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Philosophieren XII

21.07.2013

Es ist doch klar, dass du hier nicht hineinpasst.
Es scheint mir offenkundig, dass du annimmst, es werde bald regnen, weil du einen Regenschirm mitnimmst.
Du glaubst, Wasser habe immer und überall dieselbe chemische Zusammensetzung.
Ich glaube, ein gewisses Nass wäre kein Wasser, wenn es nicht aus Wasserstoff und Sauerstoff bestünde.
Auf der Grundlage einer DNS-Analyse wurde der Nachweis erbracht, dass er der Mörder war.
Auf der Grundlage einer DNS-Analyse konnte die Annahme bekräftigt werden, dass er mit einiger, hoher, sehr hoher Wahrscheinlichkeit der Mörder war.

Es ist doch klar, dass du hier nicht hineinpasst. – Dass gewisse Gegebenheiten und Begebenheiten auf der Hand liegen, sonnenklar, offensichtlich, augenscheinlich und evident sind, drücken wir dadurch aus, dass wir den Sachverhalt in einen schlichten Satz packen und mit Zusätzen garnieren wie „Das ist doch sonnenklar, offensichtlich, augenscheinlich, evident!“

Wir können uns leicht eine Situation des Alltags denken, in die der genannte Satz gut hineinpasst, so wenn du im Kaufhaus eine neue Hose anprobieren willst, die dir augenscheinlich zu eng ist und deine Begleitung dich darauf aufmerksam macht. Sollen wir hier noch weiter fragen und grübeln?

Überlassen wir das dem Philosophen, der gerne auf den harten Fels letzter Wahrheiten stößt. Die letzte Wahrheit ist hier, dass du als eine körperbehaftete Entität Eigenschaften aufweist, die nun einmal Körper an sich haben: eine gewisse Größe zu haben zum Beispiel, die einem Körper in eine Öffnung zu passen erlaubt oder nicht, ein bestimmtes Gewicht, eine bestimmte Dauer in der Zeit, in der derselbe Körper wieder auftaucht, auch wenn er dir aus deinem Gesichtsfeld hinter einer Wand oder vielen Wänden und Gebäuden und Gegenden entschwunden ist, als derselbe Körper, auch wenn er durch natürliche Verwitterungs- und Alterungsprozesse dir bis zur Unkenntlichkeit verändert erscheint. Auch du bist solch ein Körper mit der interessanten Eigenschaft, nur in Aspekten sichtbar, wahrnehmbar und erschließbar zu sein: Ein Körper ist ein kompaktes Ding in unserem Wahrnehmungsfeld, das sich bewegt oder stillsteht, gemessen an deinen Bewegungen, ein Ding, das du von vorn, von hinten und von den Seiten betrachten kannst, aber nur nacheinander, nicht gleichzeitig von allen Seiten. Der Körper ist ein Komplex von Teilen, Atomen, Molekülen, Quarks – hineinschauen können wir schlecht und gründlich nur mit komplizierten Apparaten, und Atome und Moleküle sind für das bloße Auge unsichtbar, Quarks als theoretische Entitäten ebenso. Hinten hast du keine Augen, und was du vor dir von deinem Körper sehen kannst, ist ein seltsames Zerrbild des Körpers, den du aus dem Spiegel kennst.

Wir können sodann an diesen wie an alle anderen Körpern die wissenschaftlichen Verfahren der Vermessung anlegen und damit eine metrische Objektivierung unserer Aussagen über Zeit und Ort seines Aufenthalts vornehmen und seine verschlungenen Bewegungen durch Straßen und Gassen, Viertel und Städte und Länder auf Land-, Wasser- und Luftwegen von der Entstehung, Herstellung oder Erzeugung bis zu seiner Auflösung oder seinem Tod ziemlich genau nachzeichnen. Der Messtechniker hat seine Freude an den mit modernster GPS-Technik gewonnen Daten.

Der Philosoph lernt einsehen und hinnehmen, dass seine letzten Wahrheiten ein trockenes Bündel trivialer Aussagen sind, die sich gegen unsere weiterbohrenden Fragen gleichsam spröde und abweisend verhalten: Warum haben wir einen Körper? Ja, weil es zu unserem Begriff der Person gehört, verkörpert zu sein, denn Personen sind wie alle Gegenstände Bestandteile des Raum-Zeit-Systems. Unkörperlichen Seelen und Gespenstern können wir zur Begrüßung nicht die Hand schütteln, nicht ermutigend auf die Schulter klopfen oder zum Abschied auf die Wange küssen. Ein Schatten zeugt mit einem Schatten keinen Schatten. Warum haben Körper Größe und Gewicht, warum sind Körper nur in Aspekten zugänglich? Ja, weil es zu unserem Begriff des Körpers gehört, Größe und Gewicht zu haben, und aus Teilen zu bestehen, die nicht zur Gänze und auf einen Schlag in unser Gesichts-, Merk- und Forschungsfeld treten.

Es scheint mir offenkundig, dass du annimmst, es werde bald regnen, weil du einen Regenschirm mitnimmst. – Aufgrund der Beobachtung deines Verhaltens kann ich dem auf die Spur kommen, was du denkst und glaubst, was du beabsichtigst und vorhast. Ich schließe aus deinen Bewegungen und Verrichtungen auf das, was du willst, auf das, was du denkst. Ein sicheres Wissen kann ich mit einer solchen Methode nicht erlangen – ich könnte einem Fehlschluss aufsitzen, wenn es sich herausstellt, dass du bei jedem Wetter die Marotte pflegst, deinen Regenschirm mitzunehmen: Dann liege ich zwar richtig mit der Annahmen, dass du spazieren zu gehen beabsichtigst, nicht aber mit der Annahme, dass du glaubst, es werde bald regnen. Auch wenn es tatsächlich zu regnen begänne, kaum dass du deinen Fuß ins Freie gesetzt hättest, rechtfertigte diese Tatsache nicht meine Annahme, dass du vermutest hast, es werde bald regnen. Hier komme ich nur weiter, wenn ich dich frage.

Du glaubst, Wasser habe immer und überall dieselbe chemische Zusammensetzung. Ich glaube, ein gewisses Nass wäre kein Wasser, wenn es nicht aus Wasserstoff und Sauerstoff bestünde. – Um eigene oder Überzeugungen und Annahmen anderer zu benennen, stellen wir einem dass-Satz (einem indirekten Aussagesatz) beziehungsweise dem entsprechenden erweiterten Infinitiv einen Ausdruck des Meinens voran.

Du hast den Inhalt deiner Überzeugung, nämlich die chemische Zusammensetzung von Wasser, einem Lehrbuch der Chemie entnommen oder bei eurem Experiment im Chemieunterricht, bei dem ihr Wasser je in ein Teil Wasserstoff und zwei Teile Sauerstoff aufgelöst habt, ad oculos vorgeführt bekommen. Es handelt sich bei diesem Inhalt also um eine durch wissenschaftliche Verfahren der Analyse und Synthese erhärtete, nachgewiesene Annahme. Dennoch kannst du deine mit der Annahme aller Wissenschaftler harmonierende Überzeugung nicht als Weisheit letzten Schluss ausgeben und ihre letztgültige Gewissheit bekräftigen – es könnte sich ja einmal erweisen, auch wenn es äußerst unwahrscheinlich ist, dass ein neues Experiment durch den Nachweis einer winzigen Spur eines dritten Elements die Hypothese umstürzt.

Hartnäckig fest- und hochgehaltene Annahmen wie die Bewegung der Sonne um die Erde oder der Antrieb der Organismen zu Vermehrung, Wachstum und Entwicklung durch einen élan vital haben sich als unhaltbar erwiesen, und zwar aufgrund genauerer Beobachtungen mittels genauerer Instrumente und aufgrund der Einbettung der neu ermittelten Beobachtungsdaten in ein neues theoretisches Rahmenwerk, mit dem die Fehlannahmen der alten Theorie erklärt und bessere und weitreichendere Annahmen abgeleitet werden können.

Wir können mit der konditionalen Satzfügung unter Verwendung des irrealen Konjunktivs Weltentwürfe skizzieren, die sich zu den hierzulande vorfindlichen und üblichen Bedingungen konträr oder kontradiktorisch verhalten. „Wenn auf einem fernen Planeten ein gewisses Nass nicht aus den chemischen Elementen bestünde, aus denen bei uns Wasser besteht, das aber ansonsten nach Aussehen, Geruch, Geschmack und den landläufigen Aggregatzuständen ganz unserem Wasser gleicht, wären wir berechtigt, es dennoch Wasser zu nennen oder nicht?“

Diese bekannte Frage läuft darauf hinaus, die Genauigkeit und Widerstandsfähigkeit unserer Verwendung von Begriffen auszuloten. Wir müssen davon ausgehen, dass wir auf Gegenstände wie Dinge und Personen einigermaßen genau Bezug nehmen können, weil sie raum-zeitlich ein festes Kontinuum der Vergegenwärtigung ausfüllen, das wir mit unseren Instrumenten wie Augen, Ohren und GPS-Sonden gut abmessen können. Anders steht es um in der Raum-Zeit zerstreute und vagabundierende Stoffe wie Wasser, Sand oder Müsli: Hier können wir den genauen Bezug nur rechtfertigen, wenn wir eine Etage tiefer gehen und uns ihrer chemischen, organischen und anderweitigen Zusammensetzung als Mittel der Identifizierung annehmen – wobei wir uns die Sache durch Querulanten-Fragen wie „Sind 5 Körner schon ein Häuflein Sand?“ oder „Ab wie vielen Flocken sprichst du denn von Müsli?” nicht madig machen lassen. Also, schließen wir hier: Wäre jenes ominöse Nass anders als Wasser zusammengesetzt, wären wir schlecht beraten und nicht gerechtfertigt, es Wasser zu nennen.

Auf der Grundlage einer DNS-Analyse wurde der Nachweis erbracht, dass er der Mörder war. – Auf der Grundlage einer DNS-Analyse konnte die Annahme bekräftigt werden, dass er mit einiger, hoher, sehr hoher Wahrscheinlichkeit der Mörder war. – In beiden Aussagen wird behauptet, eine Tatsache bestehe aufgrund des Bestehens einer anderen Tatsache – die gewöhnlichste Form der Begründung. Eine DNS-Analyse kann die Identität eines Menschen erweisen und damit die Identität dessen, der an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit gehandelt hat, zum Beispiel einen anderen Menschen ermordet hat. Sie kann aber nicht zum Nachweis verwendet werden, dass sich ein bestimmter Mensch zu einer bestimmten Zeit genau an diesem Ort aufgehalten hat, an dem der Mord stattfand. Folglich ist die erste Aussage ohne zusätzliche Angaben und Nachweise nicht zu rechtfertigen, während man an der zweiten solange festhalten kann, bis das Gegenteil bewiesen wird.

„War es denn so? Hat es sich so und nicht anders abgespielt? Könnte es nicht sein, dass der Verdächtige nicht der Täter ist, weil er zwar am Tatort gewesen ist, aber zu einer anderen Zeit als der Tatzeit?“ Mittels der Anwendung des konditionalen Satzgefüges erschließt du dir ein alternatives Modell für den Tathergang, das die Bedingungen des Geschehens um den entscheidenden Faktor Zeit erweitert.

„War es denn so? Hat es sich so und nicht anders abgespielt? Könnte es nicht sein, dass der Verdächtige, dessen DNS-Spuren zwar am Tatort gesichert worden sind, der aber zur Tatzeit an einem anderen Ort von mehreren Zeugen gesichtet worden ist, dennoch hinter der Tat steckt, weil er den Mörder gedungen hat?“

„Er ging zum Kühlschrank, weil er durstig war.“ „Er ging zum Kühlschrank, weil er etwas trinken wollte.“ Wir erklären Ereignisse und Handlungen, indem wir unsere Aussagen mit Hinweisen auf sach- und ereignisbezogene Ursachen oder intentionale Handlungsgründe versehen. „So und so viele Photonen schossen in seine Iris und verursachten über die Weiterleitung der neuronalen Stimuli über den Sehnerv in das Sehzentrum ein visuelles Bild.“ „Er blickte sie fragend an.“

Wissenschaft entsteht aus dem Nachdenken über die Verwendung des kausalen „weil“. Unser Alltagsverständnis, die Fähigkeit, uns selbst und die anderen zu verstehen, erwächst aus der Verwendung und dem Nachdenken über die Verwendung des intentionalen „weil“. Weil uns das Deutsche hier mit einer einzigen Konjunktion knapp hält, solltest du, um den intentionalen Grund klar von der sach- und ereignisbezogenen Ursache unterscheiden zu können und diesen Unterschied anzuzeigen, statt der Konjunktion „weil“ die Konjunktion „damit“ oder „auf dass“ oder den finalen Infinitiv „um zu“ verwenden. Forme also den Satz „Er ging zum Kühlschrank, weil er etwas trinken wollte“ um in die Sätze: „Er ging zum Kühlschrank, damit (auf dass) er etwas trinke“ oder „Er ging zum Kühlschrank, um etwas zu trinken“.

Wissenschaftliche und alltägliche Erklärungen widersprechen sich nicht, sondern verhalten sich komplementär zueinander. Die wissenschaftliche Psychologie sucht unser Verhalten durch Antriebe, Motive und Konditionierungen zu erklären, die sie aus natürlichen Quellen und sozialen Umwelten ableitet. Wir kennen das Durstgefühl gut, und es anzuführen genügt uns, eine Handlung zu verstehen. Die Neurobiologie untersucht die sensorischen Stimuli und ihre Verarbeitung in den neuronalen Netzwerken. Wir wissen, was es heißt dumm aus der Wäsche zu schauen oder neugierig, lüstern oder enttäuscht, wissend oder fragend zu blicken.

Unsere Erklärungen sind auch dann nicht schlecht oder sogar zufriedenstellend, wenn es uns gelingt, das zu erklärende Phänomen mittels begrifflicher oder technischer Hilfsmittel wie Bleistift und Papier, eines Fotoapparats, der Videofunktion des Smartphones oder einer Software zur 3-D-Darstellung von eingegebenen Daten zu imitieren, zu modellieren und zu simulieren. Du machst gleich ein Foto von der Unfallstelle, um einen Nachweis zu erhalten, wie sich der Unfall zugetragen hat, dass nämlich der Unfallverursacher von links einbiegend die Vorfahrt missachtet hat. Die Wissenschaftler der NASA untersuchen das Mars- oder Mondgestein, um ein Modell der Entwicklung des Planeten zu entwickeln oder das in der wissenschaftlichen Community anerkannte Modell zu untermauern oder in Zweifel zu ziehen. Evolutionsbiologen simulieren am PC mittels 3-D-Techniken anhand weniger paläontologischer Spuren von Knochen und Gebiss Organismen ausgestorbener Arten und von Vorläufern heute lebender Arten, um etliche Aufschlüsse über ihre Bewegungs-, Ernährungs- und Lebensweise zu erhalten.

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