Skip to content


Dez 24 22

Ein Tropfen Licht

Es ist ein Zittern nur, ein Tropfen Licht
an nächtlich blauem Glase,
es ist ein Mund, der sich ins Dunkel spricht
in schmerzlicher Ekstase.

Die Blüte, die den lichten Tropfen trank,
will einmal noch sich röten,
das Wort sagt monderhellten Quellen Dank,
die es zum Lied erhöhten.

Es ist ein Seufzen nur, ein Hauch der Nacht
in schwanken Uferschilfen,
es ist ein Herz, das bang im Dunkel wacht
bei Ariel und seinen Sylphen.

Undine, sanft vom Abendstern geküßt,
sie mag noch einmal weinen,
das Herz, das geisterhafter Sang umfließt,
will sich mit ihr vereinen.

 

Dez 23 22

Diarium philosophicum I


hilosophische Sentenzen und Aphorismen

Was versteht der Blindgeborene, der ein gutes Deutsch gelernt hat, wenn du sagst: „Ah, dort über dem bewaldeten Hügel steht der Vollmond.“?

Das Kleinkind hat schon die sprachliche Stufe erreicht, auf der es Komparative wie „wärmer“, „schwerer“ oder „schöner“ verstehen oder anwenden kann; dann sagt es aber statt „besser“ „guter“ – ein solcher und andere Fehler sind ein Indikator für die Tatsache, daß eine strukturelle Komponente der grammatischen Struktur aktiviert ist.

Unsere Fähigkeit, bestimmte Fehler zu machen, zum Bespiel Rechenfehler oder grammatische Patzer, dokumentiert bisweilen einen mehr oder weniger hohen Grad von Intelligenz.

Die Einwortsätze des Kleinkindes sind keine Interjektionen, sondern der Ausdruck eines Gedankens, wie der Einwortsatz „Mama“ die Bedeutung haben kann: „Hier ist sie ja, die Mama!“ oder „Es wäre schön, wenn Mama da wäre!“

Was wir Willensfreiheit nennen, zeigt sich in der grammatischen Möglichkeit zur Bildung von irrealen Bedingungssätzen: „Hätte ich nicht so lange getrödelt, wäre mir der Bus nicht vor der Nase weggefahren.“

Denken heißt nicht bloß, an etwas denken; wenn ich an den verreisten Freund denke, impliziert dies ja den Gedanken, daß er verreist ist.

Denken heißt ebensowenig, einen wahren Gedanken haben; denke ich an den verreisten Freund, könnte es sich herausstellen, daß er in diesem Moment schon wieder nach Hause zurückgekehrt ist.

Nehmen wir also an, denken heiße, an einen möglichen Sachverhalt denken, wie an den Freund, von dem ich annehme, er sei verreist, obwohl er schon wieder zurückgekehrt ist.

Könnte indes der verreiste Freund nicht gleichsam einen Doppelgänger losschicken, der „statt seiner“ die Heimreise angetreten hat.

Wir zweifeln, ob wir Freund Peter I, der noch in London weilt, in seinem Doppelgänger Peter II, der an unserer Tür geklingelt hat, ansprechen sollen und identifizieren können.

Im Unterschied zum Kleinkind vermischen wir nicht den realen mit dem fiktiven Namen, nicht den Wolf im Tiergehege mit seinem fiktiven Doppelgänger namens Isegrim aus dem Märchen.

Die Semantik des Namens „Gott“ ist noch nicht geschrieben.

Würde der von Geburt Blinde, der die Blindenschrift erlernt und die Gedichte Eichendorffs und Brentanos gelesen hat, wenn er durch ein Wunder in der Nacht seine Sehkraft erlangte und den Schein des Mondes im Fenster gewahrte, ausrufen können: „Ah, das ist also der von den Dichtern vielbesungene und von den Hunden vielbejaulte Mond!“?

Es ist eleganter Unsinn zu behaupten, „luna“ oder „la lune“ oder „the moon“ bedeute „der Mond“, während die schlichte, aber schwer zu fassende Wahrheit in der Aussage ausgedrückt wird: „luna“, „la lune“, „the moon“ und „der Mond“ bedeuten den Mond oder den einzigen planetarischen Trabanten der Erde.

Hermeneutische Frömmler und Sinnpietisten, die das Wort zwar nicht wie ehedem die Schriftgläubigen ins Kloster, aber dafür in die labyrinthischen Verliese der Texte und Texte über Texte, der Bücher und Bücher über Bücher stecken, aus dem es bei Strafe des Sinnverlustes kein Entrinnen geben könne.

Sie schwätzen nach, was der Herr Papa (der Lehrer, der Priester, der Doktorvater) schon immer gesagt hat, um sich als würdig zu erweisen, seinen Posten zu übernehmen. Oder sie widersprechen dem alten Herrn in einem fort auf schnoddrige und impertinente Weise, um sich pubertär aufzuspreizen und trotzig sich in jene Büsche zu schlagen, vor deren Dunkel der senile Angsthase stets gewarnt hat. – Aber im Dickicht wird ihnen nicht bange, denn hier warten schon jene Brüder der Horde, von der Doktor Freud nicht zu unrecht viel Aufhebens gemacht hat; der Horde, die die alte Elite um den realen oder symbolischen Kopf kürzer zu machen gedenkt.

Abertausende in abertausend Generationen müssen den Mond gesehen und gesagt haben „Dort geht der Mond auf“, damit endlich der Astronom mit der Feststellung aufwarten kann: „Der Mond ist der einzige planetarische Trabant der Erde.“

Daraus folgt: Die Subjektivität des Wahrnehmungsurteils, die durch den deiktischen Ausdruck „dort“ angezeigt wird, ist die Voraussetzung der objektiven kosmologisch-physikalischen Aussage.

Nur Organismen mit spezifischen sensorischen Fähigkeiten kommen zu Aussagen wie „Das fühlt sich rauh an“, „Der Ton ist schrill“, „Das Bier schmeckt fade“, „Da geht der Mond auf“. Das verhindert nicht, nein, ist sogar die Voraussetzung dafür, daß dieselben Organismen Wissenschaft treiben, womit sie ihren subjektiven Wahrnehmungen einen objektiven Gehalt verschaffen.

Aber verschafft uns der objektive Gehalt von Begriffen wie Mond, Stern, H2O und Aussagen wie der Pythagoräische Lehrsatz den Ruhm, den Horaz beanspruchte, weil seine Stirn das Funkeln der ewigen Sternbilder gestreift habe?

„Dem halb Ertaubten klingt der Ton, der dir schrill vorkommt, aber weniger schrill, ja sanft.“ – Nun gut; doch hat er noch eine auditive Wahrnehmung, die er entsprechend qualifizieren mag.

Die Rose duftet, „Rose“ nicht.

Seine Musik hat sich auf den Klang des Namens Mozart wie durch einen seltsamen magischen Zauber übertragen.

Herr Grieskram könnte sich eine solche magische Aufladung seines Namens durch noch so große Liebenswürdigkeit und Zuvorkommenheit wohl kaum erwerben.

Das Muster der Tapete, das man im Katalog besieht, sieht der Tapete zum Verwechseln ähnlich. Ja, es ist öfters ein Stück derselben Tapete, die man schließlich käuflich erwirbt und zu Hause an die Wand klebt. Wir werden aufgefordert, einen Probeschluck des delikaten Weins zu wagen, und was wir schmecken, unterscheidet sich in keiner Weise von dem uns kredenzenten vollen Becher, Das Musterhaus ist so, wie das Haus, das man erwerben kann, nur daß hier keiner wohnt.

Das Schema der Sonate, der Fuge, des Sonetts, der Terzine ist keine Sonate, keine Fuge, kein Sonett und keine Terzine. Freilich ähnelt das Schema der Sonate der echten von Schubert im Aspekt einer spezifischen Projektion ihres formalen Aufbaus.

Der Name Berlin bedeutet nichts, es sei denn wir verwenden ihn in Sätzen wie „Berlin liegt an der Spree.“ Und nur ein solcher Satz beglückt uns mit einem sinnvollen Gedanken.

Daraus folgt die semantische Sigularität unserer Art, sprachlich in der Welt zu hausen: Nur mittels grammatisch korrekt geformter Sätze öffnet die Aussage ihr Negligé, zumindest soweit, um das Schimmern ihres köstlichen Inkarnats zu erhaschen.

Der deutsche Idealismus ist eine hybride Scheinfrucht aus der Vermischung der echten und trivialen Verwendung von Begriffen wie „Ich“, „Bewußtsein“ und „Geist“ und ihrer mystifikatorischen in Schein-Aussagen wie „ich ist Ich“ oder „Im menschlichen Bewußtsein kommt der Weltgeist zu sich selbst.“

Man kann nicht alles nach derselben Methode behandeln, wie der Quacksalber Hegel meinte.

Man kann natürlich ein Grafikprogramm entwerfen, mit dem sich eine topographische Karte erzeugen läßt, auf der der Name „Berlin“ neben einem Symbol für Großstadt und der Name „Spree“ neben einem Symbol für Fluß steht; aber für das Programm hat der Satz „Berlin liegt an der Spree“ keine Bedeutung.

Welchen Reichtum an Typologien des weiblichen Geschlechts enthüllt uns der antike Mythos: Nymphe, Dryade, Sirene, Megäre, Mänade, Moira, Muse, Bacchantin, Sylphe, um nur diese zu nennen, oder welchen Reichtum an weiblichen Charakteren die Epen und Dramen, Penelope und Helena, Antigone und Klytämnestra, Elektra, Andromache, Ariadne … Das Ergebnis der urbanen Zivilisierung und Emanzipation des weiblichen Geschlechts ist seine Verflachung, Banalisierung, Entzauberung.

Zu den letzten Kennern der archaischen und mythischen Dimension des weiblichen Geschlechts zählen Baudelaire, Hugo von Hofmannsthal, Knut Hamsun und Friedrich Georg Jünger.

Der gelehrte Mann, das Idol der Aufklärung, ist kurzsichtig, rachitisch, ohne feineren Geschmack für Nuancen, abgedichtet im Verlies der Bibliotheken sowohl vom Blumenhauch wie vom Sturmwind des Lebens. Was soll man über gelehrte Frauen sagen …

Die Katze Baudelaires, die Sylphe Mallarmés und die fade Sinnlichkeit einer Madame Bovary.

Dummheit muß man sich erst leisten können, als Studienrat oder Feuilletonchef beispielsweise, denn sie zeugt vom Mangel und einer Verkümmerung des Instinkts, der in der Wildform des Daseins den stumpfen, vom Knäckebrot der Moral genährten Magersinn, der die Gefahr nicht erkennt, schon vor dem Schatten eines Schattens zurückschrecken läßt, angesichts der Herrscher der Straße, den neuen Nomaden und ihrem keifenden Anhang mit devoten Verbeugungen scharwenzelt und zurückweicht, um in den nächstbesten Gully zu stürzen.

Nicht einmal das jeden scharfen männlichen Syllogismus schlagende Argumentum ad hominem der Frauen, Tränen, lassen sie mehr gelten.

Die Liebesgedichte, die nach der großen Zeitenwende durch die Entdeckung der Alterität und Willkür der sexuellen Zuschreibungen geschrieben werden, wissen sich keinen Reim mehr auf das zu machen, was die großen Dichter der Vergangenheit als Passion und Verhängnis, Treue und Verrat, Faszination und Steigerung aus dem bipolaren Dunkel ans Licht ihrer Sonette und Elegien gehoben haben.

Der elegante Unsinn, dem ganze Generationen zum Opfer gefallen sind, drückt sich in Scheinsätzen aus wie: „Alles ist Interpretation.“ Wie wäre aber dieser Satz zu interpretieren? Nun, er müßte eine Wahrheit zutage fördern, die selbst keiner Interpretation mehr unterläge – und auf diese Weise sich selbst ad absurdum führen.

„Achtung!“, „Vorsicht!“, „Geh zurück!“ sind Ausrufe, die in der entsprechenden Situation von Bedrohung und Gefahr geäußert unmittelbar verständlich sind. Natürlich deuten sie wiederum auf eine propositionale Wahrheit, die sich in Sätzen darstellen läßt wie: „Von links rast ein Auto heran“, „Hier ist eine steile Stufe“ oder „Das ist kein Weg, sondern ein Holzweg.“

Daß objektive Wahrheiten wie die Wahrheit, daß Berlin an der Spree liegt, ihre Relevanz allererst gewinnen, wenn sie in subjektiven Kontexten Verwendung finden, mindert ihre Objektivität nicht im geringsten.

Als Titanenrufe gehandelte Sätze der Philosophie wie „Alles fließt“, „Alle Menschen streben nach Glück“, „Homo homini lupus“ „Gott ist tot“ – wie verflacht, ausgehöhlt und schäbig werden sie alle infolge ihrer Verramschung auf dem Markt der Meinungen.

Widerlegt mittels Zitierung. – Am gründlichsten widerlegt scheint, was am häufigsten zitiert wird.

Der Hase rettet sich vor dem Rachen des Wolfs, indem er einen großen Hymnus auf seinen Erzfeind anstimmt, sich in immer phantastischere Beschwörungen seiner Schönheit, Weisheit und Güte steigert, sodaß Isegrim zunächst aufs höchste geschmeichelt die Pfoten kreuzt und in seiner Eitelkeit gekitzelt den Schweif behaglich hin- und herwiegt, dann aber von der unversieglichen Lobpreisung seiner Tugenden zwar bis zu Tränen gerührt, aber auch gelangweilt und ermüdet wird, schließlich zu gähnen beginnt und träumerisch-versonnen das Haupt senkt und einschläft.

 

Dez 21 22

Versunkenes Leben

Wenn aber Schleier niederwehen,
geküßt vom Abendlicht,
kannst du den blauen Schatten sehen,
der sich um deinen flicht.

Wie Rieseln in verschneiten Auen
umwölkt dich Traumgelall,
du willst wie Schnee der Liebe tauen,
o schmelzender Kristall.

Und Hauch hebt an die Schneegirlanden,
die blind der Mond gewebt,
du hörst in fernen Meeres Branden,
wie eine Stimme bebt:

„Wir lauschten nachts dem Spiel der Wellen,
dem Lockruf aus dem Grund,
die Worte schwirrten wie Libellen
an stummem Blumenmund.

Mit Muscheln hast, mit weißen Steinen,
die Namen du gesät,
daß sie zur Inschrift sich vereinen,
doch war es schon zu spät.

Ich tauchte in den Schaum der Wogen,
in der Korallen Bann,
die grüne Nacht hat mich getrogen,
dein Traum zog mich hinan.“

O daß die Schleier weicher weben,
von Wehtau hold genährt,
jungfräulich um versunknes Leben,
bis es der Tod verklärt.

 

Dez 20 22

Im Wald der Sprache

Wenn es im Wald der Sprache dunkelt,
wie blicken staunend wir empor,
hat wunderbar Gestirn gefunkelt
durch Laubes zarten Dämmerflor.

Uns spricht das geisterhafte Brausen
noch von Dianas Einsamkeit,
wir starren voller Urzeit-Grausen,
wenn über uns die Eule schreit.

Und hören wir aus kühlen Gründen,
wie eine Quelle selig singt,
will unser Vers in Auen münden,
wo süßen Hauchs die Knospe schwingt.

Doch plötzlich bricht sich dumpfes Ächzen,
ein Splittern in die Versgestalt,
titanisch scharfe Messer lechzen
nach Klarheit im Metaphernwald.

Es stürzen Ulmen, Buchen, Eichen
für odemlosen Teerbelag,
die hellen Herzen müssen weichen
vor einem trüben Menschenschlag.

Ob weiße oder schwarze Hände
zersägen ihr das lichte Bein,
nur Liebe pries der Birke Lende,
nur deutscher Vers trug Laub so rein.

 

Dez 19 22

Abendlichtes Schneise

Folg nur des Abendlichtes Schneise
ins Dunkel, das da ewig währt.
Was du noch sagst, o sag es leise,
verhüll die Wunde, die noch schwärt.

Im Schilf des Ufers magst du liegen,
wo träumend schwankt der schmale Kahn,
der grauen Wasser Sang soll wiegen,
o wiegen dich, du blasser Schwan.

Will Mond sein Silberhorn ausgießen
ins schmachtend rieselnde Gerank,
mußt, das vergebens späht, du schließen,
das Aug, vom Tau der Wehmut krank.

Mag sanfte Hand dich Blinden leiten
zum Kahn, der deiner harrt. O Hand
der Liebe, die in abgelebten Zeiten
den Kranz von Mohn und Veilchen wand.

 

Dez 18 22

Verwehte Spuren

Spuren, frisch im Schnee, wo Hasen sprangen,
und wieder Schnee, das Bild wird blind.
Lieder, die uns milde Flammen sangen,
die Seele taut, der Tau verrinnt.

Muscheln hat der Mond zum Strand getragen,
sie blassen, wenn die Sonne sinkt.
Bunten Schaumes Knistern, was wir sagen,
der Schaum des Lichts, den Trübsal trinkt.

Blitzend schält die Schneide Aprikosen,
kühl ist der Griff von Elfenbein.
Ach, dein Lächeln brachte mir noch Rosen,
die späte Glut im Schattenhain.

Birkenanmut wurde umgehauen,
das Gras erstickte im Asphalt.
Fahle Himmel, wollet nicht mehr blauen,
das Herz ist grau, die Lippe kalt.

 

Dez 17 22

Die Knospe Hoffnung

Laß fliehen uns zur Waldkapelle,
noch thront sie droben muschelbleich,
ward brüchig auch die Marmorschwelle,
der Benedeiten Blick ist weich.

Du, Liebe, magst im Stillen sinnen,
ich zünde uns zwei Kerzen an,
und wenn an ihnen Tropfen rinnen,
mag schmelzen auch der Schwermut Bann.

Uns hüllen huldvoll Schattenranken,
worein der Schein des Mondes bricht,
wir fühlen uns auf Wassern schwanken,
umgeistet hold von Rosenlicht.

Und gehen wir durch Dämmerungen,
wird uns zum Abendstern das Lied,
von zarten Sängers Schmerz gesungen,
das Dunkel küß, bis Liebe sieht.

Uns ist, als hab sich süßem Wehen
die Knospe Hoffnung aufgetan,
daß wir im Tal noch schimmern sehen
wie Schnee im Schilf der Nacht den Schwan.

 

Dez 16 22

Geknetet und behaucht

Geknetet und behaucht wird warm
der Lehm in schmutzig-kleinen Händen.
Wie Falten Wassers glänzt der Charme
an transparenten Verses Lenden.

*

Heiß in Muscheln, Formen und Figuren
pressen Kinderhände feuchten Lehm.
Streicht durch Zeilenklüfte und Zäsuren
Odem, flötet schon das Urphonem.

*

Daß sie trocknen, schlafen nasse Ziegel
in Gelassen winddurchseufzter Darren.
Dichter, noch ein Kuß, dein feuchtes Siegel,
daß die weichen Verse nicht erstarren.

*

Töpferscheibe muß sich, muß sich drehen,
und die schlanke Vase wächst heran,
Lüfte sanft durch Blüten wehen, wehen,
durchs Gerank der Zeilen schwimmt ein Schwan.

*

Wasser, sprach der anmutfrohe Weise,
magst du, Dichter, träumerisch dir ballen,
doch er wand sich selbst in dunkler Schneise
Flammenkränze, um im Licht zu wallen.

*

Geformt aus Lehm, ein wahres, schlichtes Bild
für unsre schwache, sterbliche Gestalt.
Daß aber Othem Gottes darin quillt,
macht uns bestürzt, wir taumeln ohne Halt.

*

Die Woge schwillt, die Woge schäumt,
ein Seestern zackt und schwappt am Strand.
Der Stern, den sich ein Vers erträumt,
im nächsten ist er schon verbrannt.

*

Es schüttet seinen goldenen Wein
aus klirrenden Kristalles Schalen
der Abend hin, du trinkst allein,
doch zittern nach die Traumspiralen.

*

Brackwasser läuft in lehmige Mulden
auf Muschelhorn und Ammoniten.
Gefäße, die nur zarte Schatten dulden,
sind in des Urschlamms Nacht geglitten.

 

Dez 15 22

Wie Schwalben ziehen

Wie Schwalben ziehen zu den milden Strahlen
an veilchenblauer Buchten Meer,
streu Irisblüten ich in irdne Schalen,
doch kommst du, Liebe, kommst nicht mehr.

Und Stimmen sind, in Purpurwolken schwebend,
wie fernes Zittern von Kristall,
mir aber tönt, aus dunklen Grotten bebend,
ein Gong, ein dumpfer, aus Metall.

Wie jene kehren heim und rupfen Gräser
und flattern auf und ab im Spiel,
stell auf den Tisch ich hin zwei Gläser,
doch eins ist, Liebe, eins zu viel.

Und Düfte sind, die dunkle Süße quillen,
um Buch und Lampe Traumgerank,
mir aber will den Durst, den heißen, stillen
die Nymphe mit dem bittern Trank.

 

Dez 14 22

Bündisch, einst

Erinnerung an den Nerother Wandervogel

Wehen, Brüder, euch noch Fahnen
in die Ferne bunt voraus,
hört ihr noch den Ruf der Ahnen,
überall sind wir zu Haus?

Bündisch einte uns ein Fühlen,
wenn des Nachts die Flamme sang,
Herz, es konnte kaum uns kühlen
Traube Mond im Rebenhang.

Glitzern, Schwestern, euch noch Locken,
überhaucht von Sternentau,
sagen euch noch Blütenglocken,
Liebesblicke leuchten blau?

Bündisch einte uns ein Glauben,
über dunkler Wogen Schaum
bringen uns der Anmut Tauben
grüne Zweige, Silberflaum.

 

Siehe auch:
http://www.luxautumnalis.de/eifelpfade-xxvii

 

Dez 13 22

Leiser Widerhall

Du früher Quellen leiser Widerhall,
muß ich auf dürren Pfaden schreiten,
du weißer Apfelblüten Taumelfall,
die mir aufs Nachtmoos Schneelicht breiten.

Wenn ich im Winter aus dem Fenster seh
zum Milchfleck Mond, das Herz gefroren,
ergreift mich fernen Dufts ein süßes Weh,
von Inseln her, wo du geboren.

Und streune einsam ich am Ufer lang,
das Schilf, es seufzt, das Herz muß schweigen,
hör ich, wenn Wogen schäumen, deinen Sang
aus grünem Schmelz von Muscheln steigen.

In tausend Blicken, traumblind aufgetaucht
im Einkaufsgetto, such ich einen,
von Liebreiz blau, von Unschuld überhaucht,
der mich erheitern könnte: deinen.

 

Dez 12 22

Metanoetisch

Morgens lallst du, trunken zu vergehen,
blinden Saugens, Schluchzens Tülle.
Abends nennst du sehend, die bestehen,
Dinge hohen Glanzes, eigner Fülle.

Frühling war ein Hecheln, Wirren, Wühlen,
Schlaf in Düften, die betäuben.
Herbst läßt dich die blaue Stille fühlen,
in die Worte, Pollen stäuben.

Wie sie leckten, heißen Sanges Zungen,
Schnee von Brüsten der Mänade.
Spät erlischt die Glut, erst, da gesungen
Kühlung plätschernd die Najade.

Sehnsucht, im Gestrüpp der Angst das Lauern,
bang umklammern, was uns kettet.
Und es löst dich gnädig ein Erschauern,
Strahl der Liebe, der noch rettet.

Wintersonne, Bild und Male fahlen,
was vergessen schon, die losen
sammle, Dichter, in kristallne Schalen,
blasse Blätter später Rosen.

 

Dez 11 22

Dunkle Grotte, Rosenhelle

Und manchmal hört man in den Nächten weinen,
als wäre in der dunklen Waldesgrotte
erwacht die Nymphe auf bemoosten Steinen,
die längst verstummte vor dem lichten Gotte.

Dann magst du, Dichter, in die trocknen Furchen
das sanfte Rieseln und das Seufzen leiten,
mag noch mit Schlangen, mit gescheckten Lurchen
das Lied dir lispeln und durch Gräser gleiten.

Bisweilen kratzen auf des Schlafes Schwelle
die schrillen Töne einer Traumzikade,
und Eos hält zurück die Rosenhelle,
wenn Liebe schmerzt der Schmelz der Blütenpfade.

So magst du, Dichter, dich mit Ruten schlagen,
die dunkle Liebe aus dem Strauch geschnitten,
der süß erblühte in den Sommertagen,
wie Grillen schreien, was das Herz gelitten.

 

Dez 10 22

Die fahlen Sonnen der Erinnerung

Wenn fahle Sonnen in den Zweigen schweben,
der Aprikosen Licht im Tal
Erinnerung, ein Traubengold von Reben –
wie schmecken alle Worte schal.

Laß trinken mich von deiner Anmut Ranken
den feuchten Schimmer Morgenlicht,
mich auf dem Plätschern deines Singsangs schwanken –
ein Falter schwirrt noch ums Gedicht.

Wo wir den Weinbergschiefer leicht erklommen
und schauten in der Tiefe blau
den Strom, wo abendrötlich Rosen glommen –
wie werden alle Bilder grau.

In Halme, aus dem bittern Löß gezogen,
flicht deine süßen Veilchen ein,
mit Kerzen heb den Kranz auf weiche Wogen –
zu leuchten auf dem dunklen Rhein.

 

Dez 9 22

Die verlassene Braut

In Zwiedunst ist sie hingesunken,
die goldne Sonnenaprikose,
die schon vom Tau des Traums getrunken,
die Dämmerfäden wirren lose.

Und aus dem blauen Abgrund steigen,
dem Flackern gleich von Rätselchiffern,
Gestirne, kalt wie Gottes Schweigen,
nicht einer ist, sie zu entziffern.

Du hast den öden Pfad verlassen,
und bist gen Süden aufgebrochen,
ich muß im Ried wie Monde blassen
und wähnte Sonnen mich versprochen.

Wenn aber in der Morgenstunde
durchs Fenster zarte Stimmen fließen,
blüht auf sie mir, die dumme Wunde,
ich fleh um Nacht, sie zu verschließen.

Und hör ich nachts in seinem Bauer
den Sittich an das Gitter prallen,
lieg starr ich an der Schlaflos-Mauer,
wie einer Fremden klingt mein Lallen.

Und träume ich, dann von den Gärten,
wo zwischen duftenden Narzissen
ins Gras sich betten die Gefährten,
zu süßem Sang und ach zu Küssen.

Seufzt auf, wo du mir sprachst, der Weiher,
zerrinnt das Witwentuch, der Schnee,
und unterm Strahle schmilzt der Schleier.
Ergrüne, Pfad, auf daß ich geh!

 

Dez 8 22

Jamben auf die Pseudo-Dichter

Die Pseudo-Dichter dichten nicht mit Worten bloß,
sie borgen sich ein Charisma,
den ausgebeulten Nimbus des Poète maudit,
als sei im Blitzlicht wer verfemt,
doch sind sie auch von einem Nachtmahr heimgesucht,
der ihrer Sprache Mark zernagt,
sie mimen Baudelaire mit seinem Pansgesicht,
Verlaines Trübsal, auch nicht schlecht,
wie er betrunken greint „Rimbaud, du Schuft!“
Ja, ein Passionsspiel, close-up, das
verkauft sich gut, schäumt nur die Wunde hell,
die man sich coram publico
an bleicher Dichterstirn hat theatralisch auf-
geschlitzt mit einem zarten Schnitt.
Doch jene litten wahrhaft an der Syphilis
des Geistes, seelischem Skorbut,
in Nächten gottverlassner Obdachlosigkeit,
wo diese Bier am Messestand,
Prosecco labt. Und all das Fördergeld vom Staat:
Da hurt man mit dem Zeitgeist gern.
Wenn heuchlerisch die Wehleidsträne auch
den Schluder-Vers verschmiert,
Unleserliches geht als Hermetismus durch,
der Rhythmus katatonisch starr
sich in den Anus eines Chiffrenfetischs krallt,
erglänzt nur der Furunkel Nichts,
den eingeweihte Interpreten als Symptom
der Krankheit namens Abendland
zu deuten wissen. Doch der Reim, der Blütenkelch
an lichter Strophe grünem Zweig,
gilt ihnen als Anathema, steht unter Kitsch-
verdacht, bigottes Feigenblatt
verhehlter Schwären, die sich beim Geschlechtsverkehr
mit feiler Muse Eichendorff
einst eingebrockt hat oder Goethes geiler Knecht
im hohen Gras bei Ilmenau.
Gottlob, den Lyrik-Mädchen wallt noch rhythmisch frisch
getönt das Haar zum Nymphensteiß,
sie lassen gerne sehen, wie sie in den gold-
gerahmten Spiegel sehen, in-
krustiert mit Muscheln, das Gedicht, wie zart behaucht
von ihrem feuchten Blumenmund,
und Melusine glitzert aus dem Wörterdunst,
es glänzt die Haut vor Selbstgefühl.
Nie traute sie dem muskulösen Arm sich an,
der sie ins trockne Versmaß zieht.
Vorm Knalleffekt schreckt auch la fille sans merci
im Internet heut nicht zurück:
Sie löscht das Licht, ins Schweigen aber, ins Mystère
final, das Liebesdickicht, tropft
mit einem Mal ein Glucksen, wie getauten Schnees:
Sie weint! Nein, uriniert.

 

Dez 7 22

Letzter Küsse Waldarom

In den Rosen seufzt ein Schimmer,
der von deinen Lippen sank,
nur ein Schatten bleibt im Zimmer,
der von deinen Blicken trank.

Rosen in kristallner Vase
mit der Hüfte weichem Schwung,
glitzernd wie der Tau im Grase,
da uns stillte Dämmerung.

Auf den Gängen eilen Schwestern
hin, wo eins im Sterben liegt.
War’s vor Zeiten, war es gestern,
daß uns Lichtgerank gewiegt?

Von den Wänden fließen Schlieren,
fährt man spät noch hin und her.
Schlafen, o im Hain bei Tieren,
Herz, von Glanz und Bildern leer.

Doch sie läßt nicht ab zu schwingen,
Unruh einer kranken Uhr.
Wie von Kindern geht ein Singen
durch den leeren Klinikflur.

Gluten, die auf Wassern schwelen,
letzter Küsse Waldarom.
Fahler Traum seid, Asphodelen,
leise rausche, dunkler Strom.

 

Dez 6 22

Satans Mühle

„Mach endlich Schluß mit diesen Abgesängen!
Des Efeus Schlurfen auf den Friesen klingt
wie Rasseln in verschleimten Atemgängen.

Und jenen Quell, der dürrem Vers entspringt,
laß nur verschütten von Betonidioten,
kein Melancholiker ward je beschwingt,

dem du das trübe Wässerchen entboten.
Schließ den Reliquienladen mit Gebeinen,
in Blech-Hyperbeln eingefaßt, maroden,

Kein frisches Weib wird Talmischmuck nachweinen,
den du aus fahlem Pergament geschnitten,
ihr Auge glänzt ins Blau von Saphirsteinen.

Verhülle nicht, die leuchten, Sonnenquitten,
mit dunkler Verse Laubesüberhängen,
die nur verbergen, was du nicht erlitten.“ –

„Wer bist du denn, mich unwirsch zu bedrängen,
und mir den goldnen Becher zu verwehren,
wenn sich des müden Daseins Schatten längen?

Soll ich die fade Lust von Geistern mehren,
die faulend sich um Fäulnisgötzen ranken,
heiß wetzen, die um Lilien klappern, Scheren,

versagen mir, auf schwarzem Samt zu schwanken
mit Knospen, die sich stumm dem Mond aufschließen,
soll krank ich lallen mit den Geisteskranken?

Soll ich, die mir am Versfuß schüchtern sprießen,
die Veilchen für die Höhnenden zerdrücken,
die Säure auf der Anmut Lächeln gießen?

Wer bist du denn, den Vers mir zu zerpflücken?“ –
„Ich bin dein Gegen-Ich und schlafe neben
dir, um das Traumgesicht dir zu zerstücken.

Ich bin die schwarze Laus in deinen Reben,
die schmatzend frißt und frißt, bis ich es fühle,
kein Traubengold wird deinen Most beleben.

Zart eingefädelt tropft die Hirnkanüle,
und Bilder bröckeln, Wort zersetzt ein Keim,
Ich bin, dein Mark zu mahlen, Satans Mühle,

die bacchisch kreischt, zertrümmert sie den Reim.

 

Dez 5 22

Der erstickte Quell

Zwischen den zerbrochenen Amphoren
seufzen Gräser, Mythensplitter
hüllt, was früher Hymnen Glanz beschworen,
fahler Mond in Schattengitter.

Und die Hirten, die mit Flammen sangen,
Schmerz der Gluten, Liebesfunken,
sind zu fremden Göttern fortgegangen,
Pan und Nymphe sind ertrunken.

Gnadenquell, der heiße Stirnen kühlte,
unter Sternen Psalmen lallte,
daß ein müdes Herz noch Ferne fühlte,
sie erstickten Wahnasphalte.

Und die Dichter, die vom Quell empfangen
Licht, zu lösen dumpfe Zungen,
sind zu dunklen Mächten fortgegangen,
Sternensänge sind verklungen.

 

Dez 4 22

Der Schmerzgefährte

Gezwitscher war herabgeflossen,
verglommen Abendpurpurgold,
o, Liebe, wandle unverdrossen,
Tau sei, des Laubes Nacht dir hold.

Und dämmern ferne auch die Gärten,
wo reines Wasser weicher tönt,
du triffst bald auf den Schmerzgefährten,
der dich mit deinem Schmerz versöhnt.

Er ist vom Kreuz hinangestiegen
und fand den Himmel wüst und leer,
magst dich an seine Seite schmiegen,
die alte Wunde glänzt nicht mehr.

Sind alle Pfade auch verdunkelt
und münden in den Karst der Nacht,
ein Stern ist, der noch einsam funkelt,
der Sängern einst den Sang entfacht.

Die Liebe hält den Schmerz umschlungen,
die Augen feuchtet Liebeskuß,
sie steigen nieder, schilfumsungen,
zur Taufe in den dunklen Fluß.

 

Dez 3 22

Die Fäden rissen

In Mondes dunstig aufgeflockter Molke
ein schwanker Kelch, ins Dämmervlies gehüllt,
von hellen Tönen einer Purpurwolke
wardst, Nature morte, du huldvoll angefüllt.

Umwimpert noch von Schatten, bangen,
hat sich die scheue Knospe aufgetan,
was du an Strahlen gläubig eingefangen,
gibst du zurück, o Blicke, diaphan.

Es wehen Silberfäden, feuchte Funken
dir um die leere Mitte ein Gefühl,
wie Liebende dich in das Wasser tunken,
du Anmut hauchst in kahler Flammen Spiel.

Die Fäden rissen und sie wirren lose,
Gespinst am ausgeseufzten Efeublatt,
im Aschenrauch glüht eine letzte Rose,
o trunknes Lied, das keinen Duft mehr hat.

 

Dez 2 22

Der ausgespuckte Kern

Dies Helle „Rose“ und dies Dunkle „Tod“,
als solltest du zum ersten Mal es nennen.
Die Rose auf dem Grab, blüht sie nicht rot?
Dein wundes Herz scheint sich nicht auszukennen.

Hast du sie leichthin Lächeln nicht genannt,
vertraute Züge, die dir heiter schienen?
Als stünden Sphingen um den Brunnenrand,
verdunkelt sich der Muschelschaum der Mienen.

Liegt es nicht auf der Zunge dir, das Wort,
das einzig wahre? Jene Purpurbeere,
erglüht in früher Kindheit Dämmerhort,
die Traube, o von dunklen Süßen schwere,

gepflückt einst unter lang erloschnem Stern.
Doch plötzlich schmeckst du Bitterkeit im Munde,
und spuckst ihn aus, den abgenagten Kern,
gerötet wie im Fruchtkelch einer Wunde.

 

Dez 1 22

Den schwermutgrauen Herzen

Wundersam, wie Töne fließen, süße,
in eine Welt voll Bitternis und Grauen,
wie sachte streifen unbeschuhte Füße
vereiste Blumen, und sie tauen.

Als ob ein Schnee von Gipfeln leuchte, gehen
schweigend wir hinan zur kargen Stätte,
wo unterm Kreuze kleine Flammen flehen,
daß Liebestod die tote Liebe rette.

Wie lichte Tränen hingeronnen
sind in das Dunkel Lobgesänge,
der Schwestern nannte ferne Sonnen,
schritt barfuß durch die Dornengänge.

Als ob sich fern die Heimat lichte, gehen
singend wir hinab zur Gnadenquelle,
wo um ein keusches Wasser Lilien stehen,
zu schöpfen schwermutgrauen Herzen Helle.

 

Nov 30 22

Da du vorübergingst

Sonniges Blau marokkanischer Fliesen
lag, da du vorübergingst,
in deinem Lächeln, deinem Grüßen,
und mir war, mir war, du singst.

Von Topasen, dämmerfeuchten,
kam, wie aus dem Schilf der Nacht,
aus den Augen Meeresleuchten,
und ich schwankte, schwankte sacht.

Weicher Knospe abendliches Neigen
war des Mundes Rosensinn,
weicher noch sein Duft, das Schweigen,
und er riß, er riß mich hin.

Mond, der über Wellen zittert,
schien mir deine Seele lind,
Fenster, efeuübergittert,
meine war schon, war schon blind.

 

Nov 29 22

Die Märtyrer der Endzeit

So viele exzessive Posen, allzu dick
die Phrasenschminke, die verläuft,
wenn aus fanatisch grellen Augen Feuchte rinnt,
obszön vor einer Kamera.
Sie dünken Zeugen sich der Wahrheit, jenes Wals,
gejagt, gehetzt wie Moby Dick
auf allen Meeren dieser Welt von Satanas,
sie schreien, Ahab, Ahab hat
den Leib durchsiebt, den edlen Leib des Muttertiers,
das huldvoll Jonas trug ans Licht.
Ein Dämon ist der Feind, und die Harpunen, die
er schleudert, heißen geile Gier,
patriarchale männlich-toxische Gewalt,
perverse Lust auf Talg und Tran.
So sieht man spröde Mädchen, Knaben mädchenhaft,
wie trunken von der Heilsvision,
auf Plätzen sich, auf Straßen kleben fest mit Leim,
der Lymphe ähnlich, womit fromm
die Schnecke an dem Blatt von Mutter Erde klebt,
auf allen Vieren, wie Voltaire
gehöhnt, doch müssen sie nicht ein Martyrium
wie jene Zeugen dunkler Zeit
erleiden, die meineidig wurden Gott, dem Staat,
die warf man wilden Bestien vor,
und züngelte die Flamme, war es ein Gesang.
Behutsam birgt man sie, o nein,
man amputiert sie nicht, die kriminelle Hand,
wie’s gern geschieht in Allahs Reich,
woher sie edle Sprossen dieser feinen Kunst
des Lebens gern dem morschen Stamm
der Dichter und der Denker pfropfen, bis am End
ihn fälle Genosuizid,
nein, die auf Bilder alter Meister Schleim und Quark
geschmiert als tristes Menetekel,
daß alles Schöne in die Sintflut sinkt, sie schickt
man gnädig an das Mikrophon,
damit sie vor der Meute geifernder Journaille,
Kassandra gleich vor Trojas Fall,
schrill ihr Lamento psalmodieren, bald, schon bald
versänk Elysium im Meer,
wenn nicht der weißen Phallokraten Sünderschar,
kastriert zum Heil der Welt,
eunuchenhaft Blaustrümpfen Soja-Trank kredenzt.
Das Dogma, ihnen offenbart
allein, thront als Arkanum über dem Gesetz.
Ein infantiles Charisma,
es blendet selbst Frau Lockenstolz, Herrn Bierschmerbauch,
klagt, irren Blicks, den Tränen nah,
psychotisch zappelnd noch im elterlichen Netz,
die Kindfrau vor dem Heuchlerrat,
wir könnt ihr’s wagen, uns die Zukunft, uns die Luft
zu rauben, und es braust Applaus.
Verführtes Kind, Verführerin, kehrt Greta heim,
wo gleich sie in den Käfig schaut,
doch war zu lange sie auf Welterlösungsfahrt,
der Sittich, er verstarb derweil.

 

Nov 28 22

Der kleine Stoiker

Da hüpft er, Mick, mein Mickilein, von weitem hat
er mich erkannt, der treue Hund.
Und wedelnd kreist er um sich selber, wie er blinkt,
der onyxschwarze Augenstern.
Ja, ja, schon springst du hoch und kratzt und tapst und schniefst,
die Schnauze in der Tasche fast
vergraben, wo ein Leckerli für meinen Mick
schon lang auf sein Gejapse harrt.
Was dir begegnet, kleiner Stoiker, dünkt dich
genug, du überschnüffelst nicht
mit deiner feinen Nase, was die Welt begrenzt,
die du bewohnst. Das weißt du nicht,
daß über Fluß und Tal und Berg ein andrer Hund
gelebt, dir ähnlich ganz, wie du
gerufen Mick von einem guten Frauchen, das
dem deinen ähnelte, doch fand
man sie vor Wochen kalt und bleich in ihrem Bett,
der kleine Mick, der Zwillingshund,
lag auf dem Kissen neben ihr, war schon ganz ab-
gemagert und er keuchte schwer,
starb auch dahin, als man die Alte hob zum Sarg.
Du kennst, o Glück, nur einen Tag,
vom ersten Strahl des Morgens bis zum Abendrot,
vom Frühling bis zum weichen Schnee,
doch wüßtest du zu raten und zu sagen nicht,
wär dir die Zunge auch gelöst,
ob diese blütenweißen Flocken Winterzeit,
ob jener Schnee nicht Lilien meint,
den Abgrund zwischen einst und jetzt, ihn füllt dir auf
das dunkle Rieseln deines Schlafs.
Von Tür zu Tür, von Duft zu Duft, von Strauch zu Strauch
durchwandelst du den engen Kreis,
und doch erhellt in deinen Adern sich das Blut
von einem Tropfen Himmelslicht.
O leuchte Herz, das in des Lebens Dunkel pocht,
bleib wach für deinen leichten Traum.
Und fühlst du, wie die Bilder blassen, wie der Blick,
der mütterlich dich oft geküßt,
verschwimmt, leg dich ins Gras, die Augen schließ, laß still
verwehen letzten Sommers Hauch.
Und geht sie dir voraus, die dich umsorgt, geliebt,
und machte dir ein Bett aus Flaum,
magst du ihr folgen und nicht schmachten vor dem Grab,
wo weicher Tau von Veilchen rinnt.

 

Nov 27 22

Einer saß am Straßenrand

Einer saß am Straßenrand,
glotzte auf die Flimmerscheibe,
hielt das Handy in der Hand,
frug sich, wo die Liebe bleibe.

Und er hatte auf der Bank
aufgeschichtet Ahornblätter,
Liebe liegt darunter krank,
hofft nicht mehr auf ihren Retter.

Blatt um Blatt aus feuchtem Gold
fiel zur Nacht, der sternenlosen,
war der Sommer ihr auch hold,
Liebe blich mit Herbstzeitlosen.

Hielt das Handy er ans Ohr,
ob es wie die Muschel klinge,
was sich, Schaum des Lichts, verlor,
Äthernacht ihm wiederbringe.

Doch ihm riß ins Trommelfell
Löcher trostlos-kaltes Klirren,
Dunkelheit wird nicht mehr hell,
Liebe, mußt bei Schatten irren.

Und er hob den Blätterstoß,
warf ihn unwirsch auf die Gasse,
o der Tod lockt mehr als Schoß,
fühlt die Liebe, daß sie blasse.

 

Nov 26 22

Vespertina spes

Über Wolken hoch, verworrnen Wegen
blauer langgedehnter Abendklang,
als gewähre unverhofften Segen
grauen Herzen himmlischer Gesang.

Sag mir, sind es Glocken, die noch schwingen
im verschneiten Wald der Weihezeit,
ist es milder Flammenzungen Singen,
das ein heiles Antlitz benedeit?

Auf den Wassern tief, den hohen Matten
blindlings hingeküßter Abendstrahl,
als beglücke, die verseufzen, Schatten,
Traum zu trinken aus dem Gnadengral.

Sag mir, sind es Knospen auf den Hängen,
die im Hauch des Monds sich aufgetan,
sind es Funken aus den Sterngesängen,
hellen Tones wie von Porzellan?

 

Nov 25 22

Wie im eignen Grab

Wieder sah ich dich nicht, wieder verlosch der Mond
hinter Türmen der Stadt, ohne den Trost, den mir
deiner Anmut Gestalt und
lieblich duftend dein Wort gewährt.

Einsam geh ich noch aus, mottendumpf schwirrt der Blick
über funkelndes Blech, wie es mich graust, seh ich
durch Gardinen den Spuk, das
tragikomische Schattenspiel.

Hockt noch murmelnd ein Weib, reckt mir den Napf und grüßt,
so vertraulich wie dreist. Endlich, der Abend schweigt,
und die Pforte ist auf, die in den Garten führt,
wo wir beide zur Sommerzeit

plaudernd saßen allein, und aus dem Laube troff
weich gefiederter Sang, schimmerndem Schleier gleich
floß dein Lächeln um mich und,
o Hauch, südlicher Meere Schaum

war darin und die glüht, dämmert Dianas Hain,
der Zitrone Geruch. Ich aber schlich zurück,
fand verriegelt das Tor, barg
mich im Gras wie im eignen Grab.

 

Nov 24 22

Der Tropfen Reim

Wie im zarten Morgenlicht
Traumes Ranken bleichen,
tut sich auf dein Angesicht,
Knospe ohnegleichen.

Wicken schüttelt wach der Wind
an verschlungnen Gittern,
Wimpern, die noch trunken sind,
Azur küßt, sie zittern.

Wie ein Hauch die Halme wiegt,
summt des Sommers Süße,
Mund, von weichem Mund besiegt,
öffnet seine Schließe.

Was er kündet, scheint geheim,
Duft aus dunklem Moose,
bis er glänzt, der Tropfen Reim,
an der Purpurrose.

Was dein Lächeln scheu verhüllt,
blauer Blicke Feuchte,
hat den Vers mit Tau gefüllt,
daß die Blüte leuchte.

 

Nov 23 22

Jamben auf die frühen Wirren

Welch seltsames Gemisch (halt dir die Nase zu)
von Veilchenduft und Elendsdung,
der noch wie bäurischen Geschickes Ironie
ihm an lackierten Schuhen klebt,
umschwebt den geckenhaften Schwadroneur.
Die Nickelbrille flügelt auf
dem Nasenjoch, die schwarze Lederweste schmiegt
sich speckig an die Hühnerbrust.
Als habe ihm den Blondschopf Meerfahrt ausgebleicht,
als tränk das Auge noch Azur,
und war, ein Hasenherz, doch nie an Hellas’ Strand,
schielt bangend er nach links und rechts,
ob jene auch, auch sie verweilt im Seminar,
und räuspert sich, hat seinen Quark
der Herr Professor Schmidt zum frühen und
zum Marx des Kapitals, dem Bruch
der Episteme, wie’s der Hohepriester aus
Paris, der Gattenmörder, nennt,
breit ausgewalzt, steht ruckend auf, die Brille rutscht,
er schiebt sie nonchalant zurück,
und man vernimmt ein krauses Kauderwelsch,
Adornos Zwielicht-Idiom,
vermengt wie die Satura mit Fruchtallerlei,
im Rausch der Nacht gepflückt
im leider unbewachten Garten Hölderlins,
und radebrecht von Brot und Wein, vom Göttermahl,
dem wahren Bruch der falschen Zeit.
Der ist nicht ganz bei Trost, denkt sich der dicke Schmidt,
ist noch nicht nüchtern in der Früh,
und in der Runde sieht man, wie sie feixen und
die Augen rollen, mancher gähnt,
doch er bleibt unbeirrt, ein trunkener Prophet,
dem Lorbeer kitzelt schon die Stirn.
Doch der verkannte Vates ist ein armer Hund,
hat sich in diesen Vamp verliebt,
ein Schönchen aus den Westend-Villen, die niemals
im Seminar nach ihm geblickt,
ihn keines Worts gewürdigt, wenn er auch, o Scham,
ihr in den Kasten ein Gedicht
geworfen, ohne seinen Namen, Gott sei Dank,
den Philosophendialekt
gepaukt, und seine Mundart ganz zersetzt, verpantscht.
Sie aber wußte es genau,
und hat auf dem Semesterabschlußfest getanzt
mit einem unbebrillten Kerl,
vor seinen Augen, engumschlungen, ihren Schoß
an ihn gepreßt, die Zunge, rot
und lang, ihm grinsend hingestreckt, gestreckt.
O laß es sein, schmink es dir ab,
rät dir der Dichter, der Diotima im Wach-
traum sang, hat auf Susette er auch
geschaut, du liebe selbst die eigne Anima,
die aus dem Dunst der Angst dir steigt.
Und fühlst du noch die Glut, scheu nicht die Einsamkeit,
den Haken, der die Asche schürt.
O schweres Glück, zur Muttersprache heimgekehrt,
zerfällt dir der Jargon der Zeit.

 

Nov 22 22

Die frühen Geister

Sie kommen wieder, frühe Geister, Schatten,
die leise aus dem Dämmerlaube wehen,
und will das blaue Rauschen uns ermatten,

sind sie es, die am Rand der Brunnen stehen.
Und wandeln Arm in Arm wir durch die Wiesen,
sind ihrer drei, die sich im Tanze drehen,

Mänaden wie auf längst zerfallnen Friesen,
und Flammen züngeln über Brust und Lenden
und Augen glänzen in den Panthervliesen.

Du sagst, wir wollen uns zu Blüten wenden,
die auf den Wassern unterm Monde treiben,
da hockt im Schilf und fleht mit Runzel-Händen

ein graues Weib, wir möchten bei ihr bleiben,
und willst du ihrer Stirne Frost behauchen,
zerrinnt sie wie Eisblumen auf den Scheiben.

Steht hoch das Gras, ins Dunkel einzutauchen,
und sagt dein Blick, was keine Worte können,
schreckt auf uns der Erinnyen heißes Fauchen,

die keiner Liebe zarte Gesten gönnen,
sie kennen uns, sie rufen uns mit Namen,
daß wir dem Fluch, dem alten, nicht entrönnen.

Hat eingesenkt sich väterlichem Samen
das Gift der Schlange aus dem Wundergarten
und müssen, die in Liebe wandeln, lahmen?

O Geister, die auf unsre Schwachheit warten.

 

Nov 21 22

Schweigen, keuscher Schnee

Dein Schweigen ist wie keuscher Schnee,
der still durch Dämmerungen scheint,
wie weicher Tau der Orchidee,
der heim zum Schoß der Erde weint.

Dein Schweigen ist wie Abschiedshauch
der Blüte, die ins Dunkel sieht.
Aus sommerblauem Abendrauch
steigt auf der Mond, mein trunknes Lied.

Mein Lied ist wie das feuchte Laub
der Nacht, betropft von fahlem Licht,
als könne fühlen, was schon taub,
netzt es des Siechen Angesicht,

doch bleibt er liegen, ungerührt.
Ich kehr zu deiner Blume heim,
zum Schnee, der in die Stille führt,
o sinke, Mond, verklinge, Reim.

 

Nov 20 22

Fremde Heimat

Es schienen die vertrauten Wege, und doch
war alles wie im Traume fremd. Der Glanz,
der ausging von den Dingen, von den Farben,
er strahlte auf, verlosch und strahlte wieder,
als wogte er von innen, nicht als warmer
Widerschein der alten Sonne. Ich aber
schritt wie auf gespannten Häuten, die seltsam
gleich den Planken eines Schiffes bebten,
und sie schluckten jedes Schrittes Hall.
Da starrten kahle Äste in die Leere,
verschränkte Finger, Blut troff von den Nägeln,
und Früchte glichen Tropfen dunklen Bluts
wie Trauben in der Dämmerung der Reben.
Der Himmel war ein purpurfeuchtes Linnen,
Turmspitzen stachen Löcher in den Taft,
da wehten Fahnen, Wappen mit Emblemen
monströser Fabeltiere, Mädchen-Echsen,
Sphinxen mit zerquetschter Brust, Mischwesen
aus Tier und Blume, mit Blüten wedelnd
Kraken, aus geplatzten Knospen äugend
Embryonen. Da schwebten Pavillons,
wo Weise ihre dürren Bärte zupften,
auf Knochenpfählen über grünen Sümpfen,
woraus metallisch-blaue Flossen blitzten.
Die Wabenhäuser klebten eins am andern,
statt Scheiben sprühten kristallne Facettenaugen,
wie zerstückelt im Kaleidoskop
vergaß man, wer man war und was man wollte,
aufs glücklichste sich selbst entronnen,
und alle waren eins geschwisterlich,
doch mit sich selber unbekannt,
dem andern Spiegelbild, sich selber blind.
Vorm Duft der Ferne, Sternenbotschaft schützten
Schindeln von Krötenpanzern, Affenschädeln,
aus Toren glotzten Mäuler wie von Fischen,
die den Passanten seufzend in das Innre
sogen, und in Blasen aus sich stülpten,
doch umgewandelt, alte jung, und junge
alt, ja, Männer Frauen, Frauen Männer,
Thersites ein Achill, Achill Thersites.
Ich trat auch in der hohen Weihe Haus,
im Becken war das Wasser parfümiert,
da stand statt des Altars ein Quaderstein
aus schwarzem Onyx, darauf schimmerten
nicht edlen Weines Kelch und nicht Monstranz,
ein Schädel aber, den Rachen aufgerissen,
eines Krokodils, und dem Gebiß
hat Zahn an Zahn man Rosen eingesteckt,
der Priester kam, im bunten Flickenkleid
ein Gnom, sein Amen war ein dunkles Grunzen.
Mich aber riß ein Sturm durch öde Gassen,
in denen sich Verwesungsdüfte seltsam
mit dem süßen Hauch von Veilchen mischten.
Und die vorübergingen, mimten Puppen,
von unsichtbaren Fäden hin und her
gezerrt, kaum wehte sie mein Atem an,
ergoß ein Lächeln sich auf ihr Gesicht,
ein Glanz aus Wachs wie einer zarten Maske
leicht ablösbares Blatt, und Feuchte quoll
in Augenhöhlen, angstumwimpert. Da eilte
ich, ans Ufer zu gelangen, ein Rauschen
zog mich hin wie heimatlichen Stroms.
Schon schwappte mir das Wasser bis zum Knie,
da nahm ein Kahn mich auf, der Fährmann nickte,
und langsam glitten wir auf schwarzen Wogen
an jener Stadt vorbei, die schon im Dämmer
versank, die Wappen blaßten und das Funkeln
der Kristalle war erloschen. Da schwoll
wie aus dem Mund der Muschel säuselnd ein
Gesang, sirenensüß, sich wie ein Schleier
breitend über dumpfen Daseins Schlaf.
Und plötzlich, aufgepflanzt wie ein Gespenst,
stand dort im Uferschilf der zarte Knabe,
in einer viel zu großen Lodenjacke,
mit einer Mütze, filzig-grau, die riß
er jäh vom Kopf und winkte mir damit,
und winkte wirbelnd, wie man Abschied winkt
von einem lieben Gastfreund, und er rannte,
dem Kahn zu folgen, der die Mitte schon
des Stroms gewann und wie im Dunst ein Schemen
entschwand. Dann stand er still, ich hörte noch,
wie seiner Knabenstimme Silberfaden
sich in den Nebelvorhang des Gesanges
wand, da sah ich, kannte ich ihn wieder,
ich war es selbst, der Knabe aus der Stadt
am Fluß, und mußte lange weinen, weinen,
bis fremder Heimat Traumgesang erstarb.

 

Nov 19 22

Komm, gehen wir ins Abendrot

Komm, gehen wir ins Abendrot,
wo noch unter Flammenruten
trunknen Liedes Rosen bluten,
o Lust der Sonne, Schoß und Tod.

Verweilen wir, sonst schmilzt das Bild,
wo wie Monde Mirabellen
aus dem Laub des Dämmers schwellen,
bis leuchtender die Wunde quillt.

Und trinken wir den Tropfen Licht
eins im Abschiedsblick des andern,
die ins Blütenlose wandern,
schweigen, nur die Träne spricht.

Komm, gehen wir ins Abendrot,
wo wie Schatten wir uns finden,
die sich umeinanderwinden,
o dunkle Liebe, Schoß und Tod.

 

Nov 18 22

Perdendo, morendo

Auf Wogen goldenen Korns
Flügel, blaue, die ertrinken,
und betört vom Feuermohn
im Herzen süße Stiche.

Regen, Schlieren auf dem Glas,
fahler Wange Schimmer,
Tropfen, Blicke, zögern lang,
und sie rinnen hin.

Im Schluchzen der Sonate,
perdendo, morendo,
hör ich dich vom andern Ufer
meinen Namen rufen.

Auf Herbstes einsamer Schwelle
liegt unter gelben Blättern
einer Taube blasse Feder.
O gurr entrückt in fernen Gärten.

 

Nov 17 22

Das Hündchen Micki

Micki heißt das Hündelein,
mit dem Frauchen, arm, doch fein,
trippelt’s an den Autos lang,
und hebt müde noch das Bein.
Ach, sein Hundeherz ist bang,
kläffen hab ich‘s nie gehört,
Micki, holdes Mißgeschick,
kannst nur flehend fiepen, bloß
winseln, doch mit deinem Blick
hast du gleich ein Herz betört.
Frauchen läßt dich nicht allein,
legst den Kopf auf ihren Schoß,
und sie krault das Vlies dir zart.
Samt hast du von einem Reh,
Wimpern mädchenhaft-apart,
Tupfer auf der Stirn von Schnee.
Und warst doch ein Straßenkind,
jüngst in einem tristen Slum,
wo die Hunde Waisen sind,
in Rumänien. Wie ein Lamm,
das der gute Hirt noch hebt
aus der sternenlosen Nacht,
hat dich, daß sie froher lebt,
Frauchen in ihr Heim gebracht.
Micki, wie du wedelnd rennst,
geh ich zögernd vor die Tür,
und von weitem mich erkennst,
denn ich habe stets zur Hand
für das sanfte, treue Tier
Leckereien. Zartes Band,
das wohl zwischen uns geknüpft,
was ein Dichter Schicksal nennt.
Fühl dein Herz ich, wie es hüpft,
seh dein Auge, wie es glänzt,
weiß ich, daß auch Liebe kennt
Kreatur, bekrallt, geschwänzt.

 

Nov 16 22

Drüben, wo die Liebe wohnt

Psalmen, weicher Wasser Lallen,
Blüten auf dem Strom der Nacht,
sind im Herzen schon zerfallen,
das im Schutt des Traums erwacht.

Augen, die zum Glanz sich feuchten,
offne Knospen, kußbetaut,
wollen uns im Dunkel leuchten,
bis die Brache Abschied graut.

Locken, die im Schneelicht bleichen,
Flügel, flockenübersät,
flattern schon zu fernen Reichen,
wo der Sommer Flammen mäht.

Lichter, die am Fenster zittern,
und sie blassen, glüht der Mond,
Rosen, Seufzer an den Gittern,
drüben, wo die Liebe wohnt.

 

Nov 15 22

O Knospe Liebe

Wie Blumen, die niemals das Dunkel sehen,
am Morgen öffnet sich ihr Kelch dem Licht,
im Zwielicht muß ihr letzter Duft verwehen,
o Knospe Liebe, sieh das Dunkel nicht.

Wie Knospen, denen nachts die Wimpern zittern
und blicken auf in Mondes bleichen Strahl,
muß Sterneneinsamkeit die Nacht verbittern,
wem Schlafes Flügel fortstößt Liebesqual.

Wie eines augenschönen Falters Leben,
der morgens aus der Runzel-Puppe schlüpft,
vom Dämmerdunst ins Sonnenlicht zu schweben,
dein Kind sei, Liebe, das ums Feuer hüpft.

Doch denen Sommeroden sind verklungen,
die Frucht des Herbstes fiel so dumpf ins Gras,
sie schmecken Asche auf den stummen Zungen
und starren blind durch frostgeblümtes Glas.

 

Nov 14 22

Glut und Asche

Wenn uns aus herbstlich-trunkner Abendbläue
Schatten niedertaumeln, und es dringen
aus dem Laub noch Vogelstimmen, scheue,

fern verrauschen Sommers Kranichschwingen,
laß, Liebe, uns auf weichen Moosen gehen.
Tropfen, die am Blumenmund zerspringen,

Seufzer, die wie Veilchenhauch verwehen,
und der Engelsglocke blaues Klagen
sind allein, vor Leiden zu bestehen,

die Liebende ans dunkle Ufer tragen,
wo Dämmerschilf sie birgt, die lebensmüden.
Und wir hören nicht, was Wellen sagen

von Herzen, die auf immer sie geschieden,
Glut von Rosen, die bei Muscheln bleichen.
Und als bringe uns sein Nachen Frieden,

wollen Charon wir die Münze reichen,
ich den Hungerpfennig, du die Krone,
doch läßt der Sohn der Nacht sich nicht erweichen,

da er nur den bittern Tod belohne,
nicht den sich Liebesflamme bahnt, den süßen,
wie ihn die Mücke trinkt aus rotem Mohne.

O, Liebe muß die Glut mit Aschen büßen.

 

Nov 13 22

Dämmerung am Strom

Wasser, spiegle mir noch, dämmert auch längst mein Tag,
Wolken, Rüschen auf Blau, was ich gestreut dir blind,
laß ins Dunkel nicht münden,
Schnee von Knospen und Blütenlicht.

Dem ich einsam gelauscht, ging ich den Uferpfad
oder lag da im Schilf, wie eine Muschel kalt,
laß dein Rauschen als Echo
traumentrückter Gestade mir.

Sinken Schatten herab, schwankender Traube Gold
fahlt in grauendem Tau, möge mir noch das Bild
unerfüllbaren Sehnens
glänzen aus wogender Nacht, der Mond.

Muß verlöschen auch er, alles ist stumm, wie tot,
sagt kein einziger Stern, meiner gedenke ein Herz,
will ich tauchen zu dir, o
Melusine, zu dir hinab,

wo mir blitzt bunter Schaum, schuppiger Anmut Spiel,
wie aus singendem Mund quellen schon Tropfen auf,
tänzelnd peitschen mich Flossen,
doch ich taste nur warmen Schlamm.

 

Nov 12 22

Süßer Tau

Deiner Blicke feuchte Funken,
süßer Tau der Purpurrose,
sind in meine Nacht gesunken,
in die Nacht, die sternenlose.

Und sie küßten mir die Wunde,
daß sie heller brennen mochte,
Kerze sanfter Abendstunde,
Kerze mit dem Liebesdochte.

Deiner Augen stille Tränen,
süßer Tau der Amarylle,
rannen in die Schuttmoränen,
gramverstummter Herzen Hülle.

Und sie tränkten mir die Krume,
daß noch einmal glühen mochte
Mohn der Nacht, des Orpheus Blume,
Herz, das deinem Herzen pochte.

 

Nov 11 22

Nausikaa

Wo Apfelsinen, feuchte Sonnen, glimmen,
im Haine der Phäaken, und Zitronen,
im Dämmerlaube fahle Monde, schwimmen,
muß auch der Liebe Wunderrose wohnen.

Bist du es nicht, Nausikaa? Die Wangen
erröten dir von eignen Blutes Singen.
Hält dich das Bild des Irrenden gefangen,
ihm deiner Blüten Flammen darzubringen?

Sprang dir der Ball, von Eros Hauch gehoben,
vielleicht zu weit ins Dickicht von Mimosen,
dein Wort glänzt noch, aus goldnem Garn gewoben,
und deiner Anmut Bild umranken Rosen.

Das Wort „Kehrst heim du, magst du mein gedenken“
ließ auf des Ahnensaales lichter Schwelle
dich der Entsagung Wimpern milde senken,
und dunkler Duft umfloß die Rosenhelle.

Uns aber, die in kahlen Zimmern warten,
bis abgebrannter Herzen Stümpfe blaken,
erglühe, Rose, aus versunknem Garten,
umrauscht von blauem Vers, Land der Phäaken.

 

Nov 10 22

Der Tod des Wanderers

Wenn sich in roten Früchten ründet
die Sommerzeit, auf Halmen schwankt,
was aus der Nacht ins Licht gemündet,
hat Efeu weich den Stein umrankt.

Was dunkel Nachtigallen weinen,
hebt in sein Lächeln Himmelsblau,
die Knospen tun sich auf und scheinen.
Die Rose sagt zum Wandrer: „Schau!“

Doch blind zieht weiter ihn die Wunde,
die keiner Blüte Leuchten stillt,
hinab, hinab zum Dämmergrunde,
wo trunken Geist der Erde quillt.

Dort fand man ihn, die Quelle rauschte.
Verzückung stierte aus dem Blick,
als ob er noch dem Schluchzen lauschte.
Das Wasser rann ihm ins Genick.

 

Nov 9 22

Schwacher Schimmer

Eine Feder lag im Staube,
Schimmer, schwach im Morgenlicht,
war sie da, die Turteltaube,
hörte ich ihr Gurren nicht.

Scheuer Wolke Spiegel, Wasser,
wo die Sonnenknospe trieb,
und von Blüten immer blasser
blanker Spiegel wurde trüb.

Lilien in blaugrauer Vase,
Schimmer, schwach im Dämmerschein,
feenzart gewirkte Gaze
hüllte ihren Schimmer ein.

Wie von einem dunklen Schwirren
ist der Einsame erwacht,
doch nicht hellte auf dein Girren,
Turteltaube, meine Nacht.

 

Nov 8 22

Am Leben hängen

Ich legte mich in Halm und Nacht,
im Sommermond zu sterben,
von trunknem Duft bin ich erwacht,
umflorter Liebe Werben.

Ich riß die Planke aus dem Kahn,
in dunkle Flut zu sinken,
da sagte schimmernd mir ein Schwan,
den Schimmer soll ich trinken.

Ich sah im roten Rebenblatt
mich hin zum Abgrund drängen,
sein Tod, der so viel Glühen hat,
ließ mich am Leben hängen.

Ich wollte, als der Mond verglomm,
verblassen mit den Veilchen,
doch eine Nachtigall rief: „Komm,
wir glühen noch ein Weilchen!“

 

Nov 7 22

Wir Danaiden

Sie haben, Sappho, Selene dir genommen,
auf der Flucht zu fernen Galaxien
ist ihr holdes Angesicht verglommen,
und auch die Monde deiner Oden fliehen.

Deine Nacht, Novalis, liegt zerrissen,
das Gefieder orphisch-blauen Sangs,
auf den kalten Aschenkissen
im Grand Hotel des Untergangs.

Und die, Vates, du mit eigner Hand
uns gebündelt, hohen Geistes Strahlen,
mußten, in das Totenreich verbannt,
im Herzen Diotimas fahlen.

Die Sonnen aber, sie erkalten,
die Blütenlicht und Nacht geschieden,
wir rinnen in des Chaos Spalten,
o dunkler Schaum der Danaiden.

 

Nov 6 22

Die Stunde naht

Und keiner ist, dir von der Stirn zu hauchen
des grauen Staubes Überdruß.
Die Stunde naht, dein Herz zu tauchen
ins dunkle Licht, den Lethefluß.

Ein Schneien tilgt die Spur des Lebens,
das aus dem trüben Himmel fällt,
und alles Wandern war vergebens,
in Dunst zerrinnt das Herz der Welt.

Die Augen, die im Finstern glommen,
verlöschen, kehrt der Tag zurück,
zu Asphodelen ist geschwommen
verblaßter Liebe Blütenblick.

Die Verse, wilder Triebe Sprossen,
hat bleicher Mond mit Angst betaut,
und wehe Düfte sind geflossen
zu Ufern, wo kein Rauschen blaut.

So magst du dich zu Veilchen legen,
die weinen wie am stillen Grab,
die Erde, weich vom Sommerregen,
zieht dich ins Dunkel schon herab.

Denk dir, in Baumes Wurzel steige
ein Fetzen deines morschen Beins,
ein Vogel pickt die Frucht vom Zweige,
in seinem Lied erklingt auch deins.

 

Nov 5 22

Liebe, Glut und Lethes Schaum

Wie sind verborgner Süße Funken
aus wimpernfeuchtem Dämmersaum
in deinen stummen Schoß gesunken,
o Liebe, Glut und Lethes Schaum.

Mag einer auf das Gras mir sprühen,
das dürre, wo mein Schmerz sich birgt,
die trockne Zunge mir verglühen,
die sich ins Schweigen wühlt und würgt.

Wie in der Locken schwarze Flammen,
aus denen Duft der Mandel raucht,
Tautropfen, die auf Veilchen schwammen,
des Mondes trunkner Odem haucht.

Mag einer auf den Mund mir fallen,
versunknen Sommers Runzelfrucht,
erleuchten mir die Nachtigallen,
was ich umsonst im Licht gesucht.

Wie Schauer Blumenkelche füllen,
sie schwanken wie Mänaden wild,
streift dir der Wind die Blütenhüllen
vom Schoß, o Knospe ungestillt.

Mag eine auf das Grab mir sinken,
wo Moos umseufzt den Spruch am Stein,
das hohle Aug noch Schimmer trinken,
im Abgrund klirren das Gebein.

 

Nov 4 22

Was die Charis trübt

Es zeigt dein Schatten, was die Charis trübt,
verdunkelnd lichter Bilder Innigkeiten.
Gehst du des Weges, Schatten, er geht mit,
blüht auf, was zwielichtig im Zwielicht schlief,
was du erspäht dir wohl, doch nicht erschaut.
Den Teint der Wesen hält ein Pulsen frisch,
der Erde nächtig Quillen, Himmelsstrahl,
das über Halm und Ader singend strömt,
im schwanken Blatt ergrünt, in Augen glimmt,
und noch im Herbstlaub schäumt verebbend Weh,
ein Tau der Nacht erglänzt in Abschiedsblicken.
Dein müder Hauch macht jenen Spiegel blind,
wo sich gespensterhaft ein Lächeln hüllt
wie Blüten hinter brunnenfeuchter Gaze,
wo sich der Totenmaske Schimmer bricht
und sternenlose Augenhöhlen locken
wie schwarzer Mohn in orphisches Gefild.
Der Tinnitus des innern Ohrs, der Geist,
zerreißt den Wohlklang, den die Dämmerung
aus trunkner Kehle tropft, die Nachtigall,
und heitren Plätscherns Wasserserenade
zerbellt die fletschende, die Wahnhyäne.
Es ist der Phrase zäher Schleim, das saure,
das allzu süße Wort, das bald des Sinnes
zarten Herzbezug verätzt und bald
dem wahren Augenblick das Lid verklebt.
Es ist obszöner Zungen Natterngift,
was in der Meeresstille Muschel rinnt,
die Perle für der Sappho Ohr zerfrißt,
der Wortbombast, der Anmut leichtem Kahne
von johlenden Titanen aufgesetzt,
die unterm stummen Monde Zwerge sind,
doch teuflisch kichern, wenn der Kahn versinkt.

 



Neueste Einträge

Kategorien

Beliebte Einträge

Top