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Philosophische Fragen und Antworten III

21.03.2014

Wie kann man den Tier-Mensch-Unterschied bestimmen und erklären?

Nur Menschen verfügen über die negative Exzellenz, verrückt oder wahnsinnig werden zu können. Tiere dagegen, weil sie nicht den logisch-semantischen Raum von Sprache und Bewusstsein mit uns teilen, können nicht in unserem Sinne verrückt werden. Sie sind weder vernünftig noch vernunftlos.

Tiere können nicht glauben, dass sie jemand anderes als in Wirklichkeit sind, denn  sie sind in Wirklichkeit niemand, das heißt keine ihrer selbst bewussten Personen.

Du kannst deinen Hund Knuffi nennen, aber dein Hund versteht nicht, was es heißt, dass du einen Namen hast, geschweige denn, dass er einen haben könnte. Leute, die von sich behaupten, ihr Name sei in Wahrheit ein anderer Name als der, der in ihrem Personalausweis steht, zum Beispiel Zarathustra oder Jesus, nennen wir verrückt. Verrücktheit und Wahnsinn in diesem Sinne ist nur im logisch-semantischen Raum von Sprache und Bewusstsein eine Möglichkeit, mental in die Irre zu gehen. Ein Hund hört zwar auf den Laut „Knuffi“, wenn du ihn rufst, weil er darauf konditioniert ist, bei dieser Lautfolge zu dir zu laufen, denn dann gibt es ein Leckerli oder du spielst mit ihm. Aber dein Hund weiß nicht, dass dies sein Name ist. Er kommt nicht nur nicht auf die Idee, er heiße Knuffi, sondern a fortiori nicht auf die noch ausgefallenere Idee, er heiße in Wahrheit nicht so, wie alle ihn nennen, nämlich Knuffi, sondern Pluto, weil er von sich glaubt, er sei eine Inkarnation des mythischen Höllenhundes.

Wenn einer aus Trägheit, Nachlässigkeit oder bösem Willen sein Versprechen nicht einlöst, nennen wir den Menschen rechtens faul, unzuverlässig, treulos. Wenn aber einer scheinbar ein Versprechen mit einem Ja-Wort, einem Handschlag oder einem Kopfnicken gegeben hat und das Versprochene nicht deshalb nicht einlöst, weil er aus Faulheit, Unzuverlässigkeit oder Böswilligkeit sein Versprechen bricht, sondern auf den Vorwurf „Warum hast du dein Versprechen nicht gehalten?“ zurückfragt „Versprechen, was ist das?“, wer also augenscheinlich die Bedeutung des Begriffs Versprechen nicht kennt, den nennen wir unter normalen Umständen bedeutungsblind oder verrückt oder geisteskrank.

Wir definieren diese Form der Geisteskrankheit mittels des Kriteriums der Bedeutungsblindheit. Bedeutungsblindheit ist uns wiederum das wesentliche Kriterium zur Bestimmung und Erklärung des Tier-Mensch-Unterschieds. Denn Tiere sind von Natur aus bedeutungsblind, Menschen nur krankheitsbedingt.

Wenn du der Bedeutung des Konzepts „Versprechen“ gewiss bist, zeigst du im Falle, dass du trotz ausdrücklicher Abmachung bei der wichtigen Besprechung unpünktlich warst oder zum verabredeten Zeitpunkt mir das ausgeliehene Buch nicht ausgehändigt hast, auf peinliches Nachfragen hin unmissverständliche Zeichen der Befangenheit, Verlegenheit oder Scham, kurz die typischen Symptome des schlechten Gewissens.

Wer aber, bedeutungsblind, den Sinn des Sprechaktes „Versprechen“ nicht versteht, wird, wenn er scheinbar ein Versprechen gemacht hat, es auch nur scheinbar, aber nicht wirklich einlösen. Würde er zum Beispiel das ausgeliehene Buch gerade am vereinbarten Tag vor dir auf den Tisch legen, wäre dies nicht die Einlösung des Versprechens, er hätte das Buch nur zufällig mit dabei und gar nicht die Absicht, es dir zurückzugeben. Der Bedeutungsblinde kann ja ein Versprechen nicht einlösen, weil er die Bedeutung der Handlung, jemandem etwas durch Rückgabe einer Sache einzulösen, nicht kennt. Wenn er nicht tut, was er scheinbar versprochen hat, dann deshalb, weil er sich nicht verpflichtet fühlt, das scheinbar Versprochene einzulösen. Er fühlt sich aber nicht deshalb nicht verpflichtet, weil er genau diese dich oder mich betreffende Verpflichtung aus Groll oder Böswilligkeit in den Wind schlüge, sondern weil er sich, bedeutungsblind, in Bezug auf den Begriff der Verpflichtung durchaus für niemanden und in keiner Angelegenheit je in die Pflicht genommen weiß.

Wer sich für niemanden und in keiner Angelegenheit je verpflichtet weiß, dem sind jedwede Anwandlungen von Befangenheit, Verlegenheit oder Scham fremd, die denjenigen heimsuchen, der um die Bedeutung der Begriffe Versprechen, Verpflichtung und Verantwortung weiß.

Man hat einmal dazu tendiert, Personen, die typisch menschliche Handlungs- und Denkmuster wie das Versprechen zu begreifen und mit Leben zu erfüllen unfähig sind, nicht nur den Status der vernünftigen Person zeitweilig oder auf Dauer abzusprechen, sondern sie mit vernunftlosen Tieren zu vergleichen oder gar mit vernunftlosen Tieren auf eine Stufe zu stellen, denen die Evolution die höheren Stufen kultureller Bildung zu betreten gleichsam verweigert habe, auf denen allererst die Bedeutung der genannten Begriffe oder schlicht die Bedeutung von Begriffen oder die Bedeutung von Bedeutung zur Evidenz gelange. Diese klassische Ansicht der Psychiatrie ist falsch.

Tiere sind keine Bewohner des logisch-semantischen Raums von Sprache und Bewusstsein – denn in diesem ist das soziale Leben an die Bedingung des Bedeutungsverstehens geknüpft. Wir verstehen die Konvention, mit dem Auto auf der rechten Seite der Fahrbahn zu fahren. Wir lesen das Schild vor dem Kreisel, das besagt: „Achtung: Rechtsverkehr!“  Zugvögel haben eine komplizierte Sensorik, die sie tausende von Kilometern zu ihren Brutgebieten navigiert. Sie können nicht anders, als ihrem instinktiven Verhaltensprogramm zu gehorchen. Wir können auch die Regelung einführen, mit dem Auto auf der linken Seite der Fahrbahn zu fahren. Wir können kurz und bündig definieren: „Vernunft ist die Tugend der sozialen Konvention“, und diese geht den Tieren ab.

Wir können aus Mutwillen, kriminellen oder anderen irrationalen Antrieben soziale Konventionen und Normen übertreten und das Auto als Aggressionsmittel oder Waffe benutzen. Wenn Zugvögel von ihrem festgelegten Kurs abweichen, dann nicht, weil sie sich eines anderen, Besseren oder Schlechteren, besonnen hätten, sondern weil ein Defekt in ihrem Navigationsorgan aufgetreten ist.

Tiere können sich nicht schämen und etwa, weil sie sich daneben benommen hätten, sich befangen fühlen und verlegen unter sich blicken. Deshalb ist es unsinnig, denjenigen, den wir bedeutungsblind nennen und dem wir gegebenenfalls den Status einer vernünftigen Person zeitweise oder auf Dauer absprechen, auf den Status einer animalischen Existenz gleichsam relegieren zu wollen. Wir verstehen unter der personalen Würde eben die wenn auch vergebliche oder vereitelte Hoffnung, einer Person, deren Leben sich in Bedeutungsblindheit dahinschleppt, einmal mit dem lumen naturale versehen im logisch-semantischen Raum von Sprache und Bewusstsein begrüßen oder wiederbegrüßen zu können.

Es liegt auf dieser Linie, wenn wir feststellen, dass Tiere, weil sie den Begriff der Scham nicht kennen, eo ipso und gerade deswegen nicht schamlos sein oder handeln können.

Es ist von hoher Relevanz, darauf hinzuweisen, dass die Fähigkeit des Bedeutungsverstehens und also die Unfähigkeit des Bedeutungsverstehens oder die Bedeutungsblindheit keine Funktionen der Intelligenz oder von intellektuellen Fähigkeiten darstellen. Der sogenannte Primitive, dessen intellektuelle Kapazität zu zählen die Zahlenmengen 1, 2, 3 und viele umfasst, lebt mit uns im logisch-semantischen Raum von Sprache und Bewusstsein, denn er verfügt über den Begriff der Zahl. In keiner Weise hält seine Dummheit den Dummen davon ab, sein Versprechen einzulösen und bei der selbstverschuldeten Nichteinlösung seines Versprechens die gehörige Portion Verlegenheit und Scham zu empfinden und zum Ausdruck zu bringen.

Wenn wir den Begriff der intellektuellen Fähigkeit auf die Wahrnehmungsfähigkeit ausdehnen, sehen wir Folgendes ein: Genauso wenig, wie wir Personen, die über ein besonders exzellentes Wahrnehmungsvermögen wie beispielsweise das absolute Gehör verfügen, eben dieser ihrer Exzellenz wegen loben, ebenso wenig werden wir Personen, die unter physischen Mängeln des Wahrnehmungsvermögens wie der Farbenblindheit oder unter mentalen Mängeln des Wahrnehmungsvermögens wie akustischen oder visuellen Halluzinationen leiden, eben dieser ihrer Mängel wegen tadeln oder als verrückt klassifizieren.

Nur in den Fällen, in denen beispielsweise Anomalien wie Psychosen zeitweilig oder auf Dauer mit einer das soziale Leben extrem einschränkenden Bedeutungsblindheit im beschriebenen Sinne einhergehen, sind wir berechtigt, die betroffenen Patienten zeitweilig oder auf Dauer als psychisch oder mental krank oder schlicht verrückt anzusehen. Aber auch in solch extremen Fällen halten wir die Tür für eine Rückkehr in den logisch-semantischen Raum von Sprache und Bewusstsein immer einen Spalt offen.

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