bauscht,
was sanft dir durch die Locken rauscht,
die Träne trocknet, weich ein Wind.
Der Ruf des Pan
Kalter Aschenstaub rinnt über Blätter hin.
Schon ragen Schattenpalisaden.
„Bist du noch da, weißt du noch, daß ich bin?“
Stumm, alles stumm, Verliese ohne Gnaden.
Wenn im Dunkel du ein Seufzen hast gehört
und flehst: „Bist du es, stehst du auf der Schwelle?“,
war es, die immer selber sich betört,
des eignen Herzens nachtgeweinte Quelle.
Öffnest du das Fenster blauem Dufte auch
und flüsterst: „Wolke, laß mich mit dir fliehen!“,
löst sich die Wolke auf in grauen Rauch,
und tote Knochen sind, die niederziehen.
Klagst über Knospen du, die sich nicht aufgetan,
als wär der Tau der Liebe abgeflossen,
ruft aus dem dürren Laube Pan:
„Du bist es selbst, hast selber dich verschlossen!“
Versagend sagen
Wir können nicht wie Mücken schwirren
im unbewußten Schoß des Lichts,
wir sind, die durch die Wüste irren,
den Geist, das unbesamte Nichts.
O könnten schwärmen wir wie Mücken
auf grünem Teich im Abendrot
und fühlten nicht, wie Schnäbel pflücken
und Schnäbel klaffen dunklen Tod.
Uns kann kein guter Hirt befreien
aus Wahngestrüpp und Todessog
und wieder in die Herde reihen,
zu rupfen Frieden aus dem Trog.
Ach könnten Lämmer wir uns letzen
an dem narzissenhellen Quell
und sähen nicht die Messer wetzen,
nicht der Geschwister blutend Fell.
Wir können nicht wie Blumen schweigen
bei weichen Wassers Lobgesang,
wir sind wie traumgeflammte Geigen,
die lüstern seufzen Untergang.
O könnten wir wie Rosen wehen
den Duft, daß Liebe länger träumt,
und blassend Blatt für Blatt vergehen,
weil Julias Nachtigall gesäumt.
Ferne Brunnen
Wenn wir aus dem Fenster schauen,
sitzt das Täubchen auf dem Dach.
Ob es sich noch mag getrauen,
auf den grauen Asphalt fliegt,
wo gestreute Körner blinken,
oder Scheu den Mut besiegt
Zuflucht ihm die Gärten winken?
Samen aber von dem Stamme,
weich umperlt von Edens Wasser,
Funken hoher Rosenflamme,
sprossen sie auf Herzens Krumen,
sanken sie nicht blaß und blasser,
wie vergeßne Zimmerblumen?
Wenn wir die Gedichte lesen,
die ein Hafis zitternd schrieb,
der im Paradies gewesen,
wissen wir denn, was uns blieb,
unser harrt im Abendrot?
Wortes Blume, die geblüht
in dem morgenstillen Garten,
trat Geschwätz sie fühllos tot?
Müßten wir aufs Wunder warten,
daß die Wolke, die so müd
und die Herzen macht so bang,
regnet über Nacht sich aus,
Tau erweicht die spröde Sprache?
Sollen wir, wie lang, wie lang,
auf zu tauben Himmeln flehen,
bis durch unser dunkles Haus
hellen Auges Engel gehen?
Doch uns trübt sich nur die Lache,
sternenlose, zwischen Steinen,
und wir hören nur im Traum
ferne Hafis Brunnen weinen,
tags bleibt stumm vor Lärm der Raum.
Mars
Er spaltet wie ein Blitz den Schlaf der Völker.
Er ist die Wildnis wirr gerankter Schatten
an Zaun und Pfahl, die unter seinem Pfiff,
die unter seinem Aufschrei knirschend brechen.
Bluttau am Morgen, Schorf im Abendrot,
aus Rosen tropfend Blut, aus Rosen Flammen.
Er ist der Gott, ein Knie aus Erz zu wühlen,
die bronzene Hand in ein Hornissennest,
und Funkenschwirren ist sein trunknes Lied,
gespien aus schwarzem Schlunde Aschenflug.
Er nimmt zum Panzer sich des Mannes Brust,
worin der Schnabel einer Krähe hackt,
das Herz versank im Moor der Eingeweide.
Er nimmt zur Maske sich das Mannsgesicht
und setzt ihm Augen ein aus grünem Glas,
worin der rote Mohn des Acheron
sich widerspiegelt, und der ätzt, sein Schaum.
In seine Stirn ritzt er das Ruhmessiegel,
die Krallenrune, die obszön sich spreizt,
doch seine Wangen tüncht er mit dem Saft
der Vogelbeere und die Lippen lüstern
wie einer Hure, die am Dreiweg fletscht.
Er hat zu heißen Kündern sich erwählt,
die unter Waffen tanzen, Salierpriester,
dumpf erdröhnen Schilde, hämmern Lanzen,
und purpurn das Gewand, es flattert geil,
wenn sie sich schütteln, wenn sie stampfen, aber
auch ihnen singt, der Blut getrunken, Vates.
Mars kann nicht schlafen, nimmt ihm auch den Helm
die Liebesgöttin ab vom Brand der Locken,
Helm, der unterm Mond im Grase glänzt
an ihren nackten Schenkeln eine Weile.
Er kann nicht schlafen, täuscht den Schlaf nur vor,
ein Wolf, der stumm im dichten Buschwerk lauert
und wittert schon von fern die Angst des Rehs,
im Geäst der Nacht die Schleiereule,
die ihre Augen rollt und plötzlich stürzt
auf stillen Schattenschwingen, die Grubenotter,
die noch in der Dunkelheit, gottloser,
das warme Blut des blinden Opfers sieht.
Und was wir Frieden nennen, betört vom Schauer,
den uns gebahnten Wassers grünes Seufzen
aufs müde Antlitz weht, ist nur die Frist
des kurzen Müßiggangs, bis seiner Egge
krumme Eisendornen der Krieg durch Wehr
und Dämme zieht, daß braune Fluten steigen
und mit sich reißen Wiege, Herd und Bild.
Dort kreist die nackte Puppe in den Strudeln,
und die ertrinkend nach der Gottheit rufen,
nie hält sie gnädig auf ein Sternenblick.
Fluten, lechzend über der Kapelle Stufen,
auf des Altares reine Zeichen spritzend.
Hinabgestürzt aus ihres Traumes Nische,
entflattert eine Taube in die Nacht
und findet keines Zweiges schmalste Rettung,
und findet keine Schwester sich zum Trost.
Muß Sapphos Taube sterben, Mars senkt manchmal
Samen in dunkler Erde Schoß, daß blühen
auf die Reiche, o Rom, ach Spree-Athen.
Der Schuß
Vergeßnes knirscht wie weißer Sand,
den eines Albtraums Zähne mahlen,
Erinnern rinnt aus müder Hand
wie Tropfen Lichts in Blumenschalen.
Von einem Schuß verscheuchte Schar
sind weggeflattert all die Worte,
die uns genistet Jahr für Jahr
in Büschen vor der offnen Pforte.
War es ein Schuß? War es vielleicht
ein Grollen aus dem Spalt der Erde,
dem trüber Dunst seither entweicht,
daß unser Sein Schlafwandeln werde?
Das Herz so grau, die Lust so fad,
das süße Zwitschern kehrt nicht wieder,
die Zeile nackter Maschendraht,
kein Vogel läßt sich darauf nieder.
Geschwätz löst auf des Lebens Saum,
Geschwätz zersetzt, was wir noch lieben,
der Dichtung blieb ein loser Flaum,
vom Nachtwind hin- und hergetrieben.
Den Schimmer laß
Den Schimmer laß im Blütendunst.
Er blendet schon zu sehr.
Im Wasser such kein Spiegelbild.
Es lächelt Schlaf dir schon.
Die Flocke schüttle aus dem Haar.
Sie lastet schon zu schwer.
Vom Abend nimm den lauen Wind,
getränkt von weißem Mohn.
Dem Sommer laß die gelbe Frucht.
Sie hat der Süße schon zu viel.
Und fällt dem Herbst sie in den Schoß,
dem dumpfen Klang dein Herz verschließ.
Trink nicht den Tau des toten Monds,
dein Blut ist schon zu kühl.
Der Schwermut finde Licht im Schnee,
des scheuen Tieres Fährte lies.
Zwiegespräch im Karst
„Bist du es noch, der mit mir aufgebrochen?
Es wandelt sich dein Antlitz wie der Mond,
wie Wasser auch, das bunte Blätter kräuseln,
und plötzlich spannt es sich im Sonnenglanz,
und deine Stimme wie der Quelle Rauschen,
wenn über Moos sie oder Kiesel rinnt.“
„Ich bleibe, der dir anvertraut das Siegel,
an jenem Morgen, als die Lerche stieg,
dem du das schöne Amulett gegeben,
das immer noch auf meinem Herzen wogt.“
„Doch sind wir nicht auf jenem Pfad geblieben,
der sanft uns durch ein Uferschilf geführt,
um mit dem Strom uns hoffend vorzufühlen
zum wolkenlosen Tag des freien Meers.“
„Wir mußten vorm Gezücht der Schlangen weichen,
die unser Schweiß aus jener Gruft gelockt,
wo sie sich um verweste Dinge ringeln,
vor Schatten, die sich von der Glut genährt,
wir hörten sie, ins Feuer starrend, kichern,
und andern Strahlen folgen, andrem Duft,
der uns von Gärten nicht, nicht goldnen Blumen,
der fremd aus dieses Karstes Ritzen dringt.“
„So fremd der Duft, so wenig haucht er Leben,
uns rufen aus der Tiefe Rätsel bloß,
wie ruheloser Seelen Klagestimmen,
und unser banger Schritt gewährt kein Trost.“
„Doch siehst du nicht am Horizont es flügeln,
und hörst du nicht, und wäre es im Traum,
ein süßes Flüstern wie von Meereswellen,
dorthin, dorthin, wo Leben wiederkehrt!“
„Ach, Freund, laß mich auf trockner Erde liegen,
mir sind die Knie schwach, das Herz ergraut
auf dieser langen Reise, laß mich liegen,
auch hab ich im Gewirr der Stimmen nun
erkannt die eine, die Klage toter Liebe,
der ich noch lauschen will, in dunklem Bann,
verriet sie blinder Tag, Nacht hält die Treue.
Mein Schicksal ist der blütenlose Karst,
dein Antlitz leuchte auf im Schaum der Woge.
So nimm das Siegel, leg es in den Sand,
daß sein Juwel noch in der Sonne funkelt,
bis es die Brandung reißt ins blaue Grab.“
„O Freund, so nimm das Amulett du wieder,
worin der Liebe kühle Perle schlummert,
wie einer Träne schmerzlicher Kristall,
und wenn von drunten du die Stimme hörst,
und willst ihr gläubig folgen in die Tiefe,
und mußt ihr trunken folgen in die Nacht,
magst du es küssen noch mit blassem Mund,
bevor sich eure Seelen sanft umranken.“
Die Bettelkinder
Die Eule, grau wie kalter Rauch,
die auf ihr Opfer lauert,
es grausam zu umkrallen,
begreift nichts von dem Liebeshauch,
der Sapphos Herz umschauert,
betören Nachtigallen.
Die zarten Gesten Schatten gab
und hielt dein Auge offen,
in dunklem Glanz zu schwimmen,
die stille Kerze ward zum Grab,
des Dunkelfalters Hoffen
zart knisterndes Verglimmen.
Der reinem Gipfelquell entsprang,
der Wüste Überwinder,
das Lächeln unter Weiden,
versickert ist der Lobgesang,
wir sind wie Bettelkinder,
die ungetröstet scheiden.
Traumgegacker
Bin ich wach, hör ich ein Gackern,
tasten da nicht Schimmer?
Dreh den Kopf, dreht sich das Zimmer,
unterm Bett wohnt goldnes Flackern,
golddurchsponnen liegt ein Stroh,
schön gewölbt ein Nest.
Und ein Huhn mit Mondgefieder
plustert sich und redet so:
„Träumer Dichter, träumst du wieder,
halte holde Bilder fest,
laß mich hier im Dunkel hocken,
Liebesglucke, die ich bin.
Fade wär ein Hühnerleben,
Gottes Schöpfung müßte stocken,
würden keine Küken ritzen
lang gewärmte Schalen.
Sind nicht Worte, bunt gescheckt,
worauf Dichter brütend schwitzen,
bis sich pochend Sinn entdeckt?
Streue Sonnenkörner hin,
hörst du hell die Kleinen fiepen,
ich will glucken, bis die Kahlen
Flausch und Flaum und Vlies umschweben.
Träum noch, Dichter, gute Weile,
bis die Brut gelang,
endlich schreibst du eine Zeile,
die dem Ei entsprang.“
Bald erstarb das goldne Flackern,
Funkenepigramm,
bald erlosch das süße Gackern,
Traum und Bild und Sinn verschwamm.
Paul Verlaine, Art poétique
De la musique avant toute chose,
Et pour cela préfère l’Impair
Plus vague et plus soluble dans l’air,
Sans rien en lui qui pèse ou qui pose.
Il faut aussi que tu n’ailles point
Choisir tes mots sans quelque méprise :
Rien de plus cher que la chanson grise
Où l’Indécis au Précis se joint.
C’est des beaux yeux derrière des voiles,
C’est le grand jour tremblant de midi,
C’est, par un ciel d’automne attiédi,
Le bleu fouillis des claires étoiles !
Car nous voulons la Nuance encor,
Pas la Couleur, rien que la nuance !
Oh ! la nuance seule fiance
Le rêve au rêve et la flûte au cor !
Fuis du plus loin la Pointe assassine,
L’Esprit cruel et le Rire impur,
Qui font pleurer les yeux de l’Azur,
Et tout cet ail de basse cuisine !
Prends l’éloquence et tords-lui son cou !
Tu feras bien, en train d’énergie,
De rendre un peu la Rime assagie.
Si l’on n’y veille, elle ira jusqu’où ?
O qui dira les torts de la Rime ?
Quel enfant sourd ou quel nègre fou
Nous a forgé ce bijou d’un sou
Qui sonne creux et faux sous la lime ?
De la musique encore et toujours !
Que ton vers soit la chose envolée
Qu’on sent qui fuit d’une âme en allée
Vers d’autres cieux à d’autres amours.
Que ton vers soit la bonne aventure
Eparse au vent crispé du matin
Qui va fleurant la menthe et le thym…
Et tout le reste est littérature.
Ars poetica
Nur reine Klänge dir erlose,
und jeden kröne andrer Duft,
ein Rätsel leicht gelöst in Luft,
und nichts daran sei Prunk, sei Pose.
Nimm Worte auch in dein Gedicht
aus Funken erschauernder Ranken:
Köstlicher nichts als Verse, die schwanken,
wenn Schatten spielen mit dem Licht.
Schön der Blicke verschleiertes Flirren,
groß der Mittag, von Gluten durchwallt,
und im Himmel des Herbstes kalt
heller Sterne bläuliches Wirren!
Zwischentöne, sie quillt unser Born,
nicht pastose, sondern vage Töne!
Sie nur paaren zu bräutlicher Schöne
Traum und Traum, Flöte und Horn!
Die Pointe, die tödliche, banne mit Flüchen,
Geist, der beißt, und Lachen, das speit,
der Himmel weint ob solcher Widrigkeit,
und all den Knoblauch plebejischer Küchen!
Beredsamkeit, den Hals dreh ihr um!
Mußt deiner Kräfte dich nicht schämen,
den Reim ein wenig zu bezähmen,
paßt du nicht auf, wird er dir krumm.
Wer zählt sie auf, vom Reim verhunzte Zeilen?
Welch taubes Kind, welch dumpfer Tor
ist schuld, daß dies Juwel an Glanz verlor,
hohl tönt und falsch vom vielen Feilen?
Nur reinen Klängen ewig unser Sinn!
Dein Vers sei, was du fühlst entfliehen
mit Seelen, die in Fernen ziehen,
zu andern Himmeln, andern Lieben hin.
Dein Vers sei hohen Aufbruchs Spur,
streu ihn auf früher Lüfte Bahn,
wo Minze duftet, Thymian …
der Rest ist nichts als Literatur.
Die Wehgeschwister
Blüten weiß und blauer Flammen,
hingeweht aus leerem Raum,
Knospen, die ins Dunkel schwammen,
Schmerz verblassend, Wehmutschaum.
Hat ein weiches Moos getragen,
hielt an Fäden uns der Mond,
und ein Wort zu viel zu sagen
wurden wir, o Kuß, verschont.
Und was keusche Wolke hüllte,
Abgrund, dunkelblauer Schoß,
legten immer ungestillte
sternenkalte Blicke bloß.
Bargen wir uns in die Lauben,
Wiege eines lauen Winds,
Gurren sagte: „Ach, wir Tauben,
eure Wehgeschwister, sind’s.“
Rien que la Nuance
Philosophische Sentenzen und Aphorismen
Que ton vers soit la bonne aventure
Eparse au vent crispé du matin
Qui va fleurant la menthe et le thym…
Et tout le reste est littérature.
Dein Vers sei hohen Aufbruchs Spur,
streu ihn auf früher Lüfte Bahn,
wo Minze duftet, Thymian …
der Rest ist nichts als Literatur.
Paul Verlaine
Das Seltene den Seltenen.
Goethe, der Dichter des zweiten Gesichts. Wie sollte ihn verstehen, wer nicht selbst aus dem Laub der Nacht das grinsende Gespenst seines eigenen Daseins hat heraustreten sehen?
Der Überwulst des Intellekts, der in der Gestalt des dick bebrillten, ungeschlachten Schädels auf schmächtigem, in Lederhosenröhren versinkendem Rumpf das Gespött rüder Schulbuben war, vermag sein Stigma wohl mittels blendender Rhetorik oder liebedienerischer Clownerien zu verwischen, ist uns aber kein Garant höherer Intuition, wie sie der dichterischen Sphäre einzig gemäß ist.
Dichterische Intuition, ein kaum erforschter Sachverhalt, der in organische Tiefen und spirituelle Höhen ragt.
Der Symbolismus im Lichthof eines Baudelaire, Verlaine und Mallarmé war die letzte Hochgestalt abendländischer Dichtung; er irisiert in Dichtern wie George, Trakl oder Yeats nach und ermattet in den schweren Atemzügen des späteren Benn.
Das Wort zeigt sich uns nicht nackt, sondern wie der umhüllte Kern der Nuß. Was wir Überlieferung nennen, ist die Hülle und Schale, ohne die der Kern nicht reifen kann.
Jetzt triumphieren die Zeitungspoeten und Laufstegpoetinnen, die johlend den Hammer schwingen, unter dem die bewahrende Schale des dichterischen Worts in tausend Splitter zerplatzt.
Der Dotter oder die eigentliche Substanz des Worts wird in infantilen Regungen herausgelöst, berochen, chemisch und genetisch analysiert, um verborgene Spuren seines Sinnes zu ermitteln. Die zertrümmerten Schalen, Dichtungsmuster vom Versmaß bis zu hohen Hymnenstrophen, liegen unterm Tisch wie Späne, auf denen wohl ein Mädchenfuß mag weicher schreiten. Was tun mit zerbrochenen Bögen, Säulen, Kapitellen, Fratzen, die an den hohen Pforten alter Dichtung und in den Gängen der alten Strophen von oben Wasser spien, Engeln, die ihre Flügel von Vers zu Vers, von Strophe zu Strophe spreiteten, erlesenen Köpfen, deren Aura ihre Züge ins Überwirkliche verzerrte, auflöste, erhöhte? Sie werden rasch entsorgt wie Spolien eines Vernichtungskriegs; fort wie Mumien ins Museum verbracht und dort von biederen Amtmännern in Ärmelschonen registriert und als schöne Leichen restauriert, als nunmehr dem lebendigen Verkehr entzogene Monstrositäten ausgestellt. So klärt das Verhältnis der neuen Zeit und ihrer bestallten Sachwalter zur abgetanen Kunst und Dichtung der Väter sich zu einer von einem arroganten Lächeln gemilderten stummen Indifferenz.
Sie bebrüten nicht das Ei der Inspiration, sondern knallen das rohe Ei aus dem Supermarkt feiler Einfälle gleich an die Wand.
Verse, die nicht gezeugt, nicht geboren sind, sondern gemodelt.
Wird nicht der Logos ewig gezeugt im himmlischen Blitz, wieder und wieder geboren im dunklen Schoß der Sprache?
Die Retorte, wie sie in der künstlichen Zeugung zu siegen anhebt, hat die Sprache schon absorbiert.
Nur in den Höllen der totalitären Vernunft wird der Mensch mit Absicht gezeugt oder hergestellt; Absicht, die eine humanitäre Phrase und ihre blecherne Übersetzung in eine technische und chemische Formel ausdrückt. So auch das Wort, das man der Absicht einer höheren moralischen Botschaft und universal segensreichen Mitteilung unterwirft.
Sprechen, mit der Absicht, erkannt und wiedererkannt zu werden, gleicht dem Verhalten des Hundes, der an jeder Ecke seine Duftmarken setzt.
Eitelkeit scheint sich wie mit einem Lautsprecher vernehmlich zu machen, ist aber in Wahrheit der Knebel im Mund des Dichters, der ihn röcheln läßt.
Die Frau verführt in ihrer fruchtbaren Phase unwillkürlich mit Blicken, Düften, Gesten; das Gedicht, das mit Farben, Klängen, Bildern die Absicht verfolgt zu verführen, aber ist steril.
Die Erfüllung der Ideale der Aufklärung, Gleichheit und Glückseligkeit aller, ist der humanoide Klumpen in der Nährschale des medizinischen Labors, der künstlich mit allen lustbringenden Reizen zu somnambulen Reaktionen stimuliert wird, aber des individuellen Ausdrucks und also einer ihm eigentümlichen Sprache freudig entsagt. Denn der individuelle Ausdruck birgt die Gefahr eines archaischen Gestus und einer sich selbst feiernden Sprache, die für andere unzugänglich, rätselhaft, unverständlich wäre.
Die Idiotie der Gleichheit der Geschlechter, Begabungen, Rassen und Kulturen ist ein Ausdruck der Angst vor dem quälend Rätselhaften und grausam Mysteriösen des lebendigen Daseins.
Ein Dichter wie Hölderlin mußte einen Schlag aufs Haupt bekommen („Apollon hat mich geschlagen“), um den hohlen und bleichen Allegorien seines Zuchtmeisters Schiller und also der deutschen Version der Aufklärung zu entkommen und jenseits des Gleichschritts fortschrittlicher Gesinnungsbataillone unter dem Flattern der Trikolore zu eigenem Rhythmus und eigener Stimme durchzudringen.
Nochmals der das Anathema von Literaturpäpsten herabbeschwörende Hinweis: Hölderlin ist groß trotz Schiller, Fichte und Hegel.
Selten, im Sinne der Gaußschen Normalverteilung, sind jene, deren hypertrophe und verstiegene sensorische Ausstattung und physiologisch bis ins Krankhafte getriebene Hellhörigkeit und Feinfühligkeit sie zu Aristokraten und Parias der sozialen Masse nobilitieren oder verurteilen.
Der eine vermag musikalische Klänge und Akkorde in farblichen Mustern zu sehen; ein anderer hört den Nebel wallen, Gestirne tönen.
Goethe sah in den Rhythmen von Tag und Nacht und der Jahreszeiten das Drama des Einzelnen und der Menschheit.
Einer, ein einziger, erfindet ein odisches Strophenmuster, das über Jahrtausende die Dichtung des Abendlandes zu sublimsten Aufschwüngen inspiriert hat.
Einer sieht im Auge der Geliebten den Brunnen, in den ohne Wiederkehr hinabzusteigen ihm sich als Sinn des höheren Eros offenbart.
Jene im Zwischenreich des Mythos, die zum ersten Mal im Gestaltwandel des zu- und abnehmenden Mondes das Wesen der Frau erkannten.
Einer, der unter Liebe versteht, die Löcher in der Aura der Geliebten mittels Hingabe des eigenen Seelenlichts zu füllen.
Je differenzierter und subtiler die sinnliche Organisation des Hochbegabten, umso einsamer ist er.
Die Tapferkeit des Erwählten bewährt sich in der Annahme seiner notwendigen Einsamkeit, ob sie nun tragische oder komische Züge annimmt.
Wer aus der horazischen Menge wird nicht höhnen und es als Ausdruck verzärtelten, luxurierenden Daseins verunglimpfen, wenn ein Hofmannsthal oder Rilke klagt, ein bestimmter Luftdruck verursache ihm seelische Schmerzen oder der im Abendlicht glitzernde Tau blende ihn?
Der vulgäre Geschmack bedarf stechender und immer schärferer Reizmittel, um überhaupt etwas zu empfinden. Grelle Farben, schreiende Kontraste, blutig erigierte Nasen und wackelnde Geschlechtsteile müssen über die Bühne strömen und feixen und sich wälzen, damit er nicht gähne.
Hohltönende Rhetorik der Anklage und Kritik, wie sie etliche Seiten des Hyperion aufbläht, sind stets ein Anzeichen dafür, daß die dichterische Seele noch unerfüllt blieb, nicht im Knospenschoß der eigenen Sprache atmet und ruht.
Stirb oder werde! Nicht: Übe Kritik und gähne!
Ein Übermaß von Begabung hat meist ein entsprechendes Maß pathologischer Seelenverformung zur Folge. Der Hellsichtige sieht leicht Gespenster, der Hellhörige vernimmt feindselige Schritte im Gang.
Der hoch Empfindsame bricht nicht nur unter jählings einfallendem Hochdruck ins Knie, sondern neigt zu masochistischer Selbstquälerei, da ihm der aktive Ast des Wachstums kahl geblieben oder abgebrochen ist.
Der Übergesichtige tendiert zum Voyeurismus und schließt sich depressiv in seine platonische Bilderhöhle ein; der Überempfindliche neigt zu Ausbrüchen blinder Wut, der Feingeist zum Grobianismus, der Pilger der blauen Blume zu selbstverzehrendem Schmachten.
Der Eloquenz und Rhetorik aus dem Arkanum der Dichtung verbannt hat, sitzt verdrossen und schweigsam in der Ecke der Kneipe oder schwadroniert nach dem dritten Glas auf fremde Tischnachbarn ein.
Jenen, die eine Grisaille unendlicher Übergänge zwischen Hellgrau und Dunkelgrau malen, verbrüdern sich, die Schwellen und Stufen der sich vertiefenden Stille im Lauf des Mondes über einen Teich in der Abenddämmerung bedichten.
Die auf den Zuschauersitzen dösen, wobei zu dösen ein anhaltender Ausdruck ihrer seelischen Konstitution darstellt, lechzen naturgemäß nach einer schallenden Ohrfeige, einem schwarzen Saxophongellen oder einem apokalyptischen Hufschlag, damit sie aufschrecken und nachsehen, was da wieder los ist.
Denen ein feuchter Windhauch genügt, um zu fühlen, daß die Dämmerung naht, denen ein vager, moosiger Dunst die Nähe der verborgenen Quelle anzeigt, zu der sie aufgebrochen sind, und denen das bang zitternde Geläute aus dem hinter hohen Eichen kauernden Dorf die Erinnerung an eine sonntägliche Pastorale der Kindheit weckt, sie sind wohl rechtens als für dichterische Andeutungen und Nuancen empfänglich zu betrachten.
Die Genien
Im Nebel, der im hohen Strahl sich lichtet,
aus Wassern wieder weich im Dämmer quillt,
gewahren sie, wie ewig Gottheit dichtet,
wie hellem Tag entwölkt sich Traumes Bild.
Die aber Tropfendunst im Nebel sind,
sie bleiben für das große Bildnis blind.
Gewundne Muschel hört die Zwischentöne,
im Echo leisen Reims, was ungesagt,
wo flaches Ohr verstopft ein Lustgestöhne,
die Maus, wie sie am Seelenfaden nagt.
Die selber Körner sind im Weltenstaub,
sie bleiben für sein dunkles Seufzen taub.
Im Nachtlaub Liebesblicke glühen sehen,
im feinen Lächeln blitzen Ironie,
auf Mondes Brücken über Wasser gehen
vermag nur hellen Sinnes das Genie.
Die aber Trübsal schwärzt in blauer Luft,
sie bleiben Schatten in der Schattengruft.
Als küßten sie des Schicksals scharfe Klinge,
wohl torkeln sie, doch nein, sie bluten nicht,
entflattern Verse bunt wie Schmetterlinge,
als hätten trunkne Herzen kein Gewicht.
Doch deren Fühler Lebensangst zerriß,
sie bleiben dumpf, weil ja der Tod gewiß.
Was willst du, Mensch?
Die Gletscher ziehen ein die grauen Zungen,
und über Nacht sind auf dem dürren Plane
der Löwenzahn, die Hasel vorgedrungen,
bald weht der Buche leuchtend grüne Fahne.
Weich sind die Brüste, moosumseufzte Matten,
in denen Träume süßen Wassers rinnen,
ein Ziegengott liegt nackt im Mittagsschatten
der Eiche, Halmgeflüster ist sein Linnen.
Es raschelt im Gesträuch, die braunen Nüsse,
ins Ried gerollt, roch eine feine Nase,
und drunten rauschen sagenblau die Flüsse,
des Mondes müd tropft weicher Tau vom Grase.
Was willst du, Mensch, mit deinen leeren Händen,
die Welt ist ausgefüllt vom Schmelz der Samen,
willst du dem Herbst das goldne Vlies entwenden,
in Sommers Rinde ritzen deinen Namen?
Und fühlst du Inbrunst in den Adern steigen,
erklimm die Höhe, bis die Glieder starren,
und schau hinauf ins grenzenlose Schweigen,
hinab, wo deiner keine Siege harren.
Dann gehst du leise aus dem Zimmer
Dann gehst du leise aus dem Zimmer,
wo Veilchen schon und Rosen blassen,
uns bleiben Mondes bleiche Schimmer,
die uns dein Angesicht gelassen.
Wie nächtlich aufgeschäumte Funken
in dunklen Weins kristallner Schale
hat unser Schmerz dein Lied getrunken,
den edlen Trank beim Abschiedsmahle.
Aus sommerlich verwehten Samen,
die blind in unsre Herzen fielen,
erblüht dein Geist in süßen Namen,
den Knospen, womit Bienen spielen.
Von deinem Mund geküßten Steinen
entquollen weichen Wassers Sänge,
die harten Augen durften weinen,
daß uns der Sanftmut Blick gelänge.
Warum du kamst, fort mußtest wandern,
geheimnisvoller Flügel Schatten,
die auf dem Schnee des Monds mäandern
und wenn die Sonne steigt ermatten.
Aller Hauch war kalt
Es war ein Kommen und ein Gehen.
Gab denn kein Antlitz Halt,
nicht heimatlicher Düfte Wehen?
Ach, aller Hauch war kalt.
Wir brachen Worte aus den Steinen.
Wuchs nicht ein Moos darauf,
ein warmes Fleisch auf zarten Beinen?
Geklapper war ihr Lauf.
In Lüften wölkten uns Gestalten.
Brach keine Sonne durch,
daß sie in Anmut niederwallten?
Am Boden blieb ein Lurch.
Wir sproßten leer auf faulen Krumen.
Ward nicht der Geist entsandt,
mit Pollen mondgetränkter Blumen?
Man hat die Frucht verbrannt.
Wir sind auf Wortes Dung gekrochen.
Sprach denn kein Stern herab,
war Liedes Treppe denn zerbrochen?
Mond schwieg wie überm Grab.
The cat went here and there
And the moon spun round like a top,
And the nearest kin of the moon,
The creeping cat, looked up.
Black Minnaloushe stared at the moon,
For, wander and wail as he would,
The pure cold light in the sky
Troubled his animal blood.
Minnaloushe runs in the grass
Lifting his delicate feet.
Do you dance, Minnaloushe, do you dance?
When two close kindred meet,
What better than call a dance?
Maybe the moon may learn,
Tired of that courtly fashion,
A new dance turn.
Minnaloushe creeps through the grass
From moonlit place to place,
The sacred moon overhead
Has taken a new phase.
Does Minnaloushe know that his pupils
Will pass from change to change,
And that from round to crescent,
From crescent to round they range?
Minnaloushe creeps through the grass
Alone, important and wise,
And lifts to the changing moon
His changing eyes.
Die Katze und der Mond
Die Katze, sie ging auf und ab,
und wie ein Kreisel schwirrte der Mond.
Der nächste aus des Mondes Sippe,
Schleicher Katze blickte hinan,
Schwarzer Minnaloushe glotzte an den Mond,
wird wieder streunen, wieder heulen,
die Leuchte am Himmel, rein und kalt,
ließ das Katzenblut ihm aufschäumen.
Minnaloushe huscht rasch ins Gras,
die empfindsamen Füße, sie schweben.
Ist das Tanzen, Minnaloushe, ist das Tanzen?
Wenn Vettern die Ehre sich geben,
wie besser es nennen als Tanzen?
Vielleicht übt der Mond noch allein,
müde der vornehmen Mode,
einen flotteren Tanzschritt ein.
Minnaloushe schleicht hin durch das Gras,
von Mondfleck zu Mondfleck er tritt,
des Mondes Heiligenschein
bekommt einen neuen Schnitt.
Weiß Minnaloushe, daß mondne Pupillen
ein ewiger Wandel erfreut,
sich runden immer, sich engen,
sich engen, sich runden erneut?
Minnaloushe schleicht hin durch das Gras,
einsam, erhaben und klug,
hebt zum Wandel-Mond seine Augen,
die sich wandeln in treuem Bezug.
Im Garten früher Mythe
Im Garten seiner frühen Mythe,
schon keusches Rieseln war Gesang,
gab ihm die Rose, daß er glühte,
Erschauern Efeus Überhang.
Die purpurn tönte, Himmels Schläfe,
zerbrach, ein zartes Porzellan.
Daß schmelzend ihn sein Blick nicht träfe,
ein Schnee im Schnee entschwand der Schwan.
Narzissengleich entsprossen, Hände,
mit heller Fingerkuppen Blick,
umgürteten mit Moos die Lende,
und echsengrün lag starr sein Glück.
Strich durch der hohen Wolke Locken
der Mond mit seinem Silberkamm,
sog blind, die niederschwebten, Flocken
und troff des Melos weicher Schwamm.
Und was durch Lauben noch geglommen,
als reglos er im Dunkel lag,
die Inseln hat ihm bald genommen
der grauende, der öde Tag.
Deutsche Muse
Holderbüsche, blaue Beeren,
Schilfrohr, wo das Wasser plaudert
und kein bunter Sänger zaudert,
grauer Herzen Mut zu mehren.
Beete, Kiesel, Taxushecken,
sprühender Kristalle Klingen,
wenn die grünen Brunnen springen,
stille Frauen, laute Gecken.
Gauben, Giebel und Rosetten,
Fratzen, weicher Wasser Lallen,
Falten, die voll Anmut wallen,
Pforten, die ins Schweigen retten.
Und in Friedenslüften locken,
Gnadenleuchter anzuzünden,
die von Himmels Nähe künden,
blauen Dämmers Wunderglocken.
Aber uns sind abgeschnitten
Blumenlitzen, goldner Lauben
abendtaubeglänzte Trauben,
Knospen, die mit uns gelitten.
Damals zitterten auf Hüten
zarte Federn. Rote Küsse,
daß nun alle Welt es wisse,
von Rubin im Ausschnitt glühten.
Stumpfsinn quillt aus Einheitsdosen,
voll von hohler Phrase Klumpen.
Goldne Sage, alter Lumpen.
Plebs, allergisch gegen Rosen.
Blechern die Substanz des Lebens,
Asphalt, Fäulnisodem, Lärmen.
Volkes Tod, wovon sie schwärmen,
deutsche Muse sang vergebens.
That civilisation may not sink,
Its great battle lost,
Quiet the dog, tether the pony
To a distant post.
Our master Caesar is in the tent
Where the maps are spread,
His eyes fixed upon nothing,
A hand upon his head.
Like a long-legged fly upon the stream
His mind moves upon silence.
That the topless towers be burnt
And men recall that face,
Move most gently if move you must
In this lonely place.
She thinks, part woman, three parts a child,
That nobody looks; her feet
Practise a tinker shuffle
Picked up on the street.
Like a long-legged fly upon the stream
Her mind moves upon silence.
That girls at puberty may find
The first Adam in their thought,
Shut the door of the Pope’s chapel,
Keep those children out.
There on that scaffolding reclines
Michael Angelo.
With no more sound than the mice make
His hand moves to and fro.
Like a long-legged fly upon the stream
His mind moves upon silence.
Langbeinige Fliege
Daß die Kultur nicht untergeht,
nicht ihre große Schlacht verliert,
haltet still den Hund, das Pony fest
an einen fernen Pfosten schnürt.
Unser Meister Cäsar steht im Zelt,
Karten wölben über den Rand,
vag geht sein Blick ins Leere,
die Stirn umtastet eine Hand.
Wie eine langbeinige Fliege über den Fluß
wandelt über die Stille sein Geist.
Auf daß die hohen Türme lodern
und dies Antlitz leuchte immerfort,
geh, so du es mußt, geh sachte, sacht,
an diesem abgelegenen Ort.
Sie wähnt, ein Teil erst Frau, drei Viertel Kind,
daß keiner nach ihr blickt.
Sie zieht die Füße schlurfend nach,
sie sah Vaganten tänzeln so geschickt.
Wie eine langbeinige Fliege über den Fluß
wandelt über die Stille ihr Geist.
Daß in ihrer Blüte Mädchenphantasie
den ersten Adam finde rein,
verschließ die päpstliche Kapelle,
und diese Kinder laß nicht ein.
Wieder steigt auf das Gerüste
Michelangelo.
So leise, wie nur Mäuse huschen,
schwingt seine Hand von A nach O.
Wie eine langbeinige Fliege über den Fluß
wandelt über die Stille sein Geist.
Who dreamed that beauty passes like a dream?
For these red lips, with all their mournful pride,
Mournful that no new wonder may betide,
Troy passed away in one high funeral gleam,
And Usna’s children died.
We and the labouring world are passing by:
Amid men’s souls, that waver and give place
Like the pale waters in their wintry race,
Under the passing stars, foam of the sky,
Lives on this lonely face.
Bow down, archangels, in your dim abode:
Before you were, or any hearts to beat,
Weary and kind one lingered by His seat;
He made the world to be a grassy road
Before her wandering feet.
Die Rose der Welt
Wem träumte, Schönheit schwinde wie ein Traum?
Für diese roten Lippen in ihrer stolzen Trauer,
Trauer, daß sie nicht netze neuen Wunders Schauer,
sank Troja hin, des Eros Fackel stand am Grabessaum,
umschattet Usnas Kinder Efeu an der Mauer.
Wir schwinden, Welt der Qualen schwindet auch:
Inmitten unsre Seelen, die schwanken und entschweben
wie fahle Wasser, die im Wintersturm erbeben,
unter sinkenden Sternen leiht des Himmels Schaum
diesem einsamen Gesichte Leben.
Beugt, Erzengel, euch aus eurer dunklen Wohnstatt:
Bevor ihr wart und Herzen schlugen schon,
lag dieses matt und sanft vor Seinem Thron.
Er schuf die Welt, grashellen Wanderpfad,
zu ihren Füßen weich wie Mohn.
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