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Besuch beim Knaben Jesus

20.02.2022

Was macht denn Jesus heute wohl?
Er füttert, ein Schlaks in Lederhosen,
mit seinem besten Freund Johannes,
dem Lockenkopf mit grünen Augen,
die Lämmer in Papas Gehöft,
das liegt jenseits der weißen Gipfel,
die manchmal wir im Traum gesehen,
auf Bildern auch von Segantini,
durch das vier Bäche munter rieseln,
wo jählings Sonnenschuppen blitzen.
Jesus wollte, Gott bewahre,
nicht der Christ mehr sein, nicht müd
auf majestätʼschem Thron sich fläzen,
sich die Ohren stopfen wegen
blonder Engel Hymnenflatterns,
ach, er kehrte heim zu jenem
biederen Vater, dem Zimmermann,
Joseph gerufen, Spitzname „Jupp“,
der in der Werkstatt summt und sägt,
zierliche Puppenstuben bastelt,
auch sich im Garten Blumen zieht,
Gemüse für die traute Schar
und Kleinvieh auf den Weiden.
Die Lämmer hat er ja am liebsten,
Jesus, doch ihn schreckt die Schur,
die übernimmt ein alter Kumpel,
ein wackrer Bursche, der als Hirte
das Kinn gern bettet auf den Stab,
Peter heißt er, Jesus ruft ihn
neckend „Pit“, wie er, wenn Papa
nicht hinhört, den Freund gern „Johnny“ ruft.
Jetzt gehen sie um den grünen Teich,
der Knabe Jesus und Johannes,
da schwankt in einem Holderbusch
und gurrt die Turteltaube, sind
bald am Stall der Hasen und Kaninchen.
Eines hat’s dem Jesusknaben
besonders angetan, ein kleines,
flockenweißes, das nimmt er kosend
auf den Arm, es immerfort
zu streicheln. Da ruft doch wer
von ihres Hauses Schwelle: „Brotzeit!“.
Es ist Marie, die schöne Frau
Mama. Was gibt es heut? Wie immer
Bauernvesper, Käse, Schinken,
Rösti, für Papa im Steinkrug
Wein, der wächst im eignen Wingert.
Doch sitzt man nicht im Herrgottswinkel,
denn solche Bilder sind verbannt
und schimmern nur im Dunkeln auf,
wenn man aufs Stroh sich lagert, aber
draußen geht ein böser Wind.
Und sind sie satt, so spielt Mama
auf einer Zither, Vater singt
vom Garten Eden, wie’s geschah,
daß jenes edle Menschenpaar
ins öde Dasein ward verstoßen,
wo das Geschlecht noch immer haust,
jenseits der hohen Mauern, arg
verdumpft, verwildert und verroht.
Was kümmert sie’s, den Vater nicht,
noch weniger den Sohn, der einmal
von dem Gesindel einen sah,
der auf der Mauer lag und ihm,
dem Zarten, einen Stein nachwarf.
Jetzt steigt er nach dem Abendbrot
noch in der Dämmerung den Berg
hinan, wo golden Trauben süß
im Tau des vollen Mondes glühen,
den Alten zu besuchen, der droben
als Eremit in einer Grotte
die Zeit vertut mit Briefeschreiben,
Briefe, die keiner liest, denn hier
gibt’s keine Post. Doch sein Jesus
bringt ihm allabendlich, was er
ihm abgezweigt an Brot und Wein.
Paulus heißt der schräge Vogel,
Jesus nennt ihn traulich „Paule“
und zupft ihm hold den weißen Bart,
obwohl er könnte, mag er einfach
nicht entfliegen. Aber zwitschern
kann er wundersam, und so
tiriliert er seinem Freund
Gesänge aus dem Orient,
die sich wie hohe Wolkenzüge
ins Grenzenlose dehnen, und dabei
nickt er meist ein, der Knabe Jesus.

 

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