Was die Charis trübt
Es zeigt dein Schatten, was die Charis trübt,
verdunkelnd lichter Bilder Innigkeiten.
Gehst du des Weges, Schatten, er geht mit,
blüht auf, was zwielichtig im Zwielicht schlief,
was du erspäht dir wohl, doch nicht erschaut.
Den Teint der Wesen hält ein Pulsen frisch,
der Erde nächtig Quillen, Himmelsstrahl,
das über Halm und Ader singend strömt,
im schwanken Blatt ergrünt, in Augen glimmt,
und noch im Herbstlaub schäumt verebbend Weh,
ein Tau der Nacht erglänzt in Abschiedsblicken.
Dein müder Hauch macht jenen Spiegel blind,
wo sich gespensterhaft ein Lächeln hüllt
wie Blüten hinter brunnenfeuchter Gaze,
wo sich der Totenmaske Schimmer bricht
und sternenlose Augenhöhlen locken
wie schwarzer Mohn in orphisches Gefild.
Der Tinnitus des innern Ohrs, der Geist,
zerreißt den Wohlklang, den die Dämmerung
aus trunkner Kehle tropft, die Nachtigall,
und heitren Plätscherns Wasserserenade
zerbellt die fletschende, die Wahnhyäne.
Es ist der Phrase zäher Schleim, das saure,
das allzu süße Wort, das bald des Sinnes
zarten Herzbezug verätzt und bald
dem wahren Augenblick das Lid verklebt.
Es ist obszöner Zungen Natterngift,
was in der Meeresstille Muschel rinnt,
die Perle für der Sappho Ohr zerfrißt,
der Wortbombast, der Anmut leichtem Kahne
von johlenden Titanen aufgesetzt,
die unterm stummen Monde Zwerge sind,
doch teuflisch kichern, wenn der Kahn versinkt.
Dunklem Weh geronnen
Flocke neben Flocke
hüllen wir die sanften Linnen
über kahler Erde Grauen,
wollen wehmutweich verrinnen,
wenn die Veilchen wieder blauen.
Knospe neben Knospe
streuen wir ins Dunkel Samen,
bangen Nächten Blütenhelle,
auf die übermooste Schwelle
zarten Duft verblaßter Namen.
Rebe neben Rebe
halten Orpheus wir gefangen,
Traube neben Traube
schimmern wir im Dämmerlaube,
glühender Mänaden Wangen.
Tropfen neben Tropfen
füllen wir die irdnen Krüge,
schenken, dunklem Weh geronnen,
grauen Herzen Abendsonnen,
matten Dichtern Sternenflüge.
Flügel neben Flügel
wollen wir wie Falter beben
um der Kerze holdes Scheinen,
stumm in die Vollendung schweben,
uns im Opferrauch vereinen.
Schwermut sang
Schwermut sang, schmolz hin in feuchten Funken.
Hast, Edens Rose, du dich aufgetan?
Im Dunst verstummt, im Schnee versunken,
Blütenlicht, Gesang und Schwan.
Stern, du warst von Davids Psalm erkoren.
Hast du, mein Herz, den süßen Strahl
in trunknen Schilfs Geschwätz verloren,
im Gelall berauschter Qual?
Anmut, ums bukolisch-sanfte Bildnis
hat Veilchen dir Vergil geschmiegt.
Wie überwucherte dich Wildnis,
Hirt, wie ist dein Seufzen lang, schon lang versiegt.
Liebesblicke, Gnadensonnen,
die Gold gehaucht in Trakls fahles Dämmerlaub,
wie ist dein Aug von Tränen überronnen,
o Madonna, netz, in dem wir knien, uns den Staub.
Die Mänade der Nacht
Verwandelt in die Nachtmänade,
die Brust gefleckt vom Pantherfell,
zog ich zum einsamen Gestade,
ward dunkel mir der Tag, das Dunkel hell.
In matten Tropfen quoll, was ich empfunden,
in meinem Schoße schäumte Bitterkeit,
Äonen rankten sich um Dämmerstunden,
im Tau der Rose glänzte Ewigkeit.
Ich sah den Lichtkristall zum Abgrund fallen,
den roten Mohn an meinem Hauch ergraut,
und hörte Schatten ich vom Urlicht lallen,
war mir, als ob im Styx die Wolke blaut.
Und Flammen seufzten auf den Abendwogen,
wie Blüten um den Schlaf des Schwans,
wo Vögel schwankem Schilf entflogen,
zerbrochen lag die Flöte Pans.
Mein Irrblick folgte keinen Zielen,
im Sand der Angst sank ein der Schritt,
verwischt war schon von Windes Wühlen
die Spur des Leides, das ich litt.
Gestirn stach mich mit kalten Blicken,
mich rief der Gräber Geisterrauch,
mit Knospen Wüsten zu erquicken,
doch sproß dem Mund nur Wehmuthauch.
Daß ich nicht länger fühlen müsse,
hab ich um Molches Gift gefleht,
um einer Schlange Schreckensküsse,
daß mir der Traum wie Schnee verweht.
Es kennt der Herrscher keine Gnade,
der mich mit Flammenmund verbrannt,
kühl, Bacchus, ihn an Blumen der Najade,
mich hat, die Blütenlose, er verbannt,
um überwachsner Namen Mal zu schweifen
wie einer Witwe Klagelied,
um Strünke, denen nie mehr Früchte reifen,
ein Geist, der nur Ruinen sieht.
Liebespfad am Rhein
Wir seufzten durchs Gerank von Reben,
der Trauben feuchter Glanz
schien schwarzen Locken zu entschweben,
mäadentrunknem Tanz.
Weich hat uns Ufergras umwattet,
heim flüsterte der Fluß,
von Blumen, ach, wie Duft ermattet,
die Blüte fiel, dein Kuß.
Der Strahl, der fahles Blatt entzündet,
zerfloß wie Purpurwein,
die Knospe, blauer Nacht geründet,
der Mond versank im Rhein.
Es war im Gurren junger Tauben,
was Mund an Mund uns schwieg,
es war im Rieseln lichter Lauben,
was Schluchzen überstieg.
Und die an deinem Aug geglommen,
die Tränen sind herab
in deinen stummen Schoß geschwommen,
o Liebe, Schoß und Grab.
Der erloschene Nimbus
Daß jene Erkorenen sie sahen,
geküßt von hohen Geistes feurigem Mund,
die leuchtende Aura um das Antlitz
des inkarnierten Worts,
des Heiles siebenstrahliges Auge,
die Gloriole,
genährt von dreifaltigen Flammen,
im Chorgesange züngelnd
der sie umkreisenden Engel,
den surrealen Glanz um die Locken
der Gebenedeiten und der Apostel
stillsinnende Stirn,
die Aureole
um den transfigurierten Leib,
soll dich nicht wundern.
In die Dunkelheit der Stille aber
sprühten Eremiten der östlichen Welt
und des byzantinischen Athos
Funken des ungeschaffenen Worts,
das sich auf dem Berge Tabor
den auserwählten Jüngern offenbart hat.
Doch gewährte der Nimbus sich auch Heiden,
von Bacchus ergriffen in wilder Landschaft
Mänaden zu sehen, zu werden, die mit fühlender Hand
aus dem Gefieder der Nacht Gesangesflocken geschüttelt,
um sie ins Haar sich, auf die nackten Glieder zu heften,
den Thyrsosstab der Ekstase mit Weinlaub umkränzten,
den Weg durchs Dickicht in die Lichtung zu finden,
wo das Blut der Wangen und Brüste und des Opfertiers
im tiermenschlichen Reigen zu auratischem Glanz verschmolzen,
er glänzt Apollon ums erhabene Haupt,
der Apotheose der Sonne,
er krönt den Heilbringer Mithras,
ein Strahlenkranz windet sich
von den Diadochen bis zu Augustus
um die Schläfen vergöttlichter Herrscher,
ja noch um den siegreichen Adler
der Kaiser des Römischen Reichs
Deutscher Nation.
O wie beseligend schwebt
um den schwebenden Buddha
der Aureole stilles Lotusblatt.
War nicht van Gogh der letzte,
den Kranz der Strahlen zu winden,
die wirbelnde Mandorla
um nachtblauen Himmels Gestirn,
Nacht, durchzittert, zerblättert
im Sturmwind unwirklichen Lichts,
die Risse zu sehen, die Schründe der Aura,
die ihm sein Spiegelbild entblößte
und im Schamanenflug der Pinsel
als bittere Lichtspur auf die Haut
des Unerlösten gefurcht hat?
Ja, wundern sollte uns Zwerge der Endzeit,
nein, wundern sollte uns nicht,
daß aus der kleinen Schar der Verehrer
entrückter Sterneneinsamkeiten
keiner mehr einen Funken,
ein noch so dürftiges Glimmen
um die Stirn der Enterbten,
Wühler im Schlamm der Vergängnis,
den Sprachgeist zerquatschende Schatten,
um die pomadisierten Zöpfe
der keine Verse mehr machenden Dichter,
über dem aus dem After der tauben Empfindung gepreßten
eitlen Fettfleck der Künstler,
zum Kitzel der fletschenden Meute
amtlich bestallter Maulwürfe
unter Thronen und Altären,
keiner den Nimbus mehr wahrnimmt,
es sei denn gespenstisch leuchtenden Nebel,
der aus den Wassern der Trübsal steigt,
die fahlen Fäulnisflammen
über den eingeebneten Gräbern der Ahnen,
oder daß jene, die von Traumgewittern gequält,
von glühenden Tränen, die sie von nächtlichen Knospen
haben tropfen sehen,
für irre gelten und Pharmaka schlucken,
die das Hirn heilen, indem sie die Seele töten.
Und die sich ins Schilf der Ufernacht flüchten,
flackert Liebenden nicht noch ein Herz
über den Herzen, die vergebens pochen,
eins ins andre zu schmelzen,
oder ein blassender Mond,
die Blume der Nacht,
die einmal das Wort der Dichtung behauchte
mit dem Duft aus versunkenen Gärten,
mit dem matten Schneelichtschimmer
der Jenseitspfade?
Abwärtsgleiten
Wie zergeht der Tag in scheuen
Tropfen am Kristall der Vase,
feuchte Funken ihr zu streuen
bläht sich schlaffen Abends Gaze.
Mögen unsre Tränen rinnen,
matten Schimmers niederglimmen
auf der Liebe bleiches Linnen,
eins im anderen verschwimmen.
Mond hat bittern Schaum vergossen,
Schattenküsse gaukeln Winde,
Veilchen hat das Lid geschlossen,
bangend, daß sein Herz erblinde.
Streifte uns des Schlafs Gefieder,
Knospen, die ins Dunkel sinken,
Blüte fällt an Blüte nieder,
mag noch Glanz die Erde trinken.
Die Feder
Sie trippelten, die Körner aufzuklauben,
die du des Morgens hingestreut,
dann flogen jählings auf die Turteltauben –
wie müdes Herz Geflatter freut.
Dann sahst du sie auf dunklem Asphalt blassen,
die Feder, wunderliches Ding,
wie weichem Leib sie sproß, ist schwer zu fassen,
wie sie den Geist der Luft umfing,
zu spiegeln ihn mit Flaum und Fiedersprossen,
harmonisch sinnreich aufgereiht,
von silberblauen Schimmern übergossen,
von Lichtes Flocken sanft beschneit.
Und du gingst hin, sie zärtlich aufzuheben,
und legtest sie in den Vergil,
als Zeugnis für das dichterische Leben,
für dunklen Triebs sublimen Stil.
Und fändest du von Liedes Flügel eine
in deiner Ödnis Labyrinth,
heb auf sie, schau ob ihr vor Trübsal keine
der zarten Strahlen wurde blind,
ob sie im harten Lichte der Laternen
den Taft der Milde nicht verlor,
ob sie das Herz erkennt, das zu den Sternen
mit ihr sich höbe gern empor.
Vincent van Gogh, Runde der Gefangenen
Er lieh noch Licht zwei Schmetterlingen,
die taumeln, Traum an Traum geknüpft,
als wären Puppen sie entschlüpft,
die im Geäst des Himmels hingen.
Im Kreise trotten Dantes Schatten,
Gefangene auf Lebenszeit,
kein Auge sieht es, keiner schreit,
wenn Liebesboten jäh ermatten.
So gehen wir durch Dämmerungen,
vom Dämon Trübsal eingeschreint.
Was golden zwischen Reben scheint,
hat dürre Lippe nie besungen.
Der Künstler blickt uns aus den Reihen
der Elenden gespenstisch an,
er, der in Südlichts Glanz begann,
dem Schaum der Blüten sich zu weihen.
Siehe:
https://de.wikipedia.org/wiki/Runde_der_Gefangenen
Liebe fragt
Fragst du mich, ob uns noch wehen
Brunnen mondbehauchte Schäume,
ob im Sommer wir noch gehen
still im Schatten alter Bäume,
ob der Dornenzweig der Schlehen
uns die blaue Frucht noch reicht,
sage ich – vielleicht.
Fragst du mich, ob uns die klammen
Hände und die bleichen Wangen
wärmt der Herbst mit Reisigflammen,
milde glüht noch das Verlangen,
schlingen Hand in Hand zusammen,
bis der Mond im Schilf erbleicht,
sage ich – vielleicht.
Fragst du aber, ob in kalten
Winternächten uns noch Blüten
früher Tage Duft entfalten,
wir vor Scheiten, sanft verglühten,
leise singend, Traumgestalten,
fließen in die Finsternis –
sage ich – gewiß.
Das Zwielicht der Worte
Abendrot, das aus den Zweigen tropft.
Schatten, dumpfe Schläfen uns zu kühlen.
Herz, das bang der Nacht entgegenklopft.
Stummes Pochen sagt uns, was wir fühlen.
Sie verdämmern, Worte faul und fahl,
Früchte, überreif, die abgefallen
vom zermürbten Holz, ihr Fleisch ward schal,
die es aßen, hörst du sinnlos lallen.
Und sie sinken ins belebte Grab,
Bilder, die mit buntem Dunst betörten,
Glanz, der gleisnerisch ein Loch umgab,
Fraß des Wurms, den keine Lügen störten.
Gehen schweigend wir den Uferpfad,
laß statt unser weiche Wasser reden,
wie zu tränken sie die Sonne bat,
Rosen, Veilchen und Reseden.
Und der Worte Zwielicht hellt dein Blick
auf wie voller Mond die Lilienblüten,
nimmt in feuchte Dämmerung zurück
Träume, die im Abendrot erglühten.
O lebet wohl, ihr heimatlichen Quellen
Noch einmal ging ich durch die Gärten
ins dämmerweiche Ginsterlicht,
die Tauben waren Traumgefährten,
mir lächelte Vergißmeinnicht,
voll Gnade tönten Abendglocken,
ich schlief im Flaum von Blütenflocken.
O lebet wohl, ihr heimatlichen Quellen,
ihr Gärten, mondgewiegter Sage Wellen.
Noch einmal kam ich an die Pforte,
wo mir zum Abschied hat gereicht
die Liebe aus umhegtem Horte
den Veilchenstrauß, hat auch gebleicht
ihr Haar schon Schnee, die Augen sprachen
von Sternen, die durchs Dunkel brachen.
O lebet wohl, ihr heimatlichen Sonnen,
ihr Trauben, deren Glut ins Lied geronnen.
Noch einmal ging ich auf die Hügel,
wo uns im Herbst der Feuerhauch
Gesanges ausgestreckte Flügel
hob über Tod und Aschenrauch.
Und als die Flammen sanft entschliefen,
war es, als ob uns Geister riefen.
O lebet wohl, ihr heimatlichen Lieder,
die Quelle schläft, kein Dichter weckt sie wieder.
Geheimer Quell
Der Muschel wunderlich Gewinde,
der trunken funkelt, Bergkristall,
betörender Duft der Sommernachtslinde,
Gesang der einsamen Nachtigall –
der Wolken wechselnde Sinngestalten,
die dunklen Mysterienspiele des Lichts,
wenn Venus-Knospen purpurn sich entfalten
und sinken, bleiche Nonnen des Verzichts –
die Rätselsagen der dämmernden Erde,
die glitzern wie der nächtliche Tau,
des Lebens innige Wehgebärde,
sinkt Veilchens Haupt im Regengrau –
der sapphischen Ode Traumgeranke,
vom Hauch der Inselnacht durchweht,
die Hüfte der Schäferin, die schlanke,
wenn mit Verlaine sie zu den Festen geht –
der schwarze Flügel eines Baudelaire,
womit sich müd gerauscht der Abgrund-Spleen,
die goldene Frucht antiker Mär,
im Schoß der Hymne bergend Hölderlin.
Geheimer Quell, der Dichtern Hochsinn spendet,
der Liebe spiegelt ihr verklärtes Bild,
der Geist, holdselig in sich selbst vollendet. –
O einen Tropfen nur, der uns die Wunde stillt!
Verschneites Grab
Sanftes Linnen hüllt das Grab,
Samt von Flocken, weißer Hauch,
Schmerz und Liebe sank hinab
Duft und Mundes Blume auch.
Die um Schläfen Ranken wand,
wob ins Schattengitter Licht,
schon verwittert ist die Hand,
dunkle Mutter küßt sie nicht.
Und die Liebe beugt sich hin,
wischt den Schnee vom Marmorstein,
zu entziffern Spruch und Sinn,
und die Träne schließt ihn ein.
Laß des warmen Glanzes voll
Schalen flackern in der Nacht,
gleich dem Herzen, dem entquoll
des Gesanges schlichte Pracht.
Frühlingsmondes Knospe schwingt
bald wie Amors Blütenball,
und dem toten Dichter singt
schwesterlich die Nachtigall.
Schwiegen wir lächelnd
Flügelten stumm wir auf blühendem Feld,
lichtfrohe Falter, den Winden ergeben,
wähnten wir endlos den Sonntag der Welt,
blind für die Spinnen, die Grabtücher weben.
O wie die Lerche die Sonne verehrt,
und ihr Lied schluchzt dem Gluthauch entgegen,
wir aber, die schon ein Schauer versehrt,
rinnen dahin, ein geschwätziger Regen.
Öffnen sich Rosen dem steigenden Strahl,
schließt keuscher Kuß des Monds ihre Lider,
unsere Knospe sinkt dämmerlichtfahl
an die Ufer des Acheron nieder.
Wiegten wir uns wie schlafend der Schwan,
dem das Gefieder Sterne betauen,
schwiegen wir lächelnd im Mittag des Pan,
sähen die ewige Stille wir blauen.
Denke nicht, schau
Dem Andenken an Ludwig Wittgenstein
Du bist nicht da, das Leben zu befragen,
zu wühlen tief, zu suchen weit,
vollkommen ist, was stille Rosen sagen,
volltönend schwingt der Ring der Zeit.
Du kannst mit Schwätzers Fingerhut nicht leeren
des Unsagbaren Ozean,
das Lied des Lebens kannst du einzig hören,
schweigst du im hohen Mittagsblau des Pan.
Da Schatten sich auf deinen Pfaden längen
und siehst des Glückes Wabe leer,
lockt Tropenmond die Liebe zu Gesängen,
und Lotus schwankt, von Süße schwer.
Still geh vorüber, wo die Bilder fahlen,
die Inschrift überwuchert Gras,
es blühen Zeichen unter Wunderstrahlen,
die noch kein Menschenauge las.
Mag in dein Dunkel Tau von Blüten glänzen,
die edler Strophen Sproß entkeimt,
des Tages abgebrochnen Vers ergänzen,
was süß die Nachtigall noch reimt.
Geh zur Oase, frommer Dichter Weiden,
zum Wasser, das mit Sternen spricht,
und mußt du dich mit Nachglanz auch bescheiden,
o trink den einen Tropfen Licht.
Flüchte, einsame Seele
Flüchte zu Herden sibirischer Steppen,
wo ums nächtliche Feuer geschart
Hirten, wie trunken vom Anhauch der Flammen,
singen von Schönheit, singen von Schmerz.
Sieh, die einsame Seele öffnet
ihre schneeige Knospe dem Mond.
Da sie verstummten, eilen die Lämmer,
weiße Wölkchen auf zitterndem Gras,
bang zu den Müttern, niederstürzend
sprüht letzte Glut das sterbende Scheit.
Sieh, die einsame Seele öffnet
ihre schneeige Knospe dem Mond.
Flüchte in die verwilderten Gärten
eines Vergil, eines Horaz,
wo statt der Grazien rieselnder Stimmen
seufzt die tragische Nachtigall.
Sieh, die einsame Seele verschließt
ihre blassende Knospe dem Mond.
Da sie verstummte, huschen die Mäuse
über zerbrochene Flügel dahin,
Marmortafeln mit gnomischen Versen,
überwuchert von Flechten und Moos.
Sieh, die einsame Seele verschließt
ihre blassende Knospe dem Mond.
Die Sklaven und die Freien
Nicht Laub, das Elegien purpurn malen,
wenn es im Prunk des Todes untergeht.
Die Blüten, die im Tau des Mondes fahlen,
vom Feuerhauch der Hymnen aufgeweht.
Ameisen nicht, die blind um Dauer ringen
und sinken sternlos in das Dunkel ein.
Die Falter, die mit ihren Liebesschwingen
sich stürzen in der Opferkerze Schein.
Nicht Tümpel, die wie faule Phrasen stinken,
vertrocknend in des blauen Schweigens Glut.
Die Quelle, woraus Herzen Hochsinn trinken,
der Erde Dunkel, sonnenhelles Blut.
Gemeine nicht, die Auserwähltes hassen,
auf Verse spucken, wo der Saphir blaut.
Der Edle, scheint sein Banner auch zu blassen,
es zeigt die Lilie, deren Schnee nicht taut.
Nicht Sklaven welterlösender Ideen,
gekettet an den Marterpfahl der Schuld.
Die Freien, die mit ihrem Schatten gehen,
der täglich schmilzt im Strahle hoher Huld.
Nicht Sklaven, die wie Gras an Gras sich ducken,
die Rose schmähen, die sie überragt.
Die Freien, die nicht mit der Wimper zucken,
wenn man nach ihres Lächelns Grund sie fragt.
Dichterische Gesten
Wie sich Selenes Honigscheibe
gespiegelt hat im dunklen Strom,
gabst du der Liebe eine Bleibe
im hymnenlichten Laubendom.
Und schien zu zögern sie auch lange,
löscht neidisch Wolke aus das Bild,
der Liebsten hat die blasse Wange
dein Lied mit sanfter Glut gefüllt.
Wie trunknes Taumeln weißer Flocken
den Schimmer barg im Schilf der Au,
hast du der Anmut Veilchenlocken
beträufelt mit Eratos Tau.
Hat auch der Unhold Wind zertreten
den Samt der Nacht, das weiche Tuch,
die Locke, die du dir erbeten,
hast du verwahrt in deinem Buch.
Bandusia
Fern im Sabinertal,
und ferner noch, ferner,
im freudigen Geiste des Dichters
floß ein einsamer Quell, wo manchmal die Taube
eine Feder verlor, und sie schwamm
zwischen leuchtenden Knospen im Mai,
purpurnem Laub im Oktober
vielleicht bis zum Meere hinab.
Wie sie entsprang, im hohlen Stein
unter ragenden Eichen,
weiß keiner zu sagen, die Erde selbst,
die in die Tiefe gelauscht
und hörte das Schluchzen, die Klage,
wie eines eingeschlossenen Kinds,
hat es vergessen, ob ihr den Mund auftat
mütterliches Erbarmen, ob des Vaters Strahl,
von dem die rauchige Inschrift
der Eichenrinde gezeugt.
Und sie sang,
dem goldenen Lichte des Tags,
das ihre tönende Schale gespiegelt,
bis es im rötlichen Laubicht verglomm,
den silbernen Tränen der Nacht,
die von Lunas Tau in den Schoß ihr,
den im Schlafe sprechenden, fielen,
immer in anderem Melos,
schäumend Pherekrateen,
Glykoneen vertropft im Moos,
seufzend Adonis,
nur in der Stunde des Pan,
wenn dem Hirten die Flöte entsank,
stockte ihr Atem,
nur wenn Venus erblaßte,
überschlug sich ihr Herz.
Der Dichter aber ging hin,
im Frühlicht zitternder Falter,
beim Abendläuten der Herden,
und schöpfte im irdenen Krug,
den apollinische Flamme gehärtet,
den Trunk, der den Durst ihm gelöscht,
den Durst nach klarer Empfindung,
nach Belebung der Trübsal,
des Zwielichts, der Dunkelheit
mit funkelnder Sprache Gestalten.
Nun ist das Melos verstummt,
zugeschüttet die Quelle,
die Eichen gefällt,
keine Feder schwebt mehr herab,
die Taube und ihre Schwestern,
die einst um den schlafenden Knaben
betauten Lorbeer gehäuft,
die Tauben sind tot,
dunkel das Schicksal des Krugs,
verschollen die Scherben.
Warum? Wer weiß es zu sagen?
Die Erde, von Dickicht verhüllt,
unter wüstem Erinnerungsschutt
halb schon erstickt,
sie schweigt,
und der ihr die Zunge gelöst,
der Geist der himmlischen Höhe,
bog zurück seinen Strahl
in die sternlose Nacht,
jenseits der schneeigen Gipfel,
jenseits der glühenden Wolken,
unsichtbar allen Profanen,
die ihn verlästert,
den Durst nach dem heiligen Quell.
Der Tod der Nachtigall
Wer denn könnte nach ihr tönen
mehr als wirres Traumgelall,
wer sich mit dem Tag versöhnen
nach dem Tod der Nachtigall?
Seit sie stürzte von den Zweigen,
vor der Säge Schrei entsetzt,
muß die wunde Seele schweigen,
die des Sanges Tau genetzt.
Wer denn könnte reiner singen,
was dem Moos der Nacht entquoll,
wer muß nicht nach Atem ringen,
wenn der Quelle Hauch verscholl?
Da man sie hat zugeschüttet
und gestopft den Mund mit Teer,
ward der Muse Geist zerrüttet
und das Herz des Dichters leer.
Wem rinnt Liebe noch in Tränen
über Sapphos Veilchenkranz,
da der Geifer der Hyänen
trübte ihrer Oden Glanz?
Da des Mondes Sand aufwühlte
der Titanen Überfall,
gilt für tot, die monden fühlte,
Mytilenes Nachtigall.
Späte Fahrt
Stille tropft im Abendrot
Tau von Zweigen,
und wir schweigen,
seufzt die Woge um das Boot.
Hohen Waldes Wunderglast,
der Kapelle
Muschelhelle,
ist wie Gaukelei verblaßt.
Was uns einst ins Herz gedrungen,
Wasserlallen,
Nachtigallen,
ist wie Springkraut weggesprungen.
Strahl, der aus dem Fels gequollen,
süß den Kranken,
die ihn tranken,
ist versiegt, der Trost verschollen.
Doch uns hat noch Dämmerung
ausgegossen
Gold von Flossen,
stummen Lebens Funkensprung.
Treiben hin wir ruderlos,
und wir sehen
Wolken gehen,
sinkt mein Kopf auf deinen Schoß.
Und es schmeicheln unsrer Haut
die verglühten
Rosenblüten,
Hand, von Blumenschaum betaut.
Bergen Schilfe unser Boot,
schenken Müden
dunklen Frieden,
wünschen eins wir uns im Tod.
O komme heim
Wie Bäume, deren Wurzeln fühlend sehen,
die Blätter selbst, daß sie den Herbst wohl nicht,
die Winterbitternis kaum überstehen,
noch einmal saugen tiefer ein das Licht
und alle Säfte aus dem Dunkel ziehen
in weißer Blüten übervolle Pracht,
in Purpurfrüchte, die wie Seufzer glühen
verzagter Liebe in der Sommernacht,
hast du, als geisterhaft sich Schatten längten
auf deinem abendlichen Dulderpfad,
die Verse, die ins Moos der Stille drängten,
gehoben auf den schmalen Gipfelgrat,
von wo die Wasser auseinanderliefen.
Da habt ihr noch den Fremdling angeschaut,
o Augen, die wie Anemonen schliefen,
von Tränen süßer Wehmut übertaut,
habt aufgetan euch seinem wehen Hauchen,
und strahltet mondesmild: „O komme heim!“
Wie Schwäne ihre müden Häupter tauchen,
zergeht dein Lied im schaumverlornen Reim.
Der Verschollene
Heiß atmen fühlte dich die Erde,
den ungetreuen, dunklen Sohn,
geflohen von der dumpfen Herde,
als wären Wort und Wärme Hohn.
Und unter deinen schweren Schritten
zerstob des Teppichs weicher Saum,
der aus der Tannennacht geglitten,
als sänkest du in schwarzen Schaum.
Und leiser, immer leiser Stimmen,
als schlösse sich der Himmelssaal,
und schwächer, immer schwächer Glimmen
von Blüten auf dem Ahnenmal.
Da sahst du sie durch Zweige blinken,
den Brunnen blau, die Lilien weiß,
an denen Sonnenfalter trinken,
die Veilchen und den Ehrenpreis.
Ob du den Garten hast betreten,
den dunkler Erde zeugte Licht,
den Schmerz zu weiden auf den Beeten,
wir hoffen es, wir wissen’s nicht,
nicht, ob du heitere Genossen
gefunden hast in lichtem Hag,
ob dir der Liebe Tau geflossen.
Du bist verschollen seit dem Tag.
Der Wahrheit Wüstenwind
Die sich so närrisch biegen und verrenken,
sie weht der Atem der Geschichte an.
Die heut ihr Fähnlein Lichtidolen schwenken,
sie weihen morgen es dem Dunkelmann.
Umjubelt drängen von den Schmuddelrändern
Krakeeler, die kein Flügel je umrauscht.
Es treibt, die statt dem Licht zu zeugen gendern,
steriler Geist, der seinem Röcheln lauscht.
Sie weinen gleich, die sensitiven Flocken,
behaucht sie herber Wahrheit Wüstenwind.
Perversen Frömmlern läßt den Atem stocken,
daß es im Schoß des Weibes wächst, das Kind.
Die alle Farben mischend gläubig hoffen,
daß sich das grelle Bild des Festes zeigt,
sind von dem Grau, dem schmutzigen, betroffen,
das aus dem Abgrund dumpfer Wildnis steigt.
Sie wirren Hoch und Tief, sie kreuzen Sprachen,
zerreißen Verse und bespein den Reim,
sie grölen auf dem ruderlosen Nachen
das Sklavenlied vom Wolkenkuckucksheim.
Maulwürfen gleich durchwühlen sie die Erde,
nennst du der Väter Namen, brichst du ein.
Sie kennen nicht der Gnade „Stirb und werde“,
Erinnye lechzt nach Blut, verschmäht den Wein.
Das Herz der Liebenden
Wie unterm Schleier ernster Weiden,
vom Frühlingshauch emporgeweht,
um Blüten sprühen weiße Seiden,
hat sich dein Herz ins Licht gedreht.
Wie unter welken Lebens Wangen,
von Abschiedssonnen überhaucht,
die Lippen kühlen Tau verlangen,
hat sich mein Herz in Nacht getaucht.
Wie zweier Falter trunknes Zagen
vor einer Rose weichem Schoß,
ist müdes Flügeln, was wir sagen.
Herz laß das Herz ins Schweigen los!
Klageregister des Vergrämten
(Auszug)
Der obszöne Lärm der Welt
Der Moloch Stadt
Die erzwungene Nachbarschaft mit üblen Gerüchen, plebejischen Manieren, frechem Lachen und quäkenden Hammondorgeln
Eisenbahn, Automobil, Telefon und Kanonen, die großen technischen Errungenschaften als Götzenbilder am Rand des abschüssigen Pfads des deutschen Geistes
Aus dem von einem tätowierten Affen gesteuerten rasenden Wagen apokalyptisch hämmernde Boxen
Unter Teer und Asphalt ersticktes Grün
Vom Blech des Mobilitätswahns verstellte Wege
Idioten des Lebens, die um seine Verlängerung, ob im Siechtum oder in debilem Vorsichhindämmern, betteln oder dem Wahn aufsitzen, ihre Identität virtuell in der Datenbank abspeichern zu können
Damen, die boxen
Frauenfußball
Schönheiten aus besseren Kreisen, die Kunstgeschichte studieren, um sich den Connaisseur zu angeln
Alte Vetteln mit rotgefärbtem Kurzhaarschnitt
Künstliche Wimpern, lila Lippen, leere Blicke
Die flackernde Lampe der Lust, die nur das schwarze Tuch des Schreckens gnädig verhüllt
Kunstakademien, die Dämchen mit Bestnoten entlassen, die Vulven in Serie malen und das wolkige Gekröse fader Begierden
Tief Dekolletierte, die mit dem geliehenen Fächer exotischen Wissens wedeln
Hübsche Plaudertaschen pseudowissenschaftlicher Magazine, die keine Wissenschaftler sind, sondern Wissenschaftler:innen
Von Steuergeldern gefütterte Horden von hysterischen Betroffenheitsheulsusen
Flachbrüstige, unfruchtbare Abtreibungsfanatikerinnen
Großsprecher, die über das Winseln des Hündchens zu ihren Füßen hinwegtreten, um coram publico von der Rettung der Welt zu schwadronieren
Geistige Schmutzfinken, die Sprachhygiene betreiben
Fettleibige Heuchler, die mit dem moralischen Zeigefinger auf den Wasserbauch des hungernden Negerkindes zeigen
Puristen und Vegetarier, die mit der Fliegenklatsche reiner Gesinnung die rätselhaft sirrende Mücke, die sich vom Dung des schmutzigen Lebens genährt hat, erlegen
Die saturierten Apologeten der Freizügigkeit und offener Grenzen, die sich in ihrer mit modernster Überwachungstechnik ausgerüsteten Vorstadtvilla verschanzen
Gesinnungssklaven, die wähnen, Frauen und sechzig andere Geschlechter würden durch die Verwendung des generischen Maskulinums aus der Sprachgemeinschaft ausgeschlossen
Wirrköpfe, die meinen, das richtige Argument würde im Munde des Falschen anrüchig oder nichtig
Jazz
Free Jazz
Verjazzter Bach
Abstrakte Kunst
Die akustische Verseuchung von Fahrstühlen, Warteräumen und Supermärkten
Intellektuelle
Hypertrophie der Geschlechtsteile und Mikrosemie der Seele
Pseudo-Gelehrte, die grammatische Regeln und Strukturen als kulturelle Konstrukte zur Stützung patriarchalischer Herrschaft entlarven
Siechtumpoeten, die den künstlichen Eiter vorgetäuschter Wunden auf das zerknitterte Laken ihrer Verse triefen lassen
Die mürben, ausgemergelten, lendenlahmen Nihilisten, die das Weltenei für taub erklären und die eigene Mutter verleugnen
Pseudo-Philosophen, die ex cathedra verkünden, ein Satz bedeute, was wir uns dabei denken, und die Welt sei der Spiegel unserer eitlen Grimassen
Der Tugendterror der neuen Jakobiner, die statt des Beils der Guillotine das Messer der Verleumdung wetzen
Die neuen Savonarolas der Gleichheit, die im Begriff sind, die Werke der Unnachahmlichen, der Einzigen, der Einsamen aus den Bibliotheken zu verbannen oder öffentlich zu verbrennen
Öffentlich-rechtliche Propagandaanstalten, für deren Ausstrahlung von gesinnungsethisch gefilterten Nachrichten, Reportagen und Kulturmagazinen und den guten Geschmack verhöhnender seichter Unterhaltung Zwangsgebühren erhoben werden
Tersites und Konsorten, die unter eitler Demonstration ihrer Verkrüppelung und schlotternder Glieder den Sinn des Kampfes um die schöne Helena bestreiten
Die gestern den alten Professor und Goetheverehrer mit faulen Eiern bewarfen und sich mittlerweile selbst zu professoraler Würde emporgepfuscht und emporintrigiert haben, und heute den Rebellen, der sich dem staatlich verordneten Sprachregime verweigert, des Hörsaals verweisen
Die geistige Vermüllung des Campus
Zarte Seelenflöckchen, die gleich schmelzen, wenn der Wüstenwind der Wahrheit weht
Der Verfall des abendländischen Ethos der Wissenschaft, die sich dem Sprach- und Meinungsdiktat beugt und den Stiefel leckt, der sie in den Morast der Selbstverleugnung hinabdrückt
Statistiken, die voraussagen, was das Dogma verlangt
Das alte Preußenschloß, das man nicht mit Werken deutscher Meister füllt, sondern mit Fratzen, Fetischen und Idolen vom weißen Mann ach! arrogant verkannter indigener Völker
Pseudo-Germanisten, die mit dem Namen Hölderlin nur den pubertären Tanz um den Freiheitsbaum und die Autenriethsche Maske als Zeugnis repressiver Psychiatrie verbinden
Die vor dem schwarzen Quadrat wie vor einer Ikone knien
Die glauben, Klopstocks Oden seien Ranken verworrener Verse, auf denen müde Abendsonnenflecken verglimmen, und Adalbert Stifters Schriften biedermeierliche Idyllen, die längst im Abgas der Schlote erstickt sind
Betrügerische Seelenzergliederer mit dem Flair à la Parisienne, die den Namen Vater für verrucht und die Freude, Dankbarkeit und Liebe, die dem Schoß der Mutter mit der Geburt ihres Kindes entspringen, für antiquierte Gemütsbewegungen halten
Die neuen staatlich alimentierten Seelsorger, die der Verlorenheit der Seele Planken und Geländer errichten, an denen die wankende den Halt findet, den ihr einmal der fromme Glaube an den Schutzengel gewährt haben mag
Die Bußprediger, die als Ablaß für die Taten der Väter Rituale der Selbstverachtung und der Verhöhnung heimatlicher Sitten in Umlauf bringen
Die Verkümmerung des freien Sprossens der Dichtung auf dem dürren Anger der politischen Moral
Die Haltung vermitteln wollen und ihr Fähnchen im Wind flattern lassen
Der törichte Rezitator, dessen Stimme zittert, wenn er Rilke spricht, der die Augen gen Himmel rollt, wenn er Hölderlins An die Parzen vorträgt, der sagt, was er fühlt und was er dem Dichter an Gefühlen unterstellt, nicht aber den Rhythmus der Verse wiedergibt, der das Gesagte und das Ungesagte umfaßt
Strauchelnde, schreiende, sich im warmen Urin ihrer nicht kontrollierbaren Emotionen wälzende Schauspieler, denen die starren Szenen aus Becketts späten Stücken Hohn sprechen, wo die Darsteller marionettenartig im Kreis gehen, in Amphoren oder im Sand feststecken
Ressentimentbehaftete Geister, die alles, was wie der harmonische Strom mozartischer Melodien oder der selig verlorene Rhythmus der Sonette an Orpheus anmutet, auf die Verdrängung eines ursprünglichen Traumas zurückführen
Die fade, instinktlose, unkünstlerische Emblematik der Euro-Scheine, die ein Bild der geistigen und ästhetischen Entwurzelung ihrer Benutzer darstellt
Die glauben, Nietzsche ad hominem widerlegen zu können, weil er den Tod Gottes ausrief, aber in gnädiger Umnachtung sich in den Wahnsinnsbriefen an Cosima als den Gekreuzigten bezeichnete, oder Wittgenstein, weil er lausige Schulbuben in den Dörfern Niederösterreichs windelweich geschlagen hat
Das schreckliche Ende Edith Steins, das eines der vielen Zeugnisse für das Scheitern der deutsch-jüdischen Symbiose darstellt
Klopstock, Goethe, Hölderlin, vielfach schon aus den Curricula gestrichen, ansonsten nur ein bleiernes Bildungsgut, das dem Pennäler Kopfweh verursacht
Die Verkümmerung natürlicher Anmut
Der Verlust des religiösen Empfindens, Fühlens, Sinnens und das törichte Surrogat politisch-moralischer Heilslehren
Die Verdächtigung und Verunglimpfung des Zögernden, des Ungebundenen, des Melancholikers, kurz des Dichters, als eines Immoralisten und Sozialdienstverweigerers
Demokratische Vergötzung des Durchschnitts und plebejische Verächtlichmachung des Genies
Das Messer der Egalität, das alles Überragende und Hochsinnige, die Sonnenblume und die Orchidee, auf das unterste Niveau des allgemeinen Geschwätzes und die monotone Mediokrität des englischen Rasens kürzt
Was ich verschwieg
Der blasse Flaum, wie er am Schattengitter klebt,
er zittert wohl, doch aus sich leuchtend still,
und hingerissen in die sommerblaue Luft entschwebt,
der Wind, der Federnleser, nimmt ihn mit, wohin er will.
Der Tropfen, der am Farnenbart des Steines hängt,
er glänzt, wenn auf dem Purpurmaar des Abends Wolken schwimmen,
wie eigne Fülle ihn zur Tiefe drängt,
ins Moos der Dunkelheit will er sich lösen und verglimmen.
Und was du mir gesagt, als sich das Gras sanft um uns bog,
das Wort hat, warm von deinem Hauch, gelächelt,
der Schmetterling, das gelbe Blatt, das geisterhaft ins Dunkel flog,
hat sich im Schoß der Rose müd gefächelt.
Was ich verschwieg, als über uns das Uferschilf sich schloß,
das Wort, das Wimpern hat wie Traumes Lider schwer,
erschauerte, als Tau es weich umfloß,
ich schlug die Augen auf und sah das ungeheure Lichtermeer.
Das Verblassen der Bilder
Die uns die Namen schenkten,
wußten göttlich den Ursprung der Sterne,
Tropfen Milch, die Heras Brüsten entquollen,
als Herakles daran gesaugt.
Sie sahen Äthiopiens schöne Tochter
Andromeda strahlen am nächtlichen Himmel
und Perseus, der sie aus dem Rachen
des Ungeheuers gerettet.
Sie sahen Pegasus, dem Haupt der Medusa
entsprungen, als der Heros es abschlug,
das geflügelte Pferd, das auf dem Helikon stampfte,
und der Dichtung Quell hat gesprudelt,
den Delphin, vom Meergott zum Sternbild
verklärt, weil er die schöne,
die er begehrte, gefunden,
Amphitrite.
Sie auch glänzte ihnen herab,
die Locke der Berenike,
die sie der Liebesgöttin geweiht,
nach höchstem Ratschluß aber
blähte sie Sternenwind.
Und all die anderen Bilder,
Leier, Schwan und Plejaden,
Fische, Widder und Stier,
sind Bilder der mythischen Seele,
die hellenische Dichter behaucht.
Diadem auf des Weltgrunds blauschwarzem Samt,
das aus sich selber immerdar funkelt,
haben die Kosmosgeschwister,
die tragisch vom Dasein Entzückten,
gerne betrachtet,
unverwelkliche Blüten
im Meer der ewigen Nacht
sah ihr ungewappnetes Auge,
und woran wie Tränen
Sterne geglitzert,
die Fäden des Fatums.
Gedenke auch der Propheten,
die im Licht des Tags und der Nacht
die göttlichen Spuren gewahrten,
das Antlitz des Herrn in der Sonne,
der Weisen aus dem Morgenland,
sie führte der Stern der Erlösung.
Dem bangen Herzen auf schwankendem Boot
aber winkte zum rettenden Ufer
des Morgensterns keuscherer Strahl.
Was bleibt uns statt Bildern heiliger Dichtung?
Monströs behelmte Astronauten,
künstlich beatmet,
die auf der öden Mondoberfläche
hampeln und hopsen,
während im Hintergrund der blaue Planet
unwirklich leuchtet,
und uns der Zweifel beschleicht,
ob solch technophrene Banausen
von dorther stammen,
wo Luna dereinst Endymion küßte,
wo Sappho Selenes Trauer empfand,
wo der Wandsbeker Bote
das Siegel des Monds
auf das weiche Wachs
der Empfindsamkeit drückte,
wo der schlesische Sänger
deutscher Seele Flügel verlieh,
die vom Tau des Mondes geschimmert.
Der abgewandte Blick
Es war die Rebe, die noch Schimmer gab,
goldenen Lichtes Laub für unsern Herbst,
doch was dem spröden Mund versprach die Traube,
zerfloß, ein Schaum der Sonne, schon im Gras.
Wie war dein Gang beschwingt, da sich die Pfade
hinangeschlängelt in den Dunst des Bergs,
der langsam ausgeatmet, was in Träumen
ihm aufgeseufzt des großen Stromes Nacht,
nun glomm die Woge in umrankten Gittern.
Wir brauchten Worte nicht, uns sank ein Hauch,
von Höhen dunkler Waldung mild herab
Gezwitscher und was kindlich Hand in Hand
uns schauern ließ, wie trunken Herzen stocken,
der Ruf des Kuckucks. Und groß mir aufgetan,
die blaue Knospe deines Blickes flehte:
„Mag meiner Wimpern Feuchte dich benetzen,
mein milder Tau in deine Wunde rinnen
und wehen um dein krankes Herz mein Duft.“
Ich aber sah im reinen Blau ihn flügeln,
den Schatten, falkenscharf, den Tod im Blick,
doch sah ihn nicht, im kleinen Maul die Beere
ins Nest zu schleppen ihrer Brut, die Maus.
So wandten abwärts wir den Blick, zum Ufer,
im Schilf der Dämmerung uns Trost zu suchen
vorm allzu scharfen Strahl, getaucht ins Zwielicht,
dem monotonen Sang zu lauschen, Wassern,
die selig noch geleckt am Moos des Quells,
und müde ihrer segenslosen Fracht,
jenseits des Menschen untergehen wollen
im Meer, das über leeren Urnen rauscht.
Daß sie uns mit sich nähmen, streuten wir,
Mohnblüten du und ich zerknüllte Verse.
Schlafen, versickern
Dort wo hinabsinkt der Tag
in die Schattengrüfte der Erde,
brennt es am Himmel,
oder es streuen unsichtbare Hände
Rosenglut auf sein Grab.
Ich aber möchte, sagt das Gedicht,
das unterm Flechtenbart eines Felsens
der vom Mond geweißten Alpenwand
staunend entsprang
und im Frühlicht des Enzians
gläubiger rieselt,
erschauernd unter eines Gamsbocks
schlürfender Zunge,
vom Mittagsdust bitterer Kräuter benommen,
hört es die Ziege sie rupfen,
ins Tal, wo der Nebel die Abendglocke verschluckt,
sich schlängelnd hinab,
im dämmernden Hain von Astern
und Dahlien, die im Halbschlaf sich wiegen,
seufzend ins Moosdunkel sickern.
Dort wo die Nacht sich verhaucht,
flimmert ein wolkiger Flaum,
einer fliehenden Schönen Locke,
gewickelt um den rosigen Finger
der wunderlichen Göttin,
die Homer als Eos besingt.
Ich aber möchte, sagt das Gedicht,
ein aus Eichenholz gezimmerter Bottich
unter dem Rohr der Gartenhütte,
die klingenden Tropfen des Sommerregens sammeln,
und tunkt im Morgengrauen die Lieblingin
der Blumen die blecherne Kanne,
erquickende Feuchte zu gießen
über die dürstenden Schwestern
sapphischen Sangs,
Rosen, Rhododendron und euch,
schwermütige Veilchen,
leergeschöpft
unterm Gezwitscher der Zweige
in den Tag hinein schlafen,
schlafen, bis wieder Tröpfeln mich weckt,
die weiche Sonate des Regens.
Die Einsiedler
Wir wollen nach den Hügeln ziehen,
wo süß die Traube schwillt,
magst mit mir aus der Wüste fliehen,
wo uns kein Lied mehr quillt.
Wir machen Rast bei der Kapelle,
der Muschel auf dem Hang,
wir sehen schon den Schaum der Welle,
und fern rauscht uns Gesang.
Es windet sich der Pfad durch Gärten,
wo Rosen Tau entzückt,
Waldtauben, unsre Weggefährten,
sind längst dem Blick entrückt.
Dort ragt die Eiche bei der Linde,
Laub rührt an Laub traumsacht,
das Harz tropft aus der dunklen Rinde
wie Honig in der Nacht.
Dort ist die Hütte, die ich meine,
Basalt, der Schiefer matt,
doch leuchtend rankt sich um die Steine
der Rebe Purpurblatt.
Hier können wir der Stille leben,
und ward die Liebe müd,
wird sie mit sanften Schatten schweben,
wenn stumm der Mond erglüht.
Und sind wir einsam auch zu zweien,
ein Kind ward uns gesandt,
dem Ochs und Esel benedeien,
hebt es die Segenshand.
Ob Blüten fallen oder Flocken,
uns wird der Tag zum Traum,
und wenn des Lebens Quellen stocken,
so spüren wir es kaum.
Und pochen einmal hohe Gäste
an unser morsches Tor,
so raffen wir die kargen Reste
und rücken Krüge vor,
die blaubemalten, und wir gießen
des edlen Weines Gold,
mag Liedes Glanz ins Dunkel fließen
wie eine Träne hold.
Und dürfen wir den Hohen sagen,
was uns das Herz gebot:
Allein soll keiner Trauer tragen,
gemeinsam sei der Tod.
Wie zart der Schein verlischt
Wie Wasser, die in Todesforsten singen,
ihr Traumgelispel hört der Waidmann nicht,
sind Verse, die im Schoß der Nacht entspringen
und schauern, wachgeküßt von Sternenlicht.
Und freudig wollen sie in Ströme münden,
die ihrer Heimat efeugraues Blatt
an Ufer tragen, wo ihm Buchen künden,
daß Herbstgesang noch rote Lippen hat.
Wie Blüten, die auf grünen Teichen schwimmen
und geben Duft noch, bricht die Nacht herein,
sind Verse, die im Dunkel weiterglimmen,
wie Kerzen vor dem längst verschlossnen Schrein.
Sie flackern wehmuttrunken, sind verlassen
die Bänke auch, verebbt der Hymne Gischt,
der Purpurmund Mariens will erblassen,
als rühre sie, wie zart der Schein verlischt.
Homo universalis – ein Zerrbild
Philosophische Sentenzen und Aphorismen
Die Welt sei im Kopf, künden Einfaltspinseln, die sich für Philosophen halten oder für Philosophen ausgeben. Frage dich: Wäre die Welt im Kopf, wo ist dann der Kopf?
Wer glaubt, die Welt sei im Kopf und sprachliche Bedeutungen reine Fiktionen, sägt den Ast ab, auf dem er sitzt, ja, er fällt schon und singt dabei noch ein jubilierendes Lied.
Wie beneidenswert: fallen und dabei singen.
Wäre alles, was wir als Gegenstände wahrnehmen und identifizieren können, das Erzeugnis unseres Gehirns, welch ein obskurer Gegenstand ist dann dies wahrnehmbare und identifizierbare Ding, das Gehirn?
Der semantische und ontologische Idealismus ist genauso unbegründbar und sinnlos wie sein Spiegelbild, der Materialismus.
Der ästhetisch bedeutsame und nicht selten fruchtbare Wille zur Form parodiert und dämonisiert sich im Zerrbild des poetischen Schemas und des politischen Ideals.
Das heutige Ideal der Aufgeklärten ist der moralisch und geistig uniformierte Leibeigene des Staats oder des staatlich überwachten Kollektivs.
Steine, Pflanzen, Tiere sind Gewächse ihrer jeweiligen Landschaft, sie haben die Gestalt, das Kolorit, den Duft und die Atmosphäre, die aus ihrem kargen oder üppigen, steinigen oder tonigen, rissigen oder moosigen Erdreich entspringen. So auch der Mensch, der wirklich ist nur durch die eigentümliche Physiognomie seiner Herkunft, so auch die Mythologien, an die er glaubt, und die Sprachen, die er spricht – die verschieden gebauten und mehr oder weniger reich verästelten Strukturen der Grammatiken des Mythos und der Wortsprache gleichen den Schichten und Fugen der Kristalle, den Geflechten der Pilze, den rätselhaften Maserungen und Mustern im Kiesel und Schiefer, auf den Schalen der Vogeleier und den Häuten der Schlange, den Ornamenten auf den Flügeln der Falter.
Der grobknochige nordische Wikingerhüne, der sich mit dem mythischen Schwert bis nach Kiew durchschlug und mit einem hölzernen Götzen auf schlankem Boot bis zur Behringstraße segelte; der weichliche Weibmann auf Bali, der im knapp über die Brust gezogenen, geblümten Mädchenkleid und mit Blüten im Haar in Reih und Glied mit seinen Gamelan-Geschwistern das verzierte Hämmerchen synchron auf die Tasten schlägt, während seine ebenso bunt kostümierte, aber üppiger geschminkte schöne Tochter dem Gott Shiva und seiner Geliebten ein Blumenopfer darbringt; der feist lächelnde chinesische und der in der Aureole der Luft schwebende japanische Buddha; das finster-listig blickende Wurzelmännlein aus dem Schwarzwald und die mit der schwellenden Anmut ihrer zarten Gestalt lächelnde rheinische Madonna.
Jene aber wähnen, sie wären im luftleeren Raum oder im Niemandsland einer wurzellosen Menschheit geboren; oder in einem Raumschiff hoch über der Erde.
Die tektonischen Platten der Erde, die unausbleiblich, solange die Erde existiert, in Bewegung sind, aufeinanderprallen, sich übereinanderschieben und Verwerfungen und alpine Faltungen, Erdbeben und Verwüstungen verursachen; nicht anders die Tektonik der Staatsgebilde, die unausbleiblich, solange es Staaten gibt, aneinanderstoßen und Verheerungen und kriegerische Konflikte nach sich ziehen.
Die reich verästelte Grammatik der griechischen Mythologie – sie ist noch ungeschrieben.
Der alte Idealtyp des Homo sovieticus und der neue des Homo universalis, der in Frankfurt an der Börse spekuliert, übers Wochenende zum Shoppen nach New York reist und die Urne mit seiner Asche am liebsten in den Weltraum ausstreuen lassen möchte, konvergieren gegen die Asymptote vollkommener spiritueller Leere.
Der nach Weltherrschaft strebende Homo universalis ist ein Zerrbild des Huomo universale der Renaissance; statt eines ins Morgenrot lächelnden Antlitzes gewahren wir die starre Maske moralischer Selbstgefälligkeit.
Morphologie der ästhetischen Gestalten – ihr genialer Ansatz bei Goethe, ihre geistreich wuchernde Überdehnung bei Spengler.
Die Entstehung und Entwicklung der dichterischen Gestalt folgen keinen darwinistischen Kriterien der Variation, Selektion und Anpassung. Die Urformen der Ode finden wir wie aus dem Nichts entsprungen, jedenfalls nicht als Ergebnis sich ausdifferenzierender sprachlicher Evolution, bei Alkäus, Sappho und Asklepiadeus. Horaz gewinnt sie für die lateinische, Klopstock und Hölderlin für die deutsche Sprache; aber mit ihrer Form blieb der Grundklang ihrer erhabenen Tonalität erhalten.
Aus einer Indianersprache oder den Idiomen der afrikanischen San und australischen Aborigines konnte wohl die Struktur der Ode nicht entspringen; aber noch weniger aus einer künstlichen Sprache wie dem Esperanto oder den Algorithmen einer formalen Idealsprache.
Man lernt den Walzer Schritt für Schritt, aber wenn es ums Walzen geht, wird, wer sich die Schritte immer noch im Geiste vor Augen rücken muß, dem Partner ständig auf die Füße treten.
Der totalitäre Charakter auch einer durch medial narkotisierte Abstimmungsrituale legitimierten Herrschaft zeigt sich in der offiziellen Feier der angeblich unabhängigen Presse bei gleichzeitigem Durchgriff auf die Gehirne der Einzelnen durch sprachliche Gängelei und Zensur in moralisch durchsäuerter Vorschulpädagogik und schulischen Curricula.
Der Homo universalis wird ein Kauderwelsch reden, in dessen Sumpf die edle Gestalt freier Dichtung rettungslos untergeht. – Aber reden und schreiben sie es nicht schon vierundzwanzig Stunden am Tag in Fernsehen, Funk und Feuilleton?
Der jesuanisch Gesinnte und der heroische Samurai können sich nicht verstehen. Warum sollten sie auch?
Und doch gab es den frommen Ritter, der in den heiligen Krieg gen Jerusalem zog, um die mystischen Stätten von der Entweihung durch die Heiden zu entsühnen. War er, weil sein Schwert vom Blut der Ungläubigen tropfte, weniger fromm als der Eremit im härenen Gewand, der keiner Fliege etwas zuleide tat?
Der zoologisch-anthropologische Begriff des Homo sapiens ist nicht bedeutungsgleich mit dem historischen Begriff des Homo agens und dem ästhetischen des Homo loquens oder Homo ludens.
Der Ureinwohner der arktischen Wüsten kann die Sesenheimer Lyrik Goethes oder das japanische Haiku nicht verstehen, wenn ihm das Bild der leuchtenden Natur und des scheuen Heiderösleins unter dem ewigen Schnee verborgen bleibt und der silberne Klang der Tempelglocke vom Geheul des Schneesturms erstickt wird.
Wir können ein frisches Reis auf den alten Rebstamm pfropfen; und die Traube, die heranreift, beschenkt uns mit einem vollmundigeren Wein. Nicht aber können wir auf den alten knorrig-knotigen Stamm der Sprache ein künstlich erzeugtes Element aus dem Sprachlabor pfropfen; der Rhythmus der Sprache und der lebendige Strom des Sinns werden bald am fremd und nackt herausragenden Block des Unsinns zerschellen.
Hesiod betont den genealogischen Zusammenhang des Mythos; Götter zeugen Götter und Heroen. Doch um ein Kind in die Welt zu setzen, bedarf es sowohl eines männlichen Samens als auch einer weiblichen Eizelle. Und wiederum sind Vater und Mutter Abkömmlinge von Vätern und Müttern, sodaß sich die genealogische Reihe potenziert. Die genealogischen Linien verlaufen vom gegenwärtigen Zentrum strahlenförmig aufwärts und verästeln sich immer mehr. Wenn wir dagegen von einem beliebigen Kreuzungspunkt genealogischer Linien abwärts steigen, können wir auch über Seitenlinien zum aktuellen Zentrum gelangen, so wie wir die Hauptstraße, aber auch Nebenstraßen nehmen können, um an den Treffpunkt zu kommen.
Hesiod überlagert die genealogischen Linien darüber hinaus mit einem mythisch-dynastischen Muster der Inthronisationen, Revolutionen und neuer Herrschaften; auf das Zeitalter des Uranos folgt dasjenige des Kronos, der wiederum von der Herrschaft des Zeus und seiner Brüder Poseidon und Hades abgelöst wird, die (man könnte meinen paradoxerweise) dem Dichter als unerschütterlich gilt.
Das mythisch-dynastische Muster wird seinerseits überlagert von einem mythisch-geographischen, denn Zeus ist der Gott des Himmels, Poseidon der Gott des Meers, Hades der Gott der Unterwelt.
Man könnte sagen, und hier löst sich das genannte Paradox auf, die mythische Geschichte gipfelt in der menschlichen, denn Zeus verkörpert nicht nur die Herrschaft der Natur, sondern auch die Ordnung des menschlichen Gemeinwesens und des Staates.
Seevölker und Kontinentalmächte bilden ein historisches Spannungsfeld. Die aufsteigende Seemacht Athen, die sich erfolgreich gegen die Landmacht Persien zur Wehr setzt, aber schließlich nicht nur vor der Landmacht Sparta kapituliert, sondern schließlich von der ungeheuren Kontinentalmacht der makedonischen Herrschaft unter Alexander und den Diadochen geschluckt wird; die Seemacht der Briten, die über die Kontinentalmacht des Deutschen Reiches den Sieg erringt.
Der nach der Weltmacht ausgreifende Homo universalis kann nur ein Zerrbild der traditionellen Herrschaft bilden; das Streben, zugleich die Meere und die Kontinente zu beherrschen, mündet in einen Albtraum.
Der Tiber und Rom; Strom und Stadt bilden eine mythische, geographische und politisch-kulturelle Symbiose.
Das globalistische Englisch des Homo universalis ist nur ein Zerrbild der Sprache eines Shakespeare, eines Milton oder Yeats.
Augustus umgab sich mit Geistern wie Maecenas, Horaz und Vergil; wer liest dem amerikanischen Präsidenten oder dem deutschen Kanzler Gedichte vom Range horazischer Oden vor?
Neben den Sprachen der Völker finden wir das Idiom der Stämme, Völker und Nationen übergreifenden Reiche, wie das Gemeingriechische bei den Diadochen, das Lateinische im christlichen Mittelalter, das Französische der humanistisch geprägten Höfe, zugleich die Gegenbewegung der um ihren Eigenausdruck ringenden Regionen und Kulturen wie im Italienischen Dantes und Petrarcas, im Provenzalischen der Troubadours, in den wuchtigen Blöcken und leuchtenden Bildern des sich von der lateinischen Eleganz des Humanismus abkehrenden Lutherdeutschen oder in der sich durch Rückgriff auf die antike Ode vom romanischen Alexandriner befreienden Dichtung eines Klopstock.
Der Homo universalis wird auf die Dauer keine anderen Sprachen und Ausdrucksformen neben seinem faden, ausdrucksarmen, aber unerbittlichen Idiom mehr dulden.
Wir fühlen, wie in Hölderlins großen Stromgesängen das mythisch-landschaftliche Empfinden und die thalassische Schaumesgischt der alten mittelmeerischen Kulturen bis an die idyllischen Ufer des Neckars zurückrauscht.
Man kann wohl mit Nuancen von Grau, aber nicht ausschließlich mit Schatten malen.
In abgestandener Bibliotheksluft und in der klinisch reinen Atmosphäre des Labors ersticken die Gefühle, die Gedanken, die Sprachen wie die Blüten im Sumpf, wie die freien Töne in der von Würgen gepackten Kehle.
Die aufdringliche oder aufsässige Klage des Opfers und die Stimme des exhibitionistisch entblößten Jammers verfügen über keinen hermeneutischen Universalschlüssel zum Verständnis der Mächte und Geheimnisse des Lebens.
Das Antlitz des Jammers, der Armut, der Ohnmacht ist nicht weniger abstoßend als die ölige Visage der Protzerei, des dumpfen Luxus und der von greulich-grellen Tattoos entstellten Eitelkeit.
Abtakt und Auftakt der Melodie des Lebens, der Schrei der Neugeborenen und der Seufzer des Sterbenden, gleichen sich aus, wenn die Sonate des Lebens ihre Form vollendet hat.
Die ästhetische Wahrnehmung des Raumdinges Plastik und der Gesamteindruck des Zeitdinges Gedicht stehen zueinander, wie Lessing erkannte, in hoher hermeneutischer und ästhetischer Spannung.
Wir können um das Gedicht nicht bedächtig, pfeifend oder genüßlich ein Eis lutschend wie um die freistehende Plastik herumstolzieren und es gleichsam von außen betrachten; wir müssen es Atemzug für Atemzug in unseren Blutkreislauf übergehen lassen.
Die epische Beschreibung gleicht dem (im Gedächtnis) vorrückenden Schatten der Sonnenuhr, wogegen die malerische im vollen Licht der Gegenwart glänzt.
Die moralische Absicht mindert oder verdirbt den ästhetischen Gehalt.
Wie die Pseudopodien des urtümlichen Einzellers oder die rhythmisch-fließenden Ausstülpungen der Qualle wachsen die Gliedmaßen des Gedichts aus den ins Licht gereckten Versen hervor, schrumpfen mit den ins Dunkel gehüllten wieder zurück.
Mit dem Hammer kann man nicht dichten.
Dagegen mag der nostalgische Dichter die Scherben der vom Hammer des Fortschritts zerschlagenen antike Amphore auflesen und zu Bildern zusammensetzen, in der vagen Anmutung, als würden sie dem alten Mythos ähneln.
Das schlichte Lied – „Der Mond ist aufgegangen/die goldnen Sternlein prangen“ – hebt die Gliederung des Gedankens (Mondaufgang/Leuchten der Sterne) durch eine Zäsur hervor, die mit der metrischen und rhythmischen Gliederung kongruiert:
×—◡—× —◡/×—◡—× —◡
Anders die dichterisch komplexe Kunstform der horazischen Ode:
Vides, ut alta stet nive candidum
Soracte
Der Gedanke und der ihn ausdrückende Satz („Du siehst den Berg Soracte von hohem Schnee beglänzt“) kongruieren nicht mit der metrisch-rhythmischen Bauform der alkäischen Strophe:
×—◡—× —◡◡—◡×
×—◡—×
Der Satz schließt mit der metrischen Einheit des Verses nicht ab, sondern fließt in den folgenden Vers über.
Ein der germanischen Diktion ähnlich fremdes Bauprinzip eröffnet das Hyperbaton, die Sperrung von Begriff und Attribut in der dichterischen Sprache der antiken Ode:
geluque
flumina constiterint acuto.
im Froste
starren die Wasser des Stroms, im harschen.
Mittels Sperrungen solcher Art wie gelu – acuto errichtet der odische Strophenbau bisweilen berückende, bisweilen schwindelerregende Atembögen.
Die der Rezeption der antiken Ode durch Klopstock folgenden großen Baumeister sind Goethe und Hölderlin. Ein fernes Nachwehen verspüren wir etwa noch bei Wilhelm Lehmann.
O Falter Wort
Die Vase, bunt bemalt und mädchenschlank,
sie dünkte sich erhabener als Orchideen,
den grünen Bart von Farngerank,
der Schatten ließ um ihre Taille wehen,
hat man entsorgt, war bald im Schutt verdreckt,
denn vor der Zeit war, was sie barg, zerfressen,
sie hatte Risse, feine, hat geleckt,
ihr Mythenornament ist schon vergessen.
Und du, verworrener Pollen Brautgemach,
träumst über dünnen Stengels Schwanken,
wie später Hauch noch deine Wand durchbrach,
doch säte er den Schwarm in Dornenranken.
O Falter Wort, der taumelnd sich im Lichte wiegt
und prahlt mit Tränen, die den Flügel netzen,
hat stummer Mund, dich Sonnentau umschmiegt,
wird Lethes bittrer Schaum dich rasch zersetzen.
Die Entweihten
Von Überdruß geblähte Schatten stöhnen,
wie aus dem Pferch das ungemolkne Rind,
bald wird der Acheron sie übertönen.
Das ausgestellte Seelenbild wird blind.
Was Augen feuchtet, die nach Beifall schielen,
ist eine Träne, die zur Lethe rinnt.
Die Worte, die wie Schaum auf Wellen spielen
und geben Widerschein von fernem Licht,
zerstäuben unterm Pflug von Eisenkielen.
Wir sehen der Ikone Angesicht
entstellt von Pusteln und von Pocken,
der Blicke Geifer hat den Glanz verpicht,
und ihrer Augen Gnadenborn fiel trocken,
der Pilgern einst gekühlt die Wunden,
wenn sie sich knieten auf den Samt der Glocken.
Die Flamme, die entfacht in hohen Stunden
den Maler, und die Farbe wurde heiß,
ward nun zum Flackerschein für müde Kunden,
doch bleibt das Blatt der Seele kalt und weiß.
Und selbst die scheuen Veilchen wurden Dirnen,
der Enzian erloschne Glut im Eis,
der Dichtern blaute auf des Schweigens Firnen –
nun kleben sie verkohlte Efeuranken
und tünchen sich mit Mohn den Gram der Stirnen,
sie haben nichts zu rühmen, nichts zu danken.
Der Schaum der Empfindung
Du schlägst die Augen auf
und siehst –
was kann mehr sagen, der dichtet,
was mehr, der denkt.
Und liegst du im Gras,
und siehst die Halme,
wie sie weich sich im Abendwind wiegen,
siehst eine Spinne, die sich schlafwandlerisch kreisend
am fühlenden Auswuchs des eigenen Daseins
langsam herabläßt,
und der zart gesponnene tödliche Faden
raubt sich vom Mondlicht noch Schimmer,
ist es genug,
was der flüchtige Schein
auf dem dunstigen Spiegel der Leere
zu gaukeln vermag.
Werden aber die Lider dir aufgetan,
wie die am Gitter des Zwielichts schon schliefen,
die weichen Blüten der Rose
von lüsternen Fingern des Winds,
und du siehst das Funkengewimmel,
die glühenden Mücken
des nächtlichen Himmels,
gleicht es silbernen Tupfen
auf einem japanischen Fächer,
der sich unter dem Doppelgestirn
schwarzer Sonnen
knisternd entfaltet.
Doch hat der Hauch
warmen Lebens dich aufgeweckt,
er glitt wie ein Flaum auf die Wange,
und du schaust in zweier Augen
schilfumschauerte Maare,
wo deine Blicke,
gleich knienden Rehen,
durstig sich trinken,
ist das Wunder,
das den Schaum der Empfindung
auf die stygische Woge der Nacht
uns geweht,
dir untrüglich vor Augen gerückt,
und schließt du sie wieder,
o Hüter der Strahlen,
erschöpft unter Küssen des Lichts,
bleibt dir,
bis es die schwärzliche Woge
jählings verschlingt,
sein Nachbild,
der Traum.
Der Schäfer aus der Stadt
Bleibt er nachts am Fenster stehen
und der dunkle Schmerz wird Bild,
fühlt er ein geheimes Wehen,
das aus der Erinnerung quillt.
Und er sieht auf sanfte Auen,
überronnen wie ein Fell
von der Milch des Monds, der grauen,
und aus Mulden dringt Gebell
von den Hütehunden, treuen,
die zu ihrem sichern Hort
treiben Lamm und Schaf, die scheuen,
und er ist ein Schäfer dort,
der sich dürre Reiser schichtet
blaue Flamme züngelt schon,
und er singt, was er gedichtet,
Licht ins Finstre gießt der Ton.
Hat das Fenster er geschlossen,
riecht das Kissen noch nach Moos,
Tau und Bild, sie sind zerflossen
in der Erde dunklem Schoß.
An des Traumes Silberschale
klopft ein Knöchel, und es klingt
wie der Bach im Heimattale,
wenn das dünne Eis zerspringt.
Doch ihn wecken früh Motoren
und ein Sägen, das sich frißt
in den Tag, dem Lied verloren,
bis die Nacht die Wunde küßt.
Die späten Dahlien beben
Wir gehen einsam, Hand in Hand,
in diese Dämmerung,
wo schon ergraut das Traubengold,
und was an blauem Wohlgeruch
aus Veilchen aufgestiegen,
mit herbem Rauch
September überdeckt.
Was könnte ohne deiner Augen
sanfte Blitze, feuchte Funken
mir aus den Schatten sich noch heben,
Schatten müder Wimpern,
Schatten dunkler Lust?
Wie könnte ich dich halten,
wenn unter dir das Dunkel birst,
wo mürbe mir das Mark von Träumen ward?
Und was ich möchte aufwärts singen,
taumelt aus dem Laube Flaum,
wär eines greisen Kindes Lallen.
Und fühlten wir auch frühen Hauch,
der Rosen zart auf eines Nackens
schneeverwehte Neigung streute,
den Mund, der atmete
wie unbewußt die Knospe,
die ihren letzten Duft der Nacht gesagt,
und sich mit einem halb im Schlaf geseufzten „Morgen!“ schloß,
wirrt nun ein Wehen,
o fühle, wie die späten Dahlien beben,
das Haar dir um die Stirn,
auf der die Falte der Entsagung glänzt,
und öffnest du den Mund,
reißt ihm das welke Blatt,
der Tau des Namens ist schon lang
unterm scharfen Mittagsstrahl verdampft,
die Quelle, die nicht schlafen kann,
ins Rauschen ihrer Nacht.
Der Blöde
Als er noch saß am Brunnen spät,
war ihm, als ob das Wasser lallte,
Gott habe ihm das Hirn vernäht,
mit heißer Nadel jede Falte.
Wie ein Gewürm war ihm das Wort,
das schmatzend im Gehörgang wimmelt,
und frißt es sich ins Dunkel fort,
ist es im Herzen schon verschimmelt.
Der Gnomenkopf, er war zu schwer,
vom Fuß der Nacht aufs Bett gezwungen,
kam ihm ein Widerhall vom Meer,
von einer Glocke, die zersprungen.
Er tastete, als wär er blind,
die Mauern lang, zerrann in Singen,
schrie in der Dämmerung ein Kind,
stand starr, wo die sich küßten gingen.
Und wölbte sich das hohe Blau,
zerstachen ihn des Lichtes Splitter,
ihn labte nicht der Morgentau,
des Traumes Zunge schmeckte bitter.
Wenn sie auch blöde ihn genannt,
im Hinterhof war eine Waise,
die ihm den wunden Rist verband
und gab ihm ab von ihrer Speise.
Sein Antlitz aber schien verklärt,
ist er durchs Schilf zum Maar geschlichen,
wo aus den Tiefen Glut gegärt,
wo Schwäne Fliederbüscheln glichen.
Ein Leuchten hat aus ihm gelacht,
wenn er den roten Ball geworfen,
den wedelnd ihm der Hund gebracht,
hell sang das Blut wie unter Schorfen.
Sah schimmern er das Gnadenbild
im Muschelschrein der Waldkapelle,
war ihm, als mache Huldsinn mild
den Schmerz wie Moos die harte Schwelle.
Man fand ihn hingestreckt ins Gras,
im Mund der Zettel wie ein Knebel,
was trübes Auge darauf las,
war Traumgerank, umwallt von Nebel.
Das heiße Wort
Es sprühten noch vereinzelt Funken
in trägen Stromes Schaum,
aus schwankem Nest ist hingesunken
der Taube blasser Flaum.
Wir sind den Uferpfad gegangen,
ich spürte deinen Hauch
an meinem Mund, an meinen Wangen,
und was ihn wärmte, auch.
Das heiße Wort, es blieb verschwiegen,
o süßer Flamme Licht,
um das entzückte Falter fliegen
und knistern, wenn sie sticht.
Wir saßen vor des Waldes Schwelle
auf weich bemoostem Stein,
das Dunkel trank des Herzens Welle
wie Staub vergoßnen Wein.
Blasse Steine
Der Pfad der Fische, blasse Steine,
vom Wasser blank und glatt geleckt,
sind wie die Worte, Münzen, kleine,
die wir geerbt, getauscht, versteckt.
Die Prägung ist längst abgerieben
von heißer Zungen Leidenschaft,
dem Bildnis, das zurückgeblieben,
erlosch des Blickes Zauberkraft.
Was kann des Kiesels Glätte sagen
vom Murmeln eines blauen Quells,
vom Blütenblatt, das Flossen schlagen,
der Gischt, die spritzt am Uferfels?
Weiß noch der Stein vom Schattenspiele,
das über seine Stirne glitt,
vom dunklen Seufzen unterm Kiele,
und was der Mond im Schilfe litt?
Kann Flut und Schaum das Wort umfassen,
wie goldner Reif den Edelstein?
Die stummem Strahl sich überlassen,
die Trauben spenden uns den Wein.
Wohl wird den Toten Charon hetzen,
in dessen Mund die Münze fehlt.
Uns mag des Mundes Blume netzen
ein Tau, von süßem Blick beseelt.
Ein Knabe läßt den Kiesel schnellen,
daß er vom Licht ins Dunkel springt.
Der Dichter hört aus grünen Wellen,
was träumend Melusine singt.
Gestalten des Lebens
Eine poetische Morphologie
Die Gestalt des Lebens ist kein Bild des Logos,
beseelt von eines Gottes dunklem Hauch,
der heiter blaut, wenn Platos Sonne strahlt.
Der Logos ist wie eine bunte Murmel,
mit der in Moos und Lehm ein Knabe spielt,
und ruft ihn heim die Abendglocke,
vergißt er sie in einer Kuhle,
das Licht sinkt hin,
ihr Schimmer aber dunkelt.
Fühler hat das Leben, Augen, Wimpern und Antennen,
zum Beißen einen Mund, zum Schreien, Schnauzen,
zum Schluchzen, Klagen, Singen,
ja, zum Singen auch.
Die wilde Regung mildert sich,
hält es die Beute liebevoll umschlungen,
knirschen aber Schritte in der Nacht,
wie schrickt es auf und bleckt des Herzens Zähne.
Und wiegt es mütterlich das Kind,
summt es oder singt ein Schlummerlied,
und auch der Greis im Winkel
lallt halbbewußt es mit.
Und wuchs es unterm Säuseln auf
von Palmen, der Brandung Schaumgesang,
geheimnisvollem Leuchten
von Orchideen in der Nacht,
nähren es, die bunt in Inselreichen strotzen,
Früchte, von somnambuler Hand gepflückt
an unbeschnittenen Zweigen,
füllt es mit Blüten grell bemalte Schalen
und bringt sie seinen Götzen dar,
dem krausen Schoß der Wonne
und der Erinnye,
der aufgereckten grünen Schlange.
Und haust es in den kargen Hütten,
wo Ächzen alter Eichenwipfel
durch violette Dämmerungen geistert,
wo Enzian zur Seele spricht: „Blühst du wie ich?“,
Schnee aber: „Spuck nicht in meine Stille“,
dort muß der Sohn vom Vater lernen,
wie der von seinem es gelernt,
wie man den Bogen spannt,
den Schweiß der Angst zu wittern,
das wilde Tier zu treffen, den Geist der Nacht,
die Schur der Wolle, den Euter zu beschwören,
den jungen Trieb zu pfropfen auf ein Reis,
die Alte zeigt es ihrer Tochter,
noch Glut zu hauchen aus der tauben Asche,
zu walken, zu wringen, zu worfeln,
Jäten und Mähen, Spinnen und Weben,
anmutig ihre Rhythmen dem Tanz der Glieder anzuschmiegen,
im Takt zu singen mit der Hand, dem Fuß,
und einen Kranz zu winden,
der mit Veilchen krönt die unberührte Braut.
Auch diese pflegen den Gesang,
doch kehliger, doch inniger
wie der Wildbach stürzt durch Klippen,
das Wasser aber schläft in stillen Nischen,
wo eitel sich der Mond gesellt dem Schwan,
anders als die nackten Insulaner,
die von weißen Blüten Duft,
den Schmelz von Aprikosen
darein mischen.
Gesanglos aber geht dahin
gespenstisch die Gestalt,
wie sie an unsichtbaren Fäden
zwischen grauem Tag und grauem Traume baumelt,
zerreißt sie jäh das Schrecksignal,
flattern sie, blutlose Puppen,
aus denen nie ein Falter stieg,
aus ihren Glas- und Eisenbauten,
verdichten sich zu Wahngeknisters Wolke
und wo die Flamme zischt,
die vor den Mammontempeln
ihre Hohepriester feierlich entfachen
aus der Haut okkulter Pergamente,
dem Holz verruchter Schriften,
stürzen sie herab,
das Feuer leckt, das Feuer frißt,
wie sie schmatzen,
wie sie schnalzen,
dürrer Blätter Pfeifen,
versengter Masken Seufzen
ist ihr erstes und ihr letztes Lied.
Er kommt nicht mehr
Als du einsam lagst und es plötzlich knirschte,
da doch längst die Welt war ins Schilf des Schlafs ge-
sunken, schrakst du auf, ob wer komme, der noch
deiner gedächte.
Doch es war wohl, der durch die Zweige fuhr, der
Wind, vielleicht verscheucht auch von Regentropfen,
die das müde Haupt unterm Flügel barg und nun
aufflog, die Taube.
Nein, er kommt nicht mehr, der mit Blumen gern dich
nannte, Veilchen, und die du liebtest Schlüssel-
blumen, Krokus auch, wenn der süße Duft euch
lockte ins Blaue.
Jüngst am Jahrestag aber hast du ihm das
gern in Fugen sprießt, hast das Moos geschabt aus
seines Namens zart übergrünten Lettern,
und eine Kerze
angezündet, so wie des Abends stets, wenn
er noch las, und du sanft ihn küssend nahmst das
Buch aus seiner Hand, und ihr saßt noch lang im
lieblichen Dämmer.
Lächle, schwermütiger Mensch
Öffne, Herz, die zärtliche Knospe,
wehen will schon das Blatt, tiefer empfinde,
wie an schimmernder Blumenwange
niederträufelt der Tau.
Du auch, schwermütiger Mensch,
lächle, wenn das Laub der Dämmerung
schauert von gefiederten Stimmen,
tropft von Tropfen des Lichts.
Dich aber wecke der lächelnde Strahl,
aus dem Unterholze, den Schilfen
des Traums in das Boot zu steigen,
schwankend im wogenden Tag.
Dunkelt es schon, die Ufer aber
sind fern, laß fahren das Ruder dahin,
lieg still, die heimatlich leuchten,
die Blüten schau, die Inseln der Nacht.
Kaum gefragt, schon geklagt
Kannst du fern sie noch hören,
süße Melodien,
die das Herz uns betören,
wenn mit sanftem Flaumflügelschlag
Liebeselegien
flattern aus dem dämmernden Hag?
Ach, ich werde wohl darben
nach dem Tau der Frühe,
der mit Wassermalfarben
wäscht vom Tag den Albtraumbelag,
daß es wieder glühe,
Rosenherz im dornichten Hag.
Kannst du sie noch erfühlen,
lichten Taues Tropfen,
wenn die Stirn sie dir kühlen,
wüst gefurcht von Angstgrübelei,
glykoneisch fordernd klopfen:
„Liebe, atme singend dich frei!“?
Ach, ich werde sie missen,
wenn Mondschatten wallen
über einsame Kissen,
feuchter Blicke Lustgaukelei,
das Geschluchz von Nachtigallen.
War’s die Lerche? Mir einerlei!
Uferpfad am Rhein
Das Lied, das schläfrig du gesummt,
als wir den Uferpfad gegangen,
war kaum im Morgendunst verstummt,
als schon die ersten Vögel sangen.
Es gab der Rhein die Mittagsglut
uns mild zurück in süßen Funken,
uns tat wie Schwänen Zwielicht gut,
wenn sie das Haupt ins Wasser tunken.
Wovon das Lied des Stroms erzählt,
der Quelle Sehnen nach den Buchten,
wo sie sich mit dem Meer vermählt,
quoll uns wie Glanz in Grames Schluchten.
Die Wellen waren abends schwarz,
nur Schäume bargen fahle Sonnen,
der Himmel war ein gelbes Harz,
das aus dem Weltenbaum geronnen.
Und als wir lagen schilfumdacht,
was gurrten uns die Venustauben?
Die Blüten, die wir dargebracht,
zerfetzten roher Schiffe Schrauben.
Kleine alte Glocke
Die kleine alte Glocke, die im Zwielicht
des öden Kirchturmschachtes
abseits ins Vergessen dämmert hin,
hört die große, die wappenprangende,
junge Schwester, fühlt ergriffen schon
ihr Schwingen in der verzückten Lüfte Gischt.
Es ist die Abendstunde, da frommer Sinn
sich niederkniet auf des Geläutes erhabene Schwelle,
ergebener Mund gesalbt sich fühlt
vom Tau des Hochgebets,
und leise bebt sie mit, die kleine alte Glocke,
taumelt von erinnerungstrunkener Luft gewiegt,
wie einst, da am hohen Feiertage vor den Schwestern
sie den Erstling, den hellen Morgenton gebar.
Nun aber scheut vor dem Zittern sie zurück,
das wie nährender Odem
in Blumenstengeln bis zur Krone
sonnenerregter Knospenspitzen drängt,
glühender Andacht Wehen, dem ein Sirren
Antwort gibt im Gewölke junger Schwalben,
die hier unter Fenstersimsen nisten,
und sie flattern auf, ins Freie hinzugleiten
auf den Wogen bronzenen Klanges.
Sie aber faßt ein Grausen
vor des Klöppels neu erwachter Lust,
daß er ihr den grauen Schoß betöre,
kleine alte Glocke
mit dem unvernarbbaren Riß
in der schmalen Hüfte,
scheppernd, allzu kläglich
wäre ihr müder Nachgesang.
Alter Dichter, lege dich abseits ins Gras,
humple nicht länger durchs wildernde Dickicht
schattendurchgitterter Strophen,
wo dir unverhofft der Lerchen
aufgebrachtes Zwitschern
in einer Ode blauenden
Azur steigt.
Lieg nur starr, schau nur ungerührt
in deinen grauen Abendhimmel,
wo noch eine weiße Wolke steht,
zögernd wie ein Liebeswort,
allzu frühe Flocke,
die auf der warmen Lippe dahinschmilzt.
Wache, Dichter, bis die Wolke
unterm Anhauch
der unausweichlichen,
der hohen Nacht
in rötlichen Schaumes
brokatene Stickereien übergeht,
Blumenkringel, Blütenflaum,
Federn aus Nestern,
die jäh der Ruf des Kranichs,
der herbstliche, verwaiste,
langsam auf den leeren Schrein
deines Traumes niedersinken.
Die Muschel auf dem Berg
Die Blüten, die auf bunten Schalen schwammen,
von Anmut zart gepflückt, um vor dem Bild
der Kypris süß zu leuchten, Gaias Flammen
vom Hain der Insel, wo ihr Lied gequillt.
Noch lagen Schleier auf den Rebenhängen,
als uns emporgeleitet früher Strahl,
sie lösten sich in leisen Morgensängen,
wir sahen Wasser schwemmen Glanz ins Tal.
Voll Bangen stiegen wir zur Waldkapelle,
der Muschel, die ein Strom einst hingespült,
der Frömmigkeit lang ausgerauschte Welle,
ob noch der Perlmutt-Tau die Wunde kühlt.
In weiches Grün hast Veilchen du gewunden,
der Hohen zu entbieten unsern Gruß.
Doch fanden wir der Wange Samt zerschrunden,
des Lächelns Huld verhüllt von Grind und Ruß,
das Kind des Heils war ihr vom Arm gerissen,
der Engel sank ins Dunkel flügellos.
Wir flohen, ohne Zuflucht uns zu wissen,
in stumme Nacht. O sternumsungner Schoß.
Der Kiesel Wort
Der Kiesel, flach, glatt in der Knabenhand,
nachdem du durch das Schilf gewatet,
und hast noch einmal magisch ihn bespuckt,
und dann, die Welle sang, die Welle schrie,
wie ein Diskuswerfer, zwar nicht am Leibe
nackt wie der im Griechischbuch, doch war die Seele
kühn entblößt, hast du dich graziös geschraubt,
damit der Schwung aus deiner Mitte schieße,
und er flog, er sprang, tanzte der Libelle gleich
den weißen Knospen Schaumes nach,
verworrene Nereidenlocken,
wo prangten die, ach ja, im Griechischbuch
oder überm festen Nacken jener
mit dem Geigenkasten
aus dem musischen Zweig,
die Kringel heißen Geifers
hat in die Tiefe sausend
er noch aufgedreht.
So schleuderst heute du den Kiesel Wort,
den adernreichen, den du am Ufer
deiner Eremitenbucht dir aufgeklaubt,
wo tausend liegen, doch nur dieser weckt
deiner Hand das warme Nestgefühl,
und wieder holst du aus des Daseins Mitte,
wie jener Werfer in Pindars hohem Augenblick,
den Schwung, gibst ihm,
daß er gläubig in sich selber kreise,
feurig pfeife auf seiner Geisterbahn,
der Sonne wilden Herzschlag mit,
sein Flug, dem Flug der Schwalbe gleich,
die zwischen Wolkenschatten auf- und niederschwirrt,
stürzt durch Strophen hohen Wellengangs,
pflückt sich Blütengischt von Wogen,
die über Traumschutt und Korallen rollen,
und da und dort, bevor er jäh versinkt
in einen Abgrund ewig unbesungener Nacht,
wo seine namenlosen Ahnen liegen,
hebt er aus samtenen Wassers Falten
zu ferner Liebe sternentrücktem Blick
Tropfen blauen Schimmers, grünen Reims
von Topas und Lapislazuli.
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