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Philosophieren X

19.07.2013

Was ist wem wo seit wann zu eigen? Was dir zu eigen ist, gehört dir, sind deine Eigenschaften oder dein Eigentum. Eigenschaften wie die Eigenschaft, so und so groß und so und so alt zu sein, Mann oder Frau zu sein, der weißen oder gelben Rasse anzugehören, einen großen oder geringen Verstand zu haben, mutig oder feige, jähzornig oder kaltblütig zu sein, sind natürliche Eigenschaften, die überhaupt nicht oder nur in geringem Maße deiner Willkür unterliegen. All das, worüber du ansonsten noch verfügst, sind Fähigkeiten und Kenntnisse wie die Fähigkeit, Fahrrad oder Auto zu fahren, oder die Fähigkeit, neben deiner Muttersprache andere Sprachen zu beherrschen, oder Kenntnisse über höhere Mathematik. Diese Fähigkeiten und Kenntnisse hast du dir angeeignet, und du kannst sie zur Verwirklichung deiner Absichten unter Wahrung der gesetzlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen nutzen: Fahre also mit dem Auto, wohin du willst, doch bei uns bitte auf der rechten Fahrspur!

Aneignungen sind die Basisfunktionen des Lebens wie der Kultur. Du musst, das Leben zu fristen, deinen Hunger und deinen Durst stillen und alles Nötige unternehmen, dir Nahrung zu bereiten oder zu verschaffen. Du vertilgst die Nahrung, schluckst das Wasser, und dein Magen und dein Darm erledigen über die verwickelt-kunstvollen Verfahren der Verdauung und des Metabolismus die Aneignung und Assimilierung der Nährstoffe, deren deine Fortexistenz bedarf. Am Ende gelangen aufgefrischte Blutzellen zu allen Organen deines Körpers und versorgen sie mit Energie. Und du setzt ein zufriedenes, vielleicht etwas dümmliches Lächeln auf.

Das Unbekömmliche und Unverdauliche pflegen wir auszuscheiden, zu entsorgen und unschädlich zu machen. Wir spülen, wir betätigen die Spülung. Wir müssen auch mit uns selber ins Reine kommen. Und das, was uns an Dingen und in der Begegnung mit Personen nicht zuträglich oder unzumutbar, ja verderbenbringend und vergiftend ist, von uns fernhalten oder entfernen. „Die höhere Mathematik hast du wohl nicht verdaut!“

Dadurch, dass du dir etwas aneignest, und durch das, was du dir aneignest, erfährst, erlebst, erlernst du, wer und was du bist. Etwas ist dir zu eigen, wenn und solange wir, die Gemeinschaft, die dich trägt und birgt oder ausstößt und unschädlich macht, die Familie, die Sippe, der Staat, es dir zueignen, das heißt als dir eigentümlich oder als dein Eigentum dir zusprechen. Wenn du rechtens erworben hast, was dir zu eigen und was nun dein Eigentum ist, untersteht es deinem Willen, steht es dir zur freien Verfügung, kannst du damit schalten und walten, solange wir es dir zueignen und zusprechen. Für deinen Anspruch auf das, was du die rechtens angeeignet hast, für deinen Anspruch auf dein Hab und Gut erhältst du unseren Zuspruch.

Wir entziehen dir unseren Zuspruch und bestreiten oder setzen deinen Anspruch auf dein Hab und Gut außer Kraft aufgrund der Tatsache, dass du es dir widerrechtlich durch Formen der Missachtung und des Verstoßes gegen unsere Gesetze, durch Hehlerei, Veruntreuung, Erbschleicherei, Erpressung, Diebstahl und Raub, angeeignet hast.

Das Eigentum als Institution, die einen Anspruch anmeldet und einen Zuspruch findet, ist die Grundlage unseres zivilen, halbwegs befriedeten sozialen Lebens und der Ursprung aller kulturellen Entwicklungen. Den Garten, den du von den Großeltern geerbt hast, pflegst du, schon aus Pietät und Hochachtung den Verstorbenen gegenüber. Du willst ihn nicht den natürlichen Prozessen der Verwilderung aussetzen, denn es ist dein Garten. Du bist stolz darauf, dass er deine Mühen, dein Jäten und Säen, dein Pflanzen und Düngen mit reicher Ernte von Obst und Beeren, mit schöner Blüte und angenehmen Düften belohnt. Während dort drüben der alte Garten von Unkraut strotzt, denn der Eigentümer ist verstorben und ein Nachfolger oder einer, der sich verantwortlich fühlte und sich der Sache annähme, außer Sicht. Du aber wirst erfinderisch, darauf aus, den Geschmack des Apfels zu versüßen, die Farbe der Rose aufzuhellen, und übst dich in der Auslese der Sämlinge und in der Kunst des Propfens. Freche Eindringliche oder Parasiten, seien es Schnecken, seien es Läuse, weißt du unschädlich zu machen. Bösen Buben und Dieben schlägst du auf die garstigen langen Finger. Deine Kinder und Enkel haben in deinem Garten ein Paradies der Spiele und Lustbarkeiten. Und den Jüngsten, der so anstellig mit dem Rechen umgeht und eine grüne Hand zu haben scheint, ihn hast du als Erblasser zum Erben bestimmt. Das sind die Ansprüche, die dein Hab und Gut dir freistellt und uns freigibt: Hege und Pflege, Schönheit und Ordnung, Recht und Gesetz.

Schönheit und Ordnung, Perfektion und Glanz, Erfindungsgabe und Kunstsinn – all dies wächst und gedeiht in der Atmosphäre der Institution des Eigentums wie der Efeu am alten Stamm der Eiche. Dein Haus mit einem komfortablen Bad auszustatten, deinen Wagen mit einer High-Tech-Musikanlage, dein Büro mit einem superschnellen Rechner – diese Investitionen vergrößern nicht nur den Wert deines Eigentums und erhöhen nicht nur den Komfort deines Lebens und die Effektivität deines Arbeitens – sie sind auch eingebettet in den Kreislauf des Marktgeschehens, in dem die Nachfrage nach besseren Gütern den Erfindungsgeist und die technischen Finessen der Hersteller im Wettbewerb um die Gunst des Käufers weckt und beflügelt: Handwerkliche Perfektionierung, wissenschaftlicher und technischer Fortschritt sind eine Funktion und ein Folgeeffekt der Institution des Eigentums.

Häuser, die allen gehören und keinem, wie bald hausen Ratten oder Landstreiche und anderer Pöbel darin, aufgegebene Wingerte, brach liegende Flächen, wie bald überwuchert sie hässliches Kraut. Die verschworenen Gegner der Institution des Eigentums sind die Totengräber der Zivilisation und die Götzendiener des Chaos, der Unordnung, der Unvernunft.

Um die Wohnung in Ordnung und sauber zu halten, musst du dem natürlichen Prozess der Verwahrlosung und zunehmender Unordnung Einhalt gebieten und wieder Ordnung und Sauberkeit in die Bude bringen: Das geht nur durch Aufwand an Mühe und Energie, durch Wischen und Putzen. Bei der Verschönerung der Fassade deines Hauses und der Vermehrung der Blumenpracht deines Gartens lohnt sich die Mühe doppelt: Dein Gut bleibt in einem tadellosen Zustand und du kannst deinen Nachbarn beeindrucken und ausstechen.

Hast du großen Reichtum angehäuft, ist dir nicht nur daran gelegen, ihn durch geregelte Erbfolge zu erhalten, sondern in Teilen der Gemeinschaft zu stiften, die mit ihren Gesetzen und Ordnungsmächten dein ziviles Leben und deine Aneignungen möglich gemacht und behütet hat: So freuen wir uns, dich als Stifter und Mäzen beim Besuch des Museums, des Theaters, der Hochschule in bester Erinnerung behalten zu können.

Wenn ich deinen Füllfederhalter, dein Handy, dein Handtuch benutzen will, sollte ich dich schon aus Höflichkeitsgründen fragen, ob du es mir erlaubst. Die Nutznießung ist wie alle Formen der Veräußerung und Umwandlung von Eigentums- und Besitztiteln ein Regular unseres zivilen Lebens, das wie die Erbschaft, Kauf und Verkauf, die Leihgabe, die Vermietung und Verpachtung oder der Kredit auf Basis von Zins und Zinzeszins unser Sprech- und Aktionsumfeld mit all den Fäden gegenseitiger Verpflichtung und Verantwortung durchflicht und verwebt, die uns von aufreibenden Streitgesprächen, verlustreichen Händeln und blutigen Raufereien entlasten.

Dein Haus und deine Firma sind dir von Väterseite zugesprochen und vererbt. Du willst sie deinem Sohn, deiner Enkelin weitererben, damit sie in gute Händen gelangen, unter wachem Blick verantwortungs- und pflichtbewusst gewartet und geführt werden: Eigentum bindet und flicht das Band der Generationenfolge immer neu – auch wenn es natürlich infolge Entartung der Enkel zerspleißen und rissig werden kann.

Wir sind als Geist der Gemeinschaft der Hüter des Eigentums. Dazu dient uns die Instauration der Herrschaft und allem voran die Herrschaft des Gesetzes. Wir ahnden die Übertretung der Gesetze, die das Eigentum hüten, durch empfindliche Strafen oder wir machen die Übeltäter, die Betrüger, die Diebe, Räuber und Raubmörder, dingfest und unschädlich.

Wer für uns sein Eigentum, sein Hab und Gut, sein Leben hingegeben und geopfert hat, auf dass du und ihr vor Gefahren bewahrt wurdet, in der Not ein Auskommen und Rettung fandet, euer Acker zu neuen Ernten gedüngt wurde, diesen Edlen, diesen Heiligen verehren wie als Heros des Opfers: wie den Helden von Golgatha, der sein Leben für das Heil und die Rettung der vielen hingegeben hat.

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