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Was bleibet aber, stiften die Dichter

11.03.2015

Die fleckige Matratze, die seit fast zwei Wochen auf dem Bürgersteig des Musikantenwegs liegt, ist ein erstes Zeichen der Verrottung. Die Schmutzfinken, die den Zustand verursachten, fühlen sich offenkundig der Gemeinschaft der Straße, wie unsichtbar sie immer sein mag, wie zart ihre Fäden aus Grüßen und Wiedererkennen auch immer gesponnen sein mögen, nicht zugehörig.

Immerhin kannst du hier auch bei totaler Sonnenfinsternis auf den Trottoirs gehen, ohne die ekle Erbschaft von Hundehaufen in die Wohnung zu schleppen. Insoweit halten sich die Hundebesitzer an die Auflagen, die mittlerweile mit empfindlichen Sanktionen bewehrt sind. Würden sie es freiwillig tun, das hieße, um des Wohlergehens der Mitbewohner willen? Wohl kaum, sonst wäre das Sanktionssystem nicht eingeführt worden.

Die Sauberkeit der Fußwege ist allerdings offenkundig nicht das Ergebnis der Selbstverpflichtung emsiger Bürger, ihren Wohnort sauber zu halten. Diese Leistung erbringt die Stadtreinigung, die wiederum von den zwangsweise erhobenen Steuern derer finanziert wird, denen sie zugutekommt. Wir wissen also nicht, wie es um uns aussähe, wenn dieses System der Zwangssteuer und der Organisation kommunaler Reinigungen zusammenbrechen würde. Würden sich die Bürger zusammentun und ihren Wohnort wie ihre eigenen Behausungen rein halten und ihre Umgebung hüten und schützen?

Wann sahst du denn zuletzt, wie fleißige Bürger ihre Straße in Ordnung hielten? Das war in der Kinderzeit in Metternich, da wurden aus blechernen Eimern Wasserfontänen über die Gehwege verschüttet und schwere Reisigbesen von kraftvollen Frauenarmen geschwungen. Und später? Ja, das muss irgendwo im Schwäbischen gewesen sein … Erinnerst du dich, wie die freche Jugend damals die braven Bürger mit Häme übergossen hat, weil sie mit Eimern und Besen bewaffnet Bürgersinn zeigten? Am Ende hast du dich wohl noch gemein gemacht mit den dümmlichen Spöttern.

Der Lili-Tempel ist samt umgebendem Park einer der Ausstrahlungszentren der Stadt Offenbach, die ansonsten stetig an Glanz einzubüßen scheint. Er geht auf das Luxusbedürfnis und den schönen Willen zum Prunk eines Vorfahren der noch heute in Frankfurt ansässigen und geschäftstüchtigen Bankiersfamilie Metzler zurück. Du erinnerst dich gut, wie verrottet und heruntergekommen die Anlage vor Jahr und Tag vor Schmutz strotzte. Es bedurfte der Passion und des Engagements eines Unternehmers, der die Anlage unter Erbpacht nahm und für die historisch gelungene Restaurierung des klassizistischen Kleinods sorgte. Dieser Mann mag vielleicht nicht zum geringsten von Eitelkeit und Ruhmsucht angetrieben worden sein. Doch fällt das gegen sein Wertgefühl, sich den kulturellen Gütern seiner näheren und ferneren Heimat verbunden zu fühlen, kaum ins Gewicht.

In Fechenheim steht ein wenig versteckt in der Starkenburgerstraße neben der Freiligrathschule ein Denkmal in Form eines Obelisken, errichtet zum Gedenken an die im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 gefallenen Männer des Ortes. Auf einer Tafel ist zu lesen:

ZUR ERINNERUNG
AN DEN SIEGREICHEN FELDZUG
1870/71
WIDMETEN DIESE GEDENKTAFELN
AM 2.9.1895
DIE FRAUEN UND JUNGFRAUEN
FECHENHEIM

„Die Frauen und Jungfrauen Fechenheim“, das solltest du auf der Zunge zergehen lassen, um zu erfühlen, welchen hohen Sinn diese Namen für das weibliche Geschlecht einmal hatten. Gemeint sind die Witwen und Waisen, und inwiefern sie an der Errichtung des Monuments beteiligt waren oder den emotionalen Grundstock legten, das bleibe dahingestellt. Hier findest du den tiefsten Sinn der Monumentalisierung des Erlebten und der Vergangenheit, Sinn, dessen Spur vergossenes Blut bildet. Hast du dich nicht gewundert, dass der Obelisk unbeschädigt, ja sogar ohne die üblichen Schmierereien und Graffiti-Verunstaltung der allenthalben wuselnden Barbaren dasteht? O, freilich liegt er versteckt unter Bäumen. Dass er indes überhaupt noch steht, ist es ein Zeichen für Gleichmut und die wachsenden Schatten des Vergessens oder dafür, dass die Namen, die hier eingraviert sind, noch Träger unter den Lebenden haben, die nicht ganz gleichgültig geworden sind?

Aus dem Ernst des Gedenkens, diesem dunklen Humus der Seele, wachsen die Rosen der Poesie. Freilich bedürfen die leicht verholzenden Stöcke und verwuchernden Büsche der Pflege, der Kunst, die sich der Rhythmen und Metren und Tropen sinnreich bedient, um den Sinn des Gesagten nicht überwuchern und unkenntlich werden zu lassen. Der Gedanke des Dichters wird von der Treue und der Liebe zu dem genährt, was zu behalten und zu erinnern ihm aufgetragen scheint. Er muss sich die Pflicht des Gedenkens abringen gegen die Lust des Vergessens und Dahingleitens, die sich scheinbar beseligt wiegt auf den Wassern des Styx:

„Und immer
Ins Ungebundene gehet eine Sehnsucht. Vieles aber ist
Zu behalten. Und not die Treue.
Vorwärts aber und rückwärts wollen wir
Nicht sehn. Uns wiegen lassen, wie
Auf schwankem Kahne der See.“

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