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Preislieder auf das gewöhnliche Leben II

16.04.2014

Gepriesen sei das lederne Schuhwerk
und seine gediegene Festigkeit,
weich gehämmert und kunstgerecht vernäht,
das mir die langen Wanderwege hat vergönnt:
Koblenz–Stolzenfels–Rittersturz–Merkurtempel–
Villa Rustica–Remstecken–Karthause,
Rhens–Königsstuhl–Gedeonseck–Vierseenblick–Boppard.

Wege, die von Trauerschmerzen weich
ich um Abschied mir erschritt, erstritt:
von der Mutter Heimgang
im Sterbe-Tollhaus in der Laubach,
den sie gesänftigt von heiliger Salbung,
leicht wie eines zarten Vogels Traum,
hinabgeseufzt.

Gepriesen sei das Schuhwerk,
das mich festen Schritts
auf gekiester, auf bemooster, auf lehmiger Bahn
zur Heiligung der Muttererde hat geführt,
als das mütterliche Herz,
das mich mit Stolz und Angst und Gläubigkeit genährt,
nur immer ferner, leiser, unhörbarer schlug.

Gepriesen sei das Schuhwerk,
das mich die alten Sehnsuchtspfade hat geführt,
auch wennʼs die eine oder andre Blase gab.

Gepriesen sei, derʼs über seinen Leisten schlug,
der gute Schuster unbekannt.

Doch istʼs nicht gut,
am Mittag tapfer ausgeschrittenen Wegs
barfuß in kühlem Sand zu baden,
den nackten Fuß entgegenstrecken
den Küssen süßer Tropfen?

Und istʼs nicht besser, das Beste nicht,
am Ende schweren Gangs
die Schuhe von den rauchenden Füßen streifen?

Den letzten Gang gehst du freilich unbeschuht:
Oder meinst du, in jenem Garten melodisch
ausgegossenen Lichts könntest du auf Unrat treten?
Und in jenen siedenden Pfühlen,
was nutzten dort die besten Schuhe?

Solange wir den Asphalt der Kultur beschreiten,
müssen wir mit Voltaires Schmerzensgrinsen
einsamen Wallers Träumereien verwinden.

Solange sei das gute Schuhwerk hoch zu preisen.

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