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Niemandes Lied

18.08.2018

Zwischen den Gestirnen
ist dein Gesicht zerschellt.

Leichter als der Schatten des Schilfrohrs,
der zittert
auf dem Wasser des Flusses,
das unaufhaltsam dahinfließt,
wiegt dein Leben.

Was ist die Wärme der Flamme,
die im Schneefeld züngelt
und sich in der Nacht
niederwehender Flocken verliert,
gegen deinen leiser werdenden Atem,
der das steinerne Bildnis behaucht,
und kein Lid tut sich ihm auf,
ein Mund öffnet sich nicht.

Sei getrost.

Schon um die Ecke
der engsten Gasse Babylons
ist dein Name
der Schatten einer Leiter
(ihr fehlen etliche Sprossen)
an der bröckelnden Mauer
des Hinterhofs.

Sei getrost,
dass du ein Niemand bist.

Die Zeit webt unablässig,
Atemhauch um -hauch,
an dem Tuch von Schnee,
das weißer als das Vergessen
duftloser als Blüten,
von der alten Näherin
auf den Saum des Schlafs gestickt,
auf dein Antlitz herabsinkt.

Stiller als ein Tropfen
vom Blatt herabfällt
auf das weiche Schweigen
aus Humus und Moos,
versickert der Seufzer
deines keimlosen Worts
in die Furchen und Ritzen
der allesverschlingenden Erde.

Sei getrost,
dass du ein Niemand bist
vor dem Nichts.

Rascher als das Spinnenweb,
an dem noch Tropfen
des Morgenlichts glimmen,
ein Windstoß oder der Besen
der runzligen Bäuerin
niederfegen vom First,
wo seine subtilen Muster
Schwärme von Fliegen entzückten,
weht das feingesponnene Netz
deiner Sonnen- und Nacht-Gedanken
zur fühllosen Erde
herab.

Sei getrost.

Schon im Garten des Nachbarn,
wo die Wespe im Becher
des dösenden Kindes rudert
und die überreifen Äpfel
achtlos durch die Gräser rollen,
kreist dein Gesicht
ein zerrissenes Blatt
auf dem fauligen Wasser der Tonne.

Sei getrost,
dass du ein Niemand bist.

Die Glocken, die dort rufen,
rufen keinen
aus den Falten des Traumes hervor,
und was da summt,
ist kein Lied,
das deine Lippen einmal noch rötet,
es sind die Mücken,
die über deine Stirne krabbeln,
und deine Hand hebt sich vergebens,
sie zu verscheuchen.

Sei getrost,
dass du ein Niemand bist
vor dem Nichts.

 

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