Gestalten des Lebens
Eine poetische Morphologie
Die Gestalt des Lebens ist kein Bild des Logos,
beseelt von eines Gottes dunklem Hauch,
der heiter blaut, wenn Platos Sonne strahlt.
Der Logos ist wie eine bunte Murmel,
mit der in Moos und Lehm ein Knabe spielt,
und ruft ihn heim die Abendglocke,
vergißt er sie in einer Kuhle,
das Licht sinkt hin,
ihr Schimmer aber dunkelt.
Fühler hat das Leben, Augen, Wimpern und Antennen,
zum Beißen einen Mund, zum Schreien, Schnauzen,
zum Schluchzen, Klagen, Singen,
ja, zum Singen auch.
Die wilde Regung mildert sich,
hält es die Beute liebevoll umschlungen,
knirschen aber Schritte in der Nacht,
wie schrickt es auf und bleckt des Herzens Zähne.
Und wiegt es mütterlich das Kind,
summt es oder singt ein Schlummerlied,
und auch der Greis im Winkel
lallt halbbewußt es mit.
Und wuchs es unterm Säuseln auf
von Palmen, der Brandung Schaumgesang,
geheimnisvollem Leuchten
von Orchideen in der Nacht,
nähren es, die bunt in Inselreichen strotzen,
Früchte, von somnambuler Hand gepflückt
an unbeschnittenen Zweigen,
füllt es mit Blüten grell bemalte Schalen
und bringt sie seinen Götzen dar,
dem krausen Schoß der Wonne
und der Erinnye,
der aufgereckten grünen Schlange.
Und haust es in den kargen Hütten,
wo Ächzen alter Eichenwipfel
durch violette Dämmerungen geistert,
wo Enzian zur Seele spricht: „Blühst du wie ich?“,
Schnee aber: „Spuck nicht in meine Stille“,
dort muß der Sohn vom Vater lernen,
wie der von seinem es gelernt,
wie man den Bogen spannt,
den Schweiß der Angst zu wittern,
das wilde Tier zu treffen, den Geist der Nacht,
die Schur der Wolle, den Euter zu beschwören,
den jungen Trieb zu pfropfen auf ein Reis,
die Alte zeigt es ihrer Tochter,
noch Glut zu hauchen aus der tauben Asche,
zu walken, zu wringen, zu worfeln,
Jäten und Mähen, Spinnen und Weben,
anmutig ihre Rhythmen dem Tanz der Glieder anzuschmiegen,
im Takt zu singen mit der Hand, dem Fuß,
und einen Kranz zu winden,
der mit Veilchen krönt die unberührte Braut.
Auch diese pflegen den Gesang,
doch kehliger, doch inniger
wie der Wildbach stürzt durch Klippen,
das Wasser aber schläft in stillen Nischen,
wo eitel sich der Mond gesellt dem Schwan,
anders als die nackten Insulaner,
die von weißen Blüten Duft,
den Schmelz von Aprikosen
darein mischen.
Gesanglos aber geht dahin
gespenstisch die Gestalt,
wie sie an unsichtbaren Fäden
zwischen grauem Tag und grauem Traume baumelt,
zerreißt sie jäh das Schrecksignal,
flattern sie, blutlose Puppen,
aus denen nie ein Falter stieg,
aus ihren Glas- und Eisenbauten,
verdichten sich zu Wahngeknisters Wolke
und wo die Flamme zischt,
die vor den Mammontempeln
ihre Hohepriester feierlich entfachen
aus der Haut okkulter Pergamente,
dem Holz verruchter Schriften,
stürzen sie herab,
das Feuer leckt, das Feuer frißt,
wie sie schmatzen,
wie sie schnalzen,
dürrer Blätter Pfeifen,
versengter Masken Seufzen
ist ihr erstes und ihr letztes Lied.
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