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Du bist kein Teil deines Gehirns

24.04.2015

Das Gehirn ist Teil deines Körpers. Deine Gedanken sind aber nicht Teil deines Gehirns. Du selbst bist Teil deiner Gedanken, insofern das Cogito, der Gedanke, dass du all deine Gedanken denkst, sie gleichsam mehr oder weniger unterschwellig begleitet. Sind deine Gedanken kein Teil deines Gehirns und du ein Teil deiner Gedanken, dann folgt daraus, dass du kein Teil deines Gehirns sein kannst.

Du bist dir gewisser Gedanken bewusst, wie des Gedankens, dass du dir gewisser Gedanken bewusst bist. Aber die Tatsache, dass du dir gewisser Gedanken bewusst bist, ist keine Tatsache, die sich auf dein Gehirn bezieht.

Auf dein Gehirn bezieht sich zum Beispiel die Tatsache, dass jetzt diese spezifische Menge an Neurotransmittern darin ausgeschüttet wird. Aber die Tatsache, dass in deinem Gehirn eine bestimmte Menge an Botenstoffen freigesetzt wird, ist keine Tatsache des Bewusstseins.

Vielleicht ist die Tatsache, dass jetzt in meinem Gehirn eine spezifische Menge an Neurotransmittern ausgeschüttet wird, ursächlich mit der Tatsache verknüpft, dass ich jetzt den Gedanken habe, dass jetzt in meinem Gehirn eine spezifische Menge an Neurotransmittern ausgeschüttet wird. Aber der Gedanke, dass jetzt in meinem Gehirn eine spezifische Menge an Neurotransmittern ausgeschüttet wird, ist keine Ausschüttung einer spezifischen Menge an Neurotransmittern.

Das Gehirn kann freilich Teil deiner Gedanken sein, so wenn du über das Verhältnis deiner Gedanken zu deinem Gehirn nachdenkst. Aber als Teil deiner Gedanken oder als Gedanke ist das Gehirn nicht der materielle Körper in deinem Kopf, sondern ein konzeptueller Gegenstand deines Bewusstseins.

Das Gehirn ist ein Teil des Nervensystems, es wird durch die Kopfhaut vom Schädel, einem knöchernen Teil des Körpers, begrenzt. Das Nervensystem wiederum ist ein Teil der lebenswichtigen Organsysteme des Körpers, deren Teile aus Organen bestehen, die einer vom anderen abgegrenzt sind.

Deine Gedanken oder dir bewussten mentalen Zustände stehen in einem Zusammenhang, der vollkommen verschieden ist vom Zusammenhang der Organe deines Körpers wie Gehirn und Rückenmark als Teilen des Nervensystems. Das Gehirn steckt als Organ unter deiner Schädeldecke. Der Gedanke, dass dein Gehirn als Organ unter deiner Schädeldecke steckt, steckt nirgends unter irgendetwas.

Die Tatsache, dass du die rötliche Färbung der Rose wahrnimmst, steht in ähnlichem Verhältnis zu ihrem molekularen Aufbau wie die Tatsache, dass du denkst, dass diese Rose da rot ist, zum molekularen Aufbau deines Gehirns.

Der Gedanke, dass 3 – 7 = 10 ist, ist ein unwahrer Gedanke ebenso wie der Gedanke, dass London die Hauptstadt Australiens ist. Der Gedanke, dass alle meine Gedanken unwahr sind, und dass nur dieser Gedanke, dass alle meine Gedanken unwahr sind, wahr ist, ist ein widersprüchlicher Gedanke oder eine logische Inkonsistenz. Weder unwahre noch inkonsistente Gedanken sind Teile des Gehirns. Was wir an dysfunktionalen oder versagenden Prozessen im Gehirn finden oder diagnostizieren, sind Symptome von Krankheiten. Doch wenn du den Gedanken hast, dass 3 – 7 = 10, ist dies im Normalfall kein Symptom einer Krankheit, sondern ein Fehler. Das Gehirn macht also keine Fehler, sondern versagt, wenn du ohnmächtig wirst. Könnte das Gehirn Fehler begehen, könnte es sich auch davor hüten, Fehler zu begehen. Aber es versagt einfach. Nur du kannst dich davor hüten, Fehler zu machen. Wenn du den Gedanken hast, dass 3 – 7 = 10, machst du einen Fehler, in deinem Gehirn laufen dagegen Prozesse ab, die sich im Prinzip nicht von denen unterscheiden, die ablaufen, während du den Gedanken hast, dass 3 – 7 = – 4. Doch der Gedanke, dass 3 – 7 = 10, unterscheidet sich prinzipiell von dem Gedanken, dass 3 – 7 = – 4.

Wenn dein Gehirn ganz anders verdrahtet wäre als mein Gehirn und du mir auf die Frage nach der Summe von 3 – 7 antworten würdest: 10, würde ich nicht davon ausgehen, dass du aufgrund deiner andersartigen Hirnstruktur der natürliche Anhänger einer andersartigen Mathematik bist, nach deren Regeln 3 – 4 = 10 ist, sondern ich nähme an, dass du einen Fehler gemacht und falsch gerechnet hättest.

Es ist in gleicher Weise unsinnig, anzunehmen, dass aufgrund wissenschaftlich nachweisbarer Unterschiede oder Ähnlichkeiten der Hirnstrukturen von Tieren und Menschen Tiere andere oder ähnliche Gedanken hätten wie Menschen. Wenn wir mit Gedanken das meinen, was wir denken, wenn wir an die Zuschreibung von Gedanken an Tiere denken, die Menschen Gedanken zuschreiben würden, müssen wir annehmen, dass wir Menschen Gedanken zu hegen pflegen, Tiere aber nicht.

Es spielt also keine Rolle, wie komplex die Verdrahtungen und Vernetzungen der Gehirne von Tieren und Menschen sind, so dass wir bei einem bestimmten Grad der Komplexität geneigt wären, ihnen die Eigenschaft zuzuschreiben, bewusste mentale Zustände oder Gedanken zu haben. Denn über die Steigerung der Eigenschaft, komplex zu sein, gelangen wir nicht zu der Eigenschaft, Gedanken zu haben.

Der schlauste Affe der Welt ist noch immer dümmer als der allerdümmste Mensch, der immerhin den unwahren Gedanken hätte, dass der schlauste Affe der Welt klüger sei als er. Denn auch der schlauste Affe der Welt wird den Gedanken nicht fassen können, dass es einen Menschen gebe, der dümmer ist als er.

Die Grenze, die das Gehirn bei noch so großer Komplexität seiner Vernetzungen nicht passieren kann, wird gleichsam von den beiden Torhütern der Bedeutung und der Wahrheit bewacht. Bedeutung, als Grundbegriff der Semantik, bezeichnet die Eigenschaft von Gedanken, sich auf etwas zu beziehen oder von etwas zu handeln, und Wahrheit, der Grundbegriff der Logik, bezeichnet die Eigenschaft von Gedanken, sich auf das Bestehen und Nicht-Bestehen von Sachverhalten zu beziehen. Nichts am Gehirn und nichts im Gehirn hat semantische oder logische Eigenschaften. Das Gehirn denkt nicht, wir denken mittels des Gehirns.

Wir nehmen vielleicht an, Affen kämen uns ein gutes Stück näher in der Fähigkeit, Gedanken zu fassen, die sich auf etwas beziehen und darauf, dass dieses etwas so und so ist oder nicht so und so, wenn wir ihnen durch Sprachunterricht auf die Sprünge hülfen. Aber die Fähigkeit, wohlgeformte Sätze auszuspucken, ist nicht identisch mit der Fähigkeit, wohlgeformte Gedanken zu fassen. Muss ich denn, wenn ich an dich denke, den Satz denken „Ich denke an dich“ und muss ich, wenn ich denke, dass du auf dem Sofa ausgestreckt dich deiner Lektüre hingibst, den Satz denken „Ich denke an dich als denjenigen, der auf dem Sofa ausgestreckt sich der Lektüre hingibt“?

Der Satz „Ich denke an dich“ hat es nicht an der Stirn geschrieben, an wen ich denke. Aber der Gedanke, dass ich an dich denke, bewahrheitet sich, wenn du plötzlich vor der Tür stehst und ich ausrufe: „Ich habe soeben an dich gedacht!“

Die meisten deiner Gedanken sind mögliche Gedanken und jetzt nicht aktuell. Erinnerungen sind mögliche Gedanken und werden aktuell, wenn du dich jetzt daran erinnerst, mich gestern im Park gesehen zu haben. In materiellen Körpern wie dem Gehirn sind alle Teile gleich aktuell und keiner von den Teilen und nichts an den Teilen materieller Körper ist virtuell. Der bloß virtuell vorhandene Pfeiler einer Brücke bewirkt, dass sie einstürzt. Deshalb können virtuelle Gedanken keine Teile von Gehirnen sein.

Weil dich deine Arbeitskollegin von oben herab behandelt und gehänselt hat, hast du schlechte Laune. Weil deine Katze gestorben ist, bist du traurig. Ereignisse dieser Art sind Gründe dafür, dass du Gedanken dieser und jener Art hast. Doch sind sie keine eindeutigen Ursachen wie die Vorgänge in deinem Gehirn, die bewirken, dass deine Stimmung umschlägt und du schlechte Laune bekommst oder traurig bist. Indes bekommst du nur dann schlechte Laune und nur dann wirst du traurig, wenn dich die auslösenden Ereignisse nicht kalt lassen, sondern dir mehr oder weniger bedeuten. Wenn dir deine Arbeitskollegin oder deine Katze völlig gleichgültig wären, hättest du nicht die Anwandlungen, die du hast, weil sie dir mehr oder weniger nahe stehen und nahe gehen. Weil dir die Welt so oder so, auf die eine oder andere Art, bedeutsam ist, bedient dich dein Gehirn gleichsam mit den entsprechenden Impulsen zu Gedanken und Gefühlen, nicht umgekehrt.

Wir können den Grad psychischer Krankheit an dem Grad messen, in dem das Gehirn gleichsam mehr und mehr die Souveränität deines Bedeutungserlebens untergräbt und dir Impulse zu Gedanken und Gefühlen aufzwingt, die du als gesunder Mensch von dir weisen würdest, wie den unwahren Gedanken, dass dein Nachbar dir feindlich gesinnt ist und deinen geistigen oder körperlichen Untergang betreibe.

Das Gehirn bildet einen hochkomplexen Mechanismus, dessen Teile und Teile von Teilen physikalischen Gesetzmäßigkeiten gehorchen. Deine Gedanken bilden einen Zusammenhang, der keinen noch so komplexen Mechanismus darstellt und dessen Teile nicht nach physikalischen Gesetzmäßigkeiten funktionieren. Wenn du aufgrund des Nachdenkens über diesen Unterschied zu der Schlussfolgerung gelangst, dass deine geistige Existenz oder deine Existenz als animal rationale nicht kausal auf die Wirksamkeit physikalischer Gesetzmäßigkeiten zurückgeführt werden kann, tust du gut daran, an der Erkenntnis festzuhalten, das eben diese Schlussfolgerung ebenfalls und in demselben Sinne nicht auf eine kausale Beziehung zurückgeführt werden kann.

Was immer in deinem Gehirn vorgeht, es geschieht diesseits der Vernunft. Was immer du wachen Sinnes sagst oder tust, es unterliegt zumindest gewissen Minimalanforderungen der Vernunft.

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